Unser Weg zum dritten, vierten und fünften Cochlea Implantat
Unsere Tochter wurde taub geboren und im Alter von 8 und 14 Monaten mit CIs versorgt. Wir waren über das gute Sprachverständnis und die positive lautsprachliche Entwicklung sehr glücklich und haben unsere Entscheidung für ein CI nie bereut. Auch die Integration in den Kindergarten verlief problemlos. Sie hatte viele Freunde, war im Sportverein und oft ließ uns dieses „Unbekümmertsein“ die Beeinträchtigung vollkommen vergessen.
Wenn wir von Kindern hörten, bei denen eine Reimplantation durchgeführt werden musste, waren wir immer sehr betroffen. Es ist doch ein großer Unterschied, ob einem selbst eine OP bevorsteht, oder dem eigenen Kind. Wir haben nicht geahnt, dass uns dies auch bald bevorstehen würde.
2011 - unsere Tochter war zu diesem Zeitpunkt 4 Jahre alt - tauchte erstmals eine Schwellung auf einem der Implantate auf. Wir kannten zu diesem Zeitpunkt bereits ein CI-Kind, bei dem eine derartige Schwellung nach einem Stoß auftrat. Dieser wurde mit Hilfe von Druckverbänden entgegengewirkt. Unsere Tochter versicherte uns, sich nicht gestoßen zu haben und auch den Kindergärtnerinnen war kein Sturz oder Ähnliches bewusst. Wir fuhren also - zum Abklären der Schwellung - in die Klinik. Während eines 1-wöchigen Klinikaufenthaltes wurde dann versucht, die Flüssigkeit mit Hilfe eines Druckverbandes zu verringern. Zusätzlich wurde mit einem Antibiotikum behandelt, um Bakterien keinen Nährboden zu liefern. Dies war erfolgreich und wir waren froh, als alles überstanden war.
Allerdings hielt die Freude nicht lange an. Es bildeten sich immer wieder Serome (abwechselnd, mal rechts, mal links), die uns durchschnittlich 2-3 Wochen beschäftigten. Das CI konnte unsere Tochter in dieser Zeit - auf der betroffenen Seite - nicht tragen, da der Magnet durch die Schwellung keinen Kontakt hatte. Zudem war nach jedem Vorfall eine neue Anpassung der Einstellung nötig, da unserer Tochter die vorherigen Einstellungen - nach 3-wöchigem Nichttragen des Sprachprozessors - immer zu laut waren.
Alle (Familie, Freundeskreis, Kindergartenbetreuerinnen) waren mittlerweile sensibilisiert, uns über jeden Stoß zu informieren. Keiner der Vorfälle war jedoch durch einen Stoß oder Ähnliches für uns erklärbar. Da wir uns die immer wieder auftretenden Schwellungen nicht erklären konnten, begannen wir, alles Mögliche auszuschließen, um der Ursache auf den Grund zu gehen. Wir haben u.a. mit dem Turnen pausiert und mit dem pädagogischen Reiten aufgehört, um auszuschließen, dass der Reithelm auf die Implantate drückt.
Mittlerweile bestimmte das „Sich-ständig-sorgen“ immer mehr unseren Alltag. Jeden Morgen und Abend fühlten wir „unauffällig“, ob alles in Ordnung ist, oder wieder eine Schwellung fühlbar ist, die uns aus dem Alltag herausreißt. Der erste Satz beim morgendlichen Telefonat mit meinem Mann lautete immer: „Ist alles ok?“. Fotos des letzten Kindergarten-Jahres zeigen unsere Tochter zu 90 % mit Druckverband. Es war zu jeder Zeit ein Spagat zwischen Vorsichtigsein, sich ständig sorgen (ohne sich etwas anmerken zu lassen) und unserer Tochter - zwischen den Klinikaufenthalten - einen „normalen Alltag“ zu ermöglichen.
Als die Serome in immer kürzeren Abständen auftraten (zuletzt im Abstand von 6 Wochen), mussten wir eine Entscheidung treffen. Hinblickend auf die bevorstehende Einschulung im folgenden Jahr, haben wir uns dann für die Re-Implantation entschieden. Zwischen der Explantation und der Reimplantation wurden jeweils mind. 3 Monate eingeplant, um auszuschließen, dass sich Bakterien auf dem Implantat festgesetzt hatten. Das Ganze sollte also in 4 OPs durchgeführt werden. Die Anzahl der OPs erschreckte uns, aber eine gleichzeitige Explantation beider Seiten wäre mit einer 4-monatigen Zeit des „Nicht-Hörens“ verbunden gewesen. Eine derart lange Zeit mit extrem eingeschränkter Kommunikationsmöglichkeit stand für uns nicht zur Diskussion.
Nach den ersten beiden OPs waren wir also glücklich, die Hälfte nun endlich hinter uns zu haben. Die Erstanpassung lief recht gut und wir waren zuversichtlich. Endlich ging es Aufwärts!
Dieses Gefühl wurde leider 4 Wochen später getrübt. Das neue Implantat war defekt. Trotz Austausch des Sprachprozessors konnte unsere Tochter auf dieser Seite nicht mehr hören. Auch in diesem Fall war uns kein Stoß oder Ähnliches bekannt, was den Defekt erklären würde. Die Stelle, an der das Implantat saß, sah äußerlich unauffällig aus, es gab keine Rötung oder andere Anzeichen einer Verletzung. Ich erinnere mich noch sehr genau an den Tag in der Klinik, als wir das Implantat kontrollieren ließen. Mir war zum Weinen, Schreien und mehr zumute! Um meine Tochter nicht zu verängstigen, habe ich darauf verzichtet und mein Mann und ich haben unseren Tränen dann abends freien Lauf gelassen.
Natürlich kamen bei uns jetzt auch Zweifel auf und wir quälten uns immer wieder mit den gleichen Fragen: „Tun wir das Richtige?“, „Werden wir nach den Reimplantationen zur Ruhe kommen oder werden erneut Serome auftreten?“, „Inwiefern prägt das Ganze unsere Tochter?“ Das sind sehr viele bedrückende Fragen, die leider niemand beantworten konnte. Und trotzdem musste eine Entscheidung getroffen werden, die sich auf die Zukunft auswirkt und die wir für unsere Tochter treffen mussten.
Wir haben mit unserer Tochter lange darüber gesprochen und ihr erklärt, dass das Implantat nochmals ausgetauscht werden muss. Zu unserer Erleichterung hatte unsere Tochter - trotz der vielen vorangegangen Klinikaufenthalte - keine Angst vor weiteren OPs. Wir fragten sie auch, ob sie die andere Seite noch austauschen lassen möchte, oder ob wir dies erstmal verschieben sollen. Ihre Aussage war eindeutig: Sie wollte auf beiden Seiten wieder hören und nicht mehr durch „Beulen“ in ihren Freizeitaktivitäten eingeschränkt sein und sie hatte keine Angst vor den kommenden OPs. Sobald mein Mann und ich an die drei weiteren Operationen und die etlichen Einstellungstermine dachten, zerriss es uns das Herz. Auf der anderen Seite waren wir natürlich auch sehr erleichtert, dass es ihr Wunsch war, beidseitig neue „Lauscher“ zu bekommen.
Auch diesen Eingriff, brachten wir kurz darauf hinter uns. Die Erstanpassung war dann aber leider sehr enttäuschend. Nach der ersten Reimplantation lief es mit der Erstanpassung damals sehr gut und das Sprachverständnis war sehr schnell wieder auf dem Stand vor der Explantation. Diesmal mussten wir der re-re-implantierten Seite sehr viel Zeit lassen und uns in Geduld üben. Es hat mehrere Wochen gedauert, bis das Sprachverstehen langsam zurückkam. Wir sind aber heute - trotz gezieltem Training der betroffenen Seite - immer noch nicht auf dem Stand vor der Reimplantation.
Es folgten 2 weitere OPs zur Explantation und Implantation des Implantates der anderen Seite. Pünktlich 2 Wochen vor Schulbeginn hatten wir dann auch die Erstanpassung der zweiten Seite hinter uns gebracht und begannen aufzuatmen. Es war geschafft!
Das morgendliche Ritual des „unauffälligen Tastens“ konnten wir eine ganze Weile noch nicht ablegen, langsam trat es dann aber in den Hintergrund.
Wir waren sehr erleichtert, diesen Druckverbands- und OP-Marathon hinter uns gelassen zu haben und dass unsere „Große“ nun wieder uneingeschränkt ihren Freizeitaktivitäten nachkommen konnte.
Diese 2 Jahre waren eine schlimme Zeit! Wir haben uns jedoch über sehr viel Unterstützung und Hilfe freuen dürfen und möchten uns dafür bedanken. Danken möchten wir vor allem der Familie und unseren Freunden, der Lieblingsärztin unserer Tochter, der Audiologin, der Frühförderin, meinem verständnisvollem Arbeitgeber und meinen Kollegen, die während meiner Abwesenheiten meine Arbeit übernommen haben, sowie den Erzieherinnen im Kindergarten. Der allergrößte Dank geht jedoch an unsere Große, die alles so toll gemeistert hat und auch während dieser Zeit ihr „Sonnenschein-Gemüt“ nicht verloren hat!
Mittlerweile sind 3 Jahre vergangen und wir dachten, uns nie wieder mit diesem Thema beschäftigen zu müssen. Leider ist nun wieder eine Schwellung aufgetreten und wir hoffen nun, dass es ein einmaliger Vorfall war. Aber die Angst ist wieder da und wirft viele neue Fragen auf.....
Wir sind nicht allein mit diesem Problem und würden uns - zum gegenseitigen Austausch - sehr über Kontaktaufnahmen von ebenfalls betroffenen CI-Trägern bzw. Eltern von betroffenen Kindern freuen.
CR
Der Name des Verfassers ist der Redaktion bekannt, Kontaktaufnahme via
- Erstellt am .