Mein Weg
Nachdem ich vor 2 Jahren mit dem ersten Cochlea-Implantat (CI) versorgt wurde, möchte ich nun endlich auch meinen Erfahrungsbericht und meine „Hörbiographie“ veröffentlichen
– Mein Weg –
Ich denke, dass Erfahrungsberichte für andere Betroffene, CI-Träger, Hörgeräte (HG)-Träger, CI-Anwärter, Hörbehinderte oder auch einfach Interessierten bestimmt hilfreich und interessant sind. Zumindest erging es mir so. Der Gedankenaustausch mit anderen Hörbehinderten hat mir sehr gut getan, und nun möchte ich meine Erfahrungen gerne anderen weitergeben.
Mein Name ist Guido W. Fornoff, 39 Jahre alt und ich wohne in Friedberg/Hessen. Infolge der Kinderkrankheit Mumps wurde bei mir im Alter von 4 Jahren die beidseitige Innen-ohrschwerhörigkeit festgestellt. Daraufhin wurde ich mit HGs versorgt. Zum Glück hatte ich in diesem Alter schon Sprachverständnis erworben. Ich besuchte nach der Grundschule eine Regelschule und absolvierte 1994 am St. Lioba Gymnasium in Bad Nauheim erfolgreich das Abitur. Direkt im Anschluss daran begann ich bei der örtlichen Sparkasse Oberhessen eine Ausbildung zum Bankkaufmann, wo ich dieses Jahr bereits mein 20-jähriges Dienstjubiläum feiern kann. Während dieser Zeit studierte ich u.a. berufsbegleitend an der European Business School (ebs) im Rheingau und konnte diesen Studiengang erfolgreich zum Finanzökonom abschließen. Auf den ersten Blick hört sich dies vielleicht gut an, und darauf bin ich auch stolz! Aber es war immer ein sehr steiniger und schwieriger Weg. In der Schule und Studium habe ich immer darauf geachtet, vorne in der Mitte zu sitzen. Mein „Lieblingsplatz“ war nicht die 1. Reihe, sondern die 2. Reihe in der Mitte, damit ich u.a. auch die Schüler und Kommilitonen einigermaßen verstehen konnte.
Während der Jahre verschlechterte sich meine Hörkurve, auch wenn diverse medizinische Möglichkeiten (jedoch kein CI) versucht und ausprobiert wurden. Im Alltag kam ich dennoch irgendwie zurecht. Im Jahr 2003 stellte ich mich in der MHH Hannover sowie in der HNO – Klinik Innsbruck vor. Ich war nach den Untersuchungen sehr froh, dass bei mir die medizinischen Voraussetzungen für ein CI gegeben waren. Ein CI wurde mir damals jeweils empfohlen, aber es war vielleicht noch nicht dringend notwendig, da ich subjektiv betrachtet irgendwie im Alltag „durch kam“.
Bereits im Jahr 2004 verabredete ich mich mit Michael Schwaninger, was bis heute in einer guten Bekanntschaft mündete, und konnte wertvolle Informationen über das CI mitnehmen. Aber wirklich ein CI tragen? Nein, dachte ich mir. Vielleicht war ich auch noch nicht „reif“ dazu. Ich verdrängte meine „Beidseitig an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit“. Private schöne Ereignisse wie die Hochzeit mit meiner lieben Frau Melanie in 2005 und den Geburten meiner beiden Söhne Philipp (2007) und Moritz (2010) ließen meine Hörbehinderung in den Hintergrund geraten. Warum sollte ich auch etwas ändern? Es ging doch irgendwie alles und verlief „normal“. Im Nachhinein betrachtet hatte ich jedoch große erhebliche Probleme. Telefonieren, einem Gespräch zu folgen, bestimmte Geräusche wahrzunehmen usw. waren große Herausforderungen bzw. gingen nicht, welche meiner Umwelt nicht immer bewusst waren. Ach der Guido bzw. Herr Fornoff, der macht doch einen normalen Eindruck, habe ich oft mitbekommen. Von meinem Verhalten wirk(t)e ich wohl nicht immer wie ein Hörbehinderter.
Zu Veränderungen kam es im Jahr 2012. Im Mai 2012 waren meine Frau und mein Vater ohne mich zu einem Informationsgespräch bei Fr. Seebens, der Leiterin vom CIC Rhein-Main in Friedberg. So richtig überzeugt hat mich das aber noch nicht. Es wurde mir jedoch bewusst, dass ich mit meinem Handicap nicht immer weiter kam. Eine entscheidender Einschnitt war dann im August 2012: widerwillig meldete ich mich zusammen mit meiner Frau zu einem „Entscheidungseminar CI ja/nein“ in der Kaiserbergklinik Bad Nauheim an. An diesem Wochenende wurde mir bewusst, was für eine gravierende Hörbehinderung ich habe und dass bei mir eine „Beidseitige Taubheit mit Hörresten“ besteht. Ich und taub? Diese Wörter habe ich zuvor in meinem Leben nie verwendet. Vollgepackt mit vielen nützlichen Informationen und medizinischen Untersuchungen verließ ich sehr nachdenklich das Seminar. In meinem Kopf schwirrten sehr viele Gedanken, mir wurde zum 1. Mal bewusst, dass das CI wohl doch gut für mich sein könnte. 100 %-ig war ich jedoch immer noch nicht überzeugt. Zwei Tage nach dem Seminar in Bad Nauheim erzählte mir meine Frau, dass sie einen Termin in der HNO-Klinik Frankfurt für mich ausgemacht hat. Was, dachte ich, nein, nein und nochmals nein. Überrumpelt fühlte ich mich. Warum konnte sie einfach so einen Termin vereinbaren, ohne mich vorher gefragt zu haben?! Worauf wartest Du noch, war die simple Antwort. Was sich im Nachhinein als absolut richtig erwiesen hat, sonst hätte ich wohl noch ewig gewartet. Da bin ich echt froh und dankbar, dass Melanie so hartnäckig war.
Nach einem weiteren Gespräch mit der Familie von Michael Schwaninger bei uns zuhause (danach waren die letzten Zweifel ausgeräumt) und den ersten ärztlichen Gesprächen ging alles sehr schnell. Auch aus medizinischer Sicht war die zeitnahe Implantation indiziert. Nach diversen terminlichen Abstimmungen und verschiedenen Test wie MRT, CT etc. wurde ich am 30.10.2012 auf dem rechten Ohr – meinem etwas schlechteren Ohr – von Frau Dr. Helbig implantiert. Die OP ist gut verlaufen und bald war ich wieder zuhause. Die Anteilnahme und das Verständnis von vielen Seiten nach der OP waren echt schön und haben mir gut getan. Ungewohnt war es, erst nicht auf der Seite des implantierten Ohrs schlafen zu dürfen. Auch nur das einseitige Hören war anstrengend. Aber auch dies ging vorbei.
4 Wochen später erfolgte am 26.11.12 die Erstanpassung. Sehr aufgeregt war ich, was würde auf mich zukommen? Sollte ich Juhu oder Oh je sagen? Beim ersten Ton der Einstellung war es gar nicht so schlimm, kein Zucken, aber etwas Erschrecken. Anhand der Tonleiter konnte ich schon gleich feststellen, ob Töne lauter wurden. Es stellte sich ein monotones Dauergeräusch ein, Töne nahm ich nicht wahr. Beim Sprechen von Personen war ein Dauer-Piepsen und Pfeifen vorhanden. Alles sehr ungewohnt, ja sogar nervig und unangenehm. Meine Hand ging ans Ohr und ich wollte etwas verstellen. Es geht aber nicht mehr, so wie ich es von den HGs gewohnt war. Kurz nach der Erstanpassung war ich im Unigelände unterwegs. Auf einmal nahm ich ein sehr starkes Piepsen wahr. An der Baustelle, wo wir gerade liefen, fiel etwas vom Bagger runter, wie Melanie mich aufklärte. Es war dieses von mir wahrgenommenes Piepsen. Abends am Schreibtisch hörte ich die Tastatur vom PC. Noch nie gehört. Das Scrollen der Maus auch. Das Klicken des Kugelschreibers, meinen eigenen Atem, das Klicken der Fernbedienung vom TV höre ich. Ich bin überwältigt.
Einen Tag später – an meinem Geburtstag – erfolgte die 2. Anpassung. Nun konnte ich erste Stimmen hören. Die Stimme meines Einstellers war unnatürlich hoch. Ich musste mich zurückhalten, dabei nicht anfangen zu lachen. Die Testergebnisse beim Audiogramm waren schon um Welten besser als mit HG. In der Tat war dies mein schönstes Geburtstagsgeschenk! Auf dem Heimweg konnte ich – das HG habe ich ausgestellt – sogar im Radio schon etwas wahrnehmen. „Sta af de A5“. Wow! Beim Eingang einer SMS dachte ich erst, dass das HG piepst, da die Batterien leer werden. Nein, ich höre nun den akustischen SMS-Eingang. Das Weinen meines damals kleinen Sohnes Moritz ist sehr laut, tiefe Töne fehlen. Meine eigene Stimme höre ich nicht. Ohne HG fühle ich mich unsicher. Bei der weiteren 3. Einstellung einen Tag später wurde mir gesagt, dass meine Höreindrücke gut seien, der Hörnerv würde gut reagieren, obwohl ich es gar nicht so empfand.
Auf einem Weihnachtsmarkt hörte ich ein Klingeln. Es war ein Brezelverkäufer, obwohl ich diesen gar nicht sah. Regentropfen auf der Windschutzscheibe während der Autofahrt nehme ich wahr. Plätschern vom Wasserhahn im Waschbecken oder das Rascheln einer Plastiktüte ist neu. Die Töne am Klavier klangen dagegen schon unterschiedlich hoch und tief. Den Telefonhörer hielt ich an das CI-Ohr: es war nur ein lautes Gesumme wahrzunehmen. Was kann das Leben mit neuem Hören so spannend sein. Kurze Zeit später trug ich nur das CI; dann wieder CI & HG zusammen. Hier merkte ich, dass das CI-Ohr das dominante Ohr wurde. Bei einer Unterhaltung mit mehreren Personen mit vielen Störgeräuschen im Hintergrund konnte ich in einem Gespräch mit dem CI bereits etwas heraushören. Und das alles nur nach einer kurzen Zeit nach der Erstanpassung. Nur mit dem CI zu hören war eine gute Übung. Nach und nach wurden vertraute Stimmen angenehmer und hörten sich allmählich wie früher an. Bei Hintergrundgeräuschen merkte ich, dass das Verstehen nur mit CI besser ist als das Verstehen bei ruhiger Umgebung nur mit HG. Bei weiteren Tests war/ist mir vor Hörtests mit Einsilbern – dem Grauen bisher – nicht mehr so bange, denn sie kommen an; wenn auch unterschiedlich. Einmal musste ich das HG herausnehmen, da ich dachte, es ist gar nicht im Ohr und mich störte dies am Ohr. Es war jedoch an, was zeigte, dass das CI angenehm ist. In diesem Winter beim Skilaufen lernte ich, dass dabei auf der Piste der Wind durch den Skihelm richtig laut ist. Früher war es so, dass ich beim Gondelfahren öfters Ohrendruck bekam und dadurch etwas weniger hörte bzw. den Ohrendruck durch Schlucken/Nase pusten wieder ausgleichen musste. Mit dem CI ist dies gar nicht mehr der Fall. Ich fahre die Gondel rauf, und oben am Berg höre ich genauso wie im Tal, da der Ohrendruck sich nicht auf das Hören mit dem CI auswirkt.
Im März 2013 begann ich eine ambulante Reha in der Kaiserbergklinik Bad Nauheim. Durch meinen Wohnort Friedberg wurde diese ambulant durchgeführt. Diese Reha hat mir viel geholfen und mich weitergebracht. Dank der tollen Unterstützung und Hilfe des Teams der Kaiserbergklinik konnte ich viel Positives mitnehmen. Auch hat mir der Austausch mit anderen CI – Trägern sehr gut getan und ich habe mich gefreut, neue Kontakte mit „Gleichgesinnten“ zu knüpfen. Ich bin mit der Erkenntnis aus der Reha gegangen, mein anderes Ohr so schnell wie möglich implantieren zu lassen, zumal es auch ärztlich angeraten wurde. Gesagt, getan. Nach verschiedenen terminlichen Abstimmungen erfolgte im Juli 2013 die Implantation vom anderen Ohr. Aufgeregt war ich gar nicht mehr so, da ich die Abläufe von der anderen Seite her kannte. Wieder war es meine Vertrauensärztin Frau Dr. Helbig, die mir den Weg zum „Stereo-Hören“ ebnete. OP ist wieder gut verlaufen. Es war wieder mal, wie bereits bei der 1. Implantation, eine Top-Betreuung der HNO-Klinik Frankfurt!
Nach der Entlassung ein paar Tage später begann wieder das Warten. Bei der Erstanpassung im August 2013 vom neuen CI konnte ich gleich die Stimme vom Anpasser wahrnehmen, was beim 1. CI noch nicht ging. Zwar alles wieder ungewohnt mit viel Piepsen, aber ich hatte die Gewissheit, dass wird mit dem 2. auch! Viele Geräusche beim Tragen mit dem neuen CI sind gar nicht so neu. Endlich konnte ich nun anfangen, in Stereo zu hören. Der Hörnerv ist beim neuen CI auch aktiv und reagiert. Es braucht jedoch seine Zeit, bis ich mit beiden CI zusammen in Einklang hören kann; Geduld gehört auch dazu. Die beiden CIs müssen sich eben erst mal verstehen ;-) Unterhaltungen ohne und mit Störlärm wurden nun etwas angenehmer und einfacher, weil auf einmal das neue CI mithört. Im November 2013 konnte ich wieder eine Reha in der Kaiserbergklinik Bad Nauheim starten, diesmal stationär.
Die Ärzte, TherapeutInnen und Audiologen kannte ich noch von der 1. Reha, es war mir alles sehr vertraut und ich fühlte mich wohl. Die Zeit verging im wie Flug, wieder lernte ich liebe Menschen kennen. Es ist schön, in den letzten gut 2 Jahren so viele neue Leute kennengelernt zu haben, die mit dem CI zu tun haben. Es sind keine oberflächigen Bekanntschaften, teils sind wertvolle Freundschaften daraus entstanden. Der letzte Tag der Reha war emotional: Abschied nehmen, aber v.a. merkte ich, dass das Hören mit 2 CIs eine Bereicherung für mein Leben geworden ist! Es war/ist schön, mal innehalten zu können und erfahren zu dürfen, was alles wichtig ist im Leben!
Mittlerweile ist im Alltag vieles „normal“ geworden mit dem Hören, was früher nicht der Fall war. Einen weiteren „Feinschliff“ hole ich mir derzeit bei der ambulanten Reha im Cochlear-Implant-Centrum Rhein-Main in Friedberg mit einer kompetenten Betreuung. Die Stimmen meiner beiden kleinen Söhne als Kinderstimmen waren am Anfang sehr hoch und ungewohnt, mittlerweile jedoch sehr angenehm und vertraut. In einer Runde in einem Gespräch kann ich nun aktiv mitreden, also agieren statt reagieren. Selbst beim 20-jährigen Abi-Treffen im September d.J. klangen Stimmen von ehemaligen MitschülerInnen so wie damals, obwohl ich diese 20 Jahre nicht mehr (gesehen) gehört habe!
Natürlich – und das sollte und darf man nicht vergessen – gibt es auch sehr viele Grenzen und Einschränkungen mit dem CI. Zum Beispiel bleiben aktuell u.a. bestimmte Telefonate, Wahrnehmung des Richtungshörens, das vollständige Verstehen eines Gesprächs mit Hintergrundgeräuschen oder einer Radiosendung im Auto eine sehr große Herausforderung. Für mich ist es wie ein Prozess, immer kommen wieder neue Höreindrücke hinzu. „Normalhörend“ bin ich trotzdem nicht. Im Alltag muss ich meiner Umwelt immer wieder den Hinweis geben bzw. daran erinnern, dass ich trotz CI nicht alles verstehe und z.B. nicht immer telefonieren kann. Ich war, bin und werde immer mein Leben lang hörbehindert sein. Aber es hat sich eine deutliche und erhebliche Verbesserung der Lebensqualität eingestellt – kein Vergleich zu früher! Jederzeit würde ich mich wieder für das CI entscheiden!
Wer kein Unglück gehabt hat, der weiß von keinem Glück zu sagen – so lautet ein altes Sprichwort. Und ich glaube, Hörbehinderte – trotz aller Probleme die diese haben – können davon ein Lied singen. Denn auch ein Handicap stärkt uns und wir können unser Leben meistern! Seit meinem CI „oute“ ich mich viel mehr in meiner Umwelt, was ich früher nicht oft gemacht habe.
Mein Dank bzgl. „meinem Weg“ gilt meinen Eltern für ihre bedingungslose Unterstützung; Melanie und meinen beiden Söhnen Philipp & Moritz für die genauso tolle Unterstützung und Hilfestellung; meiner Schwester Astrid für ihre Hilfe; all den ÄrztInnen, den TherapeutInnen und AudiologInnen von denen ich so viel mitnehmen durfte. Und last but least meinen Verwandten, Freunden und Bekannten, die mich immer so behandelt haben und heute noch so behandeln wie ich bin als Hörbehinderter, also normal! Ich hatte und habe nie das Gefühl, dass dies ein Problem für Euch ist. Herzlichen Dank dafür!
Abschließend wünsche ich mir – bezugnehmend auf die Berufstätigkeiten meines Vaters und meiner Schwester als Zahnärzte – dass das Cochlea-Implantat einmal mal genauso bekannt wird ein Zahn-Implantat!
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Für Fragen u.ä. stehe ich gerne zur Verfügung!
Guido W. Fornoff
Seestadtler Weg 3
61169 Friedberg
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