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Entdeckung und Wahrnehmung meines Hörens

Von Judith Klute

Während meines Aufenthaltes in der CI-Reha in St. Wendel an der Bosenberg Klinik fand ich Zeit, eine zweite Hörreise zu schreiben. Gerne möchte ich euch erzählen, was ich mittlerweile mit meinen beiden Cochlea Implantaten (CI) erreicht habe.

Meine erste Hörgeschichte „Mein Weg zum digitalen Ohr“ findet ihr auch auf der Ohrenseite. Der Link dazu: https://www.ohrenseite.info/erfahrungsberichte/390-mein-weg-zum-digitalen-ohr.

Dies ist nun schon vier Jahre her. Bis heute hat sich mein Hören viel verändert und weiterentwickelt. Es sind noch viele / einige neue Geräusche hinzugekommen, die ich jetzt wahrnehmen bzw. hören kann. Wobei ich mir das nicht wirklich vorstellen konnte. Darüber mache ich mir oft viele Gedanken und frage mich, ob es sich wirklich so anhört oder kommt „es“ bei mir anders an als bei Hörenden?

Ich möchte Euch gerne etwas über eine Freizeitgestaltungs-Gruppe erzählen, die ich kennengelernt habe. Hintergründig möchte ich dazu sagen, dass ich dadurch sehr viele nette Menschen kennengelernt habe. Teils waren es Hörende und teils Hörgeschädigte. Die Erfahrungen mit diesen Menschen waren und sind für mich eine große Bereicherung.

Zuerst dachte ich, ob ich überhaupt den Mut aufbringen würde, zu einer Gruppe von Hörenden zu gehen und mit ihnen etwas zusammen zu unternehmen. Meine Gedanken kreisten um Missverständnisse und Sprachschwierigkeiten und ich hatte Angst. Angst, deshalb abgewiesen zu werden.

Aber ich entschloss mich, es durchzuziehen. So schloss ich mich einer netten Gruppe, die ich über Facebook kennenlernte, an. Diese Gruppe traf sich regelmäßig in einer gemütlichen Kneipe ganz in der Nähe meines Wohnorts. Also überwand ich meine Angst und fuhr das erste Mal mit einem mulmigen Gefühl zum Treffpunkt. Als ich in die Kneipe kam, war ich sehr überrascht, wie freundlich die Mitglieder der Gruppe mich empfingen. Sie hießen mich herzlich Willkommen und ließen mich Teil dieser tollen Gruppe werden.

Ich war sehr erstaunt, dass meine Hörschädigung sie nicht abschreckte. Im Gegenteil: viele waren neugierig und wollten erfahren, wie es ist, mit einer Hörschädigung zu leben. Einige hatten das erste Mal mit diesem Thema zu tun; andere kannten Hörgeschädigte aus ihrem Bekanntenkreis.

Trotz, dass alle so nett waren, musste ich an diesem Tag feststellen, dass ich oft an meine Grenzen kam, was das Sprachverständnis anging. Es war nicht einfach bei diesen Störgeräuschen und Musik in der Gruppe bei der Unterhaltung alles zu verstehen. Leider hatte ich bei meinem ersten Besuch vor Aufregung auch noch meine Fernbedienung zu Hause vergessen! So hatte ich keine Möglichkeit, meine Sprachprozessoren anders einzustellen. Ich dachte auch, dass man mit der Standardeinstellung sich an die Störgeräusche gewöhnen und mit Hilfe von Mundablesen es schaffen könnte. Ich klärte die Mitglieder der Gruppe auf, worauf sie achten sollten, damit es mit der Kommunikation mit mir funktionierte. Teilweise ging es gut und teilweise nicht. Trotzdem gab ich nicht auf, denn ich wollte gerne etwas dazulernen. Sei es die Umgangssprache oder neue Wörter. Besonders Fremdwörter und wie man diese ausspricht waren und sind für mich sehr interessant und auch wichtig. Viele Wörter waren neu für mich, da ich diese von früher her nicht kannte.

Einen besseren Sprachschatz zu erlangen war und ist nach wie vor mein Ziel. Weiterbilden mit Hilfe der hörenden Welt ist ein Schwerpunkt für mich, deshalb habe ich diesen Mut gefasst, zu einer hörenden Gruppe zu gehen. Es ist schon interessant, wie viel man bei Hörenden an Sprache mitbekommt. Weder in der Schule noch durch meine Eltern oder Geschwister habe ich diese Sprachenvielfalt beigebracht oder erklärt bekommen.

Früher war ich wettkampfmäßig im Skilanglauf aktiv. Hobbymäßig bin ich Motorrad gefahren und war Tauchen. Das Motorradfahren habe ich irgendwann aufgegeben, weil ich den Spaß und die Freude daran verloren hatte. Das Tauchen musste ich wegen einer Panikattacke aufgeben.

Heute habe ich zwei neue Hobbies gefunden, die mir sehr viel Spaß und Freude machen. Zum einen ist es Mountainbiken (MTB) ohne „E“ (= Elektroantrieb) und das Wandern.

Leider muss ich zugeben, dass ich es bereut habe, meinen langjährigen Wettkampfsport Skilanglauf aufgegeben zu haben. Meine Kondition war auf den Nullpunkt. Wenn ich damals den Skilanglauf nicht aufgegeben hätte, würde ich heute viele Geräusche hören, die ich damals mit Hörgeräten nicht gehört habe. Ich habe zum Beispiel nicht gehört, wenn von hinten ein schnellerer Skilangläufer ankam. So konnte ich nicht rechtzeitig die Spur wechseln, um ihn vorbei zu lassen. Manche haben da sehr ungeduldig reagiert und mich angeschrien. Mit meinen CIs würde ich heute sicherlich hören, wenn von hinten jemand kommt und ruft, und ich könnte rechtzeitig reagieren. Es wäre bestimmt eine sehr interessante, entspannte und schöne Erfahrung. Mit CIs wäre mir zumindest beim Langlauf viel Stress und Ärger erspart geblieben.

Heute frage ich mich oft, welche Geräusche ich mit den CIs wahrnehmen und hören könnte, wenn ich weitergemacht hätte. Das wäre schon interessant gewesen.

Zurzeit versuche ich die verlorene Kondition mit meinen neuen Aktivitäten MTB und Wandern wiederaufzubauen. Ich genieße es heute mit CI allein mit dem MTB unterwegs zu sein oder auf Wanderschaft in der Natur zu sein. Man glaubt echt nicht, wie intensiv man die verschiedenen Geräusche hört und die Umgebung wahrnimmt. Egal ob es das unterschiedliche Zwitschern der Vögel ist, das Rauschen des Windes in den Baumkronen, das Rasseln der Blätter. Selbst das Wahrnehmen, wenn sich jemand mit den MTB nähert und klingelt. Oder Wanderer, die stampfend näherkommen – das ist alles sehr spannend.

Manchmal erschrecke ich mich, wenn ich so tief in Gedanken versunken bin und die Leute plötzlich so nah sind und ich sie nicht gehört habe.

Viele Freunde baten mich, dass ich mich nicht allein auf den Weg machte. Sie hatten Sorge und Angst, dass mir etwas passieren könnte. Das war für mich auch nachvollziehbar. Ich sagte ihnen, dass sie sich keine Sorgen machen müssten, weil ich es durch mein früheres Einzeltraining gewohnt war, allein unterwegs zu sein. Auch am Abend und ohne Flutlicht. Ich versprach meinen Freunden zu deren Erleichterung jedoch, dass ich nicht mehr allein im Dunkeln wandere oder MTB fahre.

Fürs MTB fahren legte ich mir einen neuen Helm zu. Der alte passte leider nicht mehr, da die Spulen an den Magneten störten. Der neue Helm passt super - ich brauchte noch nicht mal etwas aushöhlen wegen der Spulen. Mit Helm ist man einfach sicherer unterwegs. Fürs CI und für den Kopf allgemein. Wer weiß, ob das CI ohne Helm nicht beschädigt werden könnte?

Nun zu meinem Sprachverständnis: Ich muss gestehen, dass ich Probleme mit der Grammatik habe. Zum Beispiel der, die, das – mich, mir, mein, ihnen, ihr, ihrem, ihren und einiges mehr, was mit dem Pronomen zu tun hat.
Auch im Bereich der Fremdwörter sind mir noch viele unbekannt oder ich spreche diese falsch aus. Eine Wanderfreundin machte mich einmal darauf aufmerksam, dass ich das Wort Skulptur nicht richtig aussprach. Es hörte sich so an: Skuuuuptur oder Skuuuuptuuuu oder Skuuumtur

Nach mehrmaligem Versuchen und Unterstützung meiner Wanderfreundin hat es geklappt, so dass ich dieses Wort sauber aussprach. Darauf war ich sehr stolz.

Auch aus meiner Kindheit kann ich mich an das Wort „Zwiebel“ erinnern, welches ich falsch aussprach, weil ich es nicht richtig hören konnte. Ich sprach es ungefähr so aus: „Zwiwiwiebel“. Ich fragte meine Mutter, was ich machen könnte, damit ich die Wörter richtig aussprach. Sie schmunzelte darüber und half mir, die Wörter richtig auszusprechen.

Als ich die CIs bekam, hörte ich den Unterschied der Buchstaben G, L, N, B und S nicht. Es fiel auf, als in der Reha meine Logopädin mir einige Wörter und Reimwörter, die mit genannten Buchstaben zu tun hatten, ohne Mundbild vorlas. Ich bin ihr sehr dankbar, dass sie bestimmte Buchstaben immer notiert und den Zettel dann an meine Einstellerin weitergegeben hat. Das hat mir viel geholfen. Ohne diese Logopädin wäre ich sowieso aufgeschmissen. So habe ich sehr lange gebraucht und es bedurfte mehrerer Einstellungen, bis ich es endlich richtig verstanden hatte.

Ein Hinweis für euch: „Bedenkt, dass es nicht von heute auf morgen klappt und bringt bitte viel Geduld mit. Auch Fleiß und Übung sind sehr wichtig.“

Ich bin seit sieben Jahren mit voller Motivation dabei zu üben und zu lernen. Ich spüre, dass ich viele Fortschritte mache. Es macht mir unheimlich viel Spaß mit den Hörübungen. Aber auch viele lustige Wörter, Sprichwörter und Fremdwörter bereiten mir oft Probleme, sie zu verstehen. Dank meiner seit fünf Jahren freiwilliger Logopädie zu Hause lernte und lerne ich diese Wörter akustisch und inhaltlich zu verstehen.

Da frage ich mich heute immer noch, warum ist die deutsche Sprache so kompliziert mit all ihrer Grammatik und den vielen Fremdwörtern? Tja, damit muss ich wohl leben. Aber ich lerne tagtäglich neue Wörter dazu und komme damit gut zurecht.

Heute ist es so, dass ich mich auf der einen Seite mit Freunden treffe, mit denen ich ganz normal reden und mich austauschen kann. So entwickelt sich meine Sprache und mein Sprachverständnis immer weiter. Das macht mir viel Spaß und darauf bin ich sehr stolz. Auf der anderen Seite treffe ich aber auch noch Leute, mit denen ich mich in der Gebärdensprache (DGS) unterhalten kann. So verlerne ich diese auch nicht.

Das Leben mit CIs bleibt interessant und ich würde diese niemals mehr hergeben.

Judith Klute
Juni 2021