„und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…“ - Teil 1
Von Anja
Dieser Spruch begleitet mich seit dem 24.09.2019 in meinem Herzen, Kopf ja auch in meinem Zuhause und auf meinen Profilen. Denn damit begann
Ich heiße Anja Vorndran bin 32 alt und von Geburt an schwerhörig. Was heißt von Geburt an? Die Ärzte sagen es, aber zum aller ersten Mal wurde es zu meiner Einschulung bemerkt. Mein Ohrenarzt wollte, dass ich Hörgeräte trage, doch die Hörakustiker waren nicht der Meinung, ich hörte noch zu gut.
Von da an saß ich wie eine brave Schülerin immer in der ersten Reihe. Ich habe lesen, schreiben, rechnen wie alle anderen gelernt und nichts von einer Schwerhörigkeit bemerkt. Am Ende meiner Hauptschulzeit kam dann alles zusammen. Ich habe gemerkt, dass ich in der Schule nicht mehr gut mitkomme, die Noten waren schlecht und ich wurde von meinen Mitschülern gemobbt. Ich wurde nicht nur deshalb gemobbt, sondern auch von den Jungs, weil ich noch nicht so eine weibliche Figur, wie meine Mitschülerinnen, hatte. Jeder Tag war sehr quälend für mich, aber ich hatte Angst, es irgendjemand zu sagen, weil ich dachte, dass macht es noch schlimmer. Ich hatte eh ein sehr kleines Selbstbewusstsein. So bestand ich meinen Quali nicht und fing direkt im Anschluss meine Ausbildung zur Erzieherin an.
Auf der einen Seite eine große Wende für mich, denn ich hatte super Mitschüler und Lehrer. Die Schule machte mir wahnsinnig viel Spaß, weil es das war, was ich immer machen wollte. Damit holte ich sogar meine mittlere Reife nach.
Nur die andere Seite war meine Schwerhörigkeit, die sich stark verschlechterte und ich bekam nun endlich Hörgeräte. Was heißt endlich? Die Freude war gar nicht groß, denn ich war natürlich noch in der End-Pubertätsphase und alles andere als glücklich damit nun Hörgeräte tragen zu müssen. Damals gehörten Hörgeräte für mich zu älteren Menschen. Dass heißt also, ich habe mich wahnsinnig geschämt. Kein Pluspunkt für mein eh schon geringes Selbstbewusstsein. Meine Haare habe ich immer so schneiden lassen, dass sie nicht zu kurz und nicht zu lang waren, um einen Zopf machen zu müssen. Ich wollte einfach nicht, dass es irgendjemand sieht. Klar, meine Familie wusste es, aber von meinen Freunden habe ich wirklich nur die engsten eingeweiht.
Wenn ich das jetzt so schreibe und an diese Zeit zurückdenke, kann ich nur grinsen. Ich habe es mir damit einfach selbst schwer gemacht, aber gut, diese Erfahrungen musste ich erst sammeln.
Meine 6-jährige Ausbildung habe ich mit einem sehr zufriedenstellenden Ergebnis beendet und startete in das Berufsleben. Die ersten fünf Jahre hatte ich in der Einrichtung wahnsinniges Glück. Ein freundliches und offenes Team und ein neueres Gebäude mit Schallschutz integriert. Das tat meinen Ohren gut, denn wie ihr sicherlich wisst, können Kinder sehr laut werden und wenn es dann noch 20 in einem Raum sind, ja da geht’s natürlich rund.
Als ich dann mit meinem Freund zusammenzog, war die Fahrtstrecke dorthin sehr weit und ich schaute mich nach etwas Neuem in der Nähe um und siehe da, zwei Dörfer weiter wurde jemand gesucht und ich stieg sofort ein. Hätte ich nur gewusst, was da alles auf mich zu kommt.
Eine große Wende in meinem Leben…. Ein altes Gebäude ohne Schallschutz, laute Kinder, laute Kollegen, ein Team, das mich und meine Schwerhörigkeit nie akzeptierte.
Drei Mal dürft ihr raten, was dieser Lärm aber auch das Psychische mit meinen Ohren gemacht hat? Richtig, sie von Jahr zu Jahr schlechter werden lassen. Es war verrückt, wie schnell sich in einem Jahr mein Gehör so verschlechtern konnte, selbst mein Akustiker verstand es nicht.
Nach knapp drei Jahren konnte ich einfach nicht mehr. Ich verstand mich zum Teil selbst nicht mehr. Auf der einen Seite hörte ich doch noch was und ich konnte die Kinder und Kollegen verstehen, aber auf der anderen Seite, strengte es mich so an, dass ich jeden Tag sehr erschöpft nach Hause kam.
So erging es mir auch im privaten. Es machte mir keinen Spaß mehr mit Freunden auszugehen, weil ich nichts mehr verstand und noch dazu von manchen so hingestellt wurde, als hätte ich keine Lust, ich sei egoistisch, weil ich mich nicht mit ihnen unterhalte. Was für ein Schlag. Ich war doch früher immer eine fröhliche und gut gelaunte Anja, wo ist die nur hin?
Ich kam einfach nicht mehr mit mir selbst klar. Ich verstand nichts mehr. Ich war ziemlich oft schlecht gelaunt, ich war schnell gereizt und auf der anderen Seite auch traurig. Ich zog mich zurück. Meine Familie, mein Freund und meine engsten Mädels standen mir immer zur Seite, auch wenn sie mich oft nicht verstanden. Mein Freund, der mit mir zusammenlebte, hatte es am schwersten. Als unsere Beziehung auf der Kippe stand, ja fast zu Ende war und an der Arbeit ein erneuter Vorfall kam, dachte ich mir, jetzt ist SCHLUSS!!
Ich sprach mit meinem Arzt darüber, er schickte mich zum HNO-Arzt, aber ich bekam auch Psychotherapie. Leider half diese mir sehr wenig, da ich zwei Therapeutinnen kennengelernt hatte, die mir beide nicht sympathisch waren. Ich legte das ganze erst mal aufs Eis, denn mein HNO-Arzt schickte mich damals gleich weiter in die Uniklinik nach Würzburg.
Von da an ging es langsam bergauf. Ich hatte in der Uniklinik Vorgespräche und Untersuchungen und mir wurde das Cochlea Implantat (CI) vorgestellt. Das hatte ich, wie wahrscheinlich viele von euch, nicht gekannt, aber ich fand es vom ersten Moment an sehr interessant.
Ich muss ehrlich sagen, meine Entscheidung stand schnell fest. Was hatte ich auf meinem linken Ohr noch zu verlieren, es ist ja jetzt schon fast nichts mehr vorhanden?
Mein Hausarzt wusste jemanden im gleichen Dorf, die auch eins besitzt, aber von Geburt an auf diesem Ohr taub war. Danke Petra für deine Erfahrungen, die du mit mir geteilt hast und das Buch „Taube Nuss“. Sie haben meine Entscheidung beschleunigt und ich wurde auf der linken Seite am 24.09.2019 mit dem ersten Cochlea Implantat von MED-EL operiert.
Und wie es oben schon steht, das war mein NEUANFANG!!
Wie es mir mit dem ersten CI ging, was die Reha in Bad Nauheim dazu beigetragen hat und wieso ich mich schnell für das zweite CI entschied, dass erfahrt ihr in meinem zweiten Teil „und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…“
Die liebsten Grüße
Anja
Oktober 2021