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Almas Weg zum Hören

Von Rike mit Alma

Unsere 2019 geborene Tochter Alma ist beidseitig mit Cochlea Implantaten (Cis) versorgt

Oft ist der Gedanke, dass das eigene Kind mit einer Behinderung zur Welt kommen könnte, vollkommen fernliegend. Bei uns war das ebenso der Fall, insbesondere, da wir schon eine kerngesunde Tochter hatten, die Schwangerschaft komplikationsfrei verlief und auch ansonsten nichts auf etwas anderes schließen ließ.

Deswegen riss uns die Diagnose, dass Alma „an Taubheit grenzend schwerhörig“ ist, den Boden unter den Füßen weg. Der Weg zur Diagnose war allerdings das, was uns am meisten Energie kostete. Wie sollte es anders sein bei einem Baby, das schlichtweg auf Fragen nicht antworten konnte? Lange war nicht klar, ob Alma wirklich eine Hörschädigung hat, anfangs wurde uns immer wieder gesagt, dass das Neugeborenenhörscreening (erst im Krankenhaus, wenige Wochen später beim Pädakustiker) auch daher ohne Befund sein könne, weil sich noch Fruchtwasser im Ohr befinde, das erst nach einiger Zeit natürlich „abfließt“.

Doch je öfter wir zum Pädakustiker und ins Krankenhaus, zu Hörscreenings und BERA-Untersuchungen gingen, desto klarer wurde, dass Almas Hören nicht der Norm entsprach. Als Alma etwa zweieinhalb Monate alt war, hatten wir die Gewissheit vom Grad ihrer Hörschädigung, der mit einer Hörschwelle von ca. 100db so hoch war, dass uns eine beidseitige CI-Versorgung nahegelegt wurde.

Zunächst erhielt Alma Hörgeräte, um die Hörnerven weiter zu stimulieren bis die Implantation erfolgen konnte. Es folgten verschiedene Krankenhausgänge, in denen Bildgebungen (MRT, CT) bzw. Untersuchungen zeigen sollten, ob u.a. die Hörnerven (essenziell für die Versorgung mit Cochlea Implantaten) angelegt sind.

Als Alma 10 Monate alt war, wurde sie operiert – beide Seiten in einer Operation, alles lief gut. Ihre Aktivierung war vier Wochen später. Wir wählten die Variante mit Stirnbändern, um die Geräte hinter Almas Ohren zu fixieren und CIs der Firma Cochlear. Die Herausforderungen des Alltags sollten sich bald zeigen:

Im ersten Monat war das Tragen der Geräte für Alma kein Problem, in den regelmäßigen Anpassungsterminen (zu Beginn alle 1-2 Wochen), in denen die Stärke der elektrischen Impulse der einzelnen Elektroden auf der Sonde eingestellt wurde, machte sie gut mit. Doch bald fing sie an, die Geräte im Minutentakt vom Kopf zu reißen; schwierig war dabei einzuschätzen, ob es (generelle) Entwicklungsschübe waren oder ungewohnte Sinneseindrücke, die sie störten. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem.

Für uns als Eltern, die versuchten, Alma nach den „verpassten“ 11 Monaten Hören möglichst viel akustischen Inputs mitzugeben, war es eine Nervenprobe. Auch müssen Mütze-Aufsetzen, Fahrradhelm befestigen und Oberteile Anziehen gut geübte Übungen sein, die tägliche kleine Herausforderungen darstellen.

Die Nerven, die wir in dieser Zeit ließen, wurden aber schon bald entlohnt: War es mit den Hörgeräten „nur“ nuscheliges Lautieren, das Alma machte, so mischten sich mit der CI-Versorgung bald Konsonanten in ihre Rufe. Sie schien vielmehr „zu sprechen“, veränderte ihre Sprachmelodie vollkommen. Und das erste „Mama“ und „Papa“ kam schon wenige Monate nach ihrer Aktivierung. Mittlerweile ist Alma zwei Jahre alt, sie spricht ohne Unterlass (manchmal in ihrer Fantasiesprache, natürlich einiges noch undeutlich, aber das ist ja bei allen Kindern so), oft in Zwei-, manchmal sogar Dreiwortsätzen.

Was uns besonders freut: Ihr „Höralter“ (immerhin 10 Monate jünger als das ihrer gleichaltrigen Kitafreund*innen) ist nach jetzigem Stand nur 2-3 Monate verzögert. Sie ist ein aufgewecktes Kind, der erste Gang am Morgen geht zu den Geräten, deren Akkus über Nacht laden. Sie kann sogar die Spule wieder selbst befestigen, wenn sie sich einmal löst.

Alma fordert ihr Hören ein und die Geräte sind mittlerweile ein so fester Teil von ihr, dass wir sie uns gar nicht anders vorstellen können. Alma liebt Musik, sie tanzt begeistert mit, sie singt Lieder, sie „liest“ uns Pixiebücher vor. Sie genießt und kostet das Hören förmlich aus und für uns ist das ein nicht aufzuwiegendes Geschenk.

Natürlich erleichtert uns diese bisher so positive Entwicklung mit den Geräten auch einige andere Punkte in Almas Erziehung: Alma kann die gleiche Kita besuchen wie ihre große Schwester, voraussichtlich wird das auch für die Schule der Fall sein. Ohne eine CI-Versorgung wären das Punkte, die wir anders gestaltet hätten. Ein kleiner Wehmutstropfen ist die Tatsache, dass wir bisher keine*n Spielkamerad*in für Alma gefunden haben, der*die ebenfalls CIs trägt; gerne würden wir ihr hier noch Kontakte ermöglichen, was allerdings durch Corona bisher immer ausgebremst wurde.

Die Therapietermine für Alma sind überschaubar: Anfangs waren die Einstellungen alle 1-2 Wochen, mittlerweile ca. einmal im Monat. Auch Musiktherapie haben wir dreimal mit Alma besucht, allerdings bald beschlossen, dass es schlauer ist, das zu einem Zeitpunkt, an dem Alma älter ist, fortzusetzen. Wir gehen regelmäßig zum HNO-Arzt, der ihre Gehörgänge kontrolliert, haben Gespräche mit der Beratungsstelle für Hörbehinderte Kinder und Jugendliche, in denen allgemeine Sorgen und Ängste besprochen und genommen werden.

Zusätzlich zur Versorgung mit Cochlea Implantaten machen wir als Familie seit einem Jahr einen Hausgebärdenkurs, in welchem wir die Deutsche Gebärdensprache erlernen. Das war uns sehr wichtig, da uns bewusst ist, dass wir Alma aus der eigentlich „naturgegebenen“ Gruppe der Gehörlosen bzw. Hörbehinderten durch die CIs herauslösen.

Alma nimmt die DGS gut an, aber es fällt auf, dass sie sich eher auf die Lautsprache fokussiert. Das wiederum liegt natürlich zum größten Teil an uns: Wenn es schnell gehen muss, gebärden wir nicht und vieles können wir einfach selbst noch nicht. Die Kita hat leider auch keine Erzieher*innen, die DGS oder die LBG (lautsprachbegleitende Gebärden) beherrscht, deswegen ist der Input dieser Sprache natürlich deutlich geringer. Aber es entwickelt sich dennoch weiter und wir merken, dass mit Almas steigendem Alter auch die Verbindung von Worten in Lautsprache und Gebärde für sie immer klarer wird.

Und die Befürchtungen, die uns umtrieben, bevor Alma versorgt wurde? Sie reichten von (verhältnismäßig) banalen Dingen wie „diese Geräte sind so riesig, das sieht ja merkwürdig aus an so einem kleinen Kind“ bis zu grundlegenden Ängsten „was, wenn es nicht funktioniert? Was ist, wenn Alma die Geräte nicht akzeptiert? Was ist, wenn die Hörschädigung nicht das einzige ist, das bei Alma „anders“ ist?“.

Bisher hat sich keine Befürchtung bewahrheitet und wir sind sehr dankbar für die Möglichkeit, die diese Technik Alma und uns gibt: Alma wächst gemeinsam mit uns und ihrer Schwester in der Welt der Geräusche auf. Und bis hierhin können wir mit Sicherheit sagen: Sie liebt es.

Rike mit Alma
Februar 2022