Skip to main content

“It´s a kind of magic…”

Von Claudia L.

Hi, ich bin die, die das Leben liebt, die Überraschungen jeden Tag, Musik und die Lübecker Marzipan jedem Diamanten vorziehen würde (von wegen…“Diamonds are a girl's best friend“).

Warum ich mich hier verewige…ich bin ein Cyborg, aus Überzeugung und mit dem Willen, die verrücktesten und buntesten Cochlea Implantate (CIs) der Welt zu tragen – und – weil ich mit den Dingern jetzt endlich wieder die Möglichkeit habe, „Call me maybe“ nicht nur zu hören, sondern das auch selbst zu sagen…und das ist der Hammer.

So, jetzt ein paar Basics:

Ich bin Claudia, 54 Jahre (gefühlt eher anders herum ;-)), taub, von Beruf- und jetzt kommt ein Treppenwitz der Geschichte - Musiklehrer. Jaaaaa, toll, ne!! Kommt selten vor, aber… so what.

Als ich noch ein langweiliges „normal hörendes“ Leben hatte, so ungefähr 46 Jahre lang, hätte ich jedem, der mir erzählt hätte, dass ich bald taub sein werde, nicht nur einen Vogel, sondern wahrscheinlich die gesamte Vogelhochzeit gezeigt. Nun ja, „Zeiten ändern sich und dich“ und mich natürlich auch.

Als Michael mich bat, hier etwas zu schreiben, habe ich meine Gehirnwindungen lange rotieren lassen. Wat schreibste? Wie schreibste? Kannste auch witzig oder musste betroffen…, damit sich keiner nicht ernst genommen fühlt? Ist gar nicht so einfach…, die eierlegende Wollmilchsau zu finden. Aber, ich kann nicht aus meiner Haut, deswegen kommt das jetzt so!

Für`s Protokoll: Ich habe mal Pädagogik, Musik und Germanistik studiert, vor grauen Zeiten, als die Mauer nicht nur in Köpfen bestand, sondern noch real war, sozusagen auf der dark-side, wo Bananen zur Bückware gehörten. Nach zwei Kindern und diversen Ortswechseln verschlug es mich mit der Sippe 2003 in die Pampa, respektive in den schönen Westerwald, wo ich als Lehrerin in Bad Marienberg meinem Hobby nachging. Alle war chic, sozusagen eine happy-never-ending story, bis ich mit 46 Jahren das dumpfe Gefühl hatte, die Kinder in der Schule sprechen auch immer schlechter, nuscheln, sind extra leise und überhaupt, auch die Kollegen sind sprachlich nicht mehr so ganz auf der Höhe. Bei einem Freundschaftsbesuch beim HNO-Arzt meines Vertrauens wurde mein Eindruck, ich könne unter Umständen etwas schwer hören, zu Beginn leicht angezweifelt. Zu sehr hatte ich das Absehen und das Kombinieren mit der Gestik anscheinend über eine längere Zeit perfektioniert. Das Ergebnis des Hörtests war ernüchternd, noch keine taube Nuss, aber auf dem besten Wege dorthin. Hörgeräte mussten her, möglichst schnell, möglichst gute und möglichst nicht hässlich farblos. Da waren sie dann, die Probleme, schnell und gut funktionierte, aber hässlich wie die Nacht waren die Dinger, so oldschool, keine gescheite Farben, kein Glitzer, kein Highend-Accessoire. Jede Brille sah besser aus und war modischer als die „Lauschis“.

Sechs Jahre gab ich den Dingern ein Zuhause, dann war Feierabend. Wieder nuschelten die Kids, selbst nach dreimaligem Nachfragen wurde es nicht besser. Ich ahnte, was man mir in Koblenz im Marienhof schon prophezeit hatte…, meine Haarzellen im Innenohr hatten keine Lust mehr auf Arbeit, mir blühte ein kompletter Systemwechsel, Cochlea Implantate, Med-El, Claudia 2.0, neues Lebensmotto: „I will survive“ und nicht auf das Abstellgleis… ich will arbeiten… also let´s do it. Led Zeppelin hat in "Stairway To Heaven" geschrieben: „Yes, there are two paths you can go by. But in the long run there`s still time to change the road you're on".

Zuhause bleiben und das “Schicksal” so hinnehmen, das kam nicht in die Tüte. Also spielte ich Ende Januar 2020, als Corona noch ziemlich weit weg schien, das Spiel: „Ich packe meinen Koffer …“ und ließ in Koblenz im Marienhof bei Professor Maurer das rechte Ohr implantieren, total entspannt, was hatte ich zu verlieren…? Die ambulante Reha im Anschluss absolvierte ich ebenda. Die Zeit danach war nicht der Knaller, zu sehr hatte ich auf schnelle Ergebnisse gehofft, zu groß war die Euphorie, zu hoch die Erwartung. Ich fiel so tief, so bodenlos tief, wie ich es mir niemals hätte vorstellen können. Rien ne va plus…, so ließ sich mein Gemütszustand ein Jahr lang nach der OP beschreiben. Es ging nicht vorwärts, trotz Übungen, trotz aller Bemühungen, die Tinnitus machten mich bald wahnsinnig, ich hörte Sprache zwar, aber es reichte hinten und vorn nicht.

Von Musik müssen wir hier gar nicht anfangen zu reden. Wenn ich für jedes Mal, wenn der Satz fiel: „Beethoven war auch taub.“ einen Euro bekommen hätte, wäre ich reich geworden. Ich konnte es schlichtweg nicht mehr ertragen, das Fragen nach den Hörfortschritten, die Sprüche, das Kleinmachen des Ganzen durch Sätze wie: „Meine Hörgeräte sind auch nicht so toll. Bei mir pfeift´s ab und zu auch. Warum hörst du noch nichts, du hast die Dinger doch schon am Kopf seit Wochen…?“

Was macht man, wenn alles wegbricht, was ging, genau - Pläne – und sucht neue Wege. Keine Musik, kein Fernsehen, kein Lesen, keine Kommunikation – hmm, ich kann malen, da brauche ich meine Ohren  nicht. Kunst ist eh mein Steckenpferd. Und ich kann backen. Also mach ich die Sippe und das halbe Dorf glücklich und verlege mich auf französische Patisserie. Da muss ich nichts hören, ich kann mein geliebtes Marzipan untermogeln, das Ergebnis macht satt und glücklich, und da ich das nicht allein essen wollte, auch anderen runde Hüften ;-)).

Heute würde ich so weit gehen, zu sagen, dass das exzessive Backen mir das Leben gerettet hat. Aber der Weg in meinen Beruf war mir immer noch versperrt. Das linke, bessere Ohr musste ja auch noch unters Messer. Im April 2021 also wieder Kofferpacken, diesmal als Insider wieder im Marienhof einchecken. Den Tag und die Nacht vor der OP werde ich nie vergessen, da kann ich auch nicht mit Humor kommen. Ich hatte die Buxe gestrichen voll, zu groß war der Schritt, zu endgültig.

Ich wusste, wenn ich wieder wach werde aus der Narkose, werden meine Ohren definitiv nur noch Deko und Halter für die CI sein und ich endgültig ein Cyborg. Auch diese OP verlief komplikationslos..., bis auf die Tatsache, dass der Schwindel mich längere Zeit häufig die komplette Gangbreite ausmessen ließ, Seemannsgang für Profis.

Nun hörte die liebe Claudia rechts nicht viel und links gar nüscht, berauschend klingt anders. Und wieder die Reha. Das heißt, es stimmt nicht, dass ich nichts hörte, im Gegenteil. Jetzt hatte das Hirn ganz wunderbare Phantomgeräusche im Angebot, 24/7 über viele Monate. Ein Traum, wenn man nachts halb drei auf der Bettkannte sitzt und denkt, gleich legt direkt neben dir ein U-Boot an. Ohne therapeutische Begleitung und Törtchen vom Feinsten wäre ich aus der Nummer nicht lebendig herausgekommen. Zu dem ganzen Schlamassel kam noch ein Brief meines Arbeitgebers hinzu, dass man mich pensionieren möchte…erstmal…ich könne ja einen Antrag auf Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses stellen, wenn`s besser wird - das war das, was man als Motivation braucht, weil man all das gemacht hat, um wieder zu arbeiten. Da hätte Mark Foster noch wie oft singen können: „Egal, was kommt, es wird gut, sowieso…“ (virtuelles Augenrollen). Ich weiß nicht, wie es euch anderen in der Familie gegangen ist, aber die hat sich bei mir mit am schwersten mit den Veränderungen getan. Gesprächsregeln am Tisch - bähh, geh weg, Ansprache von hinten - hat doch immer geklappt früher, Hände vorm Mund beim Reden, das Dekor mit dem Besteck vom Teller kratzen… und und und. Ich kam mir vor wie eine Schallplatte mit einem Sprung, so oft habe ich meine Mantra wiederholt. Fremde, die mich nur als Cyborg kannten, konnten sich wesentlich schneller auf mich einstellen. Der Mensch ist halt ein Gewohnheitstier.

Als ich schon nicht mehr an ein Wunder glaubte, passierte eins. Im September 2021 auf einem Spaziergang mit meinem Mann verstand ich auf einmal, was er sagte, trotz Maske und ohne in seine Richtung zu sehen. Wahhh, am Tag zuvor war ich zur Reha, dieses Mal bei einer anderen Audiologin, die an den Knöpfen herum einstellte.

Nix wie nach Hause, Fernseher an, Talkshow mit einer russischen Pianistin, die mit starkem Akzent sprach…. Ich hing förmlich vor der Glotze und saugte Stimmen auf, die ich verstand. Es war der Wahnsinn. Montags nach dem Wochenende  wurde ich in Koblenz vorstellig, völlig fassungslos noch. Und es war in der Tat so, ich konnte Menschen mit Masken verstehen, die Messungen ergaben, dass meine Wahrnehmung sich extrem verbessert hatte. Ein Tschakka und Dauergrinsen später informierte ich im September meinen Arbeitgeber über die veränderte Situation, auf die er dann im Dezember reagierte…, während einer wunderbaren stationären Reha in Rendsburg. So hatte ich das Glück, zu erfahren, dass ich an einem Sonntag, 12.12.2021 völlig ohne Technik und Vorbereitung  wieder meinen Dienst mit einer Wiedereingliederung aufnehmen soll. Was ein Witz!

Auch das ist heute schon Schnee von gestern, „Verdamp lang her…“, ich bin wieder in meiner geliebten Anstalt, zwar immer noch ohne Soundfield-Anlage, gehe „nur“ mit Kollegen mit und unterstütze, denn in manchen Bundesländern mahlen die Mühlen etwas langsamer, aber endlich bin ich wieder im Leben. Und das Problem der Technik wird sich auch lösen, nicht heute und morgen…, aber irgendwann in den nächsten Wochen… wenn man eins wird in der langen Zeit… dann geduldig.

Und ich werde es feiern, wenn ich vor meiner Klasse stehen kann und die Hütte brennt, mit Konfetti und Kuchen, weil ich dann endlich meine Ziele erreicht habe, tauber Lehrer in einer Regelschule sein, Inklusion auch für Erwachsene in Schulen präsentieren, CI sichtbar machen… bunt, cool und als absolutes Highend- Accessoire, so, wie ich es mir für die Zukunft und für alle CI-Träger wünsche.

Musik wird nicht mehr der Burner, damit muss und kann ich leben, aber das ist ok, denn… das Leben, das ich jetzt habe, ist 2.0, anders bunt und absolut toll. Und das Allerbeste daran ist: Ich habe das Privileg, selbst zu entscheiden, was ich höre und was nicht – die absolute Geheimwaffe eines Cyborgs! Und damit ihr noch ein letztes lecker Liedtextchen mit auf den Weg bekommt und… weil`s so gut passt:

Das alles, und noch viel meeehr, könnt´ ich nicht hören, wenn mein CI nicht wär!!!

Juni 2022
Claudia