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Es geht immer weiter,
mit dem Blick nach vorne und nicht nach hinten

Von Thomas Leitz

September 2020, 7 Uhr morgens im mobilen Arbeiten. Plötzlich Nebel in meinem Kopf, Watte in meinem linken „noch“ hörenden Ohr. Ich stehe auf, schwankend wie auf hoher See und 10 Wodka Flaschen intus. Panik verbreitet sich in meinem Inneren. Der Griff zum Smartphone, ich rufe meine Bekannte an, die glücklicherweise im selben Haus wohnt.

Die letzten Worte, die ich vernahm „ich komme“. Stille, Panik, mein Körper schüttelt sich, übergibt sich ununterbrochen und die Toilettenschüssel ist Halt und mein bester Freund zugleich. Alles läuft ab wie in einem surrealen Film. Der Notarzt trifft ein. Bilder verschwimmen, ich drifte immer ab.

Wenig später, im Krankenwagen. Die Landschaft fliegt an mir vorbei, meine Seele will loslassen und doch ist in meinem Inneren ein Lebenswille, der mich wachhält. Ich werde nach der Notaufnahme in die Stroke Unit verlegt. Ich möchte nur schlafen, nur lässt man mich nicht. Untersuchungen, Infusionen, betroffene Gesichter.

Was reden die da? Weshalb schauen die mich dabei nicht an? Sie reden über mich, aber nicht mit mir, was mich wütend macht.

Ich verlange nach Stift und Papier. Ich möchte, dass mir mitgeteilt wird, was geschieht. Die Stunden vergehen und ich bin in meinem Inneren gefangen, trete in eine andere Welt.

Innen still und außen diese laute, hektische Welt, in der ich vor kurzem noch, als Mono-Hörer aktiv war. Mein rechtes Gehör hat mit vier Jahren den Empfang eingestellt, wohl aufgrund einer Entzündung durch Masern.

Innerhalb von drei Tagen wurde mein Kopf viermal gescannt, wahrscheinlich kennen die mein Hirn jetzt besser als das von Einstein.

Die Klinik war im Corona Modus, wenig Personal, viel Aufwand, Hektik. Das Personal war dennoch zuvorkommend, obgleich ich jedem die Anspannung anmerkte. Eine HNO-Station wurde für Corona Patienten vorgehalten, daher schickte man mich, ahnungslos, schwankend für zwei Tage nach Hause. Surreal, scheiß egal. Zwei Tage später eine Diagnose, OP links, wieder nach Hause und noch weniger einen Plan, überfordert, leer, kaum zur Ruhe kommend, heulend.

Ich drehte die Anlage auf mit meiner geliebten Musik, um den Bass mit meinen Händen zu spüren, Kopfhörer aufgedreht und es war NICHTS. So schnell wie es ging, schaltete ich in den Kampfmodus, nicht mehr, warum und wieso, sondern wie weiter.

Um nicht durchzudrehen, habe ich meine Arbeit im mobilen Arbeiten aufgenommen, ich wollte spüren, sehen, wie es ist in der tauben Welt zu arbeiten. Nach einer emotionalen Odyssee HNO, Klinik in Freiburg, Ämtern usw. erhielt ich Ende Oktober 2020 mein Cochlea Implantat (CI), fünf Tage später meine Erstanpassung.

„Sie werden angedockt“, innerlich aufgewühlt wartete ich darauf was passiert. Nach 60 Tagen Taubheit, vernahm mein Kopf ein Geräusch „Papierrascheln“, meine Seele heulte, freute sich, wollte den Techniker umarmen. Wie im falschen Film, ging ich raus und vernahm die ersten 0/1 Bytes elektronische Klänge.

Was ist das? Eine Krähe? Woher kommen all die Geräusche. Im Speisesaal, Hagelkörner auf ein Blechdach, dabei war es Geschirrklappern und ich machte erstmal mein CI aus, weil ich das Gefühl hatte, mein Kopf platzte, um es sogleich wieder anzuschalten, weil ich neugierig war, ich mein Gehirn wieder aktivieren wollte.

Meine Hörreise begann.

Nun nach fast zwei Jahren auf der Reise, habe ich mich an mein CI gewöhnt bzw. mich damit versöhnt. Was ich vermisse, die Musik, sie wird mich nie wieder so berühren, wie in der hörenden Welt.

Tagtäglich fallen mir Dinge im Alltag auf, die Intoleranz der Hörenden, diese hektische Welt um uns herum, kaum noch Zeit „hinzuhören“, sich mit den Themen auseinander zu setzen.

Für mich ist es ermüdend, mich ständig in den Vordergrund zu stellen „können sie mich bitte beim Sprechen anschauen“, „können sie bitte langsamer sprechen“, „nein, es ist nicht mehr so, wie davor“, „es ist eine Hörprothese, kein Hörgerät“ usw.

Mein Implantat hat mich vieles gelehrt, es hat mich ruhiger werden lassen, entspannter, dankbarer für das Leben, leider hätte ich davor besser „Hören“ sollen, dann würde ich noch hören.

Wir begreifen erst, wenn manches zu spät ist. Aber das ist nun mal das Leben und wir haben es immer selbst in der Hand, mit den Situationen umzugehen und das Beste daraus zu machen.

Allen, die sich auf die CI Hörreise begeben oder schon mittendrin sind, wünsche ich Kraft, Mut, Liebe für sich und die anderen, nicht zu verzweifeln, sondern das Schöne in sich und im Außen wahrzunehmen.

Alles Liebe

Thomas Leitz
Juli 2022