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Singen mit Cochlea Implantat? Ja, es ist möglich!

Von Ingrid Kratz

Wie kann ich mit einem CI singen, wo doch das Hörimplantat in erster Linie für das Hören und Verstehen von Sprache gedacht ist? Es schien mir kaum vorstellbar und doch habe ich es geschafft! Mit viel Übung und Ausdauer wurde es möglich und war eine sehr aufregende wie auch bereichernde Erfahrung für mich. Ich möchte hierzu auf den nächsten Zeilen einen kurzen Einblick in meine ganz persönliche Geschichte geben.

Die Welt der Musik, hierbei besonders der Gesang, faszinierte mich eigentlich schon immer. Mit sechs Jahren begann ich im Kinderchor des Hessischen Rundfunks zu singen. Es folgte die Mitwirkung im Jugend-und Figuralchor. Die Zeit bis zu meinem 25. Lebensjahr war geprägt von öffentlichen Auftritten und künstlerischen Unternehmungen: Konzerte, Hörfunk-Aufnahmen, Fernsehsendungen und Konzert­reisen. Zu einem späteren Zeitpunkt schloss ich mich einem Kirchenchor an. Meine musikalische Leidenschaft lebte ich so bis zum 37. Lebensjahr in vollen Zügen aus. Dann folgten mehrere Hörstürze, ein ausgeprägter Tinnitus und die Erkenntnis, dass es für mich nicht mehr möglich war selbst mit volldigitalen Hörgeräten dem Gesang im Chor nachzugehen.

Ich entschied mich 2008 für ein Cochlea Implantat (CI) links, 2010 folgte ein Implantat rechts. Nach intensiver Beschäftigung und fleißigem Üben mit den Hörprothesen konnte ich für mich eine neue Lebensqualität erreichen. Zunächst mit einem zunehmend besser werdenden Sprachverstehen, dann gelang mir langsam eine Annäherung an musikalische Klänge. An das Singen, welches mit der eigenen Kontrolle der Stimme einhergeht, traute ich mich erst nach vielen Jahren wieder heran, nachdem ich in vielen Übungseinheiten in die mir von früher bekannten Lieder, Opernarien, Musicals und Popmusik hineingehört hatte.

Anfangs, mit nur einem CI, waren für mich die Melodien kaum zu erkennen und auch der Gesang hörte sich sehr befremdlich an. Einzig die Rhythmik, besonders im Tieftonbereich konnte ich bereits früh deutlich identifizieren. Es waren aber noch keine unterschiedlichen Tonhöhen herauszuhören, alles klang irgendwie einstimmig. Dieses frustrierte mich, ließ mich aber nicht von meinem Weg abbringen mit Ehrgeiz weiter zu üben. Ein Aufgeben oder Resignieren kam für mich nicht in Frage.

Mit der Bereicherung durch das zweite CI und mehreren Anpassungen der Audioprozessoren kam nach vielen Momenten des Zweifelns letztendlich doch der ersehnte Erfolg. Ich konnte Melodien verstehen, Texte und unterschiedliche Tonhöhen heraushören. Sopran-, Mezzosopran-, Alt-, Tenor –und Bassstimme waren wieder klar voneinander zu unterscheiden. Es war für mich wie ein Hauptgewinn, dass ich in der Lage war wieder emotional die Musik zu genießen. Beim Singen eines Wiegenliedes empfand ich Gefühle wie Geborgenheit, Wärme, Beschütztsein, sowie Erinnerungen an meine eigene Kindheit. Ich traute mich wieder an das Choralsingen in der Kirche, da ich jetzt meine eigene Stimme wieder kontrollieren konnte, trotz der Größe des Raumes mit einem stark ausgeprägten Hall, was ein Verstehen deutlich erschwerte.

Das „Singen mit CI“ ist möglich! Es gehört aber viel Leidensfähigkeit und Übung dazu, dieses Ziel mit Hörimplantaten zu erreichen. Heute glaube ich, dass es für mich persönlich sehr hilfreich war, bereits in früher Kindheit gesungen zu haben. Beim A-Cappella-Gesang im Figuralchor lernte ich das genaue Hinhören und einwandfreies, sauberes Singen. Vielleicht wäre das „Singen mit CI“ ohne diese intensive musikalische Ausbildung für mich aber noch sehr viel schwieriger gewesen.

Ingrid Kratz
Oktober 2022