Wisst ihr wie laut und nervig Ehefrauen
und Kinder sein können?
Von Kevin Struss
Ich sags euch, sehr nervig. Schließlich hab ich drei davon…Kinder, nicht Ehefrauen, das wäre auch zu viel des Guten.
Umso erfreulicher war die Erkenntnis, dass ich eines Morgens auf einem Ohr nur sehr dumpf gehört habe. Wenigstens ein bisschen Ruhe. Einige Tage später gab es auch das andere Ohr im Entspannungsmodus, und es gab gratis Karussell dazu.
Weil meine Frau das aber nicht so gut findet, wenn ich ihr Gemecker nicht richtig höre, bugsierte sie mich schnurstracks zum Arzt. Der alte Knacker hat erfreulicherweise nichts Vernünftiges auf die Kette bekommen, außer mir für 300€ Kortison rein zu pumpen.
Ich genoss das Leben in vollen Zügen (Nein, das 9€ Ticket gabs noch nicht). Ich musste nicht arbeiten und die bucklige Verwandtschaft rief nicht ständig an. Was will man mehr.
Natürlich, wie soll es anders sein, gönnte mir meine Familie diese Ruhe nicht und zwang mich zum nächsten Arzt. Besser gesagt, zur nächsten Ärztin, gender equality und so. Die hatte so gar keinen Bock und schickte mich schnurstracks in die Uniklinik.
Nach ein paar Tagen Schonfrist wurde ich in Ketten und mit Knebel von meiner Mutter in die HNO der Uniklinik Bonn verschleppt, in der ich, nach 10 Stunden und etlichen Untersuchungen, die Hiobsbotschaft bekam. Mit meiner Ruhe könnte es möglicherweise bald vorbei sein. Meiner Mutter und mir standen die Tränen in den Augen, ihr aus Vorfreude, mir bald wieder auf die Nerven gehen zu können, mir, aus Angst genau davor. Wir hörten hier zum ersten Mal vom Cochlea Implantat.
An dieser Stelle möchte ich dann doch ernst werden.
Der vorangegangene Part beläuft sich auf den Zeitraum von Mitte Mai bis Ende August 2020 und war unendlich viel komplexer und vor allem belastender als dargestellt. Diese drei Monate waren der absolute Horror für mich.
33 Jahre war ich "normal" hörend und plötzlich ging es Berg ab. Von 100 auf fast 0 in wenigen Wochen und das ohne erkennbare Ursache. Weitere Symptome, wie eine starke Gleichgewichtsstörung, die mich zwang, einen Gehstock zu verwenden, Löcher in den Beinen, schmerzende Augen, verschwommene Sicht und noch einige andere Symptome plagten mich in und zum Teil auch nach dieser Zeit. Aber nichts war so verstörend wie das fehlende Gehör. Ich geb es offen zu, ich habe in dieser Zeit auch an Selbstmord gedacht. Natürlich war es nie wirklich eine Option, mit Frau und Kindern zu Hause, aber ich habe drüber nachgedacht.
Ich hatte kein Sprachverständnis mehr, nahm nur noch ein paar Geräusche wahr. Täglich wurde es schlechter, bis ich nicht mal mehr gehört habe, dass jemand sprach. Kommunikation war nur noch über Stift und Papier oder Sprache zu Text Apps auf dem Handy möglich. Das ganze Personal, von der Schwester bis zum Akustiker, hat sich sehr viel Mühe gegeben.
Trotzdem hat die meiste Aufklärung am heimischen PC stattgefunden. Natürlich habe ich mir alle Hersteller angeguckt und noch mehr Erfahrungsberichte gelesen. Meine Wahl fiel auf Cochlear und den Kanso2.
Termine für Bildgebung und Voruntersuchungen wurden gemacht. Endlich ein Lichtblick, leise Hoffnung. Der obligatorische Hörgerätetest darf natürlich nicht fehlen. Zum einen verlangt es die Krankenkasse, zum andern sollte ich die für die Übergangszeit nutzen.
Das Ergebnis war, ab einer gewissen Lautstärke konnte ich zwar wahrnehmen, dass jemand sprach, aber nichts verstehen. Außerdem waren Geräusche, zum Beispiel vorbeifahrende Autos, Telefonklingeln, etc. so extrem laut, dass ich Schmerzen davon bekam. Also hatte sich das mit den Hörgeräten schon nach fünf Minuten erledigt.
Nach den Untersuchungen und der Bildgebung wurde mir dann mitgeteilt, dass soweit alles klar war. Der Chirurg meinte "Ein Elfmeter ohne Torwart!". Allerdings sieht man auf dem MRT, dass ich Läsionen am Hirn habe, die in meinem Alter nicht da sein sollten, und dass solle unbedingt vor der OP abgeklärt werden. Allein schon wegen der MRT Fähigkeit nach der Implantation. Ich sollte mich in der Neurologie melden, wenn die das Ok geben, könne man innerhalb von zwei Wochen operieren.
Nach einigen, teilweise sehr schmerzhaften Untersuchungen, stand ich zwar immer noch ohne Befund da, hatte aber das Go der Neurologen. Ein schneller Anruf in der HNO und der OP-Termin stand.
Ich hatte tatsächlich keinerlei Angst oder Bedenken vor der Op. Zurecht. Alles verlief ohne Komplikationen und ich war komplett schmerzfrei, einzig der Druckverband hat genervt. Positiver Nebeneffekt, der aufmerksame Leser erinnert sich vielleicht, dass ich von einer starken Gleichgewichtsstörung schrieb, ich konnte ohne Stock laufen. Zwar war die Störung noch immer da, aber wesentlich verbessert.
Vier Wochen später, am 29.12.2020, quasi als verspätetes Weihnachtsgeschenk, fand dann die Erstanpassung statt. Kennt ihr Murphys Gesetz? Alles was schief gehen kann, wird auch schief gehen.
Der Kanso2 wollte nicht halten. Die Schwellungen waren noch zu dick. Der Akustiker gab aber nicht auf und suchte eine gefühlte Ewigkeit lang nach einer Alternative. Ein Nucleus7 in Beige mit schwarzem Magneten war das Ergebnis. Egal, das Ding sollte nicht hübsch sein, sondern funktionieren.
Auch dieser Magnet hielt nicht gut, aber mit meiner Kappy drüber, ging es. Nun das Spiel was wir alle kennen, wenn man den Ton hört, Zeichen geben. Dann die eigentliche Aktivierung.
Ganz leises Tastaturgeklapper, dann die Frage "Können sie etwas hören?" Kurzes zögern, es klang fremd und ungewohnt, wie ein Micky Maus Roboter auf Helium, ebenfalls sehr leise. „Ich hab sie sogar verstanden.“ Meiner Mutter liefen Tränen, der Akustiker war sprachlos.
Auch der Chirurg kam noch vorbei, war hellauf begeistert und legte die zweite Implantation schon fest. Drei Monate später, am 1. März 2021 sollte es soweit sein. Zuhause konnte ich mich nach sechs Monaten endlich wieder mit meiner Frau unterhalten, was eine unglaubliche Erleichterung war.
Ende Januar 2021 bin ich auf stationäre Reha, aus der ich mit über 80% Sprachverständnis, in Ruhe, wieder nach Hause kam. Das zweite Implantat brachte mich mit der Zeit auf 95 % Sprachverständnis, was sich bis heute stabil hält. Trotzdem liegt noch viel Arbeit vor mir. Das zweite Implantat ist noch immer, bei weitem, schlechter als das Erste und Musik klingt in den meisten Fällen grausam, Richtungshören und Störlärm sind auch noch problematisch. Aber ich bin guter Dinge dies über die Zeit auch in den Griff zu bekommen.
Einige CI Träger genießen die Ruhe, wenn sie ihre CIs ablegen, ich hingegen trage meines fast non stop. Ich schlafe sogar damit ein. Jeder muss natürlich seinen eigenen Weg finden, aber ich bin nur mit meinen CIs ganz.
Ohne meine Familie, Becker Hörakustik und ein tolles Team in der Uniklinik Bonn wäre das alles nicht möglich. Danke dafür.
Kevin Struss
November 2022