Mein Weg zum Cochlea Implantat bei einseitiger Ertaubung nach Auto-Unfall
Von Bernd Stauten
Ich heiße Bernd, bin Jahrgang 1975 und lebe mit meiner Familie in der Nähe von Köln. Bislang gab es in meiner Familie keinerlei Hörschädigungen und auch ich habe immer ganz „normal“ gehört.
Das sollte sich am 08.Mai 2018 ändern. Es war ein sonniger Frühlingstag und ich war wie immer mit meinem E-Bike zur Arbeit gefahren. Auf dem Heimweg wurde ich von einem entgegenkommenden Auto erfasst und bin mit meinem Kopf genau zwischen A-Säule und Windschutzscheibe geprallt. Dabei ist die Windschutzscheibe zerborsten und obwohl ich einen Helm trug, habe ich ein schweres Schädel-Hirn-Trauma davongetragen. Außerdem habe ich mir mehrere Rippen, den rechten Unterarm und das linke Schlüsselbein gebrochen und die rechte Kniescheibe war verrutscht.
Durch die Kopfverletzung habe ich jegliches Bewusstsein verloren, was im Nachhinein wohl besser so war. Der Notarzt versetzte mich in ein künstliches Koma, so dass ich bis zum nächsten Morgen „offline“ war. Ein Rettungshubschrauber flog mich in die Uniklinik Köln.
Das Erste, was ich nach dem Aufwachen bemerkte, war eine ariesige Tamponade auf meinem linken Ohr. Dass ich auf diesem Ohr nichts mehr hören konnte, hatte ich vor lauter Medikamenten noch gar nicht gemerkt, aber auf dem CT, welches unmittelbar nach Einlieferung gemacht wurde, war ein Riss der linken Cochlea feststellbar. Nach zwei Tagen wurde ich von der Intensiv- auf die Normalstation verlegt und mehrmals zu Hörtests in die HNO-Klinik gefahren. Diese Tage waren sehr anstrengend und ich habe nicht so wirklich realisiert, was gerade passiert. Meine Lieben waren froh, dass ich einigermaßen normal und ansprechbar war.
Eine knappe Woche nach dem Unfall wurde mein rechter Unterarm operativ gerichtet und ich wurde dem CI-Centrum vorgestellt. Hier fiel zum ersten Mal der Begriff „Cochlea Implantat“. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, so „dizzy“ war ich von den ganzen Schmerzmitteln, aber meine Reaktion war wohl heftig ablehnend und man brachte mich auf die Station zurück.
Nach insgesamt zehn Tagen im Krankenhaus wurde ich vorläufig entlassen und der leitende Oberarzt des CIK (Cochlea-Implant-Centrum der Uniklinik Köln) hat mir eindringlich geraten, über das folgende Pfingstwochenende über eine Implantation nachzudenken. Man sei vorbereitet und könnte die Operation in der folgenden Woche durchführen. Die Zeit dränge, da die Cochlea ausgelaufen war und zu verknöchern drohe.
Irgendwie bereitete mir der Gedanke an eine OP am Kopf Unbehagen, aber das Leben mit nur einem Ohr ist auch nicht das Wahre. So viele Geräusche und keine Zuordnungsmöglichkeit der Richtung.
So wurde ich eine Woche später operiert und mir wurde ein Implantat der Firma Cochlear eingesetzt. Durch den Riss in der Cochlea war bis zur Operation ungewiss, ob sich alle Elektroden vollständig einsetzen lassen. Das OP-Team hat ganze Arbeit geleistet.
Insgesamt waren seit dem Unfall keine drei Wochen vergangen. Jetzt konnte endlich die Physiotherapie beginnen und meine gebrochenen Knochen konnten heilen. In den nächsten Wochen bis zur Erstanpassung wurden meine Tage von Arztbesuchen, Krankengymnastik und vor allem ganz viel Ruhe bestimmt. Erst jetzt begriff ich, was für ein verdammtes Glück ich gehabt habe.
Größere Lärmquellen mied ich zu diesem Zeitpunkt, da sich sofort ein Druck auf der hörenden Seite des Kopfes aufbaute. Herausragend war in dieser Zeit ein Schulkonzert meiner Tochter, bei dem ich mir mein gesundes Ohr halb zuhielt, da der Druck zu stark wurde.
Nach zwei Monaten kam endlich die Erstanpassung und ich konnte tatsächlich einzelne Laute erkennen. Vor Allem war ich wieder beidseitig hörend, was das Druckgefühl bei Lärm beendete. Die Erstanpassungswochen habe ich mit großer Freude absolviert und sehr viel zu Hause mit verschiedenen Apps und Podcasts geübt. Da ich immer noch krankgeschrieben war, hatte ich ausreichend Zeit hierfür.
Trotzdem wollte ich zurück in den Alltag und habe ab November 2018 mit der beruflichen Wiedereingliederung begonnen. Nach vier Monaten habe ich wieder in Vollzeit gearbeitet, was im Nachhinein ein großer Fehler war. Die Folgen des Schädel-Hirn-Traumas und die Hörsituation sind am Arbeitsplatz doch sehr anstrengend. Ab 2020 habe ich meine Arbeitszeit daher dauerhaft reduziert.
Anfang 2020 habe ich eine stationäre Reha in der Bosenbergklinik in St. Wendel absolviert. Der Hörtest zu Beginn war ernüchternd (Zitat: „Das wird mehr als ein Feinschliff), aber in den drei Wochen konnte ich einiges dazulernen. Anschließend habe ich noch einige Einheiten Logopädie bei einer Praxis vor Ort absolviert, aber ich habe schnell gemerkt, dass ich dort nicht weiterkomme. Am besten ist es, mit den vorhandenen Apps und Computerprogrammen Hörübungen zu machen, aber das ist im Alltag oft schwierig. Meistens fühle ich mich zu müde. Hier gilt es, den inneren Schweinehund zu überwinden.
Im Dezember 2022 habe ich die vierte Jahreskontrolle in der Uniklinik Köln gehabt und dabei wurde mir bestätigt, dass sich das Hören über die Zeit objektiv verbessert hat (Aussage vom Arzt: „Irgendwann hört Ihr CI-Ohr besser als das normalhörende Ohr“). Und tatsächlich, ohne CI bin ich total aufgeschmissen. Die Unterstützung ist besser als gedacht, auch wenn ein freies Sprachverstehen noch in weiter Ferne liegt. Inzwischen nutze ich verstärkt technische Hilfsmittel, z.B. Fernsehen mit dem Minimic (das funktioniert übrigens auch ohne Kopplung, es reicht aus, das Minimic neben den Lautsprecher zu legen). Hilfreich wäre es, wenn noch mehr öffentliche Einrichtungen über entsprechende Hilfsmittel verfügen würden.
Mein Fazit nach fünf Jahren ist, dass das CI zu einer deutlichen Verbesserung der Situation beiträgt. Mein Umfeld hat sich inzwischen an die Situation gewöhnt und nimmt (meistens) Rücksicht. Vieles lasse ich ruhiger angehen, zumal die Belastbarkeit durch das Schädel-Hirn-Trauma nicht mehr wie früher ist. Sicher ist, dass auch lange nach der Implantation noch Verbesserungen möglich sind. Sich dabei selbst nicht unter Druck zu setzen ist oberstes Gebot. Der Unfall ist ein schwerwiegendes Ereignis in meinem Leben und das CI hilft mir sehr, mit den Folgen klarzukommen. Was ganz klar überwiegt, ist die Dankbarkeit, mit dem Leben davongekommen zu sein.
Bernd Stauten
August 2023