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Die Geschichte vom kleinen Super-HEAR-o

Von Kathrin Rothärmel

Ich möchte euch eine Geschichte erzählen. Für uns ist es vielleicht DIE Geschichte überhaupt – in jedem Fall ist es SEINE Geschichte, die Geschichte vom kleinen Super-HEAR-o. Die Reise beginnt am Rosenmontag 2017 mit seiner Geburt. Eine sehr schnelle Geburt, er hatte es eilig. Mit einem nicht bestandenen Neugeborenen-Hörscreening, was jedoch kein Grund zur Sorge sei – zuviel Fruchtwasser im Gehörgang durch das zu schnelle auf-die-Welt-wollen. Ein siebenmal wiederholtes Hörscreening beim Kinderarzt vor Ort, das dann – zum Glück - das herbeigesehnte Ergebnis brachte – alles wunderbar.

DIAGNOSESUCHE

„Hauptsache, das Kind ist gesund….“ Das klingt pathetisch und natürlich steht das auch so in Kalendern. Zum Schluss bleibt das der am häufigsten ausgesprochene Satz bei allen folgenden U-Untersuchungen beim Kinderarzt. Meine Sorgen, das Kind könne noch nicht sprechen, hat das Lautieren und Babygebrabbel eingestellt, werden weggewischt mit nur einem Satz – „Hauptsache das Kind ist gesund – das Sprechen kommt dann von allein.“

Mit zwei Jahren wird mein Junge als „Late Talker“ eingestuft, da auch bisher noch kein einziges Wort seinen kleinen Mund verlassen möchte. „Das ist normal, warten Sie ab. Junge Mütter haben nie Geduld.“, schallt es unwirsch vom Kinderarzt. Zuhause haben wir das Gefühl, dass er alles um sich herum mitbekommt, er antwortet zwar nicht, weiß aber doch immer ziemlich genau, was von ihm gewünscht wird. Mit drei Jahren dann der Versuch seitens des Kinderarztes eine logopädische Behandlung zu starten, lieb gemeint, mehr allerdings auch nicht. Unzählige Besuche bei verschiedenen Pädaudiologen – Fachpersonal. Mit dem immergleichen Ergebnis der BERA – das Kind hört!! Der letzte Pädaudiologe auf unserer Suche nach einer Diagnose war sich nicht sicher, „ob der Junge auf allen Frequenzen wirklich 100 % höre – letztendlich sei das aber nicht ausschlaggebend für das Nicht-Sprechen.“ Nach langem Bitten meinerseits wurde uns letztendlich doch eine Überweisung in ein Fachklinikum ausgestellt. Unsere Wahl ist auf Ulm gefallen – einfach ein Bauchgefühl.

DIE WENDUNG

Kurz vor seinem 4. Geburtstag hatten wir dort einen Termin. Nach unzähligen Untersuchungen stand plötzlich fest – er ist an Taubheit grenzend schwerhörig – beidseitig!! Seit wann und warum – bis heute nicht klar und irgendwie auch nicht mehr wichtig! Schön war, wie die Ärzte dort mit uns umgegangen sind, kurze Wartezeiten, tolle, ausführliche Erklärungen. Rasend schnell bekamen wir einen Termin für eine BERA im MRT, um mit Sicherheit sagen zu können, dass einer Implantation nichts im Wege steht. Nach ausführlicher Beratung mit unserem wirklich großartigen CI-Techniker, der uns bis heute ein nicht wegzudenkender Beistand ist, haben wir uns für Cochlear entschieden – das Nucleus 7 sollte er bekommen. Ende Mai stand fest, eine beidseitige Implantation soll schnellstmöglich durchgeführt werden, bis dahin sollte unser Bub noch High-Power-Hörgeräte erhalten. Natürlich ohne Erfolg, es ist lediglich eine notwendige Vorgehensweise vor einer CI-Operation. Für uns persönlich begann dann ein kleiner emotionaler Marathon – Hochzeit am 04.06.21, ohne Gäste, da mitten in der Corona-Hochphase, anschließend am 09.06.21 erfolgte dann die OP natürlich auch mit allen Hindernissen, die die Corona-Zeit damals so mit sich brachte.

DIE OPERATION

Wir wurden sehr liebevoll auf Station aufgenommen, der kleine Mann bekam etwas zur Beruhigung, machte aber alles ganz wunderbar tapfer mit, da er sich darauf freute, bald etwas hören zu können. Das war vielleicht eine gute Fügung in unserem ganzen Chaos – er war einfach schon sehr „groß“ und wir konnten ihm erklären, was passieren wird und warum. So war dieser kleine Kerl voller Vorfreude im OP-Saal verschwunden und ließ mich hoffend zurück, auf dass alles gut gehen möge. 4,5 Stunden später erfolgte dann endlich der ersehnte Anruf. Alles super überstanden, ich kann jetzt in den Aufwachraum kommen. Dort hat mein kleiner Bub noch schlafend gelegen – mit einem riesigen Kopfverband. Ein sehr eindrucksvolles, ängstigendes Bild. Die Schwestern waren alle sehr zauberhaft und haben die Wartezeit bis zum Aufwachen so angenehm wie möglich gemacht. Überhaupt hat in Ulm jeder ein nettes Wort für einen übrig. Nach dem Aufwachen wurde dem strahlenden Kind eine Urkunde überreicht, ein Eis und eine dicke Umarmung seitens der Schwestern für die super überstandene beidseitige Operation – gut gemacht, kleiner Held! Auch die Zeit nach der OP auf Station war einfach unbeschreiblich. Wir wurden herzlichst umsorgt. Leider hat er die Narkose nicht ganz so gut vertragen und hat mit starker Übelkeit gekämpft, aber das war wirklich das einzig negative an der ganzen OP. Die Nähte wurden täglich kontrolliert, sie sind sehr nah hinter den Ohren und bei weitem nicht so groß, wie ich es mir ausgemalt hatte. Die erste Zeit nach der OP standen seine Ohren stark ab – ein bisschen sah es aus, wie bei dem berühmten Elefanten – aber das gibt sich bald wieder, konnte mich die operierende Ärztin beruhigen. Bereits am übernächsten Tag konnten wir Richtung nach Hause entlassen werden – alles sieht gut aus. Wir sehen uns in vier Wochen zur Erstanpassung.

ERSTANPASSUNG

Nun galt es eine Zeit zu überbrücken – unser eigenes kleines Wartezimmer. Meinerseits ein Warten auf ein Funktionieren – wird es klappen, ist die OP geglückt und wie reagiert mein kleiner Held wohl. Seinerseits ein Warten, ja eine absurde Vorfreude auf den ersten Ton – seines Lebens???? Am 06.07.2021 fuhren wir mit Hoffnung und sehr viel Vorfreude im Gepäck erneut nach Ulm, um die Zauberohren zu erhalten. Man wird auch hierauf bestens vorbereitet – Kann sein, dass er weinen wird, kann sein, dass er sich freut, kann sein, dass er sich die CI´s direkt wieder vom Kopf nimmt. In unserem Fall hatten wir Glück – der kleine Mann hat sich übertrieben gefreut und rannte nach der Erstanpassung fröhlich aus dem Klinikum. Der Super-HEAR-o war geboren. Seit diesem Tag sind mein Sohn und seine Zauberohren unzertrennlich. Morgens nach dem Frühstück dran, abends kurz vor dem Schlafen ab. Wir haben viel gelernt, gearbeitet, uns angeeignet immer mit toller Unterstützung von Ulm und unserer grandiosen Logopädie Praxis. Das erste Jahr war hart, sehr hart. Alle 4 bis 6 Wochen zur erneuten Einstellung nach Ulm, viel üben, viel Hörtraining, viel Logopädie, nebenbei auch Gebärdensprachunterricht. Der Gebärdensprachunterricht war uns von Anfang an sehr wichtig. Wir wollen uns auch als Familie ohne die Zauberohren unterhalten können und es sollen ihm für später alle Wege offenstehen – ob mit CI oder ohne. Kommunikation ist wichtig! Auch finde ich, dass diese wundervolle, ausdrucksstarke Sprache viel mehr Menschen sprechen sollten. Dann folgten langsam die ersten Laute und Worte. In unserem Fall ging zwar alles recht schnell, trotzdem war da am Anfang eine Unsicherheit in der Magengegend. Ich werde niemals den Satz vergessen, den unser CI-Techniker bei der dritten Anpassung zu mir sagte „Es wird eine Zeit kommen, da wirst du dir noch wünschen, dass er auch mal den Mund hält“. Zu diesem Zeitpunkt unvorstellbar für mich – mittlerweile – nun ja, ich denke er hat wohl Recht behalten.

AKTUELL

Seit Herbst letzten Jahres besucht der mittlerweile nicht mehr so kleine Super-HEAR-o stolz die erste Klasse einer Regelschule. Wir haben das Glück zwei wunderbare Schulbegleiterinnen zur Unterstützung zu haben. Auch ist der Phonak Roger (ein Mikrofon im Störgeräusch auf Distanz) ein liebgewordener Begleiter für den Schulalltag. Nach wie vor holen wir weiterhin Sprache auf, das Lesenlernen in der Schule tut hier sehr gut! Er kann sich aber super verständigen und ist toll in der Schule angekommen, was nicht zuletzt an den Lehrkräften unserer Schule liegt. Es war kein Problem, ein hörbehindertes Kind an unserer Regelschule zu integrieren, die Lehrkräfte begegnen ihm dort alle ohne Voreingenommenheit, jeder ist um Unterstützung bemüht. Einen besseren Start in das Schulleben hätten wir uns nicht wünschen können. Wir sind nun noch einmal jährlich im Uniklinikum Ulm zur Kontrolle in der CI-Sprechstunde und durchlaufen dort die Stationen Hörtest, CI-Techniker, Sprechstunde und Logopädie. Er erhält weiterhin Gebärdensprachunterricht, Logopädie und auch zu Hause wird nach wie vor viel geübt, für uns wichtig – immer mit einer ungezwungenen Leichtigkeit. Eine Reha haben wir, auf eigenen Wunsch, nie besucht. Ich wusste, es würde sehr schwierig für meinen Sohn sein, sein gewohntes Umfeld, Papa und Bruder regelmäßig zurückzulassen und so haben wir mit Rücksprache der Ärztin darauf verzichtet und die nötige Unterstützung am Wohnort gesucht. Mein Ratschlag für alle Eltern, die vor der Entscheidung für ein CI stehen – immer auf das eigene Bauchgefühl hören, niemand kennt euer Kind so gut wie ihr. Nicht alles, „was man so macht“, ist auch immer für das eigene Kind richtig.

Zum Schluss bleibt mir über das Uniklinikum Ulm folgendes zu sagen: anfangs sinnbildlich stehend für einen großen Schreckmoment – zwischenzeitlich so vertraut wie ein zweites Wohnzimmer, ein Heimkommen, der Schlüssel passt. Ein zweites zu Hause, hinter dessen Türen so viele Menschen warten, die es gut mit uns meinen.

Kathrin Rothärmel
Mai 2024