Ich bin ein Brückenmensch und wandele zwischen Sprachen und Kulturen
Von Ludmilla Schmidt
Mein Name ist Ludmila Schmidt (55) und ich bin hörgeschädigt. Wenn man mich fragt, ob ich taub bin, antworte ich mit "Ja". Wenn man mich fragt, ob ich schwerhörig bin, antworte ich mit "Ja". Wenn man mich fragt, ob ich ein Hörgerät trage oder ein Cochlea Implantat (CI), antworte ich hier auch mit "Ja".
Ich glaube mein Leben reicht für mehrere Leben. Und es ist mir immer noch nicht genug. Ehrlich, und wahrscheinlich zum Glück für mich: Ich will immer noch mehr vom Leben. Weil ich hörgeschädigt bin, konnte ich bei einem Projekt in Göttingen am Staatstheater auf der Bühne stehen. Und auch umgekehrt: Obwohl ich hörgeschädigt bin, konnte ich auch bei einem anderen Projekt am Staatstheater Braunschweig auf der Bühne stehen.
Meine Hörschädigung definiert mich nicht, aber sie hat mir verdammt gute Eigenschaften beschert, auf die ich stolz bin. Ich bin sehr sensibel, habe große Empathie und Verständnis, ich helfe gerne und ich versuche trotz meiner Hörschädigung am Leben teilzuhaben und zwar so, wie ich es will.
Aber es gibt auch die andere Seite. Durch die Hörschädigung spreche ich mit einem Akzent und versuche sehr leise zu sein und mich klein zu machen und unsichtbar. Und unsicher bin ich auch! Das bleibt und das kann ich nicht abschütteln.
Ich bin in Russland als Hörende geboren. Ich habe viel gesungen als Kleinkind. Irgendwann mit 1,5 Jahren habe ich aufgehört zu singen. So haben mir das meine Eltern erzählt. Und dann haben Ärzte festgestellt, dass ich schwerhörig geworden bin. Vermutlich durch die Einnahme von Antibiotika auf eine Lungenentzündung hin.
Für meine Eltern war wahrscheinlich eine Welt zusammengebrochen. Wir haben nie darüber gesprochen und sie haben mir alles direkt ins Ohr erzählt. Komischerweise ins linke Ohr. Deswegen denke ich, es hört ein bisschen besser als das rechte Ohr. Ansonsten konnte ich sehr gut von den Lippen ablesen.
Trotz allem war ich im Kindergarten für hörende Kinder. Ich hatte dort keine Freunde, aber niemand wollte mir etwas Schlechtes tun. Als ich 7 Jahre alt wurde und zur Schule musste, bekam ich zwei Hörgeräte, aber ich trug nur eins auf dem rechten Ohr. Zwei Hörgeräte verursachten bei mir starke Kopfschmerzen.
Mein Lippenlesen-Können hat mir ermöglicht, die hörende Schule zu absolvieren und ich konnte danach studieren. Es war schwer, aber ich habe es geschafft. Meine Familie hat mich jahrelang zum Logopäden begleitet und immer mit mir telefoniert. Das war auch eine gute Übung. Ich wusste, ich war anders, aber ich habe immer geglaubt, ich bin schwerhörig.
Freunde in der Schule hatte ich nicht wirklich und an der Universität hatte ich zumindest zwei Freundinnen. Freunde zu finden, ist auch so ein Nachteil, wenn man hörgeschädigt ist.
Im Alter von 25 Jahren bin ich mit meiner Familie nach Deutschland ausgewandert. Ich habe mich wie ein Baby gefühlt; So ohne Sprache und nichts verstehen zu können war schrecklich für mich. Aber auch hier habe ich drei verschiedene Deutschsprachkurse absolviert und durfte mit 29 Jahren noch einmal studieren. Mit 33 war ich mit dem Studium fertig und fand eine Stelle beim Land.
Mit 35 Jahren hatte ich angefangen die Deutsche Gebärdensprache zu erlernen und habe eine Ausbildung als Gebärdensprachdozentin gemacht.
Mit 43 Jahren habe ich festgestellt, dass ich die Lautsprache nur noch sehr mühsam verstehe, obwohl ich mit Hörgerät Stimmen und Geräusche hören kann. Es hat mich sehr viel Kraft und Konzentration gekostet. Ein Jahr später habe ich beim HNO Arzt dann erfahren, dass ich einen Hörsturz hatte und daraufhin habe ich mich für eine CI-OP entschieden.
Mit 35 Jahren hatte ich angefangen die Deutsche Gebärdensprache zu erlernen und habe eine Ausbildung als Gebärdensprachdozentin gemacht.
Mit 43 Jahren habe ich festgestellt, dass ich die Lautsprache nur noch sehr mühsam verstehe, obwohl ich mit Hörgerät Stimmen und Geräusche hören kann. Es hat mich sehr viel Kraft und Konzentration gekostet. Ein Jahr später habe ich beim HNO Arzt dann erfahren, dass ich einen Hörsturz hatte und daraufhin habe ich mich für eine CI-OP entschieden.
Ehrlich gesagt, ich rate allen CI-Kandidaten zu zwei Sachen!
- entscheidet bitte selber, lasst euch nicht reinreden. Denn mit der eigenen Entscheidung könnt ihr leben und kämpfen.
- Vergleicht euch niemals mit anderen CI-Trägern. Ich würde behaupten, jedes Hören ist wie ein Fingerabdruck - einmalig!
Meine CI-OP war meine Entscheidung und das war für mich sehr wichtig. Warum? Ich hatte sehr hohe Ansprüche und ich dachte, ich bin schwerhörig und werde alles hören.
Nach meiner OP habe ich dann verstanden: Ich war mein Leben lang gehörlos und ich muss meine Ansprüche gewaltig nach unten schrauben! Mein Gehirn hatte keine Geräusche aus meinem Leben gespeichert. Ich musste absolut alles neu lernen.
Es waren sehr schwierige Jahre. 2012 wurde ich operiert. Es ging alles im Schneckentempo voran. Meine Logopädin, zu der ich seit 2016 gehe und übe, das Hören, ohne von den Lippen abzulesen, ich war sehr verzweifelt. Aber wir haben nicht aufgegeben. Und dann kam Corona. Alle mit Masken. Es war ein Horror für mich und gleichzeitig habe ich angefangen besser zu verstehen. Denn Hören und Verstehen sind zwei verschiedene Paar Stiefel.
Mein Weg mit CI ist ein sehr steiniger Weg. Es geht aber nur vorwärts und nicht rückwärts. Ich hatte nach der OP viele Tiefen und Enttäuschungen. Ich hatte hohe Erwartungen, denn ich wollte perfekt hören. Aber das Leben hat eigene Pläne. Aus diesem lebenslangen Kampf komme ich raus wie eine Kriegerin; Stark! Man darf nicht aufgeben. Und man sollte immer das Beste aus der Situation machen!
Ich werde nie gut hören. Aber das ist nicht schlimm. Wichtig ist, die Sprache zu verstehen. Ich kann hören, ich kann mich verständigen, ich werde verstanden und ich verstehe die Sprache jedes Jahr millimeterweise und im Schneckentempo immer besser.
Das Leben ist schön, wenn man eigene Kämpfe nicht aufgibt.
Ludmilla Schmidt
Juni 2024