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Die Tür ist offen – nur durchgehen muss man selber!

Von Andreas Stegmann

Seit meinem zweiten Lebensjahr bin ich (heute 58 Jahre alt) an Taubheit grenzend schwerhörig. Im Kindergartenalter wurde ich einseitig mit einem Hörgerät, ab der Schulzeit beidseitig mit starken Hörgeräten versorgt. In diesem „Zustand“ bin ich durchs Leben gegangen, Schwerhörigenschule an der Marcusallee Bremen, Realschule für Hörgeschädigte in Hamburg, Berufsausbildung in Bremerhaven, Berufsschulblockzeiten in Essen.

Fast 30 Jahre war ich in einer großen Firma als CAD-Konstrukteur im Bereich Elektro-Hardware, später noch zusätzlich im Bereich Hydraulik-, Pneumatik tätig, dann war ich noch IT- und CAD-Betreuer. Nebenbei war ich 4 Jahre Schwerbehindertenvertreter und Betriebsratsmitglied.

Ich wollte wie ein Normalhörender leben, wollte alles erreichen, war verheiratet, habe einen Sohn, habe ein Haus gebaut. Ich musste aber 200 Prozent leisten, um anderen zu ca. 80 Prozent zufrieden zu stellen.

Das Hören wurde immer schlechter, die Kommunikation war sehr anstrengend. Ich habe mehrere Power- Hörgeräte angepasst bekommen, mit kurzen mäßigen Erfolgen. Ich zog mich immer weiter zurück. Es häuften sich bei mir heftige Schwindelanfälle, bis zu Übelkeiten, die oft tagelang anhielten. Später fiel ich öfters, ohne Vorankündigungen, für wenigen Sekunden einfach um. Ich ging zu mehreren HNO-Ärzten, ohne besondere Diagnosen, habe diverse Schwindeltherapien auf eigene Kosten durchgezogen. Bis auf einen HNO-Arzt, der mich zu einer CT- und MRT-Untersuchung schickte, um einen Tumor auszuschließen. Dann fragte er mich: „Haben Sie mal was von einem CI gehört? Sie hören ja fast nix. Lassen Sie sich mal untersuchen, ob Ihre Hörnerven noch funktionieren!“

Nach Untersuchungen, Beratungen und Aufklärungen, war ich ein guter Kandidat für ein Cochlea Implantat (CI) und ich entschloss ich mich für eine OP, erstmal auf der schlechteren rechten Seite.

Ich hatte keine Angst, Sorgen hatte ich auch nicht, ich war einfach neugierig und gespannt, wie das neue Hören sein würde, ich hatte ja nichts zu verlieren. Den ersten Termin musste ich leider verschieben, hatte noch in der Zeit eine Trennungsphase und der Verkauf meines Hauses stand noch im Weg. Ich war in der Zeit sehr angespannt. Aber ich bekam sehr viel Unterstützung und Begleitung von Ulrike Fast, die jetzt meine wundervolle Lebensgefährtin ist ☺.

Am 03.09.2012 war es endlich soweit. Im Diako Bremen sagte mir Dr. Klingmann nach der OP: „Die OP ist erfolgreich verlaufen und alle Elektroden funktionieren“, mir kamen dann die Tränen vor Erleichterung und Freude. Dann wurde ich mit dem Bett zum Aufwachraum geschoben. Mir ging‘s gut!

Am 11.09.2012 wurden die Fäden gezogen.

Da ich immer neugierig bin, habe ich zum Ende der Abheilungsphase, vor der Erstanpassung mein altes HG ans rechte, operierte Ohr gesetzt und eingeschaltet, habe wie erwartet nichts gehört, ausser ein Kribbeln im Gehörgang und am Trommelfell☺.

19.10. 2012 Der Tag X der Aktivierung und Erstanpassung.

Die einzelnen Töne waren klar und sauber zu hören und nicht, wie befürchtet, kratzig und roboterhaft.

Anschließend wurden alle Kanäle aktiviert. Ich nehme nur ein Rumgepiepse wahr. Sprache war nichts zu verstehen, das ist wohl normal so. Ulrike und ich gingen nach draußen. Im Treppenhaus klatschte sie in die Hände, paff, paff mit Piepnachhall, hörte ich. Wir gingen zur Straße, nix zu hören, nur eben das Gepiepse, trotz des regen Auto- und LKW-Verkehrs. Wenigstens die Ampel macht knack, knack, knack (Rotphase), dann auch piep, piep, piep (Grünphase). Hmm, dachte ich, ist das so richtig eingestellt?

Eines Abends gingen wir einmal ins Theater zu dem Stück „Du bist meine Mutter“ mit Martin Leßmann. Ein tolles Stück. Ulli gebärdete mir bei den Stellen, wo der Schauspieler sich umdrehte. Mit dem CI war bei mir das alles noch nicht zu verstehen, aber ich hatte das Hörgerät auf der linken Seite mitbenutzt und so konnte ich zu ca. 8% mit dem Lippenablesen verstehen! Nach dem Theaterstück, auf dem Nachhauseweg, nahm ich tiefere Töne wahr, als wir mit dem Auto über Kopfsteinpflaster fuhren. Es war ja auch sehr laut, es rumpelte, ich konnte später mehrere verschiedene Töne wahrnehmen! Somit auch einige Silben beim Sprechen hören!

In den nächsten Tagen hörte ich Blätter unter und an den Füßen rascheln, die Enten im Teich schnattern, die Vögel piepen. Herrlich! Habe diese Momente genossen! Im Auto hörte ich auch das Radio und spielte mit der CI- Fernbedienung (MedEl FineTuner) rum, z.B. war mit Programm 2 bei höherer Lautstärke Musik schon ordentlich zu hören, Sprache aber weniger.

Abends, als ich wieder zu Hause war, hörte sich dann alles weit weg an, alles war leiser. Mein Hirn und ich arbeiteten wohl auf Hochtouren und waren dann erschöpft. Hörpausen waren angesagt…

Die Anpassungs- und Hörtrainingseinheiten habe ich ambulant gemacht. Es wurde dadurch auch immer besser mit dem Verstehen, vor allem, ich liebe Musik!

Zwei Jahre später, war ich dann bereit für ein zweites CI!

Warum ich auf ein zweites CI angewiesen bin:

  • Mehr Teilhabe an der Gesellschaft
  • Verbessertes Hören und Verstehen im Störschall
  • Raum- und Richtungshören (ist einseitig nicht möglich)
  • eine Verbesserung der Lebensqualität
  • besseres Verstehen beim Telefonieren, beidseitig, über einen zusätzlichen Verstärker und einer Halsinduktionsschlinge, die am Arbeitsplatz vorhanden ist
  • Das Hörgerät „stört“, das CI ist anders, es findet ein Ungleichgewicht beim Hören statt
  • Musikhören in Stereo, mit dem Hörgerät fehlen viele Frequenzen und der Klang ist anders
  • Weniger Missverständnisse in der Kommunikation durch beidseitiges Hören
  • Das Hören mit zwei Ohren bietet die Möglichkeit, Schallwellen besser zu lokalisieren und Sprache in lauter Umgebung ist weniger anstrengend
  • Das Selbstvertrauen wird gestärkt
  • Beidseitiges Hören ist mein Grundbedürfnis
  • Weniger Hörstress
  • Größeres Wohlbefinden im Dunkeln
  • Mehr Sicherheit im Straßenverkehr sowie auch beim Autofahren

Beispiele im Alltagsleben:

  • Schwierigkeiten beim Verstehen mit mehreren Kollegen an einem Tisch z.B. bei Steuerungsgesprächen. Ich muss als Protokollführer Berichte verfassen und habe dabei Probleme, wenn linksseitig ein Kollege mir was sagen möchte.
  • Ich muss häufig in die Montagehalle. Dort ist viel Lärm. Es ist sehr anstrengend sich mit Kollegen dort zu besprechen!
  • Ich muss in der Montagehalle auch aufpassen, von wo die Gabelstapler kommen.
  • Im Büro ist es auch nicht ruhig. Telefone klingeln. Gespräche der Kollegen untereinander. Klappergeräusche der Tastaturen.
  • Ich kann nicht zuordnen, woher was kommt, dadurch werde ich häufig abgelenkt!
  • Ich muss im Straßenverkehr viel beobachten, von wo Radfahrer, Autos, usw. herkommen.

Die zweite CI-Op war am 05.06.2014 und verlief ziemlich problemlos.

Mir ging es soweit gut. Am 06.06.2014, also einen Tag später wurde meine Lebensgefährtin Ulrike Fast auch mit dem zweiten CI operiert. Das Schöne war, wir waren beide in einem Zimmer. Das hatte, auf unseren Wunsch, dann organisatorisch doch geklappt! ☺

Die Anpassungs- und Hörtrainingseinheiten haben wir nach der Abheilungsphase ambulant gemacht. Ich kam schneller mit dem 2. CI zurecht. Das räumliche Hören mit zwei CIs funktionierten bei mir ganz gut. Am wichtigsten ist mir das Musikhören und ich genieße das immer mehr. Ich höre damit mehr Details als früher mit den Hörgeräten. Ich mache nach längerer Zeit wieder mit Genuss selbst elektronische Musik mit einigen DAWs (Digital Audio Workstations) auf dem Computer. Damit kann ich auch sehr gut das Hören trainieren! Das funktioniert ganz gut mit einigen Zubehörteilen, wie mit dem Audiolink und Audiostream, sowie auch mit dem für mich passenden Kopfhörer.

Ich muss sagen, ich bin froh das gemacht zu haben und wie einige andere das auch sagen würden, hätte ich das bloß früher mit den CIs gemacht…

Ich arbeitete auch mit Kollegen, die länger auf der Montage sind. Wenn wir uns dann wieder zu Gesprächen trafen, sagten sie zu mir, dass ich jetzt während der Unterhaltung viel entspannter bin als früher. Meine Persönlichkeit hat sich auch im Laufe der Zeit positiv verändert! Selbst meine Familie freut sich über die tolle Entwicklung und Veränderung mit mir! Ich hatte diese Feedbacks auch sehr genossen! Das brauchte ich! Noch heute genieße ich neue Hörerlebnissen und -Entdeckungen!

Ich bin sehr dankbar, dass es diese Hör-Technologie gibt!

Andreas Stegmann
Juni 2024