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Aufklärung statt verstecken!

Von Andrea Löffler

Ich (46) bin normalhörend zur Welt gekommen und hatte in der Kindheit und auch jetzt noch viel mit (Heu-)Schnupfen, Allergien, dichter Ohrtrompete und ein paar Mittelohrentzündungen zu tun, mit dem Innenohr war aber alles ok, bis zum Jahre 2002. Ich war mitten im Staatsexamen und bekam plötzlich einen Hörsturz mit starkem Tinnitus, Schwindel und Hörverlust bis um die 50dB.

Ein Jahr lang konnte ich nur ganz schlecht schlafen durch den Tinnitus. Das Examen habe ich trotzdem geschafft auch mit „Blumenkohl im Ohr“. Den Tinnitus habe ich so bewältigt, dass ich mir nach einem Jahr gesagt habe: „Jetzt ist eh schon chronisch, also auch Wurscht“ und ab da wurde es erträglich. Ich denke im Nachhinein, dass da der Druck weg ging in Bezug auf Chronifizierung und außerdem hörte ich auf gegen den „Feind“ zu kämpfen!

Ich machte ihn mir zum Freund: wenn ich zu viel machte, meldete er sich als eine Art Warnsignal und ich wusste, ich muss den Stress wieder reduzieren. Das funktioniert bis zum heutigen Tag - Gott sei Dank - recht gut :-)

Ich bewarb mich ohne Reha oder sonstigen Maßnahmen direkt um meinen ersten Job und bekam ihn gleich. Ich hatte ja noch ein gutes Ohr und kümmerte mich nicht weiter um das kaputte. Ich arbeite als Physiotherapeutin und Yogalehrerin.

Bis mich dann ein paar Jahre später eine Patientin darauf ansprach und meinte: “So einohrig könnte ich doch nicht rumlaufen“ und so ging ich zu ihr in ihren Akustiker Laden und testete mein erstes Hörgerät und was soll ich sagen? Es war furchtbar schrecklich!

Die Töne waren ohnehin schon alle total verzerrt und außerdem hatte ich eine Hyperakusis entwickelt, eine Geräuscheüberempfindlichkeit, und das Hörgerät war für mich, als wenn ich von jetzt auf nachher plötzlich auf einem Rockkonzert stehen müsste, oder als wenn dir jemand die Klangschale direkt im Ohr anhaut.

Es war unerträglich: keine Ahnung was die Akustikerin gemacht hatte, damals, aber ich wollte mit solchen Geräten fortan nichts mehr zu tun haben. Ich wurschtelte mich allein durch. Die meisten merkten nicht mal, was mit mir los war. Ich war trotzdem immer offen mit meiner Krankheit und sagte auch meinem Mann, als wir uns kennenlernten, direkt, dass ich einseitig schwerhörig bin.

Es wurde akzeptiert und kein großes Thema daraus gemacht. Ich bekam noch ein paar weitere Hörstürze, die ich irgendwann ignoriert habe, weil ich nicht wieder die Odyssee wie beim ersten mal wollte: 20 Infusionen und geholfen hat es nicht.

Außerdem hatte ich zwei Kinder, um die ich mich kümmern musste, da mein Mann geschäftlich viel unterwegs war. Dann machte ich mich selbstständig, weil ich es mich immer mehr ermüdete, mit meinen Kolleginnen zusammen zu arbeiten. Viele Personen auf einmal redend, ging sehr schlecht, Hintergrundgeräusche waren unangenehm etc. Ich war abends fix und fertig. So dachte ich, dass ich es in der Soloselbständigkeit leichter habe mit meiner Erkrankung und zwei Jahre ging es bergauf mit dem Geschäft.

Bis zum 13. September 2019: Ich behandelte abends noch eine Patientin, die ich aus dem Verein kannte und saß auf meinem Hocker, als ich mich plötzlich ganz schlecht fühlte. Ich sagte, ich müsse kurz aufstehen, aber das machte es nicht besser. Im Gegenteil, ich musste mich direkt auf die Liege legen und da bin ich stundenlang nicht mehr hochgekommen. Nicht mal sitzen konnte ich.

Meine Patientin musste mir einen Eimer holen, weil mir sowas von übel war. Alles drehte sich wie verrückt, ich war vollkommen ausgeliefert und konnte nur tief in den Bauch ein und ausatmen, um nicht in Panik zu geraten. In dem Moment will man einfach nur sterben, damit es aufhört. Irgendwann nach Stunden konnte ich dann wieder etwas laufen und legte mich ins Bett und dachte mir: „Einmal ist keinmal!“

Als ich nach Wochen mit meinem Hund unterwegs war, kam plötzlich der heftige Schwindel wieder. Ich konnte mich grade noch auf eine Bank setzen, kam aber nicht mehr hoch. Auch sehen konnte ich aufgrund des Nystagmus nicht mehr und so war ich schon sehr durchgefroren, als ich abgeholt werden konnte. Dann bin ich doch mal zum Arzt, der auf Lagerungsschwindel getippt hatte.

Das war es natürlich nicht. Ich bin dann von Arzt zu Arzt geschickt worden, eine Odyssee war das ganze. Bis ich nach zwei Jahren so stinkig war, dass ich mit der Diagnose zu einem neuen HNO-Arzt gegangen bin.

Der hat meine Verdachtsdiagnose bestätigt und als ich dann noch eine Attacke bei ihm hatte, war’s dann noch klarer. Ich habe tatsächlich Morbus Menière :-( Ich sagte mir immer: Bitte alles, aber nicht Menière!

Mich hat keiner gefragt ;), so ist es jetzt eben und ich habe mich mittlerweile mit der Erkrankung arrangiert und mache das Beste daraus. Da durch Menière die Haarzellen im Innenohr absterben, war das linke Ohr dann fast taub und ich kam an meine Belastungsgrenze.

20 Jahre einohrig und jetzt noch Menière und außerdem hatte ein Arzt noch beidseits das Eagle Syndrom festgestellt, welches auch operiert wurde auf beiden Seiten, da es meine Jugularvene und auf der anderen Seite die Carotis abklemmte und ich dachte, dass es evtl. in Verbindung steht mit dem Menière.

Leider war dies nicht der Fall. Der Menière hat sich nicht beeindrucken lassen davon, dass jetzt beide Griffelfortsätze entfernt waren: er kam munter weiter :-( Nur eine Gesichtslähmung hatte ich nach der zweiten Eagle OP noch bekommen, die sich aber zum Glück zum Großteil wieder zurückentwickelt hat.

Die Menière Attacken haben dann mein linkes Ohr total zerstört und ich wusste, so kann es nicht weiter gehen. Ich musste etwas ändern: ich hatte auf der linken Seite noch neglektische Erscheinungen, d.h. ich rempelte oft links an und nahm auf dieser Seite nicht mehr viel wahr…

2019 versuchte ich es noch mal mit einem Hörgerät, welches ich erstmal als hilfreich empfunden habe, weil ich erst dachte, ich höre wieder, aber es waren leider nur die Geräusche. Sprache habe ich nicht verstanden, aber der Akustiker spielte mir auch immer nur Töne vor und diese hörte ich ja. Dadurch dachte ich irgendwann, dass es wohl an meinen geistigen Fähigkeiten liegen müsse und zog mich noch weiter zurück.

Als mir dann absolut klar war, dass ein Hörgerät mir nicht helfen wird, da der Akustiker es wegen der Hyperakusis nicht weiter aufdrehen konnte, habe ich Kontakt zum Tübinger Cochlea Implantat (CI) Zentrum aufgenommen und war von Anfang an derart begeistert. So eine kompetente und freundliche Art und Weise, alle Ärzte so toll und geduldig!

Ich habe mich sofort sehr wohl gefühlt dort, wollte aber in Stuttgart noch eine zweite Meinung haben. Dieser Arzt meinte, er wisse gar nicht, ob ich mit dem CI überhaupt besser hören würde.

Und ob ich das würde!!!

Ich bin dann wieder nach Tübingen und hab mich entschieden diesen Schritt zu gehen, weil ich nichts zu verlieren hatte. Die Ärztin sagte auch, dass mein Resthörvermögen sowieso nur noch Mist sei und sie hatte recht, obwohl ich erstmal schlucken musste.

Dann im Vorgespräch hatte ich noch tausend Fragen, die mir anstandslos beantwortet wurden und ich noch begeisterter war. Die OP verlief genauso perfekt wie der Start. Ich war direkt am OP-Tag im Café und habe mit meinem Mann Kaffee getrunken. Ich habe nur eine Schmerztablette gebraucht wegen Kopfschmerzen und sonst hatte ich nichts: kein Schwindel, kein Tinnitus: einfach toll :-)

Dann vier Wochen Taubheit und dann der Tag der Erstanpassung: ich bin mit keinerlei Erwartungen dort hin. Ich dachte, dann kann ich nicht so tief fallen. Als Frau Schlegel das CI angeschaltet hat, ich sollte mein gesundes Ohr zuhalten, dachte ich: „Ich werde eh gleich nichts mehr verstehen“ und war total überrascht, als ich sie weitersprechen gehört habe.

Dann bin ich zur Logopädin rüber und sie meinte, sie geht jetzt aus der Tür raus und sagt „Januar bis Dezember“ und ich solle nachsprechen. Sie kam rein und ich sagte, ich hätte sie gehört, und zwar mit dem gesunden Ohr durch die Tür :)))

Ok, Versuch Zwei, diesmal durchs CI: „Januar bis Dezember“ im Darth Vader Style, ich musste sooooo lachen:) Dann gabs Nachrichten leicht, bei denen ich mitlesen durfte und es übers CI gehört habe. Irgendwann dachte ich, ich probier es mal ohne hinsehen und hab einfach weitergeredet und meine Logopädin hat einfach nur geweint und ich auch!

Das war so unbeschreiblich und unvergesslich, dass ich nach über 20 Jahren sofort Sprache verstehen konnte mit CI, was kein Hörgerät konnte. Ich war so unglaublich happy, ich konnte in dieser Nacht vor Grinsen kaum schlafen. Endlich etwas, was mir helfen kann. Auch hatte ich seither keine Menière Attacke mehr und ich hoffe, das bleibt so! Ich denke, der Druck hat sich gemindert durch das Implantat!

Ich hätte diesen Schritt vielleicht schon früher wagen sollen, aber mein Akustiker meinte, ich brauche kein CI und die HNO-Ärzte kennen sich damit auch nicht aus und so war ich auf mich selbst gestellt bis ich dann zu KIMM, dem Selbsthilfeverein für Menière-Erkrankte gestoßen bin und mir auch Tipps gegeben wurden und ich somit auch mit CI-Trägern in Kontakt kam. Ich war und bin so dankbar, denn die wissen so viel!!!

Nun bin ich auch in Tübingen noch in der Intervallreha und bin auch da total happy. Man trifft immer nette Gleichgesinnte und lernt sehr viel: v.a. von selbst betroffenen Therapeuten! Für mich ist mein CI ein Schritt in ein neues Leben: ich trage es absichtlich sichtbar und möchte, dass es in der Gesellschaft endlich ankommt, denn Brillen versteckt man schließlich auch nicht.

In diesem Sinne: Aufklärung statt verstecken!

Andrea Löffler
Juni 2024