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Aufgeben ist keine Option

Von Sabine Schreyer

Ich stelle mich erst einmal vor: Ich bin 62 Jahre alt und inzwischen erwerbsunfähig. Ich habe drei erwachsene Kinder und auch inzwischen zuckersüße Enkelkinder, die ich glücklicherweise Dank meiner Cochlea Implantate (CI) hören kann! ♥️

Ca. 1998 trat eine Hörminderung rechts auf und ein Jahr später ließ ich mich mit Hörgeräten versorgen. Es folgten ab 2000 Hörstürze und Tinnitus. Erste Drehschwindelattacken traten 2005 auf und 2007 stand das erste Mal die Diagnose Morbus Menière (MM) im Raum. Mein Vater war einseitig betroffen, aber ich habe wieder einmal „hier“ gerufen und Mr. Menière beidseitig abgegriffen.

2009 gab es dann durch mehrere Institutionen die gesicherte Diagnose MM, ab 2010 dann auf beiden Seiten. Eine Kollegin, die meinte, dass ich simuliere, gab mir die Adresse eines befreundeten Spezialisten mit den Worten: „Der wird dir sagen, dass du keinen Menière hast und das Ganze psychosomatisch ist.“ Der Professor war aber begeistert davon, seinen Studenten einen Menière-Patienten präsentieren zu können, bei dem der Nystagmus so wunderbar sichtbar war! Eine Blamage für meine Kollegin…

Mr. Menière schlug unerbittlich zu und teilweise ereilten mich täglich Anfälle; häufig leider auch auf der Arbeitsstelle, einem großen Berliner Krankenhaus. Das war eine furchtbare Zeit, in der es mir körperlich und dann auch psychisch extrem schlecht ging. Mobbing war an der Tagesordnung. Ich wurde als arbeitstechnischer Störfall beschimpft und mir wurde unterstellt, dass ich die Anfälle simulieren würde. Eine Kollegin stieg über mich rüber, als ich am Boden lag mit den Worten: „Hier stinkt’s! Kann mal einer das Fenster aufmachen?“ Hilfe erhielt ich nur von einer lieben Marokkanerin und einem Sudanesen. Wir sind immer noch gut befreundet, auch wenn wir schon länger nicht mehr dort arbeiten.

Ich beantragte einen GdB, ohne die Schwerbehindertenvertretung oder Kollegen davon in Kenntnis zu setzen, denn ich traute niemandem mehr. Ich bekam aufgrund meiner Erkrankungen sofort einen GdB von 50, was eine Kündigung erschwerte und meine Kollegin toben ließ.

Im Nachhinein denke ich, dass ich mir den Menière selbst erarbeitet habe. Vorangegangene Erkrankungen habe ich ignoriert und bin schnell wieder zur Tagesordnung und zu meinem stressigen Leben übergegangen. Der Menière hat mich dann ausgebremst. Er zwang mich zur Ruhe; wenigstens für die Zeit der Anfälle. Eine Ärztin sagte mir, dass ich mein Leben entschleunigen müsse, denn die nächste Erkrankung würde ich dann nicht mehr überleben. Mein Körper war durch Lungenentzündungen, Magengeschwüre und Verletzungen zusätzlich geschwächt.

2013-2016 folgten dann u.a. Bogengangsocclusionen und Saccusexpositionen beidseitig je zweimal. Mein Gleichgewicht war somit unwiederbringlich zerstört. Ich ließ mich im Unfallkrankenhaus Marzahn (UKB) operieren. Eine Kollegin, die mir nicht wohlgesonnen war, recherchierte intern nach meiner Patientenakte, denn sie dachte, dass ich im UKBF (Universitätsklinikum Benjamin Franklin) sei und verbreitete die Meldung, dass ich gar nicht im Krankenhaus und die OP ein Schwindel sei!

Mein lieber sudanesischer Kollege warnte mich und so konnte ich dies schnell bei der Personalabteilung richtig stellen. Nach solchen Eingriffen benötigt der Mensch ja eigentlich Ruhe und Zuspruch und nicht Kollegen, die einem den Arbeitsplatz streitig machen wollen.

Auch meine Familie litt sehr unter meiner Erkrankung, denn ständig war ich außer Gefecht gesetzt und lag schweißgebadet und mich übergebend im Bett. Fast täglich musste mich jemand von der Arbeit abholen. Ich stürzte viel und litt zusätzlich an Tumarkin-Attacken. Das sind plötzliche Stürze durch Sekundenschwindel. Ich fiel unkontrolliert in Supermärkten in die Regale, auf Bahnhöfen oder vielbefahrenen Straßen. Ein Menière Anfall war so schlimm, dass ich einseitige Lähmungen im Gesicht hatte und meine Tochter die Rettung rief aus Angst, dass mich ein Schlaganfall ereilt hat.

Durch die ständigen Anfälle war ich völlig erschöpft und am Boden. Zeitweise ging ich am Rollator in der Hoffnung, Stürze abfangen zu können und nicht als Betrunkene zu gelten. Mein Leben war völlig aus den Fugen geraten und ein täglicher Kampf. Ich lernte, dass Hilfsbereitschaft in einer Großstadt ein Fremdwort ist. Nicht einmal auf Bahnhöfen wurde mir geholfen, weil die Menschen dachten, dass ich betrunken sei und deshalb auf allen Vieren über den Bahnsteig zur nächsten Bank kroch.

Irgendwann stand fest, dass kein Hörgerät mehr ausreichen würde und ich ertauben werde. Für mich war schnell klar, dass ich nicht taub durch’s Leben gehen wollte. Ich wollte die Gitarrenmusik meines Sohnes und meine Tochter am Klavier wieder hören können! Ich wollte am Leben teilhaben, mich mit Freunden treffen und Musik hören!

Ich informierte mich über Cochlea Implantate (CI), entschied mich für Advanced Bionics und mein Leben bekam endlich wieder eine positive Wendung. Die Implantationen erfolgten nacheinander 2016 und es war die beste Entscheidung!

Ich hörte recht schnell und gut und war überglücklich! Der Tinnitus wurde Dank der CI‘s abgeschwächt und es ist für mich jeden Tag auf‘s neue ein Fest, wenn ich morgens meine „Ohren“ anlege und die Vögel zwitschern höre! Das ist der schönste Moment des Tages!

Durch viel Arbeit an mir selbst, Hör- und Gleichgewichtstraining, bin ich zur Ruhe gekommen und kann inzwischen mein Leben so gestalten, wie es meinem Körper gut tut. Das ist ein großes Geschenk. Stress rächt sich immer noch sofort und ich bin um ständigen Ausgleich bemüht.

Mein Körper ist schnell erschöpft und in Dämmerung und vor allem Dunkelheit benötige ich Hilfe. Auch Treppen sind, wenn ich beide Hände voll habe, ein Problem. Aber ich genieße das Leben und bin unsagbar glücklich, dass ich all die Geräusche, das Lachen der Kinder und Enkel und meine Freunde so gut hören kann!

Nach all den anderen OP‘s waren die CI-OP‘s ein Klacks und ich kann jedem Menschen mit hochgradiger Schwerhörigkeit nur zu einer Implantation raten.

Sabine Schreyer
September 2024