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Der Weg zur Selbsthilfe -
Durch den Gendefekt schleichend ertaubt

Von Sina Täuber

Mein Name ist Sina, ich bin 30 Jahre alt und komme aus dem schönen Oldenburg in Niedersachsen. Ich möchte euch heute von meiner Hörreise erzählen und fange mal von gaaaanz vorne an!

Von Geburt an habe ich einen Gendefekt, der sich im Alter von 12 Jahren als Innenohrschwerhörigkeit geäußert hat. Bei meiner Mutter ist diese erst im Alter von 31 Jahren aufgetreten, weshalb meine Eltern gehofft hatten, dass auch ich erst im Erwachsenenalter damit zu tun habe.

Ich habe eine Regelschule besucht und meinen Realschulabschluss gemacht. Als meine Schwerhörigkeit aufgetreten ist, war ich in der siebten Klasse und wurde dann mit zwei Hörgeräten versorgt. Eine Schule für Hörgeschädigte kam nicht in Frage, da meine Eltern zu dem Zeitpunkt gar nicht wussten, dass es eine dafür geeignete Schule überhaupt gibt. Aufklärung hat zu dem Zeitpunkt nicht stattgefunden. Also kämpfte ich mich ab dem Moment durch den Schulalltag mit gehässigen Mitschülerinnen und Mitschülern, sowie mit rücksichtslosem Schulpersonal.

2011

Schon immer war ich trotz allem gerne mit Menschen zusammen und entschied mich nach dem Abschluss für eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten.

Meine Ausbildung war kein Zuckerschlecken, denn auch da ist mir die Schwerhörigkeit, trotz jährlicher Nachjustierung der Hörgeräte, immer wieder auf die Füße gefallen: Missverständnisse, Nicht-Hören, Falschverstehen und wiederholtes Nachfragen waren meine täglichen Begleiter. Im ersten Jahr meiner Ausbildung bin ich oft schon auf dem Heimweg im Bus eingeschlafen, da ich so angestrengt war. Sowohl meine Eltern als auch ich haben dies nie auf meine Hörschädigung zurückgeführt. Ich arbeitete nach der Ausbildung noch sieben weitere Jahre in meinem Ausbildungsbetrieb. Es machte mir Spaß und ich hatte meinen festen Platz im Praxissystem. Meine Arbeitskolleginnen und Chefs kannten mich mit meiner Schwerhörigkeit und ich konnte mehr oder minder damit umgehen.

2022

Ich wechselte von der Praxis ins Krankenhaus, weil ich mehr lernen wollte, mich intensiver mit dem Beruf auseinandersetzen wollte. Nach einem halben Jahr erlitt ich auf dem rechten Ohr, aufgrund von Hörstress, einen Hörsturz mit anschließendem Tinnitus, einer Hörminderung von 15 dB und einer nervigen Hyperakusis. Die Hörschwelle zwischen "höre ich gerade so eben" und "ist mir zu laut" hatte eine Spanne von 10 dB, nicht sehr viel also. Powerhörgeräte halfen da nicht, da mir alles zu laut war. Die Empfehlung der Ärzteschaft: eine Tinnitus-Reha, in der ich auch, und das wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, mit der Akzeptanz der Schwerhörigkeit zu kämpfen hatte.

2023

In der Reha in Bad Nauheim hat mir der Chefarzt Dr. Zeh ein Cochlea Implantat (CI) empfohlen. Ich hatte zwar SO ETWAS schon einmal gesehen, war aber der festen Überzeugung, dass ICH SO ETWAS nicht brauchte. Ich merkte von Tag zu Tag, wie sich meine Verhaltensmuster der letzten Jahre immer wieder auf die Schwerhörigkeit zurückführen ließen. Bis zu dem jetzigen Zeitpunkt hatte ich mich NIE mit meiner Schwerhörigkeit auseinandergesetzt. Ich war bereits 28 Jahre alt und hatte jegliche Selbsthilfe verpasst. Zum Glück ist es dafür nie zu spät.

Zurück in Oldenburg suchte ich vor Ort nach Informationen und Leuten, die mir bei meiner Entscheidung helfen konnten. Ich las online im Forum der Deutschen Cochlea Implantat Gesellschaft (www.dcig.de) und auch auf dieser Seite www.ohrenseite.info.

Ich kontaktierte die CI-Hersteller, um technische Beratung einzuholen. Doch der Kontakt zu Gleichgesinnten blieb aus, denn hier in Oldenburg fand ich niemanden, da ich zu oberflächlich gesucht hatte. Nach intensiver Beschäftigung entschied ich mich für das Cochlea Implantat, da ich es früher oder später eh brauchte aufgrund des Gendefekts, der immer weiter fortschritt. Außerdem wollte ich in meinen jungen Jahren keine Zeit verlieren.

Zum Glück haben wir hier in Oldenburg eine HNO-Klinik mit angebundenem CI-Zentrum, in dem ich mich im Sommer vorstellte.  Ich war eine Patientin, bei der die Indikation nicht zu 100% eindeutig war. Ich war motiviert und wollte mich von meiner Entscheidung nicht mehr abbringen lassen. Erst als ich dem Chefarzt ein selbst gezeichnetes Audiogramm mit all meinen Hörtests zeigte, war die Prognose eindeutig. Denn die Hörkurven sind von Jahr zu Jahr immer schlechter geworden. Auch neue Einstellungen und regelmäßige Upgrades brachten mich nicht weiter.

2024

Also wurde ich am 05. Januar implantiert. Alles verlief bestens und ich hatte kaum Nebenwirkungen oder Begleiterscheinungen. Die erste Woche nach der Erstanpassung hörte ich nur monotone Morsezeichen. Tägliches Hörtraining mit einem Programm, welches von der Klinik entwickelt wurde. Zahlen, Wörter, Sätze, Wortpaare. Fünf Wochen nach der OP habe ich die ersten Wörter verstanden. Die Audiogramme wiesen von Woche zu Woche ein immer besseres Sprachverstehen auf: 45%, 55%, 70%, 85%. Acht Wochen nach der OP wollte ich endlich wieder arbeiten, da mir zu Hause allmählich die Decke auf den Kopf gefallen ist. Im März besuchte ich die Selbsthilfegruppe in Oldenburg. Der Altersdurchschnitt der Teilnehmerinnen und Teilnehmern lag bei ca. 65 Jahren. Der Austausch tat gut, nichtsdestotrotz suchte ich nach Leuten, die genau wie ich den Arbeitsalltag bestreiten und täglich im Störschall klarkommen mussten. Eine solche Gruppe gab es also noch nicht. Ich sehnte mich nach Gleichaltrigen.

Ende April durfte ich dann endlich wieder nach Bad Nauheim in die Reha. Der Austausch und die Kommunikation mit anderen Betroffenen und den Therapeutinnen und Therapeuten tat mir sehr gut. Anders als im Vorjahr hatte ich deutlich mehr Therapie, da das CI-Training sehr intensiv ist. Und auch der Altersdurchschnitt lag bei ca. 45 Jahren. Während dieser ganzen Zeit wuchs der Wunsch, in der Heimatstadt auch einen solch regen Austausch mit Gleichgesinnten zu betreiben. Mein Audiotherapeut gab mir Tipps und Kontakte wie ich junge CI-Trägerinnen und CI-Träger in der Heimat finden könnte. Er erzählte mir von Deaf-Ohr-Alive (DOA), die junge Selbsthilfe in Deutschland, die bereits mit sechs Gruppen in Deutschland vertreten sind.

In der Reha hatte ich super Ergebnisse erzielt, obwohl ich ja schon mit bereits 85% Sprachverstehen (man beachte, dass diese Ergebnisse nur auf dem rechten, implantierten Ohr gemessen wurden) dorthin gefahren bin. Im Alltag zurück, musste ich leider feststellen, dass sich die Kombination mit dem Hörgerät nicht bewährt. Das beidseitige Hören und Verstehen im Beruf als auch im Alltag war nicht besser als vor der Implantation, wobei man bedenken muss, dass ich unter sehr erschwerten Bedingungen arbeite: mit Mundschutz in einer hauptsächlich unruhigen Umgebung. Das Richtungshören funktioniert nicht und im Störschall habe ich weiterhin kaum eine Chance, sodass auch der Stresspegel wieder enorm anstieg.

Daher hatte ich im August meine vorstationäre Untersuchung für das linke, noch mit Hörgerät versorgte Ohr. Die Indikation dafür steht und Anfang nächsten Jahres werde ich auch dort implantiert. Ich habe die Hoffnung, dass bald das Richtungshören und das Hören im Störschall wieder einigermaßen möglich ist, sodass ich sowohl im beruflichen als auch im privaten Alltag wieder den Anschluss finde.

Da mir der Weg zur DOA Nord im Kreis Hamburg zu weit ist, habe ich mir nun überlegt eine neue DOA-Gruppe zu gründen. Sie wird Deaf-Ohr-Alive Nordwest heißen und im Weser-Ems Gebiet stattfinden. Gemeinsam mit der DCIG e.V. und der DOA plane ich aktuell die ersten Schritte. Die Gründung nimmt momentan meine volle Zeit in Anspruch und ich bin Feuer und Flamme sie zu eröffnen.

Ich bin sehr dankbar, dass es heutzutage die Möglichkeit gibt das menschliche Ohr zu ersetzen, wenn dieses nicht mehr so funktioniert, wie es soll!

Sina Täuber
September 2024