Mein persönlicher Erfahrungsbericht mit dem CI
Von Anne-Marie Gerdelmann
Hallo, mein Name ist Anne-Marie Gerdelmann. Ich bin 27 Jahre alt, hörgeschädigt und quasi in der „hörenden Welt“ groß geworden. Ich bin von Geburt an auf dem linken Ohr an Taubheit grenzend schwerhörig und auf dem rechten Ohr gehörlos gewesen.
Links trug ich immer ein Hörgerät, dieses habe ich geliebt. Rechts bekam ich im Alter von vier Jahren ein Cochlea Implantat (CI) und habe damit keinen Hörerfolg erzielen können. Trotz zahlreicher Versuche von Techniker:innen und etlicher anderer Maßnahmen gelang es nicht, das CI in meinem Leben erfolgreich zu integrieren.
Aber das störte mich nicht weiter, denn ich hatte ja noch mein geliebtes Hörgerät links. Damit kam ich super zurecht und konnte mit dieser Hilfe erst die Regelschule und anschließend das Studium mit einem Masterabschluss erfolgreich beenden.
Man könnte sagen, ich war eine kleine „CI-Gegnerin“. Zwar habe ich viele Freund:innen, die CIs tragen und super damit zurechtkommen, aber für mich persönlich kam das CI nicht infrage.
Dies änderte sich jedoch im Januar 2023. Dort besuchte ich mit Freund:innen ein Rockkonzert und erlitt einen versehentlich heftigen Schlag von einer mir unbekannten Person auf den Hinterkopf. Ich wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Die letzten zwei Jahre hatte ich bereits zwei Hörstürze erlitten und kannte somit das Gefühl. Mir war klar, dass ich jetzt gerade in diesem Moment ertaube und in zwei Stunden nichts mehr hören werde. Es war grausam.
Tränen liefen mir über die Wangen und dann war ich auch schon taub. Anders als bei den letzten Hörstürzen, litt ich am anderen Tag an starkem Drehschwindel und musste mich mehrmals übergeben. Bei den vorherigen Hörstürzen hatte sich mein Ohr nach ca. zwei Wochen erholt. Das trat diesmal nicht ein. Ich blieb taub. Nach dreieinhalb Wochen konnte ich mit dem Hörgerät zwar wieder einige Geräusche wahrnehmen, aber das Sprachverstehen blieb sehr schlecht.
In dieser Zeit war ich gerade dabei nach Hamburg umzuziehen und mein Referendariat anzutreten. Das Referendariat verschob ich und sah schließlich ein, dass mein Restgehör nicht zurückkommen wird. Deshalb gab es für mich nur eine einzige Option: Ich entschied mich für eine CI-Versorgung links mit der Marke Med-El.
Für mich hat sich die Entscheidung ein Stück weit so angefühlt wie Abschied nehmen zu müssen. Ich wusste aus eigener Erfahrung, dass man das Hören mit dem CI nicht mit dem Hörgerät vergleichen kann. Mir war bewusst, dass ich Stimmen und Melodien, die ich so sehr liebte, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr so hören werde wie vorher. Das tat weh. Mit meinem Hörgerät konnte ich vor meinem Hörsturz mühelos Musik und Podcasts hören. Das wollte ich wieder. Allerdings wusste ich auch, dass nicht alle CI-Träger:innen in der Lage sind, Podcasts zu verstehen.
Mir war bewusst, dass das Hören mit dem CI nur erfolgreich gelingen kann, wenn ich mich zu 100 % für das CI entscheide und es akzeptiere. Durch zahlreiche Recherchen und Studien wusste ich, dass ein gutes Hörverstehen vor allem das Hörtraining und den guten Willen ausmacht. Dazu war ich bereit. Ich wollte alles geben, um ein bestmögliches Hörergebnis zu erzielen.
Um eine MRT für die OP machen zu können, wurde mein altes, nicht MRT-taugliches Implantat, rechts ambulant unter örtlicher Betäubung entfernt. Nachdem die Organisation rund um die beiden OPs doch ziemlich holprig verlaufen war, hatte ich den hauptsächlichen Eingriff nach mehrmaligem Verschieben erfolgreich überstanden. Das neue Implantat war links im Kopf. Bereits am zweiten Tag nach der Implantation erhielt ich eine erste Anpassung. Es hörte sich zwar alles noch sehr ungewohnt und verzerrt an, aber ich konnte tatsächlich Töne hören!
Zu mein Erstaunen musste ich feststellen, dass mein Sprachverstehen eine erfreulich schnelle Entwicklung nahm. Nach meiner Ansicht liegt dies zum einen daran, dass ich das Hören und Verstehen auf dem linken Ohr gewohnt war. Zum anderen war ich sehr gewillt, wieder gut hören zu können. Denn ein schlechtes Hörverstehen kam für mich einfach nicht infrage. Ich erinnere mich daran, dass ich am dritten Tag nach meiner OP das CI mit meinem Handy koppelte, um Musik zu hören. Meine Zimmernachbarin kommentierte dies zu ihrem Erstaunen mit: „Was? Du möchtest jetzt schon Musik hören? Ich habe mein CI seit einem Jahr und habe mich noch nicht an Musik herangetraut.“. Natürlich verstand ich die Musik nicht. Ich erkannte die Melodien nicht und erkannte meine Lieblingslieder noch nicht einmal wieder. Aber ich übte und übte. Und mit jeder Höreinstellung des CIs wurde mein Hören besser. Besonders nach der Erstanpassungswoche konnte ich nach zahlreichen Einstellungen und Hörtraining mein Glück kaum fassen: Ich hörte Musik von AnnenMayKantereit. Ich verstand die Texte zwar noch nicht, aber ich erkannte die Lieder!
Zu Hause übte ich weiter, indem ich das CI 24/7 trug. Ich hörte Hörbücher und las zeitgleich das Buch, traf mich mit Freund:innen und fragte nach, wenn ich akustische Signale aus der Umwelt nicht zuordnen konnte.
Heute, dreieinhalb Monate nach meiner Implantation, kann ich wieder Podcasts verstehen, Musik hören und sogar Festivals besuchen. Darüber bin ich sehr dankbar! Sprachmemos verstehe ich nicht mehr so mühelos wie früher, aber ich verstehe sie. Manchmal ärgere ich mich noch, dass mein Hörgerät technisch gesehen smarter war als das CI. In manchen Punkten kommt das CI meiner Meinung nach noch nicht gegen das Hörgerät an. So war es beispielsweise mit dem Hörgerät um einiges einfacher, es mit dem Handy zu koppeln und die Batterien hielten auch um einiges länger. Aber ich bin optimistisch und zuversichtlich, dass die CI-Technologie in den nächsten Jahren noch einige große Fortschritte machen wird.
Rückblickend glaube ich, dass die Entscheidung für das CI die einzig Richtige war. Ja, das Hören mit dem CI ist anders, aber es wird mit jedem Tag besser. Ich bin erleichtert, dass sich das Hören mit dem CI nicht mehr so anhört wie die versuchten Simulationen aus dem Internet.
Vor allem aber bin ich froh, dass ich mich meinen Ängsten gestellt habe und dem CI eine neue Chance gab. Manchmal braucht man im Leben Mut. Mut, neue Entscheidungen zu treffen, Altes hinter sich zu lassen und offen für neue Chancen zu sein.
Anne-Marie Gerdelmann
November 2024