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Wenn man die Welt plötzlich nicht mehr versteht....

Von Sandra Kaiser

Ich bin Sandra, 35 Jahre alt und bin GPA-Patientin. Bitte was? Ich habe eine Autoimmunerkrankung „Granulomatose mit Polyangiitis“ oder früher auch Morbus Wegener genannt.

Es war der November 2022, als sich alles änderte. Ich saß auf dem Sofa und stellte überrascht fest: Mein Fernseher war plötzlich nur noch ein Bild ohne Ton. Keine Schmerzen, keine Warnzeichen – einfach Stille. Es war, als ob der Klang aus meinem Leben verschwunden wäre.

Doch das war nur der Anfang. Wenige Tage später folgten leichte Schmerzen, und schließlich landete ich beim HNO-Arzt. Die Diagnose: eine Mittelohrentzündung. Antibiotika, doch sie halfen nicht. Die Schmerzen wurden schlimmer, und die Ungewissheit nahm zu. Weihnachten stand vor der Tür, aber der Klang von Festtagsmusik oder das Lachen meiner Familie war mir nicht mehr zugänglich. 

Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass diese plötzlich auftretende Schwerhörigkeit Teil einer viel größeren Herausforderung war, die mich ein Leben lang begleiten wird. Was als „ein bisschen Ohrenschmerzen“ begann, entwickelte sich zu einer medizinischen Odyssee, die mich von Arzt zu Arzt, von Klinik zu Klinik führte.

Monate vergingen, und während ich von einer Behandlung zur nächsten eilte, begann mein Körper sich immer weiter zu verändern. Eine entzündete Nasenscheidewand, eine voranschreitende Sattelnase, starke Gelenkschmerzen und schließlich ein völlig verschlechtertes Gehör auf beiden Ohren – die Diagnose, die mir zu diesem Zeitpunkt immer mehr klar wurde: Morbus Wegener, eine Autoimmunerkrankung, die auch mein Gehör und meine Nase angegriffen hatte.

Es war wie ein langsames Verblassen. Tag für Tag hörte ich weniger, der Tinnitus wurde lauter, und selbst einfachste Geräusche wurden zu einer Herausforderung. Manche Tage fühlten sich an, als würde ich mich selbst verlieren, im Nichts von Geräuschen, die ich nicht mehr einfangen konnte.

Der Schmerz des Hörverlustes war nicht nur physisch – er war auch emotional. Inmitten der medizinischen Kämpfe fühlte ich mich zunehmend isoliert. Der Moment, in dem mein rechtes Ohr vollkommen taub wurde, war ein Schock. Ich saß da, versuchte zu verstehen, was mit mir geschah, und fragte mich, wie es weitergehen würde. Doch auch in diesem Moment wusste ich: Ich musste weiterkämpfen.

Die Entscheidung, ein Cochlea Implantat zu bekommen, war einer der schwersten Schritte meines Lebens. Ich hatte großen Respekt immunsuppressiert diesen Weg der OP zu gehen, doch meine Autoimmunerkankung ist eine kleine tickende Zeitbombe und lies mir nicht allzulange Zeit zu warten. Die Frage welchen Hersteller wähle ich, begleitete mich wochenlang. Was, wenn ich den Klang der Welt nie mehr zurückbekomme?

Im September 2024 war es schließlich an der Uniklinik in Tübingen so weit. Die Operation war alles andere als einfach. Aufgrund meiner Autoimmunerkrankung war mein Schädelknochen entzündet, und ich musste durch eine schmerzhafte und langwierige Prozedur. Als ich schließlich erwachte und erfuhr, dass das Implantat erfolgreich eingesetzt worden war, konnte ich es kaum fassen. „Sie haben ein Cochlea Implantat“, hieß es – und ich, immer noch sehr benommen von der Operation, konnte es kaum glauben.

Die ersten Tage nach der OP waren geprägt von starkem Schwindel und extremem Unbehagen. Ich konnte kaum eigenständig aus dem Bett aufstehen und bald bekam ich im Krankenhaus Physiotherapie gegen den starken Drehschwindel. Nach zwei Wochen kam die Wendung: Die Übelkeit und auch die Achterbahnfahrt wurden allmählich besser. 

Und dann kam der große Moment der Erstanpassung: Anstatt einer überwältigenden Emotion – wie sie in vielen Internetvideos beschrieben wird – war es bei mir eher ein nüchternes „Oh, da ist also wirklich ein Ton, es piepst und rauscht.“ Die ersten Tage waren sehr sehr anstrengend für mich und ich schlief sehr viel.

Heute, nach nur wenigen Wochen, kann ich schon Männer- und Frauenstimmen unterscheiden, und die Erinnerungen an die Klangfarben meiner früheren Welt werden ganz langsam wieder lebendig. Der Weg ist noch ein langer, aber ich feiere jede kleine Verbesserung, jeden Schritt, den ich mache. 

Der Verlust des Hörens war für mich eine Reise, die mich bis an meine Grenzen brachte – körperlich, emotional, seelisch. Aber ich habe nicht aufgegeben. Ich habe ein neues Kapitel in meinem Leben begonnen, und ich bin dankbar, dass ich es heute mit einer neuen Perspektive und der Möglichkeit, wieder zu hören, fortsetzen kann.

Ein Tipp für Hören Lernende: ich war relativ schnell von den Übungsapps gelangweilt, da die Texte immer dieselben sind. So habe ich mir bekannte deutsche Serien (deutsch wegen dem Mundbild) mit Untertitel über das CI gestreamt und versuche jetzt so zu lernen. Ab Januar beginnt dann meine Intervall-Reha und ich hoffe, dass diese mich noch ein gutes Stück weiterbringt.

Es ist noch alles andere als perfekt, und ich weiß, dass noch viele Herausforderungen auf mich warten. Aber ich lerne wieder zu hören – und das ist für mich ein kleiner, großer Sieg.

Sandra Kaiser
November 2024