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"Meine zweite Hörreise"

Wie ich nach 18 Jahren den Schritt zum zweiten Cochlea Implantat (CI) gewagt habe.

Von Mara

Hi, ich heiße Mara, bin 21 Jahre alt und seit meiner Geburt an Taubheit grenzend schwerhörig. Ich trage zwei Cochlea Implantate (CI) von MED-EL: rechts (noch) den SONNET und links den SONNET 3. Zwischen meinen beiden Implantationen liegen fast 18 Jahre.

Das Neugeborenen-Hörscreening war zunächst unauffällig, aber meine Eltern - beide hörend, wie auch der Rest meiner Familie - hatten schon früh das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Die Kinderärztin verließ sich jedoch immer wieder auf das Screening-Ergebnis. Da meine Eltern jedoch immer noch verunsichert waren, begannen sie, mich selbst zu testen. Sie ließen absichtlich Dinge fallen oder riefen mich aus verschiedenen Richtungen. Manchmal reagierte ich - vermutlich nur, weil ich Vibrationen spürte. Eines Tages rief mich meine Mama erneut, doch ich reagierte überhaupt nicht. Erst als sie mich von hinten antippte, zuckte ich erschrocken zusammen. In diesem Moment wurde ihr klar, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt.

Meine Eltern fuhren mit mir in die Uniklinik nach Marburg, wo schließlich die Diagnose gestellt wurde. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon fast ein Jahr alt. Der nächste Schritt war dann zunächst die Hörgeräteversorgung. Diese reichten auf Dauer jedoch nicht aus, da mein Hörverlust zu groß war. So erhielt ich am 16.07.2007 in Mainz, im Alter von drei Jahren, mein erstes Cochlea Implantat auf der rechten Seite. Links trug ich weiterhin ein Hörgerät.

Ich holte schnell auf, lernte zu sprechen und konnte einen Regelkindergarten sowie später eine Regelschule besuchen. Es war nicht immer alles einfach, und mir und meiner Familie wurden oft Steine in den Weg gelegt. Trotz allem habe ich 2023 mein Abitur erfolgreich abgeschlossen. Mit der Kombination aus CI rechts und Hörgerät links kam ich immer gut zurecht. Ich hatte über die Jahre viele Strategien entwickelt, um mein eingeschränktes Hören zu kompensieren - zum Beispiel durch Lippenlesen oder indem ich bei Gesprächen immer links vom Gesprächspartner laufe, damit mein „gutes“ Ohr auf der rechten Seite ist. 

Bei den Kontrollterminen in der Klinik wurde ich immer wieder dazu gedrängt, auch die linke Seite mit einem CI versorgen zu lassen. Die Hörtests zeigten regelmäßig schlechte Ergebnisse und mit dem Hörgerät allein war kein Sprachverstehen möglich. Mit jeder Wiederholung dieses Themas spürte ich immer mehr Druck. Ich hatte jedoch zu große Angst vor einer weiteren Operation und ging irgendwann nur noch sehr ungern zu den Kontrollterminen.

Nach dem Abitur stellte ich mir die Frage, wie es nun weitergehen sollte. Ich hatte noch nie diesen einen Traumberuf, geschweige denn eine bestimmte Richtung, die mich besonders interessierte. Deshalb entschied ich mich für ein FSJ in einem Kindergarten, um etwas Neues auszuprobieren. Schlussendlich gefiel mir die Arbeit mit den Kindern so gut, dass ich meinen Vertrag um fünf Monate verlängerte und schließlich von September 2023 bis Dezember 2024 in der Kita arbeitete. Es war jedoch nicht immer leicht. Der Lärmpegel brachte mich oft an meine Grenzen. Zum Glück war ich in der Krippe eingesetzt, wo es etwas ruhiger zuging als bei den älteren Kindern.

In dieser Zeit wurde mir zum ersten Mal richtig bewusst, wie anstrengend das Hören mit nur einem CI und einem Hörgerät war. Ich begann zunehmend darüber nachzudenken, ob ein zweites Implantat vielleicht doch eine Option für mich wäre. Ein Schlüsselmoment in der Kita bestärkte mich in diesem Gedanken: Ich lief gerade Richtung Büro der Leiterin, da sich nebenan die Toiletten befanden, als sie mich plötzlich rief. Ich dachte, die Stimme käme aus dem Büro und ging hinein. Erst dann bemerkte ich, dass sie hinter mir war und mich von hinten gerufen hatte. Da wurde mir zum ersten Mal so richtig bewusst, dass ich kein Richtungshören besitze. Auch im Kita-Alltag merkte ich das immer wieder - zum Beispiel, wenn ein Kind weinte oder mich rief. Ich musste dann erstmal schauen, aus welcher Richtung das kam, weil ich es nicht orten konnte.

Noch während meines FSJ begann ich, mich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ich tauschte mich mit anderen Betroffenen aus und ließ mich in der Klinik in Mainz beraten. Die Gespräche mit dem Audiologen und den Ärzten waren sehr informativ. Sie betonten, dass sie die OP sinnvoll fänden, mich aber nicht dazu drängen möchten und ich in Ruhe darüber nachdenken soll. Ich hatte sehr große Angst vor möglichen Nebenwirkungen wie Schwindel oder einer Gesichtsnervenlähmung. Außerdem war nicht klar, ob ich mit dem linken CI jemals Sprachverstehen entwickeln könnte, da ich auf diesem Ohr noch nie ein Sprachverständnis hatte. Andererseits konnte es nur besser werden und ein zweites CI wäre auch eine Art „Backup“, falls das rechte CI einmal ausfällt. 

Nach vielen Gesprächen mit meinem Audiologen und meinen Eltern entschied ich mich schließlich für die Operation. Der Zeitpunkt war perfekt, da ich mein FSJ gerade beendet hatte und mich noch nicht in einer Ausbildung oder einem Studium befand und mich somit ganz auf meine zweite Hörreise konzentrieren konnte.

Am 10.02.2025 war es dann soweit und ich bekam mein zweites Cochlea Implantat - dieses Mal auf der linken Seite. Die Operation verlief sehr gut und bis auf die Tatsache, dass mir kurz danach sehr schlecht war und ich Schmerzen hatte, sind keine von den befürchteten Nebenwirkungen eingetroffen. Am vierten Tag wurde ich entlassen.

In Mainz finden die Erstanpassung und die hausinterne Basistherapie frühestens vier Wochen nach der OP statt. Bei mir fanden die Erstanpassung und die erste AVT fünf Wochen später statt. Dafür war ich wieder für vier Tage in der Klinik. Ich war sehr aufgeregt und nahm mir fest vor, keine zu großen Erwartungen zu haben. Doch als das CI zum ersten Mal eingeschaltet wurde, war da … nichts. Der Audiologe und mein Papa haben mit mir gesprochen, aber ich habe nichts gehört. Ich hatte damit gerechnet, dass ich verschiedene fremde Geräusche hören würde, die komisch klingen und die ich nicht zuordnen könnte. Aber dass ich gar nichts hören würde, hatte ich nicht erwartet. Erst als der Audiologe klatschte und Zischlaute machte, nahm ich ganz leise etwas wahr. Es war mehr ein Spüren am Kopf als ein Hören, und alles klang sehr hoch und piepsig. Mir wurde gesagt, dass das normal sei und mein Gehirn sich erst an die neuen Eindrücke gewöhnen müsse. 

In den darauffolgenden Tagen wurde das CI schrittweise lauter gestellt. Es kamen immer mehr Geräusche bei mir an, aber es war immer noch mehr ein Spüren als ein Hören. Besonders hohe Töne wie klapperndes Geschirr empfand ich als sehr unangenehm. Irgendwie war alles zu leise, aber gleichzeitig auch unangenehm laut. Die ersten Hörtests waren frustrierend, aber davor hatte man mich gewarnt. In der Logopädie hingegen lief es schon gut. Ich konnte bereits am ersten Tag lange und kurze Wörter voneinander unterscheiden. Am nächsten Tag wurde das CI weiter angepasst, und plötzlich konnte ich ganz leicht meine Stimme und die des Audiologen wahrnehmen. Am Nachmittag konnte ich sogar schon mit der ReDi-App von MED-EL üben und einzelne Zahlen heraushören.

Wieder zu Hause widmete ich mich intensiv dem Hörtraining. Ich merkte, dass sich mein Gehirn nach und nach an die neuen Reize gewöhnte, da das CI im Laufe der Zeit immer leiser wurde, sodass ich es über die App lauter stellen musste. Allmählich entstand ein echter Höreindruck, nachdem ich zuvor die meisten Geräusche eher gespürt als wirklich gehört hatte. Ich nahm immer mehr Geräusche wahr, die jedoch noch sehr elektronisch und gleich klangen.

Mitte April ging es zur zweiten AVT wieder für drei Tage in die Klinik. Das CI wurde erneut angepasst, deutlich lauter gestellt und ich stellte fest, dass ich mit der neuen Einstellung schon viel mehr wahrnehmen konnte. Beim Hörtest hatte ich im Vergleich zur ersten Messung Fortschritte gemacht: Mein Einsilberverständnis bei 65 dB war von 0% auf 50% gestiegen. Auch die Kombination aus beiden CIs brachte bereits bessere Ergebnisse als zuvor mit nur einem CI und einem Hörgerät. In der Logopädie konnte ich sogar schon kurze Sätze verstehen. So langsam entwickelt sich ein Sprachverständnis - schneller, als ich es selbst erwartet hätte. Mein Audiologe ist mittlerweile überzeugt, dass mein linkes CI dem rechten sehr nahekommen wird - obwohl er zu Beginn noch betonte, dass das rechte CI immer das dominante bleiben wird.

Seitdem ich nun beidseitig mit CIs versorgt bin, ist die Welt deutlich lauter. Das ist oft überfordernd und ich bin schneller reizüberflutet, aber ich merke auch, dass Gespräche in größeren Gruppen leichter fallen und langsam sogar ein Richtungshören entsteht. Klanglich ist das linke CI noch weit vom natürlichen Klang des rechten entfernt. Es klingt nach wie vor elektronisch und flach. Umso dankbarer bin ich, dass ich das rechte CI mit seinem vertrauten, natürlichen Klang schon habe, denn wenn ich ausschließlich mit dem linken hören müsste, wäre das Hören im Alltag klanglich sehr anstrengend und kaum vorstellbar. 

Wenn ich das rechte CI abnehme, merke ich, dass ich mit dem linken CI allein bereits deutlich mehr verstehe als noch am Anfang. In ruhiger Umgebung kann ich sogar schon Gesprächen am Tisch folgen, solange nicht durcheinander gesprochen wird. Dafür brauche ich jedoch noch sehr viel Konzentration. Wenn ich beide CIs zusammen trage, habe ich manchmal das Gefühl, dass sie noch nicht ganz miteinander harmonieren. Das Linke klingt für mich insgesamt etwas leiser und fremder.

Trotzdem genieße ich es sehr, zum ersten Mal Musik über Kopfhörer in Stereo hören zu können. Früher musste ich mein Hörgerät immer ausschalten, weil es durch den Druck der Kopfhörer zu pfeifen begann - dadurch habe ich Musik im Grunde immer nur mit einem Ohr gehört. Jetzt nehme ich schon viel mehr Details wahr, die ich vorher gar nicht kannte - mit mehr Tiefe und mehr Räumlichkeit. Bisher habe ich die Entscheidung für das zweite CI keine Sekunde bereut.

Für den Sommer ist - mit etwas Glück - noch eine Reha geplant, auf die ich mich sehr freue. Ich bin gespannt, wie sich mein Hören dadurch weiterentwickeln wird und wohin mich diese zweite Hörreise noch führt, denn sie ist noch längst nicht zu Ende.

Liebe Grüße

Mara
Juni 2025