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Von 100 auf 50 und wieder zurück.👂🏻

Durch einen Hörsturz zur CI-Trägerin.

Von Ines Kasuch

Manchmal verändert sich das Leben nicht durch einen lauten Knall, sondern durch das abrupte Verstummen.

So war es bei mir. Es war Anfang November 2024. Wir verbrachten ein „ruhiges“ Wochenende mit den Kids - niemand konnte ahnen, dass es bald für immer ruhig auf einem Ohr bleiben wird.

Denn völlig ohne Vorwarnung, wurde mein linkes Ohr plötzlich still. Einfach so. Freitags abends hörte ich auf dieser Seite einfach plötzlich nichts mehr. Ich sagte direkt zu meinem Mann: „Irgendetwas stimmt nicht.“ Aber etwa eine halbe Stunde später hatte sich das Ohr wieder erholt und alles war wieder normal, deshalb verdrängte ich den Gedanken schnell, dass etwas nicht stimmen könnte. Ich dachte, es sei vielleicht eine vorübergehende Reaktion auf eine beginnende Erkältung oder so. Jetzt bin ich mir sicher, es war vermutlich ein erster „kleiner“ Hörsturz, den ich einfach ignorierte. Ich habe wohl nicht auf meinen Körper gehört - hätte ich etwas besser/anders machen können? Keiner weiß es. Aber auch diese Frage ist im Nachhinein überflüssig, denn, passiert ist passiert.

Am Sonntagmorgen des 3. November 2024 war das Gefühl aber plötzlich wieder da. Das Ohr war „zu“, als hätte jemand Watte ins Ohr gestopft. Und dieses Mal wollte es sich nicht nach 30 Minuten erholen. Es blieb einfach so.

Montagmorgen saß ich direkt beim HNO – die Diagnose: Hörsturz. Ich bekam Kortison-Tabletten und wurde mit den Worten entlassen, dass sich das vermutlich von alleine wieder geben würde. „Wir sehen uns in zwei Wochen wieder“, mit diesen Worten verabschiedete sich meine Ärztin. Und obwohl ich mir Sorgen machte, klammerte ich mich an diesen Gedanken.

Doch in der Nacht von Montag auf Dienstag änderte sich alles. Ich wachte auf und wollte nur kurz zur Toilette gehen – aber die Welt drehte sich. Ich konnte kaum stehen, kippte zur Seite, mir wurde schlecht, ich musste mich übergeben - das war eine 12stündige Tortur, in der ich die Kontrolle über meinen Körper einfach komplett verloren hatte. Mein Gleichgewicht war aus dem Lot. Am Dienstag wurde ich dann ins Krankenhaus eingewiesen.

Es folgten mehrere Tage mit Kortison-Infusionen, Medikamenten gegen Schwindel und Übelkeit, neurologischen Tests und Gesprächen mit Ärzt:innen. Die Diagnose wurde immer klarer: vollständiger Hörverlust links und ein Ausfall des Gleichgewichtsorgans auf derselben Seite. Was mir zu diesem Zeitpunkt tatsächlich mehr zu schaffen machte, war der Ausfall des Gleichgewichtsorgans, weil ich nicht mehr richtig laufen konnte und es sich einfach immer im Kopf drehte. Ich sagte zu diesem Zeitpunkt auch schon: „Ich werde gerne ein Hörgerät tragen, bitte lass nur diesen Schwindel wieder weg gehen.“ Noch wusste ich nicht, dass mir ein Hörgerät nicht mehr helfen kann.

Eine Woche später folgte noch eine Tympanoskopie, ein kleiner Eingriff am Innenohr, der vielleicht doch noch etwas retten sollte. Aber auch dieser brachte keine Veränderung. Und irgendwann hörte ich den Satz, den ich zu diesem Zeitpunkt nicht wahr haben wollte: „Wir können aktuell nichts mehr für Sie tun, bitte informieren Sie sich über die Möglichkeiten eines Cochlea Implantats (CI).“ Diese Aussage hat wirklich gesessen. Nach so kurzer Zeit hatte ich mein Gehör eigentlich noch nicht aufgegeben und wollte das Thema CI auch noch nicht an mich heran lassen.

In den folgenden Wochen stellte ich mir unzählige Male dieselbe Frage: „Kommt das Gehör vielleicht doch zurück?“ Viele stellten mir auch genau diese Frage. Und ich antwortete jedes Mal mit „Vielleicht“. Denn es hieß immer: Wenn es sich in den ersten sechs Monaten nicht erholt, ist der Schaden meist dauerhaft. Und obwohl ich wenig Hoffnung hatte, hielt ich an diesem kleinen „Vielleicht“ fest.

Sechs Monate später wusste ich aber definitiv: Nein, es kommt nicht mehr zurück. Ich bin einseitig taub. Und diese Erkenntnis tut trotzdem immer noch weh, auch wenn ich mich langsam daran gewöhnt habe.

Parallel begann ich trotzdem bereits, mich über das CI zu informieren. Denn für mich war eins recht schnell klar, diesen Zustand werde ich so nicht lassen. Ich hatte immer Angst davor, dass mein zweites, gesundes Ohr auch noch plötzlich aussteigt - was dann? Eine Lösung musste also unbedingt her. Ich wollte die Kontrolle über mich und meinen Körper wieder zurück.

Aber inmitten all dieser Verluste gab es auch Fortschritte. :-)

Ich habe mein Gleichgewicht wiedererlangt. Anfangs konnte ich nicht mal zwei Schritte geradeaus gehen – heute balanciere ich wieder, fahre Fahrrad, bin mit meinen Kindern Achterbahn gefahren. Es ist nicht mehr ganz wie vorher, aber es ist nah dran. Nur eben… stiller.

Und dann kam die große, finale Entscheidung ca. sechs Monate nach meiner Ertaubung: Ich lasse mich implantieren.

Ich war eine geeignete Kandidatin für das Implantat, nichts sprach dagegen und so war mein Entschluss schnell gefasst. Und dann, am 24. Juni 2025, wurde ich endlich operiert. Die OP lief ohne Komplikationen, ich hatte keinen Schwindel und die Schmerzen hielten sich wirklich in Grenzen. Ich war einfach glücklich über die Entscheidung und diesen Schritt gegangen zu sein. Bereits zwei Tage nach der OP wurde mein Prozessor zum ersten Mal aktiviert, um zu sehen ob die Elektroden funktionieren. Hier konnte ich einen ersten Eindruck bekommen, wie es sich anhört und auch wie es sich anfühlt, endlich wieder ein räumliches Hören zu haben. Zwei Wochen später begann meine Hörreise mit einer Erstanpassungswoche, die von meiner implantierenden Klinik organisiert wurde. Das war wirklich toll, denn ich konnte mich nicht nur mit weiteren 15 frisch Implantierten austauschen, sondern auch ein erstes Hörtraining machen und bekam drei Anpassungen in dieser Woche und auch die Möglichkeit mit den Mitarbeitern des Herstellers meines Implantats zu sprechen und technische Fragen zu klären.

Die Entscheidung für das CI war nicht leicht, aber sie war richtig und wichtig für mich. Ich wusste, dass ich mit dem Implantat kein 100% normales Hören zurückbekommen würde – aber ich würde wieder hören können. Und das zählt.

Schon jetzt, wenige Wochen nach der OP, kann ich erste Worte und Sätze verstehen, nehme wieder Geräusche wahr, orientiere mich besser im Alltag. Es ist ein langer Lernprozess und ich weiß auch, dass der Weg meiner Hörreise gerade erst gestartet ist – aber diesen Weg gehe ich mit Dankbarkeit. Dankbar über die technischen und medizinischen Möglichkeiten, die es mittlerweile gibt. Dankbar über das „wieder-hören-können“.

Ich bin stolz auf meinen Körper. Stolz darauf, wie er sich nach dem Hörsturz so langsam wieder aufgerichtet hat. Und ich bin stolz auf die Entscheidung, diesen Weg gegangen zu sein. Mein CI ist für mich kein Makel – es ist ein Stück Hoffnung, ein Stück Normalität. Und ein Symbol für die Stärke, die ich auf diesem Weg in mir gefunden habe.

Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende. Aber ich teile sie – für alle, die sich in ähnlichen Situationen befinden. Vielleicht, um Mut zu machen. Vielleicht, um zu zeigen, dass es auch nach einem Schicksalsschlag weitergehen kann.

Mein Ohr ist zwar still, aber ich bin es nicht. Ich gehe offen mit meinem Hörsturz, der Ertaubung und der Entscheidung für das CI um und mein ganzes Umfeld weiß, was passiert ist und welche Folgen dies alles für mich hat. Eine Hörschädigung sollte man nicht verstecken müssen. Wir alle sollten damit einfach offen umgehen und darüber reden - denn nur die Aufklärung darüber schafft Verständnis, Akzeptanz und Integration.

Viele Grüße,
Ines Kasuch
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@insta_of_ines
Juli 2025