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Ich bin gebürtige Sauerländerin, wohne in Welver, zwischen Hamm und  Soest. und bekam durch die Rötelninfektion meiner Mutter von Geburt an, die an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit. Seit drei Jahren bin ich mit dem CI beidseitig versorgt.

Ich möchte euch gerne meine Hörgeschichte schreiben. Das ist aber ein langer Text, da ich sehr viele Hörereignisse erlebt hatte bis heute, welche in guten und schlechten Zeiten waren.

Mit meinen Eltern und meinen Geschwistern (ein Bruder und eine Schwester) bin ich seit meiner Geburt in normaler Lautsprache aufgewachsen und auf das Mundablesen angewiesen gewesen. Trotz analoger oder später digitaler Hörgeräte war das akustische Hören nicht möglich. In dieser Familie bin ich die Jüngste.

Im Alter von drei Jahren trug ich zum ersten Mal zwei kabelgebundene Hörgeräte mit einem Schalter und einem Band und konnte damit ein paar Geräusche wahrnehmen, wie zum Beispiel Autos, Wasser, Stimmen meiner Familie. Jedoch hatte ich Schwierigkeiten mit meiner Aussprache und den Verständnissen, wer „Wer“ ist oder was „Was“ ist.

Meine Mutter und meine Schwester bemühten sich sehr, dass ich lernte, alles beim richtigen Namen zu nennen. Meiner Schwester war es damals peinlich, dass ich zu meiner Tante auch „Mama“ sagte. Tja, anfangs wusste ich wirklich nicht, was ein Auto ist oder Ball oder dass es Unterschiede bei Personen gab, wie man sie nennt. Aus diesem Grund hörte meine Mutter auf zu arbeiten und kümmerte sich so gut es ihr möglich war um mich.

Ich ging in einem sauerländischen Dorf in einen Regelkindergarten und kam mit den Kindern dort gut zurecht. Einer dort als Kindergärtnerin beschäftigten Nonne fiel auf, dass ich akustisch nicht alles verstand und mitbekommen hatte, was mir die Kinder und Kindergärtnerinnen erzählten. So sprach die Nonne meine Mutter auf das Problem an und empfahl ihr, mich besser in einen speziellen Kindergarten für Hörgeschädigte zu schicken. Dort würde man auf meine Hör- und Aussprachproblematik besser eingehen können. So ging ich nach einem Jahr nach Iserlohn in den Kindergarten für Hörgeschädigte, wo ich mich sehr gut eingelebt hatte und auch wohl fühlte. Dort waren Kinder, die gehörlos und schwerhörig waren. Die Kindergärtnerinnen dort gingen auf meine Problematik ein und sorgten dafür, dass vor einem Spiegel die Aussprache mit mir geübt würde. Man legte mir meine Hand an den Hals des Therapeuten und ich spürte ein Vibrieren. Da war ich sehr überrascht gewesen, dass ich seine Stimme hörte. Nur verstehen könnte ich noch nicht. Er zeigte mir anhand seiner Lippenbewegung im Spiegel, wie ich meine Lippen bewegen musste. Da musste ich das richtige Ablesen vom Mund lernen. Das Verstehen und Sprechen fiel mir sehr schwer. Insgesamt brauchte ich zwei Jahre dafür.

Nach der Kindergartenzeit schickte meine Mutter mich 1978 auf die Westfälische Schule für Schwerhörige und nicht für Gehörlose. Dafür bin ich meiner Mutter sehr dankbar. Denn ich war damals nicht gehörlos, sondern hochgradig an Taubheit grenzend schwerhörig. Dort fühlte ich mich sehr wohl und kam gut zurecht, obwohl es für mich hin und wieder schwer war, da meine Klassenkameraden/-innen damals leicht- bis mittelgradig schwerhörig waren und es mit der Aussprache leichter hatten, da sie akustisch alles besser verstanden. Trotzdem gab ich nie auf und kämpfte mich durch, damit ich auch eine gute Aussprache bekam, soweit ich es akustisch aufnehmen konnte und es mir möglich war. Wir trugen damals alle analoge Hörgeräte. Elf Jahre ging ich dort auf die Schule und schloss sie mit der mittleren Reife ab. Es war eine schöne aber auch schwere Zeit für mich gewesen, da ich akustisch den anderen im Nachteil war. Trotzdem habe ich es geschafft.

Im Jahr 1989 machte ich meine Ausbildung zur Vermessungstechnikerin in der damaligen Vermessungsbehörde Arnsberg. Damals machte ich die Ausbildung mit zwei hörenden Azubis, die anfangs mit mir und meiner Hörschädigung nicht klar kamen. Das war ein hartes Stück Arbeit für mich. Es kam deshalb oft zu Missverständnissen, woran ich mit Sicherheit teilweise nicht ganz unschuldig war. Nachdem ich langsam die Beiden aufgeklärt hatte, worin die Problematik der Kommunikationsprobleme lag, bemühten die zwei sich und schauten mich an, wenn sie mir was mitteilen wollten. Sie sahen mich beim Außendienst oder bei Dienstbesprechungen an und wiederholten auch schon mal, bis ich es verstanden hatte. Während meiner Ausbildung ging ich 5 x zum Blockunterricht in die Berufsschule für Hörgeschädigte nach Essen. Während dieser Zeit lernte ich dort zwei Gehörlose und einen Schwerhörigen kennen. Bei den Gehörlosen war die Gebärdensprache die „Muttersprache“. Das faszinierte mich so stark, dass ich damals begann die Gebärdensprache zu lernen. Es klappte sehr gut und ich lernte schnell, dank der beiden Gehörlosen.

Als ich die Ausbildung erfolgreich beendet hatte, wurde ich in der Vermessungsbehörde übernommen und war beim Amt für Agrarordnung bis 1997 tätig. Ein Gutachter hatte das Amt für Agrarordnung geschlossen und es wurde aufgelöst. Man versetzte mich dann als Technische Angestellte zur Bezirksregierung Arnsberg in die Abteilung Liegenschaft und Kataster. Ich bin den hörenden Kollegen, die mich bei den Kommunikationsproblemen während meiner Ausbildung und in den ersten Jahren tatkräftig unterstützt hatten, sehr dankbar. Durch sie hatte sich meine Aussprache gut verbessert.

In der neuen Abteilung brauchte ich etwas Zeit um mich einzuarbeiten. Anfangs hatte ich die Befürchtung, dass es erneut Kommunikationsprobleme geben könnte. Das war nicht der Fall. Die neuen Kollegen gaben sich von Anfang an viel Mühe und sahen mich an, wenn sie mit mir sprachen. Auch wiederholten und erklärten sie etwas, wenn ich es akustisch oder von der Bedeutung nicht verstanden hatte. Bei den Dienstbesprechungen hatte ich dann Dolmetscher als Unterstützung dabei.

2009 begann ich mit einem Fernstudium für Software-Entwicklung, da ich bei der Arbeit weniger zu tun und dafür die Zeit hatte. Es waren vier sehr harte Semester in Darmstadt für mich gewesen. Obwohl ich bei den Vorlesungen der Dozenten vorne saß und zwei Dolmetscher hatte, so hatte ich nicht alles verstanden. Die Dozenten sprachen sehr schnell und viele Begriffe kannte ich erst nicht. Manchmal dachte ich, „Das packst du nie“. Durch harte Arbeit zu Hause lernte ich die Bedeutung der vielen Fachbegriffe. Und ich schaffte den Abschluss erfolgreich.

Als ich 2011 nach Soest in die Zweigstelle des Regierungsbezirks Arnsberg versetzt wurde, war ich an der Entwicklung der Software beteiligt, die wir in der Behörde für Vermessungstechnik brauchten. Dort bin ich richtig glücklich und merkte, dass ich sehr viel Spaß und Freude bei der Arbeit habe. Es gibt hier auch keine Probleme im Bereich der Kommunikation. Bei den großen Besprechungen benötige ich auch hier Dolmetscher. Die Kollegen sprechen bei der Besprechung auch nicht durcheinander, sondern einzeln, so dass meine Vorgesetzte mir sagte, „Seit ich dort bin, geht es viel ruhiger und disziplinierter zu.“

2014 merkte ich, dass mein rechtes Gehör nachgelassen hatte. Da hatte ich mich gefragt, woher dies wohl kam. Der erste Gedanke war, der Stress bei der Arbeit. Dazu muss ich sagen, dass ich kurz davor neue digitale Hörgeräte bekommen hatte. Es war ein seltsames Gefühl von Hören, ich hörte das erste Mal wie der Magen knurrt und noch einige andere mir bisher unbekannte Geräusche.

Nach einiger Zeit merkte ich, dass das Gehör trotz der neuen Geräte nachließ. Ich sprach darüber mit dem Akustiker damals und er konnte es sich zuerst nicht erklären.

Ich hatte gedacht, dass ich mich daran gewöhnen könnte, langsam aber sicher taub zu werden. So hatte ich einige schlaflose Nächte gehabt, wo ich mich immer wieder fragte:

  • „Was ist mit der Musik, die ich so geliebt habe?“
  • „Muss ich all meine CDs entsorgen oder verschenken, weil ich sie nicht mehr hören kann?“
  • „Meine ganze Familie ist musikalisch und spielt ein Instrument.“ „Warum bin ich die Einzige, die kein Instrument spielen kann, da ich die Noten nicht verstehe?“
  • „Wie reagieren all meine Bekannten, Kollegen, Freunde und meine Familie, wenn ich vier bis fünfmal wieder nachfrage, was sie gesagt haben?“ „Sind sie genervt?“ „Haben sie noch Motivation zu wiederholen?“ „Rutsche ich dann in die Isolation?“
  • „Werden sich alle nach und nach von mir fernhalten und ich alle verlieren?“ „Stehe ich irgendwann alleine da?“

So viele Ängste und Sorgen, die mir viele Nächte den Schlaf geraubt hatten.

Da kam mir die Frage wegen eines Cochlea Implantats, kurz CI, auf. Damals hatte ich noch viele Zweifel und Ängste vor dieser Technik.

Mein Akustiker und mein HNO Arzt sprachen mich auf diese Möglichkeit an, da mein Audiogramm immer mehr absackte. Beide klärten mich ausführlich darüber auf und baten mich darüber nachzudenken. Aber wie schon geschrieben, ich hatte vor dieser Technik damals viel Angst und Zweifel und das schon seit längerer Zeit.

Ich wollte mich nicht damit abfinden, nie mehr meine Musik zu hören und evtl. doch noch Kommunikationsprobleme zu bekommen am Arbeitsplatz oder dort etwas in den falschen Hals kommt, weil ich nur Bruchteile verstehe und mir den Rest falsch zusammen reime und dieses auch zu Streit und Stress führen wird.

So entschloss ich mich, einen guten Bekannten anzusprechen, der beidseitig mit einem CI versorgt ist. Dieser empfahl mir, Kontakt mit einer Selbsthilfegruppe aufzunehmen und dass ich dort versuchen sollte, all meine Zweifel und Fragen loszuwerden.

So besuchte ich eine Selbsthilfegruppe, die bei mir in der Nähe war. Dort bombardierte ich alle mit meinen Fragen und war hinterher total erstaunt, dass die Antworten überwiegend identisch waren. Ich fuhr dann erleichtert nach Hause.

So nahm ich über den HNO-Arzt Kontakt zur Kölner HNO-Klinik auf und ließ mich dort zwei Tage untersuchen. Man machte mit mir viele Tests und diverse Untersuchungen bezüglich der Hörnerven. Die Ärzte dort sagten mir, dass der Hörnerv intakt ist und einer OP nichts im Wege stände und gaben mir grünes Licht. So saß ich dann mit einer Audiologin zusammen und sie stellte mir die Hersteller MED EL, Advanced Bionics und Cochlear vor. Man zeigte mir alles von den einzelnen Geräten und das Zubehör. Am zweiten Tag der Voruntersuchung musste ich mich aus der Flut von Informationen, die ich bekommen hatte, für einen Hersteller entscheiden.

Am Ende kamen zwei Hersteller in die engere Wahl und die Audiologin beantwortete mir alle Fragen, die ich noch hatte. Nach langem Abwägen der Vor- und Nachteile entschied ich mich für das Nucleus 6 von Cochlear. Ausschlaggebend war für mich die Wireless- und Bluetoothfähigkeit.

Die Ärzte erklärten mir den Ablauf der OP und klärten mich über die Risiken auf. Zuerst dachte ich: „Oh Gott, so viele Risiken?“ Doch ich ließ mich nicht entmutigen.

Im Oktober 2014 war es soweit. Meine erste CI-OP.  Es verlief „Gott sei Dank“ ohne Komplikationen. Kurz nachdem ich auf meinem Zimmer war, konnte ich schon wieder aufstehen. Ich war ganz happy, dass alles gut verlaufen war. Schon am nächsten Tag war ich fit wie ein Turnschuh und machte die Klinik unsicher.

Die Ärzte gaben mir einen Termin für die Erstanpassung in fünf Wochen. Natürlich war ich ganz aufgeregt, als ich entlassen wurde und zuhause war.

„Wie wird es sein, das erste Mal hören mit CI?“ „Habe ich alles richtig gemacht oder werde ich enttäuscht sein?“

Dann war es soweit. Der große Tag war da und ich so aufgeregt, wie ein kleines Kind vor dem Christbaum. Der Sprachprozessor wurde mit meinem CI verbunden und ich war so aufgeregt. Dann kamen die ersten Töne rein und ich könnte es hören. Es war zwar sehr leise, aber nach und nach wurde die Lautstärke angehoben.

Das Tolle war, als man mir Zahlen und Wörter einspielte, dass ich schon etwas verstanden hatte.  Oh man, was war ich happy, dass es funktioniert. Klar wusste ich, dass jetzt eine harte Zeit des „Hören lernen“ auf mich zukam.

So stellte ich ein halbes Jahr später einen Reha-Antrag, der dann auch für die Bosenbergklinik in St. Wendel bewilligt wurde. Für März 2015 hatte ich meinen Termin dort bekommen. In den acht Wochen, die ich dort verbrachte, entwickelte sich mein CI unheimlich weiter. Dort lernte ich viele nette Menschen kennen, mit denen man sich sehr gut austauschte. Ich bin dem ganzen Team an der Bosenbergklinik sehr dankbar, dass sie mich so weit gebracht hatten.

Nach der Reha entwickelte sich mein linkes implantiertes Ohr sehr gut weiter. Irgendwann bemerkte ich, dass mit die rechte Seite leiser wurde. Erst hatte ich es auf mein Hörgerät geschoben und ließ es prüfen beim Akustiker. Er sagte, dass es in Ordnung wäre. So verging noch eine kurze Zeit, wo mir aufgefallen war, dass meine linke Seite mit CI immer stärker wurde.

So ließ ich meine rechte Seite prüfen vom HNO und bekam die Bestätigung, dass mein CI das Hörgerät überflügelt hatte. Ohne groß darüber nachzudenken, machte ich in Köln einen Termin und es dauerte nicht lange bis ich den OP Termin für die rechte Seite bekam. So verabschiedete ich mich von meinem digitalen Hörgerät und dem Ohrpassstück im August 2015.

Auch diese OP verlief ohne Komplikationen. Ich freute mich auch hier auf die Erstanpassung. Die Frage war ja: “Wie ist es mit der rechten Seite und wie gut stellte sich mein Gehirn auf die neuen Höreindrücke ein?“ Und als ich die Erstanpassung hinter mir hatte, da war ich sprachlos, dass ich mit der rechten Seite schon Dinge hören könnte, was mit dem Hörgeräten nicht möglich schien. Einfach unglaublich wie schön bilaterales Hören ist. Man kann sagen ein Genuss.

Im Mai 2016 machte ich eine sechswöchige Reha wieder an der Bosenbergklinik und das Hören auf beiden Ohren hat sich auch prima entwickelt.

Hörergebnisse mit CI, welche ich vorher mit analogen bzw. digitalen Hörgeräten nie gehört habe:

- Zu meinem Bruder sagte ich, dass ich höre, wie oft die Uhr tickt. Er war verblüfft und konnte es nicht glauben.

- Meine Mutter war erstaunt, dass ich das Gespräch im Flur mitbekam, als ich im Wohnzimmer saß.

- Ich stand im Wohnzimmer meiner Wohnung und wunderte mich, wo das seltsame Geräusch herkam, welches ich wahrnahm. So suchte ich es und entdeckte bei der Lampe an der Decke eine Fliege, die um die Lampe flog. Es war ein „zzzisch“.  Wow…sowas kann ich hören, was war ich verblüfft.

- Als ich eine Flasche Sekt aufmachte, hörte ich „Zssch“ und goss ihn in das Glas. Nun hörte ich ein Geräusch, was sich seltsam anhörte. Es kam vom Schaum des Sekts. „Wahnsinn!“

- Ich bin ein paarmal in dem Wald spazieren gegangen und stand auf dem Asphalt, Da ich plötzlich etwas bemerkte, was ich vorher auch nicht kannte. Ich lauschte und es kam von dem Wind, der zwischen den Bäumen blies und die Blätter zu Boden pustete. Dieses Rascheln und Knistern der Blätter hörte sich unglaublich toll an. Innerlich freue ich mich auf die vielen neuen Geräusche und Töne die mir die Natur noch zeigen wird.

So, das waren meine Hörerlebnisse!

Seit 1 ½ Jahre gehe ich regelmäßig einmal pro Woche zur Logopädie, die sich in Hamm befindet. Meine Motivation steigert sich immer wieder, weil ich so neugierig bin,  was ich hier noch alles „Hören“ lerne. Mit dem Telefonieren muss ich noch viel üben bis es soweit ist, dass ich alles verstehen kann. Das ist mein nächstes großes Ziel. So macht es mir viel Spaß!

Ich bereue nichts, dass ich zwei Cis habe, ich möchte sie nie wieder hergeben.

Von Judith Klute