Im Mai 2016 musste ich mich auf eine Reise begeben, die so nicht geplant war. Von einem Tag auf den anderen, musste ich mich auf den Weg begeben in die Welt der Hörgeschädigten und Hörbehinderten und musste mich mit dem Cochlea-Implantat auseinandersetzen. Ich bin morgens wach geworden und habe plötzlich links nichts mehr gehört.
Mein Kopfgefühl war furchtbar. Ich fühlte mich als hätte ich eine furchtbare Erkältung und hätte eine riesige Glocke über dem linken Ohr. Ich bin trotzdem noch zur Arbeit gefahren und am nächsten Morgen zu meiner Ärztin. Diese machte für den nächsten Tag einen Termin bei einem HNO-Arzt.
Warum sie nicht darauf drängte sofort dorthin zu fahren, verstehe ich heute nicht. Hätte ich geahnt, was auf mich zukommt, wäre ich vielleicht gleich direkt ins Krankenhaus gefahren. Hinterher ist man immer schlauer. Ob es was geändert hätte, weiß mach auch nicht.
Beim HNO-Arzt wurde der übliche Hörtest gemacht und ich wurde sofort ins Krankenhaus eingewiesen. Dort erfolgten die üblichen Rettungsversuche mit Infusionstherapie, Tympanoskopie und Direkteinspritzung von Kortison hinter das Trommelfell. Nichts hat angeschlagen, ich stand unter Schock.
In der Klinik wechselte gerade der Chefarzt und der Neue kam von der MHH in Hannover und sprach mich auf das Cochlea-Implantat an. Seit dem Tag habe ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt. Anfangs war die Hoffnung noch sehr groß, das kann nicht sein, da kommt was wieder.
In meinem neuen Alltag musste ich feststellen, dass die akustische Welt plötzlich eine völlig andere ist. Normale Aktivitäten waren plötzlich nicht mehr möglich. Mein Gehirn ist mit dem einseitigen Input nicht klar gekommen.
Mein erster Restaurantbesuch wurde für mich zu einer Katastrophe. Gefühlt saß ich in einer überlauten Diskothek an einem gedeckten Tisch und hatte große Schwierigkeiten meine Tischnachbarn zu verstehen.
Normal befahrene Straßen wurden zu mehrspurigen Autobahnen, eine laute Umgebung wurde für mich zur Qual. Ich fühlte mich ständig erschöpft und müde durch die plötzliche Höranstrengung. Sich zu konzentrieren fiel auch plötzlich sehr schwer, ich habe sofort meine Arbeitszeit reduziert.
Dazu kam dann noch, dass mein Umfeld meistens diese Erkrankung mehr als bagatellisiert hat. Stell Dich nicht so an, Du hast ja noch ein Ohr. Deine Krankheit ist nicht tödlich, folglich nicht schlimm. Jeder findet seine eigene Erkrankung am schlimmsten.
Ich bin gar nicht ansatzweise dazu gekommen, zu erzählen was sich in meinem Leben verändert hat und warum ich damit so schlecht zu Recht komme. Es ist aber eine Behinderung / Einschränkung, die alles verändert und es gibt keine Hoffnung auf Heilung.
„Willkommen im Club der Schwerhörigen“ durfte ich mir von einem Bekannten anhören, der weder ein Hörgerät noch ein CI trägt. Der Verlust meines Sinnesorganes wurde mit einem Taubheitsgefühl in der Lippe verglichen (ohne optische Einschränkungen) oder mir wurde ein künstliches Hüftgelenk im Tausch gegen mein Ohr angeboten, wobei die betroffene Person damit noch am Triathlon teilnimmt. Krankheiten sollte man grundsätzlich nicht vergleichen.
Selbst eine sehr lange Freundschaft zerbrach, weil kein Verständnis dafür da war, wie einschneidend das Ereignis für mich war. Ich war schon aufgrund meiner Hörstörung zur Reha in Bad Nauheim. Dort sagte man mir, der Verlust meines Ohres sei so schwer zu verarbeiten, wie der Tod eines sehr geliebten Menschen.
Ich schreibe hier so ausführlich darüber, weil mich das zusätzlich unglaublich belastet hat und ich es für sehr wichtig halte, dass es Freunden und Angehörigen bewusst werden sollte, das der Verlust eines Ohres mehr ist, als ein kleiner Schnupfen.
Mein Appell an alle Hörenden, wenn jemand auch nur eins von beiden Sinnesorganen verliert, dann ist das keine Bagatelle, sondern stellt das Leben vollkommen auf den Kopf.
Es ist nicht einfach mit einem Ohr nicht zu hören, sondern es bedeutet in sehr vielen Situationen nicht mehr verstehen oder nicht mehr richtig wahrnehmen!
In lauter Umgebung hört man ja noch, aber man versteht das gesprochene Wort nicht mehr. Man kann nicht mehr orten, wo ein Geräusch herkommt. Wird man angesprochen bekommt man nicht mehr, rein von der Akustik mit, von wo.
Ein Tinnitus und eine Hyperakusis sind sehr häufig eine Begleiterscheinung dieser Behinderung. Eine früher normale Umgebung ist plötzlich unerträglich laut. Man sucht die Stille.
Natürlich waren nicht alle Erlebnisse so. Ich habe auch andere Reaktionen erlebt und diesen Menschen bin ich unglaublich dankbar. Heute muss ich mit den Tränen kämpfen, wenn ich in die Verlegenheit komme, über meine Erkrankung zu sprechen und so etwas wie Verständnis bekomme.
Jetzt komme ich zu meiner medizinischen Versorgung. Die war in meinen Augen vorbildlich. Mein HNO-Arzt hat mich sehr bei der Beantragung der Reha unterstützt. Er selber ist davon ausgegangen, dass es ein langer Prozess mit Widerruf wird. Die Reha wurde sofort genehmigt. Die Wartezeit in der Klinik führte aber dazu, dass ich die Rehabilitation erst im November antreten konnte.
Dort bin ich endlich auf Verständnis gestoßen, konnte viel über das CI erfahren, habe sehr nette Menschen und auch neue Freunde kennengelernt. Die Informationen und Therapien, die ich in der Klinik bekam, waren mehr als hilfreich. Ich konnte schon dort die Versorgung mit einem Cross Hörgerät testen, welches für mich aber nicht zufriedenstellend war. Entlassen wurde ich mit einer eindeutigen Empfehlung für das CI. Im Dezember begann meine intensive Planung.
Auch hier war mein HNO-Arzt sehr hilfreich. Es war kein Problem, mehrere Überweisungsscheine für ein Vorgespräch zu bekommen. Da die Nachsorge nach einer Implantation sehr wichtig ist, wollte ich mir mehrere Kliniken anschauen.
„Implantieren könne heute fast jeder, aber die Nachsorge sei wichtig“. Diese Aussage während meiner Reha hat mich dazu bewogen, mehrere Kliniken abzuklopfen.
Im Januar fiel meine Wahl auf eine kleinere Klinik, die schon seit Jahren Patienten mit dem CI versorgt und ein Nachsorgekonzept anbietet, welches mir sehr gut gefiel.
Am 25.01.2017 ging es zur Vorsorgeuntersuchung für drei Tage in die Klinik. Auch der Promontoriumstest blieb mir nicht erspart. Dort wird mit einer kleinen Elektrode getestet, ob der Hörnerv noch intakt ist. Hört sich furchtbar an, da man durch das Trommelfell durchgeht, für mich war er nicht so dramatisch. Ich kann mich durchaus an Besuche beim Zahnarzt oder Kieferchirurgen erinnern, die ich als wesentlich schlimmer empfand. Alle Tests sprachen für das Cochlea-Implantat!
Am 21.03.2017 sollte ich wieder in die Klinik kommen und am 22.03.2017 war dann der Termin für die OP.
Kurz vorher gab es nur eine kleine Unsicherheit, da die Genehmigung der Krankenkasse sehr spät kam. Das packen der Tasche für die Klinik war schon etwas komisch. Was kommt auf mich zu? Will ich das wirklich? Mein toter halber Kopf war Motivation genug.
In der Klinik angekommen, war der erste Tag noch mit reichlich Terminen bestückt: Gleichgewichtstest, Geschmackstest, Termin mit dem Anästhesisten etc. Ich konnte recht gut abschalten und von daher gut schlafen.
Nachdem ich am nächsten Morgen mit der l.m.a.A.-Tablette versorgt war und mit der Schwester im OP-Saal angekommen bin, musste ich plötzlich weinen. Der endgültige Abschied von meinem alten Leben stand bevor. Ich werde nie mehr normal hören.
Wenn die Elektrode im Ohr ist, werden meine Sinneszellen 100% nie mehr wieder kommen und für mich arbeiten, wie vor dem Hörsturz. Völlig unrealistisch, denn nach dieser Zeit wird nichts mehr wieder kommen und so wie es nach der Ertaubung war, konnte es auch nicht bleiben!
Die OP verlief völlig komplikationslos. Die Narkose habe ich sehr gut vertragen. Noch am gleichen Tag konnte ich aufstehen. Ich brauchte keine zusätzlichen Schmerzmittel. Schlafen war noch einige Zeit nach der OP schwierig. Ich habe zu Hause noch eine ganze Zeit mit hochgestelltem Kopfteil geschlafen oder habe die Nacht zum Tag gemacht.
Eine Woche war ich in der Klinik. Für mich war das gut so. Bei Komplikationen hätte ich über eine Stunde fahren müssen, um wieder in die Klinik zu kommen.
Am letzten Tag wurden erste Töne getestet. Als Hören möchte ich das nicht bezeichnen, aber es scheint zu funktionieren! Erleichterung macht sich breit.
Am 08.05.2017 ging es dann zur Erstanpassung. Ein riesiger Karton mit der Ausstattung wartete auf mich. Die ersten Töne wurden aufgespielt. Ich hatte nicht sofort ein Sprachverstehen, aber es kamen wieder Geräusche an.
In der ersten Woche hatte ich dann das Erlebnis, das man bei den blechernen Geräuschen am ehesten etwas verstehen kann, wenn man in etwa weiß, worum es geht. Hörtraining bringt einen im Sprachverstehen wirklich weiter. Zahlen gehen irgendwie schneller als Wörter. Ich höre Hörbücher und übe mit Apps, die angeboten werden, über das Audiokabel.
Ich habe als einseitig Versorgte das Gefühl, die Erfolgserlebnisse sind moderater. Das Gehirn geht den Weg des geringsten Widerstandes und ich verstehe heute noch eher mit dem hörenden Ohr. Eine Audiologin sagte mir, das hörende Ohr wird dominant bleiben.
Aber mein Kopfgefühl ist schon ein wesentlich besseres. Es geht einem insgesamt besser. Und sollte sich mein noch hörendes Ohr auch verabschieden, habe ich dem etwas entgegen zu setzten. Es wird mir möglich bleiben, mich mit Sprache auszutauschen! Sehr viele Ängste wurden mir durch das CI genommen.
Ich bin am Anfang meiner Hörreise und bin gespannt was noch kommen wird. Die Entscheidung schon direkt nach der Ertaubung für das CI hat ein gutes Ende genommen und war richtig.
Ich bin mehr als dankbar, dass man heute auch einseitig Ertaubte versorgt. Ich bin dankbar, dass ich zur Reha durfte und dort meine Entscheidung noch gefestigt wurde und dass ich dort auch menschlich Hilfe bekam. Nach einem solchen einschneidenden Erlebnis sollte eine Reha aus meiner Sicht eigentlich obligatorisch sein.
Und ich hoffe sehr, dass die Problematik einer Hörschädigung besser bekannt wird. Jede zwischenmenschliche Enttäuschung und Empathielosigkeit ist eine zu viel.
Man hat nicht zwei Ohren um eines problemlos verlieren zu können. Jeder geht sicher damit anders um.
Während meines Klinikaufenthaltes zur Implantation traf ich eine Frau, die gerade das Trauma der einseitigen Ertaubung hinter sich hatte und sehr verzweifelt war. Ich kenne inzwischen Menschen, die nach einem solchen Ereignis auch nach einem Jahr noch nicht wieder arbeitsfähig sind.
Der Besuch einer Selbsthilfegruppe ist einmal im Monat ein fester Bestandteil meines Lebens geworden. Diese wurde auch neu gegründet und ich bin das erste Mal zusammen mit einer netten Freundin, die ich in Bad Nauheim kennenlernen durfte, hingegangen.
Ich habe mir hier einiges von der Seele geschrieben und wenn es nur einem Menschen hilft, der in die gleiche Situation kommt, dann habe ich sehr viel erreicht.
Man sollte sich auch mit der Entscheidung für das CI nicht so schwer tun. Es ist für mich eindeutig eine Verbesserung.
Ich bin letztens in einem Bus gefahren. An meiner tauben Seite saß ein fremder Herr. Er fragte mich, ob ich am nächsten Halt auch aufstehe. Ich habe es offensichtlich erst bei der zweiten Ansprache mitbekommen, aber ich habe es mitbekommen.
Ohne CI wäre das nicht so gewesen und der Herr hätte sicher gedacht, was ist das für eine komische Person…
Anja Voutta