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Mit 12 Jahren hatte ich bereits deutliche Hörprobleme. Gut ein Jahr später war es mir bereits nicht mehr möglich dem Schulunterricht zu folgen. Die Lehrerschaft konnte mit Hörproblemen auch nicht umgehen. Weil ich nicht verstand, wurde ich zum Psychiater geschickt. Deshalb besuchte ich dann in einem Internat (einer Schwerhörigen Schule) die letzten beiden Schuljahre. Zudem war ich während meiner Schulzeit sehr oft krank, nicht zuletzt wegen einer überstandenen Leukämie und jahrelanger Anämie.
 
Nach der Schule hatte ich eine 4-jährige Ausbildung zum Hochbauzeichner mit Erfolg absolviert. Im Berufsleben musste ich dann feststellen, dass ein Behinderter mehr und besser arbeiten muss als ein Gesunder, um überhaupt Karriere machen zu können. Um sich dann in der erreichten Position zu halten, bedarf es noch grösserer Anstrengungen. Daher hatte ich mit 34 Jahren, berufsbegleitend, einen weiteren Berufs-Abschluss als Werbefachmann gemacht, um besser qualifiziert zu sein. In all meinen Berufsjahren hatte ich zudem immer wieder Weiterbildungskurse besucht.
 
Durch viel Stress und ein übermässiges Arbeitspensum, ich war auch Werbeleiter in einem internationalen Unternehmen, sowie der immer wieder präsenten Angst einmal entlassen zu werden, nahm meine Gesundheit kontinuierlich ab. Mehrere Hörstürze waren eine logische Begleiterscheinung. Dann nicht lange nach meinem 3. Hörsturz, war am 31.10.93 der Tag, an dem ich aus dem aktiven Berufsleben aussortiert wurde. Obwohl ich in der Folge ca. 500 Bewerbungen gemacht hatte, fand ich keine feste Anstellung mehr. Bei jedem Vorstellungsgespräch, nachdem meine Gesundheit zur Sprache kam, war der Zug abgefahren. Daher musste ich auch stempeln gehen. Da ich aber immer einen Zwischenverdienst deklarieren konnte, wurde ich nicht ausgesteuert. Leider aber ging es mit meiner Gesundheit immer mehr bergab, wobei die Existenzangst dabei natürlich mithalf.
 
Im Jahr 1995 eröffnete ich eine Werbeagentur. Dies ermöglichte mir eigenständig in Teilzeit zu arbeiten. Im gleichen Jahr ertaubte ich, nach einem weiteren Hörsturz, auf beiden Ohren völlig. Ich hatte aber schon vorher, seit vielen Jahren, praktisch kein Restgehör mehr gehabt. Durch meine völlige Ertaubung erlitt meine Agentur einen Einbruch.
 
Da ich mich immer auf dem Laufenden gehalten hatte, wusste ich über CIs schon gut Bescheid. Für mich war es keine Frage, dass ich mich werde operieren lassen. Im März 1996 ließ ich mir auf der linken Seite mein erstes CI implantieren. Nach der Aufschaltung des CIs durfte ich eine Neugeburt, betreffend Hören, erleben. Zuerst tönte es ein wenig wie ein kaputter Radio. Jedoch bereits nach wenigen Tagen war der Höreindruck bereits sehr natürlich. Nach ca. zwei Monaten stand für mich fest, dass meine Erwartungen an das CI übertroffen wurden. Ich höre z. B. Vogelzwitschern oder die hohen Töne einer Querflöte, etwas was ich als Hörgeräteträger nie gehört hatte. Es ist erhebend wieder in ein Konzert zu gehen und einzelne Instrumente unterscheiden zu können.
 
Ich hatte mein Gehör intensiv trainiert, um so aus meinem wiedergewonnen Gehör ein Optimum herauszuholen. Ich hatte mit CDs gearbeitet, um Geräusche zu identifizieren und mit dem Telefon hatte ich Gespräche geführt. Dabei wurden mir völlig unbekannte Texte vorgelesen, welche ich korrekt interpretieren musste. Dabei hat man ja keinen Sichtkontakt, daher braucht das Training viel Geduld, es bringt aber sehr viel. Ich wollte mich soweit als möglich auf das Gehör verlassen können. Das Ablesen hatte ich nie erlernt, weil es beim Telefonieren nichts bringt.
 
Trotz der Implantierung musste ich mein Hobby, das Tauchen nicht aufgeben. Ich tauche seit 1983. Hatte mich auf diesem Gebiet auch weitergebildet. Bin Tauchlehrer, bei PADI (Master Scuba Diver Trainer) und bei CMAS (Two Star Dive Instructor).
 
In den weiteren Jahren verschlimmerte sich mein Gesundheitszustand fortlaufen. Dazu trug auch die Versicherung bei. Diese wollte mich unbedingt zum eidg. diplomierten Buchhalter umschulen lassen. Obwohl Fachleute dieses hochgesteckte Ziel, insbesondere wegen meiner Gesundheit, als nicht erreichbar beurteilten, musste ich mich 1¾ Jahre durchquälen. Ich sollte zu 70% in einer Treuhandfirma arbeiten und gleichzeitig das sehr anspruchsvolle Fern-Studium absolvieren. Ich war völlig überfordert und erlitt Zusammenbrüche. Erst nachdem mein Invaliditätsgrad von 40% auf 60% gestiegen war, hatte die Versicherung endlich ein Einsehen. Danach konnte ich zu 40% Stempeln gehen und in Teilzeit meine Werbeagentur wieder führen, um wiederum einen Zwischenverdienst erzielen zu können. Schlussendlich griff dann der Sozialdienst der Arbeitslosenversicherung ein (ich war ja nicht vermittelbar). Nach Absprache mit der Versicherung, wurde in einer Firma während drei Monaten, meine Leistungsfähigkeit beurteilt. Meine Einsatzfähigkeit auf Dauer wurde dann mit 30% beziffert. Neben der Invalidenrente führte ich, wieder in Teilzeit meine Werbeagentur, allerdings nun mit sehr mäßigem Erfolg, weiter. Ich hatte mich zu lange und viel zu wenig darum bekümmern können.
 
In der Schweiz bekamen ältere Patienten durch die Invalidenversicherung kein zweites CI bewilligt. Nur in wenigen Fällen wurden durch eine Krankenkasse, aus Goodwill, ein zweites CI finanziert. Die Krankenkassen übernehmen die inneren Teile, das Implantat und die medizinischen Kosten. Die Invalidenversicherung hingegen finanziert die äusseren Teile, den Prozessor, die Programmierung und die Reparaturen. Die Krankenkassen finanzieren aber in der Regel nur, was vorgängig die Invalidenversicherung bewilligt hatte.
 
Ich beteiligte mich an vielen Studien- / Forschungs-Projekten bei Kliniken und bei der Firma MED-EL. Auf Grund meiner Einsätze bekam ich im September 2001 auch auf der rechten Seite ein Implantat, durch Forschungsfonds von MED-EL und der HNO-Uniklinik Insel in Bern finanziert.
 
Danach konnte ich das Richtungshören intensiv trainieren. Sehr schnell konnte ich von dem zweiten Gerät profitieren. Welch ein Gefühl, dass ich nun in der Lage war, die Richtung aus welcher ein Geräusch kam, zu bestimmen. Ich konnte nun auch wieder Stereo-Musik hören. Zudem stellte ich sehr bald fest, dass ich mit zwei CIs besser den Gesprächen folgen konnte. Da ich nun mit zwei Geräten höre, kann ich abwechslungsweise mein "Ohr" meinem linken und rechten Gesprächspartner leihen. Die Verständigung mit zwei CIs ist eindrücklich besser als mit nur einem Gerät. Nicht zuletzt bringt das Richtungshören im Straßenverkehr mehr Sicherheit.
 
Am 1.3.05 gründete ich eine Firma für Gehöruntersuchungen. Die Ärzte vermittelten mir das nötige Wissen für meine Arbeit. In der Folge arbeitete ich in der HNO-Uniklinik als Selbständiger. Natürlich hatte ich auch eine Berufsversicherung. Bei der AHV (staatliche Altersvorsorge) hatte ich mich selbstverständlich dafür angemeldet. Die AHV verlangte dann am 14.11.06 weitere Informationen. Dann am 19.6.07 bekam ich die Verfügung, dass mir mein Selbständigen-Status, rückwirkend auf den 1.3.05 aberkannt wird. Dies wurde dann leider auch vom Verwaltungsgericht gestützt. Die Firma musste ich per 30.6.07 auflösen. Die Folge davon war, dass alle Sozial-Abgaben und Steuern auf den Umsätzen vom 1.3.05 bis 30.6.07 geschuldet waren und nicht wie normal auf dem Gewinn. Ich blieb auf einem Schuldenberg sitzen. Gottlob konnte ich dann in Teilzeit weitere Jahre an der Klinik tätig sein. Insgesamt arbeitete ich über 7 Jahren an der HNO Uniklinik Insel in Bern als Mitarbeiter Gehöruntersuchungen.
 
2016 fiel dann im Sommer, nach über 20 Jahren, das linke Implantat aus. Im Mai 2017 wurde ich ambulant reimplantiert. Nach zwei Wochen erfolgte die Ersteinstellung. Schon nach kurzer Zeit ergaben die Tests, dass ich mit dem neuen Implantat sogar ein wenig besser höre, als mit dem vorgängigen. Ich bin sehr glücklich nun wieder binaural versorgt zu sein, denn ich hatte mit nur einem CI deutlich mehr Verständigungsprobleme. Zudem konnte ich die Richtung der Schallquelle nicht mehr orten.
 
Ich bin mit den CIs sehr zufrieden. Ersatz bekam ich in den wenigen nötigen Fällen umgehend. Ich kann jedem eine Implantation empfehlen, bei dem die medizinischen Voraussetzungen gegeben sind. Von den Implantat-Herstellern, den Ärzten, den Ingenieuren für die Einstellung, usw., werden grosse Leistungen erbracht. Danach muss auch der Patient eine Leistung erbringen, in Form von intensivem Training, Beharrlichkeit und Geduld. Dafür wird man ja auch mit einem besseren Hören belohnt.
 
In meiner Familie ertauben bisher fast alle Mitglieder früher oder später. Es soll sich um einen genetischen Defekt handeln. Meine Mutter, meine zwei Schwestern, meine Tochter und ich sind ertaubt. Ausser meiner Tochter wurde niemandem zwei CIs bewilligt. Es hat sich in der Schweiz wohl noch nicht die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Mensch nicht durch Zufall mit zwei Ohren geboren wird.
 
Daniel Gilbert Weber
Dezember 2017