Vom Rollator zum Einrad
Von Carolin Werner
Wackelnd und mit einem Linksdrall schiebe ich den Rollator den Weg entlang, und wieder überkommt mich das Gefühl der Übelkeit… Was ist hier los? Was ist passiert? Gehen wir zurück zum Anfang…
Von Geburt an beidseitig hochgradig schwerhörig, bin ich aufgewachsen mit einer Familie, die sich im ganzen Spektrum der Hörschädigung von leicht schwerhörig bis gehörlos bewegt. So kannte ich durch meine kleine Schwester bereits das Cochlea Implantat (CI), während ich Hörgeräte trug und hatte neben der Lautsprache die Deutsche Gebärdensprache als Muttersprache. Zu meinen Interessen gehörten Schach, Rätselaufgaben und Einradfahren.
Mit 19 Jahren entschied ich mich für mein erstes CI (Firma MED-EL), da mein Hörvermögen fortschreitend schlechter wurde. Zehn Jahre später verlief die CI-Operation auf der anderen Seite genauso unkompliziert wie die erste. Nur die „alte Seite“ machte schon immer komische Sachen.
Die ersten beiden Elektrodenkontakte nahe dem Ausgang der Cochlea verursachten mir einen leichten stechenden Schmerz im Kiefer-Halsbereich, begleitet von Taubheit und Kribbeln. Diese Kontakte wurden bereits bei der ersten Anpassung vor zehn Jahren deaktiviert, doch im Laufe der Jahre entfiel ein weiterer Kontakt durch Herausrutschen der Elektrode aus der Cochlea. Durch das Deaktivieren der drei Kontakte konnte ich gut mit beiden CIs leben, ohne Einschränkung auf das Sprachverständnis.

Als sich der nächste Elektrodenkontakt „verabschiedete“, also ebenfalls aus der Cochlea herausglitt, war eine Re-Implantation notwendig. Darauf hatte ich wirklich, wirklich keine Lust. Bei den ersten beiden Operationen war ich noch sorglos und hatte mir keine Horrorszenarien ausgemalt, doch diesmal begleitete mich die Angst vor Komplikationen. Dank des Erfahrungsaustauschs mit anderen CI-Träger*innen und der Reha am SCIC Dresden traf ich mit mir selbst und meinen Liebsten eine Vereinbarung für ein Gleichgewichtstraining, falls die OP mein Gleichgewicht beeinträchtigen würde.
Darin standen unter anderem die Anzahl, Dauer und Art der Übungen, um Schritt für Schritt wieder sicherer zu werden – mit dem Ziel wieder Autofahren zu können. Tatsächlich war die Re-Implantation zwar erfolgreich, aber mein Gleichgewicht war völlig hinüber. Mit 30 Jahren fühlte ich mich plötzlich wie ein Neuling auf zwei Beinen.
Dank der Vereinbarung gab ich mir (mit Unterstützung meiner Liebsten) die größtmögliche Mühe und forderte mich jeden Tag heraus. Der Rollator gab mir sehr viel Sicherheit und ich erntete einige verwunderte Blicke von anderen Menschen. Nach etwa drei Monaten bestand ich die selbst auferlegte Gleichgewichtsprüfung – sogar mit einer Runde Einradfahren! Das war für mich ein großer Erfolg und ein Beweis dafür, dass ich mit Durchhaltevermögen meine Ziele erreichen kann.
Von Carolin Werner
September 2025