Meine Hörreise als „Schlappohr“
Von Georg Lochen

„Schlecht hören konnte ich schon immer gut oder gut hören konnte ich schon immer schlecht.“
„Nicht sehen trennt von den Dingen, nicht hören können von den Menschen.“ (Immanuel Kant)
Georg Lochen bin ich, 1952 kam ich am Niederrhein zur Welt, habe Kindergarten, Volksschule, erst Gymnasium und später die Realschule besucht. Dass ich nicht so gut höre, habe ich eigentlich nie so wahrgenommen. Radio und später Fernseher waren für andere zu laut, für mich gerade richtig. Bestimmte Begriffe musste ich geschrieben sehen, allein vom Hören her habe ich sie nicht erfasst oder falsch wahrgenommen. Ein Beispiel dafür: im Kunstunterricht wurde der Maler Toulouse-Lautrec behandelt, verstanden habe ich allerdings „Toulouser Dreck“ und mich gefragt, warum man den Dreck nicht beseitigt.
Dass eine Hörbehinderung vorliegt, habe ich selbst so gar nicht wahrgenommen oder besser gesagt wahrnehmen wollen, da ich das ja nicht anders kannte. Das Gymnasium habe ich dann verlassen, die Realschule abgeschlossen und eine Verwaltungsausbildung im gehobenen Dienst der Kommunalverwaltung gemacht. Ich war bekannt als der große Schweiger, habe lieber nichts gesagt als mich zu blamieren. Meine Selbstsicherheit und mein Selbstwertgefühl schwanden mehr und mehr. Ich habe mir selbst ein Bein gestellt.
Im Beruf sprach mich dann mal ein Kollege direkt darauf an, ob ich schlecht höre, da ich eine für ihn typische Kopfhaltung bei Gesprächen hätte und sehr viel nachfrage. Das habe ich abgetan. Mit Ende 40, Anfang 50, habe ich dann bei einem Ohrenarzt eine Audiometrie machen lassen. Sie lieferte dann das zu erwartende Ergebnis: beidseitige Schwerhörigkeit mit fortschreitender Progredienz. Mit den ersten Hörhilfen machte ich dann für mich die erschreckende Erfahrung, festzustellen, was mir eigentlich alles entgangen war: z.B. das Ticken einer Uhr oder Vogelgezwitscher nahm ich bewusst zum ersten Mal wahr.
Trotz der Hörhilfen nahm das akustische Verstehen auf der rechten Seite mehr und mehr ab. Leistungsstärkere Hörhilfen konnten das Defizit nicht mehr beseitigen. Da ich in einem Arbeitsgebiet tätig war mit vielen Gesprächen und größeren Konferenzen und dann noch als Protokollant, fühlte ich mich regelmäßig überfordert. Das belastete mich stark, machte mich unsicher, es kam häufiger zu Fehlern, Telefonieren habe ich vermieden. Durch Stress und die empfundene Überforderung kam es zu häufigeren Krankheitsfehlzeiten. Ein beantragter Schwerbehindertenausweis wurde mit dem GdB 80 und dem Merkzeichen RF beschieden.
Ende 2011 wurde ich längere Zeit krank und habe dann bis zu meiner Verrentung 2015 nicht mehr arbeiten können. Im Sommer 2012 habe ich über die Rentenversicherung eine 5-wöchige Reha-Maßnahme in Bad Grönenbach/Allgäu gemacht, die mir sehr gutgetan und mich aufgebaut hat. Ich merkte, ich bin mit meinen Schwierigkeiten nicht allein. Hier sah ich bewusst zum ersten Mal Mitpatienten mit einem Cochlea Implantat (CI). Zu meinem großen Glück habe ich zu Beginn 2014 eine weitere Reha-Maßnahme, wieder in Bad Grönenbach, machen können. Beide Reha-Maßnahmen haben mir für meine Arbeitsfähigkeit leider nicht mehr weiterhelfen können. Mehr und mehr habe ich mich dann mit der Möglichkeit des CI befasst und 2016 entschlossen die CI-Ambulanz der Charité aufzusuchen. Für das rechte Ohr wurde die CI-Diagnose gestellt und Mitte 2016 habe ich das CI erhalten.
Mit der anschließenden ambulanten Reha im Hörtherapiezentrum in Potsdam habe ich einen gewaltigen Fortschritt bei meiner Hörfähigkeit und auch für meine Zufriedenheit gemacht. Unter optimalen Umgebungsbedingungen konnte ich auf dem implantierten Ohr erstmals mit dem Telefonlautsprecher telefonieren. Zusammen mit einer kompatiblen Hörhilfe links kann ich heute bei meinem Mobiltelefon direkt die Gespräche auf das CI und die Hörhilfe (also ohne Außenlautsprecher) erhalten.
Nach diesen ausführlichen Schilderungen kann ich für mich zum Hören abschließend sagen
- Ich hätte viel früher einen Hörtest beim HNO-Arzt oder Akustiker machen lassen sollen.
- Hörhilfen sind bald genau so selbstverständlich wie eine Brille.
- Mein Gehör lasse ich heute regelmäßig durch eine Audiometrie checken.
- Hörhilfen und CI lasse ich regelmäßig überprüfen, da man Verluste nicht selbst merkt.
- Erste Informationen sind wichtig für eine Entscheidung zum CI (Internet/ Kliniken).
- Persönliche Gespräche mit CI-Trägern und/ oder Selbsthilfegruppen helfen.
- Überweisung vom HNO-Arzt zur CI-Ambulanz hilft bei der Entscheidung.
- Untersuchung in der CI-Ambulanz bringt Klarheit ob CI ja oder nein.
- Dann muss ich meine persönliche Güterabwägung von Vor- und Nachteilen machen.
- Was habe ich zu verlieren?
- Was kann ich gewinnen?

Fazit:
Im Nachhinein kann ich für mich sagen: Ich habe zu lange gewartet, mögliche Hilfen ignoriert, durch unzureichende Informationen falsche Entscheidungen getroffen. Ich habe mir selbst Chancen und Möglichkeiten vorenthalten und hilfreiche Lösungen verbaut. Vieles Leid hätte ich mir ersparen können, mein Wohlbefinden hätte ich steigern können durch Vermeidung von Stress, Überforderung. Private und berufliche Gegebenheiten hätte ich mit einer rechtzeitigen Versorgung mit Hörhilfen und CI entscheidend verbessern können. Hätte, hätte und hätte …
Georg Lochen
September 2025