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Von der Molekülebene zum Cochlea Implantat

Von Tara S.

Hallo zusammen, ich bin Tara (21), Tiermedizinstudentin und seit einem Jahr auch Trägerin eines Cochlea Implantats.

Meine Geschichte beginnt schon auf Molekülebene, denn durch eine Mutation des Connexin26, (bedingt fehlendes oder verkrümmtes Wachstum der Haarsinneszellen) bin ich schon von Geburt an hochgradig schwerhörig.

Schon früh haben meine Eltern gemerkt, dass irgendwas mit meinen Ohren nicht stimmt und das abklären lassen. Es stellte sich heraus, dass sie beide Träger für die Mutation sind. So habe ich also mit neun Monaten meine ersten Hörgeräte bekommen.

Generell hatte ich das große Glück, dass sich meine Eltern wirklich sehr für mich eingesetzt haben und ich so auch mit meiner funktionellen Taubheit (links, heißt kein Sprachverständnis, „nur“ Töne) und hochgradiger Schwerhörigkeit an Taubheit grenzend (rechts), Regelkindergarten/Schule/Gymnasium besuchen konnte.

Fremde und Ärzte sind oft erstaunt, wie gut ich sprechen kann und wie viel ich über Kontext sowie Lippenlesen „höre“. Dazu haben wahrscheinlich meine zwei jüngeren, hörenden Schwestern und generell ein hörendes Umfeld beigetragen, was bewusst nicht wirklich „Rücksicht“ auf meine Behinderung genommen hat.

Für mich war und ist es immer eine Challenge so viel aus mir und meinem Hören rauszuholen und zu schauen, was vielleicht sogar Vorteile bringt. Dementsprechend ist mein Umgang mit dem Cochlea Implantat (CI) und dem Drumherum vielleicht auch einfach etwas unkonventionell.

Aber wie kam es überhaupt zu der Entscheidung CI?

Tatsächlich war CI schon als Kleinkind bei mir ein Thema. Ich erinnere mich aber hauptsächlich daran, dass ich total Angst vor so einer OP hatte und es deshalb nicht wollte. Meine Eltern haben die Entscheidung eher im Glauben an den technischen Fortschritt dagegen getroffen. Denn 2004 war das CI noch in den Kinderschuhen und man hatte einfach noch nicht so viele Infos. Dennoch war klar, das Restgehör muss auch auf der linken/tauben Seite erhalten werden, auch wenn es nur um das Richtungshören und die Sicherheit im Straßenverkehr geht.

So bin ich also bis vor zwei Jahren mit meinen Hörgeräten und allen Extras (Schwimmhörgeräte, FM, Mikros) wirklich glücklich gewesen. Als ich dann 2022 für mein Tiermedizinstudium nach Hannover zog, hatte ich das Gefühl, ich höre irgendwie schlechter und bin ständig müde. Das erste Jahr schob ich das auf den Stress, Umgebungswechsel, Vitamin D Mangel und viele neue Leute, die den Umgang mit Schwerhörigkeit noch nicht kennen.

Nachdem ich dann aber immer nach der Uni zwei Stunden schlafen musste und generell pro Tag mindestens meine 12 Stunden Schlaf brauchte, wurde ich misstrauisch. Der Hausarzt hat dann auch einen Vitamin-Mangel ausgeschlossen und mir bestätigt, dass das ungewöhnlich viel Schlaf ist. Weiter habe ich dann bemerkt, dass ich immer weniger Interesse an sozialen Aktivitäten und Partys hatte, einfach weil ich zu müde war. Ich erinnerte mich daran, dass dies die ersten Anzeichen für Hörprobleme bei älteren Menschen sind.

Können meine Probleme also durch schlechteres Hören entstanden sein?

Gedacht, geprüft, habe ich einen Hörtest gemacht und tatsächlich hatte ich einen zusätzlichen Hörverlust von 20 dB auf dem bereits an Taubheit grenzenden Ohr, die Hörschwelle lag danach links bei > 100 dB, rechts bei > 80 dB. Daraufhin habe ich mich intensiv mit dem Thema CI auseinandergesetzt, denn ich wollte ja keine Nachteile mit dem CI haben. Wenn nicht sogar einen Vorteil, denn die Hörgeräte wirken von ihrer Lautstärke her weiterschädigend auf meine wenigen Haarsinneszellen. (Das passiert ja auch bei einer Altersschwerhörigkeit durch Lärmbelastung.) Das CI umgeht diese Härchen und „spricht“ direkt mit dem Nerven, der sich mit der Zeit nicht verschlechtert, sondern in seiner Interpretationskraft verbessert. (Damit wird eine Altersschwerhörigkeit und der Verschleiß durch Lärm umgangen.)

Generell waren/sind meine Ansprüche an das CI hoch: Sport, reiten, Fahrrad fahren, schwimmen gehen, in den Urlaub fliegen, das alles sollte funktionieren. Weitere Fragen waren: Wie ist die Versorgung im Ausland? Was ist mit MRT, gibt es medizinische Einschränkungen? Was passiert bei einem Unfall? Muss das Implantat irgendwann erneuert werden? Kann ich weiter meine FM-Anlage benutzen? Funktioniert Bluetooth und streamen?

Ich war doch sehr überrascht, dass all dies kein Problem sein wird und wie viel sich getan hat, seit das Thema das letzte Mal in der Schulzeit aufkam. Durch mein Studium konnte ich mir natürlich auch ein ganz gutes Bild vom OP-Ablauf machen und hatte keine Angst mehr davor. Damit war klar, ein CI auf der linken Seite wird ausprobiert.

Nachdem die Suche und Terminvergabe nach/beim HNO-Arzt (der alte ist in Rente gegangen und neue Stadt, neuer Arzt) zwei Monate dauerte, habe ich mich schonmal mit den (damals) vier Herstellern befasst. Dafür habe ich im Internet recherchiert und über Bekannte noch zwei CI-Träger und eine Frau kennengelernt, die selbst ein Knochenimplantat/Hörgerät trägt und an einer Schule für Gehörlose arbeitet.

Von daher hatte ich mich dann eigentlich schon vor meinem ersten Termin in der Klinik (der HNO hat ja "nur" die Überweisung geschrieben) für AB (Advanced Bionics) entschieden. Meine Argumente dafür waren: mein Hörgerät ist von Phonak, der Mutterfirma von AB und ich habe mich nie mit dem Klang anderer Firmen anfreunden können; meine FM und Mikros sind von Phonak; das Schwimmcase ist unkompliziert und ebenso die Bluetoothvariante. Denn ich durfte lernen, Bluetooth ist nicht gleich Bluetooth und von allen Herstellern war AB am kompatibelsten was Betriebssysteme und Streaming angeht.

Die Operation

In der MHH wurde dann nach einem Tag voller Tests die Notwendigkeit bestätigt und ich hatte im Endgespräch mit der Chefärztin meine Sorge bezüglich der langen Pause vom Studium angesprochen. Sie meinte, da müsse ich mir keine Sorgen machen, sie schreibe eh heute Abend den Terminplan für den nächsten Monat und schaut mal was frei ist.

Womit ich gar nicht gerechnet hatte, war, dass sie am selben Tag noch anruft und meint: "Haben Sie auch nächste Woche schon Zeit? Uns ist spontan jemand abgesprungen." Ich habe dann unter Vorbehalt zugesagt und meine Eltern angerufen. Das alles auf einmal so schnell geht, war erstmal wirklich ein Schock. Da nichts dagegensprach und ich für mich ja schon alle wichtigen Entscheidungen, bis auf die Farbe getroffen hatte, war dann eine Woche später tatsächlich meine OP.

Mittwochs starteten zwei Tage voller Tests, die ich per Laufzettel auf dem Klinikgelände abgearbeitet habe. Freitagmorgen war dann auch schon die OP, die super lief und für meine erste OP auch entspannter war als gedacht. Nach der OP war ich überrascht, keinen Schmerz zu verspüren, sondern nur einen starken Druck durch den Verband, ein bisschen wie ein zu eng sitzender Helm.

Drei Tage später durfte ich dann auch zum ersten Mal mein CI ausprobieren. Sehr glücklich war ich erstmal mit meiner Farbe, ein metallic rosa (eigentlich aus dem Kindersortiment). Naja, ich wollte einfach etwas Buntes, das man sieht und sich traut mich darauf anzusprechen. Fragen habe ich nämlich viel lieber als falsche Rücksichtnahme/Hilfe aus Unwissenheit.

Aber wie war denn mein erster Höreindruck?

Laut, zu laut. Ich habe mich etwas gefühlt, wie die Fantasy-Figuren in Filmen, wenn die „Gegner“ so einen schrillen Ton abspielen und alle zusammenbrechen. Nicht mit mir, ich habe mir gedacht, komm das hälst du aus, dass ist nur der Anfang. Nach fünf Minuten habe ich es dann doch wieder abgenommen, weil ich Kopfschmerzen hatte und ich extrem müde wurde. Ab da hieß es „Tschüss“ mildes Krankenhausessen und ein großes „Hallo“ gewürztes Essen. Kaum war ich aber in meinem Zimmer hat mich die Müdigkeit übermannt und ich habe ausgiebig geschlafen.

Die folgenden zwei Wochen hatte ich erstmal mit Innenohrschwindel zu kämpfen. Du weißt du stehst gerade und es bewegt sich nichts, aber dein Kopf sagt: „Wir schweben kopfüber durch die Gegend.“

Außer täglich ausprobieren, ob das CI inzwischen erträglicher ist und ich es schon länger tragen kann, habe ich viel viel geschlafen.

Meiner Meinung nach, hat meine Neugier und mein Ehrgeiz das CI immer länger tragen zu wollen es geschafft, dass ich nach zwei Wochen das CI den ganzen Tag tragen konnte. Anfangs habe ich natürlich den Prozessor an den Haaren befestigt, weil die Nähte noch nicht draußen und die Wunde noch nicht verheilt war.

Der Weg zum Sprachhören

Zwischendurch habe ich mir das CI in der MHH (ohne Termin, bin innerhalb einer halben Stunde drangekommen) nochmal leiser stellen lassen. Das Problem war nämlich, dass alles am Anfang klang, als würde jemand mit einer Eisenstange an einem Bauzaun entlang ratschen.

Nach drei Wochen habe ich dann angefangen, neben dem Lernen Musik nur übers CI zu hören und Serien mit Untertitel zu schauen. Ich hatte nämlich keine Lust auf die ganzen Lernapps und extra Zeit in das „Teil“ zu investieren.

Nach einem Monat konnte ich dann schon ganz gut Rhythmen und „nicht-wortwörtliche“ Untertitel erkennen. Irgendwann konnte ich plötzlich Wörter meiner Lieblingssongs in dem Wirrwarr aus Tönen und dann auch die Lieder selbst erraten.

Immer wenn ich dachte, jetzt ist es wieder entspannter, leiser und nicht mehr so nervig, bin ich zur Klinik gegangen und habe mir das CI neu/lauter einstellen lassen. Dementsprechend konnte ich dann bei der eigentlichen „Anpassungswoche“ nach drei Monaten schon echt gut hören. Also besser als ich selbst dachte. Dass sich mein Gesamtgehör verbessert hatte, konnte ich mir denken. Jedoch nicht, dass ich sogar schon einzelne, unbekannte Wörter erkennen würde. Als Konsequenz habe ich einfach fleißig weiter Musik gehört und Filme mit Untertitel angeschaut, dass scheint ja gut trainiert zu haben.

Auch mein näheres Umfeld konnte merken, dass ich es in schweren Hörsituationen einfacher hatte und ständig nachgefragt habe, woher denn das Knistern oder Knacken kommt. Am meisten irritiert hat mich das Klicken der Ampel und das Gluckern der Wasserleitungen in den Wänden. Immer wieder gab es kleine Entdeckungen und neue Geräusche.

Manchmal habe ich dann aber doch gemerkt, da sortiert sich noch alles. Denn bei mehreren Stunden Zugfahrt wurde mir wirklich schwindelig und übel. Auf einmal zuckte dann auch mein Auge bei bestimmten hohen Tönen und es musste eine neue, leisere Einstellung her. Mein höher, schneller, lauter wurde damit erstmal unterbrochen. Weniger Überforderung für meinen Hörnerv und keine Reizung meines motorischen Augennerven. Bei den ganzen Experimenten und Einstellungen war ich echt froh jederzeit unangekündigt zu den Ingenieuren der MHH gehen zu können.

Langzeiterfolge

Nach den ersten spürbaren Hörerfolgen änderte sich für mich lange gefühlt nichts. Trotzdem wurden meine Testergebnisse bei den Kontrollen immer besser und es gab stets einen Fortschritt. Nach einem 3/4 Jahr merkte ich dann deutlich, dass sich mein Körper vollständig von der OP erholt und an das Implantat gewöhnt hatte. Ich hatte viel mehr Energie, wieder mehr Interesse an sozialen Aktivitäten, der Schwindel nach langen Zugfahrten war weg. Am beeindruckendsten fand ich die Veränderung meines Schlafverhaltens. Ich brauche jetzt nur noch 7/8 h Schlaf und keine 12 mehr, das sind einfach vier Wachstunden pro Tag mehr.

Da habe ich wirklich am stärksten gemerkt, wie sehr meine Energiereserven zuvor am Limit waren. Ich hatte auf einmal mehr Zeit pro Tag und zack waren Dinge wie Wäsche waschen oder Aufräumen nicht mehr so schrecklich. Ich habe mir nicht überlegt, ob ich es nicht doch schaffe alles auf einmal zu tragen, weil ich sonst ja doppelt laufen müsste oder ob ich die Energie habe für ein Treffen, sondern ob ich Spaß daran hätte.

Ich hatte mich immer gewundert, warum das anderen so leichtfällt und warum ich es so schwer fand. So wurde aus der ehemaligen erschöpften und „faulen“ Tara eine, die die enorme Hirnleistung und Energie des Hörens viel mehr zu schätzen weiß.

Jetzt ein Jahr später ist längst noch nicht alles an Hörvermögen aus meinem CI-Ohr rausgeholt, aber meine Lebensqualität hat sich vervielfacht und ich kann inzwischen Gespräche nur mit CI meistern.

Was meine Freizeit angeht, so kann ich den Magnetteil zum Glück unter meinem Reithelm tragen und mit dem Schwimmcase war ich in Kroatien im Meer (salzwassertauglich), als auch hier in der Ihme/Leine SUP (Stand-Up-Paddleboard) fahren. Für ein Festival habe ich dann mal das Batteriefach getestet und war sehr zufrieden (das hält 24h, die Akkus eher 14h). Zu dem Zeitpunkt hatte ich einen Ersatzprozessor, da meiner kaputtgegangen ist.

Für mein Studium konnte ich mir auch ein Stethoskop mit Bluetoothfunktion anschaffen, damit ich die Tiere direkt über mein CI/Hörgerät abhören kann. Eine Alternative gibt es nicht, denn sonst müsste ich meine Geräte im Stall/Klinik rausnehmen und mit dem bisschen, was ich über ein normales Stethoskop höre Diagnosen stellen, was schlichtweg fahrlässig wäre.

Daher möchte ich vor allem jungen Menschen Mut machen, sich keine Grenzen von außen, von anderen setzen zu lassen, sondern kreative Lösungen zu finden und die eigenen Grenzen zu suchen.

An Alle, die noch zweifeln, ob einem mit CI wirklich dieselben Möglichkeiten offenstehen, wie mit Hörgerät: Ja! Manchmal gewinnt man sogar noch neue Eindrücke.

Fazit:

Wenn man offen an das Thema rangeht und sich immer neue Challenges im Alltag setzt, kann man das CI auch ohne extra Lernen und Reha meistern. Das heißt nicht, dass man keine Hilfe in Anspruch nehmen sollte, wenn man sich unsicher fühlt. Vor allem kann ich nur aus Perspektive einer lebenslangen Hörgeräteträgerin sprechen, denn „natürliches“ Hören kenne ich nicht. Da muss jeder seinen Weg und seinen Umgang mit dem Cyborgleben finden. Aber bitte meckert, wenn etwas nicht passt und sei es noch so klein, denn manchmal liegt genau da verborgenes Potential zur Verbesserung.

Von Tara S.
Oktober 2025