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Michael und Elke im Fernsehen: Menschen der Woche Januar 2005

(Erstausstrahlung: 29.1.2005 / 22.20 / SWR)

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Frank Elstner: Ich möchte Ihnen, liebe Zuschauer, gerne zwei Menschen vorstellen, die beide gehörlos waren, also taub, und die in der Zwischenzeit wieder hören können und sich völlig normal mit uns unterhalten können. Es grenzt an ein Wunder -ist es ein Wunder? Das frage ich Elke Kraft und Michael Schwaninger [Gäste betreten die Bühne].

So, hier sind die beiden jetzt und haben sich zu uns gesetzt. Sie [mit Blick auf Andrea Spatzek] kennen sich schon. Ich glaub, Sie waren mal in der Lindenstraße, Herr Schwaninger?

 

Michael Schwaninger: Ja, das war im September, da haben wir auf Initiative der Deutschen Cochlear Implant Gesellschaft einmal angefragt, ob es nicht möglich wäre, gerade gehörlose Kinder einmal an die Lindenstraße heranzuführen. Das war eine Aktivität, die vom Präsidium der Deutschen Cochlear Implant Gesellschaft angeschoben war und die von der Lindenstraße sehr sehr proaktiv aufgenommen wurde, einfach auch dadurch, dass das sehr schön mit der Sendung harmonierte, mit dem aktuellen Thema. 

Frau Spatzek hat sich mit ihrer Serienkollegin "Ines" in dem Fall eineinhalb bis zwei Stunden Zeit genommen und uns – 10 gehörlose Kinder plus 2 erwachsene Gehörlose - einmal rumzuführen, das hat eine Dame dort getan, aber wir konnten auch richtig in die Tiefe gehen, auch in einem persönlichen Gespräch. Und dort sind wir auch letztendlich angekommen, um das Thema "Schirmherrschaft" [Anmerk.: Gemeint ist die Schirmherrschaft zum 1.Deutschen CI-Tag] an Frau Spatzek anzutragen.

 

Frank Elstner: Kommen wir mal zu diesem Fremdwort: "Cochlea" – zuerst dachte ich, ist das vielleicht ein englisches Wort? Dann hab ich mal nachgeschlagen: Das ist ein Wort, was wir alle kennen sollten, denn jeder von uns hat so was. Das ist ein Teil des Innenohrs und damit kann man hören oder kann nicht damit hören, wenn ich das richtig verstanden habe?

 

Michael Schwaninger: Da haben Sie völlig recht. Das ist ein Teil des Innenohres, das auch bei der Geburt schon entsprechend ausgewachsen ist. Das ist eine ganz wichtige Information, weil man damit auch entsprechend schon Kinder, die gehörlos geboren werden, schon sehr sehr frühzeitig mit einem solchen Implantat versorgen kann.

 

Frank Elstner: Jetzt möchte ich gern unseren Zuschauern etwas sagen, was die natürlich von Ihnen alle nicht wissen können: Sie haben 16 Jahre lang gebraucht, bevor Sie überhaupt drauf gekommen sind oder ein Arzt Sie darauf gebracht hat: "Lass dir doch diese Operation machen, dann hörst Du wieder!" Das heißt, Sie haben jahrelang überhaupt nichts gehört.

 

Michael Schwaninger: "Überhaupt nichts" würde ich nicht sagen. Es gibt den Zustand, den man "an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit" nennt, das heißt, Sie hören nur noch ganz bestimmte Frequenzbänder und die auch nur bei einer sehr starken Verstärkung. Ein Gespräch wie jetzt hier wäre überhaupt nicht möglich gewesen. Tatsächlich ist es so, dass viele – auch Fachärzte, also jetzt mal speziell die Hals-Nasen-Ohrenärzte - über diese Technik, über die Weiterentwicklung in diesem Bereich nicht aufgeklärt sind. 

Und bei mir ist tatsächlich so - es begann mit der Pubertät, so mit 14,15 Jahren, dass sich das immer mehr verschlechterte - dass das tatsächlich bis zu meinem 31. Lebensjahr dauerte, bis ich überhaupt etwas davon erfahren habe - obwohl es das Cochlea Implantat in Deutschland bereits seit 20 Jahren gibt. Das ist ja noch eine Facette, die Sie am Rande vorher gar nicht angeschnitten haben: diese 8000 Implantationen verteilen sich auf 20 Jahre, das muss man unter diesem Aspekt sehen. Im letzten Jahr gab es knapp 900 Implantationen, das ist auch schon der ganze Bereich. Und es könnten viel mehr sein - Leute wie ich, Leute, die überhaupt nicht wissen, dass es so was gibt.

 

Frank Elstner: Das heißt, Ihre Schwerhörigkeit, die bis zur Taubheit sich dann entwickelt hatte, die ist Ihnen nicht in die Wiege gelegt worden, sondern sie kam plötzlich. Und jetzt werden natürlich viele Zuschauer fragen: Kann uns das auch erwischen? Was können Sie uns dazu sagen?

 

Michael Schwaninger: Das ist tatsächlich so, dass es jeden treffen kann. Also nicht nur über einen Unfall, wie das eben in der Lindenstraße passiert ist. Es gibt verschiedene Medikamente, die als Nebenwirkungen auf das Ohr durchschlagen. Von Antibiotika ist bekannt, dass sie das Gehör schädigen können. Es gibt also eine wirkliche Vielzahl von Positionen, die dort wirken. Und natürlich der Wichtigste ist der Lärm, dem das Ohr heutzutage überall ausgesetzt ist, also Discogänger, Leute, die ständig mit Walkmans im Ohr herumlaufen sind hochgradig gefährdet in dieser Hinsicht.

 

Frank Elstner: Also, wenn ich nicht wüsste, dass Sie fast taub waren, würd ich's nicht glauben, weil wir uns völlig normal unterhalten. Elke, jetzt will ich Sie auch noch mal "ausprobieren" hier...

 

Elke Kraft (schmunzelt): Ja, bitte!

 

Frank Elstner: Sie haben auch dieses Implantat...

 

Elke Kraft: Genau. Ich trage aber nur ein Implantat, Michael hat es ja nun auf beiden Seiten. Und ich habe ein Implantat bekommen, auch aus Kostengründen. Die Krankenkassen zahlen heutzutage bei Erwachsenen zunächst mal nur ein Implantat. Man muss dazu wissen, dass es ungefähr 20.000 – 25.000 Euro kostet: die Operation, die Nachsorge und alles, was da noch dranhängt. Es ist ja auch so, das muss man sich auch immer wieder klar machen: Nach der Operation, die uns letztendlich das Hören wiedergegeben hat, ist es erst mal ein ganz langer Prozess des HörenLERNENS, den wir durchmachen mussten. Das bedeutet: als ich im Januar letzten Jahres dann auch zum ersten Mal erfahren habe, dass es so ein Implantat gibt - ich war auch fortschreitend schwerhörig wie Michael und bei mir ist es dann innerhalb kurzer Zeit immer schlechter geworden - als ich erfahren habe, dass es das gibt, da ging es dann relativ schnell: ich bin operiert worden in Frankfurt im März letzten Jahres...

 

Frank Elstner: Zahlt das eine Kasse?

 

Elke Kraft: Ja, die Krankenkassen müssen das übernehmen, das steht fest. Und was man auch noch mal klarmachen sollte, den Zuschauern, die davon noch gar nichts gehört haben: Dieses Cochlea Implantat besteht - mal ganz grob gesagt - aus zwei Teilen: das ist einmal das Implantat, das wirklich im Schädelknochen verankert ist und einer Elektrode, die ins Innenohr geschoben wird und dann - das kann man hier bei Michael auch schön sehen - dieses äußere Teil [zeigt auf den Sprachprozessor]. Und nur in Kombination mit diesen beiden Teilen, das heißt, durch das Implantat im Kopf und durch diesen Sprachprozessor - so nennt sich der äußere Teil - können wir hören. Das bedeutet auch, wenn wir dieses Gerät, dieses äußere Gerät, zum Beispiel nachts ablegen oder wenn wir uns die Haare waschen oder schwimmen - da darf also keine Feuchtigkeit drankommen, wie das auch zum Beispiel bei Hörgeräten der Fall ist - dann sind wir weiterhin taub.

 

Frank Elstner: Das heißt, Sie beide leben zusammen, das darf ich vorweg nehmen. Und wenn Sie abends dann Ihr Gerät abnehmen, dann können Sie sich nicht mehr gegenseitig hören.

 

Elke Kraft: Ganz genau. Und das war für uns natürlich auch eine – am Anfang - wirklich besondere Situation: Wir mussten uns ja unsere eigene Sprache schaffen. Also, wie kommuniziert man zum Beispiel im Bett, nachts? Es ist dunkel, wir können auch nicht von den Lippen ablesen... Und da haben wir dann so eine Art "Klopfsprache" erfunden.

 

Frank Elstner: Das heißt "Drei Mal klopfen = "Ich liebe dich" ?

 

Elke Kraft: Genau! Also, man wird da schon sehr erfinderisch (schmunzelt).

 

Frank Elstner: Ich find das wunderbar, wie Sie damit umgehen. Und wie das Ihr Leben verändert hat. Vielleicht können Sie uns auch noch mal schildern, weil - wir können uns das ja gar nicht vorstellen - wie das ist, wenn man nicht hört. Was ist denn das Gefährlichste für einen, der nicht hört? Dass er nicht hört, dass ein Auto sich von hinten nähert oder das er... - erzählen Sie mal aus Ihrer Erfahrung.

 

Michael Schwaninger: Also, ich sehe das nicht unbedingt als eine lebensgefährliche Behinderung an. Man kann damit auch ohne Gehör sehr sehr alt werden. Es gibt auch hervorragende gehörlose Akademiker, die bis in die höchsten Ränge aufsteigen ohne zu hören. Also, das Hören ist zwar Teil UNSERES Lebens, aber es gibt auch eine Gruppe von Menschen, die ohne Gehör sehr gut durchs Leben kommen.

Tatsächlich ist natürlich ein gewisses Risiko damit einhergehend, dass Sie nicht hören - zum Beispiel haben Sie es richtig beschrieben - Sie werden vielleicht nicht wahrnehmen, dass Sie ein Auto auf der Straße übersehen. Sie leben ja mit den Augen statt mit den Ohren. Es gibt aber viele Facetten, zum Beispiel: Sie sind zu Hause und es brennt. Wie bemerken Sie, dass die Feuerwehr versucht, Sie herauszuklingeln aus Ihrer Wohnung, dass Nachbarn versuchen, auf Sie zuzukommen? Sie nehmen die Klingel ja akustisch nicht wahr. Dann sucht man sich auch eben andere Wege. Statt dass es eben einen Ton gibt, gibt es Lichtsignale, die in der Wohnung übertragen werden. Das mache ich auch beim Telefonieren so. Ich höre ja, wenn ich das Implantat nicht trage, eben auch nicht, wenn das Telefon geht. Und dann ist es sehr hilfreich, wenn man das mit anderen technischen Möglichkeiten letztendlich unterstützt.

 

Frank Elstner: Sie haben sich das Nicht-Hören ja zum Teil auch schön geredet. Sie haben ja eine zeitlang so gelebt, dass sie sich überlegt haben: Was ist das Gute daran, dass ich nicht höre? Was haben Sie da noch für eine Erfahrung gemacht?

 

Michael Schwaninger: Also, ich hab für mich eine sehr schöne Erfahrung gemacht: Wie man bei Blinden sagt, dass sie eben einen anderen Sinn besonders entwickeln, eben in dem Fall das Hören, hat sich für mich eine andere Möglichkeit ergeben: ich habe heute ein fast fotografisches Gedächtnis in der Form, dass ich Informationen, die ich aufnehme, wie in einem Computer sehr sehr gut speichern kann. Sicherlich nicht so gut, wie der Herr, der letzte Woche bei Ihnen zu Gast war, die 17. Wurzel aus einer 100-stelligen Zahl ausgerechnet hat. Aber es ist eine Fähigkeit, die ich sicherlich nicht hätte, wenn ich nicht die Gehörlosigkeit im Laufe der Zeit erlitten hätte.

 

Frank Elstner: Also, was wollen wir mitnehmen heute Abend? Wer schwer hört, wer Richtung Taubheit sich entwickelt, sollte sich unbedingt mal in Verbindung setzen mit der Cochlear-Gesellschaft...oder wer ist das?

 

Michael Schwaninger: Die Deutsche Cochlear Implant Gesellschaft ist eine gemeinnützige Organisation, die sich mittlerweile bundesweit engagiert, um entsprechend das Thema publik zu machen. Ich hab Ihnen hier eine kleine Zeitung mitgebracht, die ich auch schon deswegen heute Abend so spannend finde, weil sie auch den DFB letztendlich betrifft. Das heißt, der DFB ist ja vorher zum Teil auch vielleicht ein wenig in Misskredit geraten. Wir haben den DFB als Deutsche Cochlear Implant Gesellschaft letztes Jahr im September erlebt, als wir mit 11 gehörlosen Kindern zum Fußball-Länderspiel Deutschland gegen Brasilien eingeladen waren und wir 11 Cochlea-Implant-versorgte Kinder mit der brasilianischen Nationalmannschaft auf das Feld geschickt haben.

 

Frank Elstner: Sie haben einen wunderbaren Bogen geschlagen. Ich bedanke mich dafür herzlich und das [zeigt Plüschtier mit CI] sind zum Beispiel die kleinen Maskottchen, die man auch den Kindern gibt. Die haben hier oben [weist auf das CI] sozusagen schon so ein "Andenken" bekommen, damit man keine Angst hat. Allerletze Frage: Ist die Operation risikoreich, muss man vor der Angst haben?

 

Michael Schwaninger: Aus meiner Sicht überhaupt nicht. Es gibt die normalen operationsbedingten Risiken, wie zum Beispiel im Narkosebereich. Das kann aber eben auch bei einer Mandeloperation oder bei einer Knieoperation auftreten. Es gibt tatsächlich Fälle – ich kenne die aus Amerika - da wird jemand morgens operiert und er sagt: "Zur Rush Hour bin ich schon wieder zu Hause." Das ist zwar vielleicht extremer vom Gesundheitswesen als bei uns, aber innerhalb von ein, zwei Tagen sind die Leute wirklich wieder so mobil, dass sie auch aus dem Krankenhaus entlassen werden können.

 

Frank Elstner: Meine Damen und Herren, Sie sehen hier zwei Menschen, die eine Schwerstbehinderung hatten, die sie überwunden haben, weil sie sich dieser Operation gestellt haben. Die ein völlig normales Leben jetzt führen. Was machen Sie eigentlich beruflich?

 

Michael Schwaninger: Ich bin Diplom-Betriebswirt.

 

Frank Elstner: Und Sie?

 

Elke Kraft: Ich bin Diplom-Sozialpädagogin.

 

Frank Elstner: Und Sie leben jetzt zusammen und ich wünsche Ihnen vor allem, dass Sie, wenn sie abends das Licht ausmachen, das Gerät nicht zu früh rausnehmen, falls noch einer was wichtiges sagen wollte. Vielen herzlichen Dank, dass sie zu uns gekommen sind und alles Gute weiterhin!

 

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Mit freundlicher Genehmigung der SWR-Redaktion "Menschen der Woche" und Format E.