... oder der „alltägliche Lebenslauf einer Schwerhörigen"
Um für „Außenstehende" besser verständlich zu machen wie sich Hören, schlecht Hören oder nicht Hören können, auf den Alltag und den Werdegang auswirken kann, erzähle ich mal meine „Hörbiographie".
Zuerst eine paar Worte in eigener Sache:
Ich habe Regelschulen besucht und das ist ok so. Der unermüdliche Einsatz meiner Eltern, die oft haben kämpfen müssen, damit ich diesen Weg gehen konnte, hat vieles erst möglich gemacht. Im Nachhinein gesehen wäre ein anderer Schulwerdegang vielleicht leichter gewesen. Aber so ist es und ich habe dadurch kämpfen gelernt und auch, daß es wert ist sich anzustrengen.
Mein Selbstbewusstsein, z. B. durch schlechte schulische Leistungen oder schlechtes Verständnis im Alltag (Missverständnisse, etwas nicht mitbekommen, oft „hinten dran sein") war oft angeknackst. Es wurde familiär und im Bekannten- oder Freundeskreis nicht nur durch hohe Aufwertung meiner Fähigkeiten, z. B. in der Musik, Kunst oder im Sport, sondern vor allem auch durch die Liebe, die ich zuerst vor allem von meinen Eltern und später von meinem geliebten Freund tief und innig erfahren habe, immer wieder aufgebaut.
Ich danke meiner Familie, meinem Freund, meinem Bekannten- und Freundeskreis für die Kraft, die sie mir immer wieder gegeben haben und Ihre Nähe und Unterstützung in meinem Leben. Danke!
Geboren wurde ich 1965 in Oggersheim. Ich machte die üblichen Kinderkrankheiten durch, unter denen nur eine starke, zeitgleiche Mumps- und Mundfäuleerkrankung erwähnenswert wäre, weil diese später noch als eventuelle Ursache der Schwerhörigkeit eine Rolle spielen sollte. Immer wieder hatte ich Nasennebenhöhleninfekte und Nasen/Rachenrauminfekte.
Bei der Einschulungsuntersuchung bestand ich den "Flüstertest" mit Glanz und Gloria, in dem ich mich nach einiger Zeit der Langeweile, in der ich mit den Rücken zu dem medizinischen Personal stehen musste, umdrehte und fragte:" Kann ich jetzt gehen?..." Ich hatte nur wenig verstanden, nämlich dann als die Damen die Zahlen sehr laut und deutlich sagten.
Allgemein schob man mein gutes Sprechen darauf, dass meine Eltern sehr deutlich artikuliert und vor allem Hochdeutsch sprachen. Letzteres ist in der Pfalz ja nicht unbedingt üblich.
Es folgten Hörtests und Untersuchungen an der Uniklinik in Mainz, wo man feststellte, daß ich beidseitig im Hochtonbereich schwerhörig bin und mir für das bessere rechte Ohr ein Hörgerät verordnete.
Das es dann jahrelang ein den Tieftonbereich (!) verstärkendes Hörgerät war, was der damalige Akustiker mir anpaßte... wer wußte das da schon? Ich lebte so schlecht und recht und als eine wirkliche Hilfe fand ich das Hörgerät nicht. Dies änderte sich erst, als ich durch Zufall bei einem anderen Akustiker war, der feststellte, dass ich „die falschen Hörgeräte" hatte, hochtonverstärkende Geräte einsetzte und deren zwei empfahl, weil das Kind hat ja auch zwei schwerhörige Ohren!
Ab da halfen die kleinen „Whistler", wie wir sie inzwischen nannten (weil sie gerne pfiffen, wenn ich sie zu laut eingestellt hatte oder wenn ich mit der Hand, dem Telefonhörer oder der Mütze zu nah am Gerät war), denn auch endlich brauchbar.
In der Grundschule bekam ich für meine miesen Diktate keine Noten, musste aber dafür zu den Legasthenikern, obwohl ich keiner war – nur eben schwerhörig! Für die einzige Schwerhörige in einer Regelschule, war es auch für die Lehrer nicht einfach eine Möglichkeit zu finden, die fälligen schlechten Noten im Diktat zu umgehen und so war es denn eben diese.
In meiner Freizeit lernte ich Flöte und Klavierspielen. Beides ging prima, ich machte es gerne und irgendwie merkte ich da das Problem Schwerhörigkeit gar nicht so.
Im Gymnasium ging es mit Englisch und Latein weiter. Latein deswegen, weil man es schreibt, wie man es spricht, was bei Französisch oder dem ebenfalls zur Auswahl stehenden Russisch ja nicht unbedingt der Fall ist. Dennoch, Sprachen waren mir ein Greuel !!
Freiwillig saß ich immer in der ersten Reihe und "zufälligerweise" neben dem Fenster. Beides erleichterte mir unbewusst dem Reden der Lehrer zu folgen, in dem ich wohl von den Lippen absah.
„Hörmäßig" folgten Untersuchungen in der Uniklinik Heidelberg, weil immer noch nicht endgültig geklärt war, woher die Schwerhörigkeit kam und wir uns natürlich immer wieder erhofften, eine heilende Lösung zu finden.
Ich hatte immer noch regelmäßig Nasennebenhöhlenentzündungen und Halsentzündungen, wenn es draußen nur ein bisschen „Schietwetter" war. Mit 14 bekam ich wegen zu schmalem Nasenraum eine Begradigung der Nasenscheidewand, um besser durch die Nase Luft zu bekommen, damit die durch den Mund eingeatmete „kalte" Luft nicht immer gleich auf den Hals schlägt.
Anlässlich der für Teenager üblichen Zahnspange wurden die üblichen 32 Zähne im Kiefer um 4 reduziert, „damit die anderen ordentlich Platz haben". Fast ausnahmslos alle Erkrankungen, mal von den Kinderkrankheiten, die man üblicherweise so bekommt, abgesehen, fanden im HNO-Bereich statt...
Bei alle dem wuchs und gedieh ich prächtig, war putzmunter, fuhr täglich meine 2 mal 14 Kilometer Schulweg mit dem Rad bei jedem Wetter, ging 3-5 mal in der Woche zum Fechttraining und am Wochenende auf Wettkämpfe, musizierte und nahm an Aufführungen teil, ein normales prallvolles Teenagerleben eben.
Schulisch lief nicht immer alles glatt und so wechselte ich wegen mieser Noten auf die Realschule, um es nach der mittleren Reife (Englisch immer noch 4) noch einmal auf dem Gymnasium zu versuchen. Da plagten mich nun Englisch und Spanisch, wobei ich mit der spanischen Sprache besser zurecht kam, weil Schriftbild und Aussprache gleich sind oder sich zumindest oft ähneln.
Mit Abitur in der Tasche studierte ich für drei Semester Textiltechnik, bevor ich die Ausbildung zur Physiotherapeutin begann.
Die Schwerhörigkeit hat sich während dieser Jahre nur gering verschlechtert, ich brauchte glaube ich nur zwei Mal stärkere Geräte.
Auch in den folgenden 3 - 4 Jahren in der Berufsausbildung und am Berufsanfang blieb die Schwerhörigkeit weitgehend gleich. Ab und zu hörte ich mal schlechter, dann wieder besser, aber ich machte mir keine Gedanke über meine Schwerhörigkeit, ich lebte damit.
Ab 1999 ging es dann leider jedoch rapide abwärts. Ich hatte meinen ersten, mir bewussten Hörsturz, der gleich zur Ertaubung des rechten Ohres führte.
Es war Mittwoch, ich war, als Physiotherapeutin auf Hausbesuchtour, als ich bemerkte, dass ich schlechter hörte. Schnell war abgeklärt, ob es die Batterie oder das Hörgerät selbst war. Beides war ok. Und schon stand ich bei meinen HNO-Arzt.
Hier dauerte es dann allerdings bis 12 Uhr, bevor ich endlich dran kam um dann zu hören: „Ja heute ist ja Mittwoch ... und jetzt schon so spät, dann fangen wir MORGEN mit der Infusionstherapie an." Ich hatte ja k e i n e Ahnung!
Ich bekam also ab Donnerstag Infusionen, Samstags sogar auch eine! Nur für Sonntag sollte ich dann Tabletten nehmen. In der nächsten Woche gab es Probleme. Entweder war es schwierig die Infusion zu legen oder sie lief "para" (,das heißt sie lief nicht in die Vene sondern daneben).
Entnervt schickte mich der Arzt zu stationären Infusionstherapie ins Krankenhaus. Hier fing es dann erneut mit dem Zyklus von 10 Infusionen an, man kann ja nicht da weitermachen, wo der HNO-Arzt aufgehört hat.
Zu dem Zeitpunkt hörte ich rechts schon seit zwei Tagen gar nichts mehr.
Nachdem ich aus dem Krankenhaus wieder zu Hause war, sah sich mein behandelnder HNO-Arzt nicht in der Lage mich über weiteres sinnvolles Vorgehen, z. B. Reha-Massnahmen, Hörtraining, zu informieren, sondern meinte nur lapidar: „ ...über den gelben Schein (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) geht das jetzt nicht mehr, ...schauen sie mal was Sie machen."
Während diesem Gespräch konnte ich Ihn bei einem Abstand von einem Meter nur sehr schlecht verstehen!
Ich war zwar zeitlebens schwerhörig, aber offenbar noch ziemlich unbedarft und hatte keinerlei Ahnung, dass es eine Reha oder Hörtraining für mich zu diesem Zeitpunkt gegeben hätte. Das erfuhr ich erst Jahre später. Schockierend im Nachhinein ist aber auch für mich die frappierende Ahnungslosigkeit unter Fachleuten. Denn auch die folgenden HNO-Ärzte kamen nicht auf solche Gedanken.
Und um das kreissägenartige Geräusch im rechten, dem tauben Ohr, das ich seit dem Hörsturz hatte, hat sich auch keiner so recht gekümmert. Tinnitus halt. Da müssen Sie mit leben....
Bereits in der Klinik während der Infusionstherapie kam das Thema CI auf.
Zunächst jedoch versuchte ich es mit einer Hyperbaren Sauerstofftherapie. Fast sah es so aus, als sollte sie wirken, aber leider bewegte sich in Sachen hören nichts. Die von mir angegangene Biomentaltherapie machte mir zumindest deutlich, dass ich mehr für meine innere Ruhe tun musste. Sehr gut waren für die körperliche Entspannung die Neuraltherapie. Aber das taube Ohr wieder hörbar macht keines davon.
Ich bekam von der behandelnden Klinik eine Überweisung nach Wuppertal zur Überprüfung, ob ein CI notwendig, nicht etwa ob es möglich sei.
Geschockt durch die Ertaubung meines rechten Ohres, mit dem linken, das immer das schlechtere Ohr war, kaum in der Lage zu Verstehen, war es für mich damals unmöglich Informationen zu sammeln oder mich selbst entsprechend in Diskussion mit den Ärzten oder der Krankenkasse zu vertreten.
Dann kann auch noch der abschlägige Bescheid : ich würde ja noch genug hören, ...damals war ich ganz und gar nicht dieser Meinung!
Ich lernte mit der Zeit mit dem linken Ohr besseres Hörverstehen, kam wieder im Alltag und Beruf zurecht, versucht mehr Ruhe hineinzubringen – nun das klappt bis heute nicht immer so wie ich es mir wünsche, aber es wird.
Es folgten mehrere kleine Hörstürze, die zwar zunächst das Hörvermögen verschlechterten, aber durch sofortige Behandlung mit Infusionen, Akupunktur und Ruhe keine bleibende Verschlechterung hinterließen.
Ich arbeitete inzwischen nicht mehr in einer freien Praxis, sondern in einem Krankenhaus, weil die soziale Absicherung hier, meiner Meinung nach, doch etwas besser ist.
Mit einer heftigen Erkältung schleppte ich mich über den Jahreswechsel 2002/2003. Ich bekam vom Hausarzt die üblichen Medikamente, einschließlich Antibiotika. Es wurde nicht besser, eher schlechter, es kamen noch Ohrenschmerzen hinzu... Mittelohrentzündung.... und zwei Tage später gab dann auch das linke Ohr den Kampf auf.
Ich wurde in „mein eigenes" Krankenhaus eingewiesen, bekam dank meinem jetzigem HNO- Arzt ein Einzelzimmer, Infusionstherapie, Akupunktur, Hoffnung, Ermutigung.... aber leider keine grundlegende Besserung.
Spätestens jetzt stand das CI sichtbar im Raum.
Ich allerdings war noch nicht so weit.
Niemals mehr etwas hören!
Die Stimmen meiner Mitmenschen nicht mehr hören können, nicht mehr verstehen können was sie sagen!
Keine Musik mehr hören können!
Mit einem TechTeil evt. wieder hören können?
Wenn ja wie gut?
OP am Kopf?
Für immer ein Implantat im Kopf?
Immer von dem Technikteil abhängig sein!
Was wusste ich zu dem Zeitpunkt überhaupt über das CI? Ich wusste, dass es so was gab und
dass man damit evtl. wieder hören könnte... zu wenig, zu ungenau um eine Zukunft darauf
aufzubauen.
Und woher sollte ich die Informationen darüber bekommen?
Wen hätte ich fragen sollen?
Wer wüsste Antworten? Und überhaupt ... ich hörte ja nicht mehr!
Mir wurde klar, um mich zu entscheiden wie es weitergehen sollte, hatte ich von den Möglichkeiten, die es geben könnte zu wenig Ahnung.
Bei den anderen Hörstürzen hatte sich die Akupunktur als hilfreich erwiesen. Da der akupunktierende Arzt leider zur Zeit in seinem Heimatland war, machten sich meine Freunde, während ich noch im Krankenhaus, war auf die Suche nach kompetenten mit Akupunktur behandelnden Ärzten. Diese fanden sie dann in Düsseldorf im Zentrum für Traditionelle Chinesische Medizin.
Ich gab mir Zeit, ging regelmäßig zur Akupunktur, mal hatte ich das Gefühl das Ohr würde etwas besser mal wieder nicht.
Per Internet begab ich mich intensiv auf die Suche nach Informationen über CIs.
Zu Anfang war es nicht einfach. Ich konnte nicht sonderlich gut mit dem PC umgehen, surfen musste ich erst lernen und um an die Informationen zu kommen, die man möchte, muss man auch die richtigen Schlüsselwörter in die Suchmaschine eingeben.
Nicht immer geduldig, oft sehr traurig und deprimiert, versuchte ich immer wieder neues in Erfahrung zu bringen. Sehr oft hatte ich einfach nicht die Kraft zu suchen, weil sich so gar kein Licht am Ende des Tunnels zeigen wollte.
Jetzt, da ich gar nichts mehr hörte, sollte ich laut Krankenkasse zur Reha. Welche Ironie! Die hierfür zuständige BfA lehnte das aber als „nicht erfolgreich zu erwartende Maßnahme" ab und empfahl eine CI–OP.
Buchstabe für Buchstabe entstanden bei mir Informationen und Wissen, aber ich fühlte das da noch was entscheidendes fehlte – Authentizität.
Wo waren die Menschen, die ein CI hatten? Welche Erfahrung hatten die mit dieser Möglichkeit, evtl. wieder hören zu können, gemacht?
Über das Schwerhörigennetz/Pinboard (www.schwerhoerigen-netz.de) kam ich durch den Tipp zum HCIG-Forum (www.hcig.de) und stellte dort meine sorgenvollen Fragen.
Mit unglaublicher Anteilnahme und Freundlichkeit wurden diese Fragen mit viel Verständnis und Knowhow von den Teilnehmern des Forums beantwortet und diskutiert. Was ich hier an Informationen und Hilfe erfahren habe, war seit Beginn der Odyssee „Schwerhörigkeit" das Kompetenteste und Beste was mir passiert ist!
Hier waren die Insider, die, die das alles schon erlebt hatten und wussten wie es mir ging. Die, die sich für „wieder hören wollen" entschieden hatten und da, das wusste ich plötzlich ganz genau – wollte ich auch wieder hin!
Ich las auch, das es nicht immer supertoll klappte, aber für mich wurde deutlich, das jeder Ton, den ich hören konnte eine Hilfe zum Verstehen der Umwelt war.
Hier fand ich auch die persönlichen Kontakte, Menschen die voll Power mitten im Leben mit CI standen.
„Ich auch, ich auch", schrie es in mir!
Mit den für mich wichtigen und richtigen Infos, dem ungemein positiven Feedback, das ich in so kurzer Zeit so erlebte, ging die Entscheidung „pro CI" auf einmal unglaublich schnell und leichten Herzens und ich konnte sie im Innersten auch voll mittragen.