Mit dem CI ein neues Leben
Heute ist mir bewusst, dass ich auf dem rechten Ohr wahrscheinlich schon immer gehörlos war. Auf früheren Fotos ist deutlich zu sehen, dass ich meinen Kopf immer so gehalten habe, dass ich mit meinem linken Ohr gut hören konnte.
Mein ganzes Leben war geprägt von diesem Nichtshören und doch keiner, auch meine Eltern nicht, haben oder hatten mir geholfen die Situation zu erkennen oder zu meistern. So weit ich mich entsinnen kann, war mir schon in der Volksschule das Fach Singen ein Greuel, denn nur mit einem hörenden Ohr kann man einfach nicht gut singen. Auf dem Gymnasium war es ebenso.
Mit sechzehn Jahren fing bei mir das linke Ohr über Nacht an plötzlich stark nachzulassen und ich bekam damals eine Hörbrille. Wobei die Brille an dem Ding noch das beste war. Einhergegangen war die ganze Geschichte mit heftigen Kopfschmerzen. Damals wurden zahlreiche Untersuchungen in der Uni-Klinik Würzburg gemacht. Vermutet wurde eine Meniersche Erkrankung, in den Befunden war aber meine Schwerhörigkeit als unbekannte Ursache dokumentiert. Meine Eltern, aber auch ich hatten keinerlei Ahnung wie man mit der Schwerhörigkeit umgehen muss und überall hieß es nur: „lass den gehen, der hört ja nichts" oder „der simuliert", „guck doch, das hat er ja verstanden". Schon damals hatte ich gelernt und mit meiner Mutter geübt, vom Mund abzulesen. Bis heute war und ist diese Fähigkeit, die ich fast perfekt beherrsche,
eine große Hilfe.
Vielen Hörenden ist einfach nicht klar, dass man sich auf seinen Gegenüber einstellen kann und oft seine Antwort schon im voraus weiß, wenn man die Thematik kennt. Mein Wunsch war immer Betriebsingenieur zu werden, denn auch heute noch bin ich vielseitig an vielen technischen und handwerklichen Dingen interessiert. Neues ist für mich immer interessant.
An ein Studium war damals nicht zu denken, schon weil meine Eltern und aber auch ich nicht wussten wie. Zudem hatte ich damals starkes Asthma, was zu häufigen Erkrankungen führte und mit 15 Jahren nach einer erstmaligen längeren Abwesenheit vom Elternhaus zu einer Kinder-Kur völlig verschwand.
So gingen die Jahre ins Land und entgegen vielen Meinungen habe ich in einem Prozess vor dem Sozialgericht eine Umschulung durchgedrückt. Bei dieser Umschulung lernte ich meine heutige Frau kennen, und habe dieses Kennenlernen nie bereut. Meine Frau ist und war mein drittes und mein viertes Ohr. Ohr Nummer fünf, dazu komme ich noch später.
Ich habe mein ganzes Leben lang versucht zu hören. Es gibt kaum ein Mittel, eine Behandlung oder eine Erfindung, die ich nicht ausprobiert habe. Von Tabletten, Spritzen, Hypnose, Yoga, autogenes Training, Frischzellen, Trockenzellen, Tinkturen, Bestrahlungen und Salben kann ich Ihnen alles mögliche erzählen, nur eines nicht, dass das Mittel geholfen hat. Mein Gehör wurde im Laufe der Zeit immer schlechter.
Mit dem Schlechterwerden wurde mein Freundes- und Bekanntenkreis auch immer kleiner, weil es immer mehr Probleme mit dem Hören, aber auch mit mir selbst gab. Ich hatte ein Motorboot, hatte einen Wohnwagen, habe geangelt, gekegelt, getanzt, bin Autorennen gefahren, alles mögliche und unmögliche angestellt, um zu beweisen: „Ich kann das auch", nicht nur Hörende, ich kann mithalten. Meinen beruflichen Werdegang habe und hatte ich auch nur zusammen mit meiner Frau durchführen können. Sie hat immer mit einem Ohr für mich gehört. Anscheinend bin ich nun mit 61 Jahren in den „Wechseljahren", denn voriges Jahr im Frühjahr 2001 hatte ich schon eine deutliche Verschlechterung bemerkt und dies ist bis zum Sommer so rapide schlechter geworden, dass ich große Probleme selbst mit dem Verstehen meiner Frau hatte. Da erinnerte ich mich an eine Dame, die ich von einem Seminar in Rendsburg her kannte. Ihr damaliger Name war Hanna Stuhr aus Wischhafen an der Elbe. Heute vielen von der Zeitschrift Schnecke her als Hanna Hermann bekannt. Sie hatte ein Cochlea-Implantat damals bekommen und zwar in Hannover. Da fiel mir Hanna wieder ein.
Da ich weder ein noch aus wusste mit meinem „Hören", setzte ich mich an meinen Computer und suchte, die Adresse der Medizinischen Hochschule Hannover heraus. Meine Frau rief dort an und bekam einen Termin im Oktober 2001 zur Vorstellung in Hannover. Dort wurde mir nach einer speziellen Computertomographie des Hörzentrums geraten, das Implantat in mein linkes Ohr, wo sich noch ein geringer Hörrest befand, implantieren zu lassen, da die Erfolgsaussichten wesentlich besser seien. Gegen die Bedenken meiner Frau habe ich dies auch durchführen lassen. Mein Motto ist: „Ich will hören" und zwar so gut als möglich. Nach weiteren Untersuchungen wurde ich dann im August 2002 mit einem Cochlea-Implantat von Clarion versorgt. Seit der Operation bin ich auf beiden Ohren gehörlos. Ob Med-El, Nucleus oder Clarion, die Cochlea-Implantate sind alle gut. Mich für ein Clarion zu entscheiden, wurde durch den Kontakt mit Klaus Grünwald ausgelöst. Ich war begeistert, wie gut er hören konnte. Klaus habe ich anlässlich des Besuchs der CI-Selbsthilfegruppe Frankfurt kennen gelernt, in der sich Sigrid und Wolfgang Kaiser sehr engagieren.
Vier Wochen nach der Operation, am 16. September 2002 bekam ich mein „fünftes Ohr", den Sprachprozessor angepasst. Das erste was ich damit hörte war schrecklich! Krach, Lärm, Geräusche, undefinierbares Gebrabbel und weitere komische Sachen. Nach 15 Minuten (!) hörte ich das erste Mal (!) eine Triangel, nicht gut deutlich, aber ich hörte die Triangel aus anderen Geräuschen heraus. Nach einer Stunde habe ich schon etwas von meiner Frau verstanden, natürlich auch mit Mundablesen zusammen.
14 Tage nach meiner Operation war Gründungsversammlung vom CIV HRM in Frankfurt. Natürlich war ich dabei, aber noch gehörlos, weil ich noch keinen Prozessor hatte. Nach nur drei Wochen war ich in Frankfurt am 12. Oktober endlich mit meinem „fünften Ohr" dabei und muss sagen, dass ich mit Mundablesen und hören keinerlei Probleme hatte. Meine übrigen „vier Ohren" waren nicht funktionsfähig bzw. nicht vorhanden. Ab sofort hatte ich nur noch meinen braunen Lauscher und ich muss sagen, dass ich damit wunschlos glücklich bis heute bin. Ich kann wieder „hören", wirklich richtig „hören", nicht raten, nicht vom Mundablesen und nicht nach meiner Frau gucken, welches Gesicht sie gerade macht.
Jetzt habe ich fünf Wochen Hörtraining in der Baumrainklinik in Bad Berleburg hinter mir und habe meinen Prozessor seit drei Monaten auf Empfang. Am 17. Dezember 2002 wurde bei mir in Hannover ein ganz neues Programm eingegeben, das völlig neu ist und alle 16 Elektroden sind nun im Betrieb. Ich kann telefonieren auch mit fremden Personen, habe beim Umgang mit Freunden und mit meiner Frau keinerlei Probleme mehr, kann selbstständig ohne meine Frau Geschäfte abschließen und bin nun dabei mir ein ganz neues Selbstbewusstsein aufzubauen. Ich versuche und mache schon vieles ohne mein „Ohr Nummer drei und vier" und es geht wunderbar.
Es muss jedem klar sein, dass ein Sprachprozessor kein Musikprozessor ist, denn die übertragene Frequenz von ca. 250 Hertz bis ca. 8000 Hertz entspricht in etwa nur der Sprache eines Guthörenden, während Musik, Singstimmen und andere Geräusche von Hörenden weit darüber hinaus wahrgenommen werden. Doch die Technik schreitet immer weiter fort und die Chips in dem Prozessor werden immer leistungsfähiger. Eines Tages gibt es wahrscheinlich voll implantierte Hörcomputer, Mikropumpen mit Hormonen, die die Hörschnecke wieder funktionsfähig machen und Prozessoren, die das volle Spektrum eines Guthörenden übertragen können.
Ich habe mir einen MP3-Spieler zugelegt und habe auf diesen von meinem Computer mir bekannte Musiktitel übertragen. Nun höre ich stundenlang und singe manchmal Lieder mit, die mir bekannt sind. Die Musikgeräusche sind als Störgeräusch zu betrachten und so übe ich gleichzeitig mein Hören. Nur das Singen ist nach Auskunft meiner Frau natürlich in den Ohren von Guthörenden kein Singen, mit einem Lauscher geht es auch schlecht, sondern mehr das Hören der eigenen Stimme. Aber ich möchte auch noch so einen zweiten „Lauscher". Mal sehen ob es klappt.
Um mich herrscht die große Stille,
nicht ein Laut durchdringt das dichte Zelt,
es war einfach Gottes Wille,
nichts zu hören auf dieser Welt.
Doch jetzt hab ich einen Lauscher,
der für mich die Ohren ist,
er ist der Weg aus meiner Stille,
alles ist nun wieder lauter,
hör ich doch die ganze Welt,
wunschlos ist mein Glück bestellt.
Nach meinen Erfahrungen und Beobachtungen möchte ich noch anmerken, dass ein Cochlea-Implantat nur sinnvoll ist, wenn noch das Hörzentrum im Gehirn intakt ist. Verschiedene Gehörlose, die noch nie gehört haben und ein Implantat haben, lehnen das Implantat ab, es mache nur Krach usw. und benutzen es nicht.
Es ist eine Hörprothese und man muss Bereitschaft mitbringen, das Hören neu zu erlernen, nur so ist das Hören damit dann auch ein Erfolgserlebnis.
Ich möchte meinen Lauscher nicht mehr missen.