Liebe Leser,
es ist toll, wenn die Entscheidung für ein Cochlea Implantat in rascher Folge Erfolgserlebnisse zeigt. Die Definition des Erfolgs hängt wesentlich von den eigenen Erwartungen, vom Anspruchsdenken und nicht zuletzt von der eigenen Geduld ab.
Im Alter von sechs Jahren wurde bei mir eine progrediente, links hochgradige, rechts an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit diagnostiziert, die aber vermutlich bereits angeboren war, und ich erhielt links mein erstes Hörgerät. Den genetischen Aspekt muss man auch betrachten, da zwei ältere Brüder ebenfalls hörbehindert sind – der eine von Geburt an und heute ebenfalls CI-Träger, bei dem anderen machte sich die Schwerhörigkeit erst im mittleren Lebensalter bemerkbar.
Als größtes Manko empfand ich schon immer, mit fremden Menschen, deren Stimme mir nicht vertraut ist, überhaupt nicht und mit vertrauten Personen oft auch nur sehr mühsam telefonieren zu können. Gerade im Berufsleben sind Telefonate mit unbekannten Gesprächsteilnehmern nun mal nicht zu vermeiden. Oh, wie ist es mir zuwider, dann gleich „die Hosen herunterlassen“ zu müssen und mit dem Finger auf die wunde Stelle zu zeigen. Und wie sehr widerspricht es meinem Selbstverständnis, Kollegen bitten zu müssen „kannst du mal übernehmen?“, denn mit dem Ergebnis solcher „Dolmetschereien“ bin ich meist unzufrieden, weil ich das Gespräch ganz anders geführt hätte. Gut, wenn Sie jetzt anmerken möchten, dass es entsprechende Hilfsmittel wie Schreib- und Bildtelefone, FM-Anlagen usw. gibt und darauf auch ein Anspruch geltend gemacht werden kann, möchte ich Ihnen antworten: ungeachtet der Frage der Verfügbarkeit und Machbarkeit am Arbeitsplatz, möchte ich nicht durch solch zweifelhafte Alleinstellungsmerkmale ausgezeichnet werden, sondern ich möchte selbstständig und ohne „Wettbewerbsvorteile“ im Alltag bestehen können. Soviel zu Erwartungen und Anspruchsdenken.
Mein Gehör hat sich im Laufe der Jahre nicht signifikant verschlechtert. Tonaudiometrisch blieb das Hörvermögen praktisch unverändert. Auf dem linken Ohr konnte mit volldigitalen Hörsystemen zuletzt ein Hörgewinn von 65% erreicht werden. Spätestens seit 1980 war ich regelmäßig bilateral mit Hörgeräten versorgt und ebenso regelmäßig verstaubte das rechte Gerät in der Schublade, da es mir bestenfalls ein Plus an Krach einbrachte, jedoch nicht im Geringsten zu einem besseren Sprachverstehen beitrug. Kurz: eine äußerst unbefriedigende Sache. Hinzu kam, dass mich Gespräche zunehmend erschöpften und ich mich mehr und mehr aus meinem sozialen Umfeld zurückzog.
Im Mai 1996 habe ich mich im Zentrum für HNO-Heilkunde der Medizinischen Hochschule Hannover auf Eignung für ein Cochlea Implantat untersuchen lassen. Es wurde eine klare Empfehlung pro CI ausgesprochen. Allerdings sollte links - also auf dem „besseren“ Ohr - implantiert werden. Damals bedeutete dies definitiver Hörverlust, da hörerhaltendes Operieren noch nicht machbar war. Und das ausgerechnet auf dem Ohr, mit dem ich auch ohne Hörgerät meine Umwelt noch wahrnahm – Ausgeschlossen!
Mitte der 1990er Jahre war die ganze notwendige Technik, die man als CI-Träger am Körper mit sich führen musste – Konrad Zuse lässt grüßen - auch noch recht voluminös: gefühlt ein Brikett hinter dem Ohr und ein Walkman am Hosenbund. Für einen eitlen jungen Mann, wie ich einer war, war das möglicherweise schon fast das größere Handicap. Wie man sich die Dinge halt so zurecht legt, um vor sich selbst gut dazustehen.
Bei der Recherche für diesen Textbeitrag entdeckte ich, dass Prof. Dr. Timo Stöver, heute Chefarzt am Zentrum für HNO-Heilkunde der Goethe-Universität Frankfurt am Main, damals als Arzt im Praktikum an der MHH den Untersuchungsbericht verfasst hat. Fast auf den Tag genau 14 Jahre später erhielt ich in seiner Klinik in Frankfurt mein CI – so schließt sich der Kreis.
Bis es soweit war, floss noch viel Wasser den Main hinab. Anfang 2010 hörte ich davon, dass Dr. med. Roland Zeh, Chefarzt der Fachklinik für Hörstörungen, Tinnitus und Schwindel an der Kaiserberg-Klinik in Bad-Nauheim, dort Seminare zur Entscheidungsfindung „CI – ja oder nein“ anbietet. Dort habe ich mich angemeldet und auf einmal ging dann alles ganz schnell:
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März 2010:Seminar zur Entscheidungsfindung, Kaiserberg-Klinik, Bad Nauheim.
Eignungsfeststellung und Befürwortung der Implantation auf dem rechten (!) Ohr.
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April + Mai 2010:Voruntersuchungen an der HNO-Uni-Klinik Frankfurt am Main.
Entscheidung für das Fabrikat Cochlear CI 512 und Soundprozessor Nucleus CP 810.
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18. Mai 2010:Implantation, HNO-Uni-Klinik Frankfurt am Main, Dr. med. Silke Helbig
- keinerlei postoperative Beschwerden. Vier Tage stationärer Aufenthalt.
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16. Juni 2010:Erstanpassung. Am zweiten Tag mit dem CI die Vögel zwitschern gehört
– und das Zwitschern als solches erkannt und angenehm empfunden.
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Mai – Dez. 2010:Antrag auf Stationäre Reha bei der Deutschen Rentenversicherung, Ablehnung und
Widerspruch, Abweisung des Widerspruchs. Vorbehalt eines neuen Anlaufs zu einem späteren Zeitpunkt.
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Feb. 2011:Start der ambulanten Reha im CIC Friedberg. Das Erreichen eines freien Sprachverstehens,
also ohne Mundabsehen, ist mein persönliches Projekt für 2011.
Und wenn mit der Zeit auch das Telefonieren mit dem CI möglich ist, bin ich glücklich.
Soviel zum Thema Geduld und Erfolg.
Last but not least: Viele CI-Träger erklären, Musik sei kein Genuss. Dies kann ich persönlich nicht bestätigen. Durch das CI bestätigte und verstärkte sich meine Ahnung von der „Fülle des Wohllauts“ klassischer Musik. Allein dies wäre mir Grund genug, mich jederzeit wieder für ein Cochlea Implantat zu entscheiden.