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Clara - ein (fast) normales Leben

Von SB

Nach einer unkomplizierten Schwangerschaft und Geburt kam meine Tochter Clara im Juli 2014 zur Welt. Beim routinemäßigen Neugeborenen-Hörscreening im Krankenhaus wurde meinem Mann und mir mitgeteilt, dass etwas nicht stimme. Gleichzeitig beruhigte uns die Krankenschwester und meinte, hierfür könne es ganz verschiedene Gründe geben. Auch die geduldige Wiederholung des Tests am nächsten Tag brachte ein negatives Ergebnis und man verwies uns an die Pädaudio der nächstgelegenen Uniklinik. In mir sprang das Kopfkino an: Konnte das tatsächlich sein? Die Schwester in der Geburtsklinik meinte, es gebe eine sehr breite Spanne: Von "noch Fruchtwasser in den Ohren" bis hin zum "worst case taub". Es gibt weder in meiner noch in der Familie meines Mannes entsprechende Veranlagungen. Natürlich hatte ich mir vor der Schwangerschaft Gedanken gemacht, dass möglicherweise nicht alles so laufen könnte, wie man sich das wünscht, doch Taubheit hatte ich dabei nicht auf der Liste gehabt.

Es blieb uns zunächst erstmal nichts anderes übrig, als den Termin in der Pädaudio in fünf Wochen abzuwarten. Es wurden fünf bange Wochen, stets mit dem Gedanken im Hinterkopf: Clara könnte taub sein. Im Nachhinein bin ich äußerst dankbar für das Neugeborenen-Hörscreening, denn wir hätten sonst niemals so schnell erfahren, dass etwas nicht stimmt. Da sie visuell sehr stark war und ist, kompensierte Clara dadurch das fehlende Hören vermutlich oft. Natürlich achteten wir besonders darauf, wie sie sich bei lauten Geräuschen verhielt und ob sie überhaupt reagierte. Eines Tages kamen wir an einer Baustelle vorbei, auf der mit einem Presslufthammer gearbeitet wurde. Clara lag in ihrem Kinderwagen und schaute weiterhin seelenruhig herum: Den ohrenbetäubenden Lärm hatte sie offensichtlich nicht wahrgenommen.

Der Hörtest in der Uniklinik fiel negativ aus und für mich brach endgültig eine Welt zusammen. Komplette Verzweiflung machte sich breit. Der herrschende Ton und wenig sensible Umgang mit Eltern an der Klinik taten ihr Übriges. Natürlich weiß ich, dass an einer Universitätsklinik die medizinischen Belange im Vordergrund stehen und der Umgang mit Taubheit alltäglich ist, doch mein „Mamaherz“ blutete und ich - generell optimistisch und lebensbejahend - stand kurz vor dem Zusammenbruch. Hier wünsche ich mir noch heute einen verständnisvolleren Umgang mit Eltern, die mit der Diagnose "Taubheit" so unvermittelt konfrontiert werden.

Es wurde ein weiterer Untersuchungstermin angesetzt. Auch bei diesem: Fingerspitzengefühl? Leider Fehlanzeige! Mir ist bewusst, dass in einer großen medizinischen Einrichtung vieles nach Plan verlaufen muss, aber die Menschlichkeit blieb leider - bis auf eine Ausnahme – wieder auf der Strecke. Auch wenn niemand verlangt, dass betroffene Eltern mit Glacé-Handschuhen angefasst werden, so war hier doch noch deutlich Luft nach oben.

Persönlich erinnere ich mich nicht gerne an diese Wochen zurück. Genießen konnte ich die Babyzeit kaum. Ich fühlte mich, als ob mir völlig überraschend der Boden unter den Füßen weggezogen worden sei und ohne die Unterstützung meines Mannes und meiner Familie hätte ich es wohl nicht geschafft. Übrigens reagierten sowohl unser Freundeskreis als auch mein Arbeitgeber (ich begann relativ früh wieder zu arbeiten, während mein Mann in Elternzeit ging) sehr verständnisvoll. Inzwischen hatte ich die Situation auch so weit akzeptiert, dass ich anfing, im Internet zu recherchieren. Dies stellte sich als Fluch und Segen gleichermaßen heraus: Fundierte Informationen zur Versorgung mit Cochlea Implantaten (CI) wechselten sich ab mit vehementen Kritikern und nicht gerade objektiven Eintragungen auf diversen Plattformen. Mir wurde schnell klar, dass eine Art "Glaubenskrieg" zwischen Befürwortern und Gegnern der CI-Versorgung herrschte. Damals wie heute muss ich sagen: Schade! Meiner Meinung nach sollten alle persönlichen Entscheidungen akzeptiert werden, egal, ob diese für oder gegen eine Versorgung mit CIs fallen. Man könnte doch die Synergieeffekte nutzen, anstatt "Stimmung" im Netz zu machen und Leute zu verunsichern.

Für meinen Mann und mich stand schon relativ früh fest, dass wir Clara mit CIs versorgen lassen würden, wenn es medizinisch möglich wäre. Was hätten wir schon zu verlieren? Klar, ein generelles Risiko besteht bei einer OP immer... doch ansonsten? Die Entscheidung fiel schnell. Im Alter von vier Monaten wurde bei Clara eine BERA (brainstem evoked response audiometry und bedeutet so viel wie akustisch evozierte Hirnstamm-Potenziale) in Vollnarkose durchgeführt. Auch das natürlich keine schöne Erfahrung für frischgebackene Eltern, doch die Tests sowie das gleich mit durchgeführte MRT gaben grünes Licht: Clara war an Taubheit grenzend schwerhörig und somit eine Kandidatin für CIs, da ihr Hörnerv vorhanden ist. Da ich mich an der Uniklinik nicht gut aufgehoben und beraten fühlte, wollte ich trotzdem gerne eine zweite Meinung einholen. Dies war an der Uniklinik Würzburg möglich. Auch hier ein eindeutiges Testergebnis (ohne Vollnarkose): Claras bestmögliche Versorgung stellten CIs dar.

Ich begann nun verstärkt, über CIs im Internet zu recherchieren und stieß sehr bald auf die DCIG, also die Deutsche Cochlea Implantat Gesellschaft e.V. Zu meinem großen Erstaunen stellte ich fest, dass die zweite Vorsitzende des Regionalverbandes CIV HRM e.V. Renate Hilkert im gleichen Ort wie meine Eltern wohnt. Ich mailte sie an und bekam eine sehr rasche und nette Antwort: Es gibt in unserem Wohnort Darmstadt nicht nur eine Erwachsenen-, sondern auch eine Kindergruppe. Zu dieser war der Kontakt schnell hergestellt und ich lernte bald darauf ein CI-Kind persönlich kennen. Mein Gott, so konnte das laufen? Ich konnte in der direkten Kommunikation keinen Unterschied zu einem normal hörenden Kind feststellen. Es war einfach beeindruckend! Diese erste Begegnung, der viele weitere in der Selbsthilfegruppe folgen sollten, bestätigte mich nochmals in der Entscheidung für ein CI, wobei an dieser Stelle natürlich erwähnt werden muss, dass die Ärzte immer wieder darauf hinwiesen, dass bei jedem Implantierten der Hörerfolg individuell und unterschiedlich ausfällt und man eine nicht zu hohe Erwartungshaltung haben solle.

Ich kann jedem nur raten, möglichst frühzeitig den Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe zu suchen, da man hier Antworten auf sämtliche Fragen bekommt, die weit über den medizinischen Aspekt hinausgehen. Eltern von CI-Kindern bündeln einen wertvollen Erfahrungsschatz, von dem wiederum andere Eltern profitieren können.

Noch vor der OP nahmen wir an einem Treffen teil und besichtigten außerdem die für uns am nächsten gelegene Reha-Einrichtung für Kinder. Zusätzlich las ich mir so viel Wissen wie möglich an (Google Books sei Dank!) und Clara wurde mit Hörgeräten ausgestattet. Hier hatten wir das Glück, auf eine sehr kompetente Akustikerin zu stoßen. Clara bekam sowohl Hinter-dem-Ohr-Geräte (was sich als nicht sehr praktikabel herausstellte) als auch ein so genanntes Taschenhörgerät. Damit hatte sie ihre ersten Höreindrücke, juchu, die Freude war groß! Auch wenn von Anfang an klar war, dass dies nur eine Übergangslösung sein würde, trug das Taschenhörgerät doch zu deutlicher Entspannung bei: Wir konnten erstmals lautsprachlich mit Clara kommunizieren und ihre Hörnerven wurden stimuliert. Zuversichtlich blickten wir der OP entgegen.

Da sie deutlich im Hörtest reagiert hatte, entschieden wir uns für zwei getrennte OPs. Es hätte von Klinikseite auch die Möglichkeit bestanden, in einer OP beidseitig zu implantieren, doch dies hätte bedeutet, dass Clara bis zur Erstanpassung für vier Wochen keinerlei Höreindrücke mehr gehabt hätte. Deshalb wurde sie Ende Februar im zarten Alter von sieben Monaten zunächst auf der linken, „schlechten“ Seite implantiert.

Vor der OP waren wir natürlich alle sehr aufgeregt und als wir sie an der OP-Schleuse in die Arme einer OP-Schwester legten, flossen bei uns einige Tränen. Nach etwa fünf Stunden bangen Wartens (die Details der OP stellte ich mir lieber nicht so genau vor) durften wir Clara mit einem dicken Verband um den Kopf im Aufwachraum wieder in Empfang nehmen. Pure Erleichterung machte sich breit, als die operierende Ärztin hinterher meinte, es sei alles glatt gelaufen, auch wenn sie sich dabei etwas vage ausdrückte. In meiner Aufregung vergaß ich, nach den Ergebnissen des intraoperativen Tests zu fragen (ich hatte vorab gelesen, dass direkt im Anschluss an die Implantation erste Tests durchgeführt werden). Clara hatte die OP gut überstanden und offensichtlich hatte sie auch keine Schmerzen - das war zunächst das Wichtigste.

Gegen Abend erschien der Chefarzt und eröffnete uns, dass es bei den Tests keine Reaktion gegeben habe. In meinem Kopf breitete sich eine Leere aus und ich war endgültig drauf und dran, zusammenzubrechen. All das - umsonst?! Ich werde nie die darauf folgenden Worte des Chefarztes vergessen: „Werfen Sie die Flinte nicht ins Korn.“ Eine Aussage, die mich in diesem Moment völlig aus der Bahn warf. Hier wären medizinische Fakten angebrachter gewesen (nämlich, dass diese negativ ausfallenden Tests immer mal wieder vorkommen können und keinen Einfluss auf den späteren Hörerfolg haben müssen). Den kompletten Abend und die komplette Nacht schluchzte ich so laut, dass man es vermutlich auf der gesamten Station hörte. Wenigstens ging es Clara gut, sie hatte die OP prima weggesteckt und bereits nach zwei Tagen konnten wir die Klinik verlassen.

Nun hieß es vier Wochen warten bis zur Erstanpassung, denn wir würden natürlich trotz des negativen Tests weiter vorgehen wie vorgesehen. Ich beruhigte mich mit dem Wissen, dass, wenn es links nicht mit dem CI funktionieren würde, es doch rechts auf alle Fälle klappen müsste, denn schließlich hatte sie auf ihrem "guten" Ohr definitiv Höreindrücke mit dem Taschenhörgerät gehabt. Notfalls wären wir auch nach Hannover zur zweiten Implantation gefahren, einfach aufgrund der dortigen Spezialisierung der Ärzte. Doch zunächst warteten wir die Erstanpassung ab und es soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass Clara sich ansonsten prächtig entwickelte und uns viel Freude bereitete.

Am ersten April kam der lang ersehnte Tag endlich und die Erstanpassung fand statt. Kein Aprilscherz: Zu unserer grenzenlosen Freude hörte Clara mit ihrem CI. Die nächsten Wochen waren geprägt durch weitere Einstellungen und ich war dankbar für die Kompetenz gepaart mit großer Geduld unserer Audiologin, bei der wir uns gut aufgehoben fühlten. Clara trug ihre CIs von Anfang an gerne – und das hat sich bis heute nicht geändert.
Gleichzeitig hieß es "Lebbe geht weida" und wir suchten einen Krippenplatz für Clara.

Ohnehin ist es in Darmstadt nicht leicht, einen solchen zu bekommen... und dann noch für ein taubes Kind? Ich wurde positiv überrascht, denn sämtliche für uns in Frage kommenden Einrichtungen standen einem CI-versorgten Kind aufgeschlossen gegenüber und waren bereit, Clara aufzunehmen. Dies lag vermutlich auch ein wenig daran, dass entweder mein Mann oder ich persönlich in den Krippen vorstellig wurden und von Anfang an offen mit Claras Behinderung umgingen. Dies ist prinzipiell etwas, was wir uns früh vornahmen in der Erziehung: Clara stärken und ihre Behinderung nicht verstecken. Sie soll später ihre CIs so selbstverständlich tragen wie andere Menschen ihre Brille und offen dazu stehen.

In der Krippe, für die wir uns letztendlich entschieden, hatten wir sogar besonderes Glück: Ein Erzieher hatte einen Neffen, der auch CI-Träger ist, d.h. ihm war der Umgang damit schon vertraut. Die übrigen Erzieherinnen bekamen von uns eine kleine Einweisung hinsichtlich des Batteriewechsels und des Themas "CI und Wasser". Rückblickend kann ich sagen, dass sich der Krippenbesuch absolut problemlos gestaltete. Eine kleine Anekdote sei jedoch gestattet: Als ich Clara eines Nachmittags abholte, stellte ich fest, dass ein CI fehlte (irgendwie entwickelt man ganz automatisch die Routine, kurz an den Kopf zu greifen und sich zu vergewissern, dass beide CIs noch vorhanden sind). Schreck, Schweißausbruch - das teure Gerät... irgendwo in der Krippe... oder noch schlimmer: im weitläufigen Garten verloren? Sämtliche noch anwesende Erzieherinnen und Erzieher wurden "alarmiert" und halfen beim Suchen; hierbei wurde auch das komplette(!) Bällchenbad ausgeräumt. Um es kurz zu machen: Das CI hatte sich in einem Spielbauhelm verhakt, den Clara getragen hatte...

Mittlerweile kannten wir auch den Auslöser für Claras an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit: Wir hatten einen genetischen Test durchführen lassen, der zum Resultat „Pendred-Syndrom“ führte. Das machte Sinn, denn hierbei handelt es sich um ein genetisch vererbtes Schilddrüsenproblem - und Schwierigkeiten mit der Schilddrüse gibt es sowohl in der Familie meines Mannes als auch in meiner. In der Vermischung der Gene führte dies zum Pendred-Syndrom, da hatten wir also quasi die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen erwischt. Die Frage nach dem „Warum ausgerechnet meine Tochter?“ hatte mich immer wieder umgetrieben und ich war erleichtert, als ich den Grund endlich kannte.

Am Wochenende vor der geplanten zweiten Implantation Ende Juli bekam Clara - untypisch für sie - hohes Fieber und bei näherem Hinsehen bemerkte ich, dass ihr linkes Ohr sehr deutlich abstand und gerötet war. Verunsichert fuhren wir in die HNO-Notaufnahme der Uniklinik und erfuhren, dass es sich um eine Mastoiditis handelte; eine akute entzündliche Erkrankung hinter dem Ohr, mit der absolut nicht zu spaßen ist. Wir wurden - zwei Tage früher als geplant - sofort stationär aufgenommen und es begann eine anstrengende Behandlung mit Infusionen. Die vorgesehene Implantation auf dem rechten Ohr konnte glücklicherweise durchgeführt werden; gleichzeitig wurde links eine Drainage gelegt. Dass die intraoperativen Tests auch dieses Mal ein schlechtes Ergebnis lieferten, ließ mich nach der Erfahrung bei der ersten Implantation kalt, immerhin gab es überhaupt Ergebnisse. Die Mastoiditis bescherte uns einen zehntägigen Aufenthalt in der Klinik, wo wir notgedrungen auch Claras ersten Geburtstag feierten.

Die Erstanpassung der zweiten Seite verlief reibungslos und Clara machte unglaubliche Fortschritte beim Hören und Sprechen. Sie war von ihrer lautsprachlichen Entwicklung tatsächlich auf dem Stand eines normal hörenden Kindes; etwas, was ich nie für möglich gehalten hätte! Selbst unser Kinderarzt war völlig überrascht von Claras Wortschatz und konnte kaum glauben, dass sie im Alter von einem Jahr neben "Mama" und "Babba" auch "aben" sagte, wenn sie etwas haben wollte. Ich begann, eine Liste zu führen mit Wörtern, die sie schon sprach und diese Liste verlängerte sich rasant. Sicherlich ist es für alle Eltern schön, wenn ihre Kinder zu sprechen beginnen, doch für Eltern von CI-Kindern ist es das pure Glück! Man freut sich über jedes neu hinzukommende Wort doppelt und dreifach. Gleichzeitig entwickelte Clara ein sehr großes Interesse an Büchern (das bis heute anhält) und ich war und bin einfach dankbar, dass sich ihr auch diese zauberhafte Welt des (Vor)lesens dank CIs so problemlos erschließt.

Im November bekam Clara abermals hohes Fieber und ein Blick hinter ihr linkes Ohr verriet: Wieder eine Mastoiditis! Wieder Notaufnahme, wieder OP (noch am selben Abend), wieder über eine Woche Klinikaufenthalt. Sarkastisch nannte mein Mann diese Aufenthalte "unsere Wellness-Aufenthalte", denn der Gedanke an Urlaub lag für uns zu dem Zeitpunkt sehr weit entfernt: Das Risiko, dass wir schnell in eine HNO-Klinik mussten, erschien uns nach den gemachten Erfahrungen als zu hoch. Bei der OP im November erhielt Clara ein Paukenröhrchen im linken Ohr, doch schon drei Monate später: Mastoiditis, OP, Drainage, stationärer Aufenthalt. Mittlerweile hatten wir schon gewisse Krankenhausroutinen entwickelt, wir kannten die komplette Belegschaft der Station... und sie kannte uns!

Das Paukenröhrchen war übrigens verstopft und wurde in der OP ausgetauscht. Nichtsdestotrotz wurde ich von mehreren Ärzten und zu guter Letzt vom Chefarzt massiv unter Druck gesetzt, eine Explantation des CIs auf linken Seite durchführen zu lassen. Normalerweise vertraue ich Ärzten und spreche ihnen nicht ihre Kompetenz ab (zumal ich selbst beruflich nicht aus dem medizinischen Bereich komme), doch trotz mehrfacher Gespräche und Unsicherheit auf Seiten meines Mannes weigerte ich mich standhaft, einer Explantation zuzustimmen, obwohl man mir anbot, ich könne mir ganz bequem einen Termin meiner Wahl aussuchen. Ich suchte stattdessen eine Ohrenärztin in unserer Heimatstadt und ließ Claras Ohr, Trommelfell und Paukenröhrchen einmal im Monat von ihr kontrollieren. Zudem schafften wir uns selbst ein Otoskop an und mein Mann wurde im Laufe der Zeit ein Experte für die Beschaffenheit und Farbe von Claras linkem Trommelfell, um eine Entzündung möglichst schnell zu erkennen und darauf reagieren zu können. Das Paukenröhrchen entpuppte sich als Schlüssel zu der wiederholten Mastoiditis, denn mit einem durchgängigen Röhrchen (es musste operativ noch einmal getauscht werden, weil es rausgefallen war) trat dieses Problem nicht mehr auf.

Mit dem CI hatten die Entzündungen - anders als mir die Ärzte in der zuständigen Uniklinik hatten weismachen wollen - rein gar nichts zu tun! Eine Explantation und spätere Re-Implantation wären in diesem Fall eine absolute Katastrophe gewesen. Wir sind übrigens privat versichert und eine CI-Implantation kostet einen mittleren fünfstelligen Betrag... ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ich möchte an dieser Stelle nicht falsch verstanden werden und auch niemandem etwas unterstellen: Es handelt sich hierbei um meine persönliche, subjektive Wahrnehmung und Meinung. Mein Vertrauen in die Kompetenz bestimmter Ärzte hat mit dieser Erfahrung jedenfalls deutlich gelitten und ich kann jede und jeden nur ermuntern, sich Wissen selbst anzueignen, eine zweite Meinung einzuholen und keine überstürzten OPs (außer natürlich im Notfall) machen zu lassen.

In den nächsten Monaten und Jahren wurde es glücklicherweise ruhiger bei uns; zumindest, was das Thema CIs anbelangte. Claras CIs ermöglichen uns ein relativ normales und inzwischen sorgenfreies Leben. Sie besucht mittlerweile - interessanterweise als Regelkind - einen integrativen Kindergarten und ist ein neugieriges, aufgewecktes und aktives Mädchen. Regelmäßig gibt es Termine mit der Frühförderin und wir sind einmal im Jahr bei der Reha.

Wenn ich schreibe, dass wir ein relativ normales Leben führen, so trifft dies auf einige Bereiche dennoch nicht zu: Etwa das Hören in sehr lauter Umgebung oder auf weite Distanzen sowie auf alle Situationen mit Wasser (da im Wasser die CIs abgenommen werden müssen, weil sie nicht wasserdicht sind oder aufwendig mit einer Schutzhülle ummantelt werden müssen, was sich beim normalen Duschen nicht lohnt). Doch auch hier gilt es, kreative Lösungen zu suchen und zu finden: Irgendwie funktioniert es.

Es hatte sich schon früh angedeutet, dass Clara eine sehr gute sprachliche Entwicklung machen würde und so ist es auch tatsächlich gekommen. Manchmal gibt es Momente, in denen ich mir für mein kleines Plappermaul einen "Aus"-Knopf wünsche - doch dann bin ich ziemlich schnell wieder unendlich dankbar für die vielen Worte, die aus Clara den lieben langen Tag heraussprudeln. Eine Entwicklung, die ich mir vor fünf Jahren in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt hätte und die mit dem CI und dem Know-how vieler Menschen ihren Anfang genommen hat.

Oktober 2019
SB