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Es hat sich so sehr gelohnt….

Von Catrin Engel

Mein Name ist Catrin, ich bin inzwischen 49 Jahre alt und wohne in der Nähe von Flensburg. Ich habe immer Probleme mit den Ohren gehabt, als Kind häufig Mittelohrentzündungen, zwischen meinen beiden Kindern kam dann der beidseitige Tinnitus dazu. Mit Mitte 30 bemerkte ich zum ersten Mal, dass ich Schwierigkeiten in bestimmten Hörsituationen bekam. Mein HNO-Arzt sprach von Hörgeräten. Das war für mich sehr schwierig, mit Hörgeräten war man alt. Ich konnte noch drei Jahre durchhalten und mit 38 verschrieb mir meine neue HNO-Ärztin Hörhilfen. Ok, das klang schon freundlicher. Nach vielen Tests und der Anpassung hatte ich tatsächlich ein neues Leben, der WOW Effekt war enorm, es ging wieder alles, telefonieren, fernsehen…

Ich arbeitete zu der Zeit in einem Krankenhaus als Labor MTA. Am 12.08.2014 fuhr ich von einem Nachtdienst nach Hause, als mir ein Auto bei Tempo 100 die Vorfahrt nahm und mir in die Fahrertür fuhr. Es war Glück im Unglück. Es war ein Neuwagen und trotz hartem Zusammenstoß, öffnete sich kein einziger Airbag.

Ich war ansprechbar und nicht lebensbedrohlich verletzt. Meine Kollegen aus dem Klinikum kamen mit RTW und Notarzt und brachten mich zurück in die Notaufnahme. Es lief das Polytrauma Programm und ich wurde gründlich untersucht. Nach den Untersuchungen und CT-Bildern wurde ich zur Beobachtung auf die IMC verlegt. Mir ging es so weit gut. Man versorgte mich mit Schmerzmitteln, um die vielen Prellungen abzumildern. Nach einer weiteren Nacht auf der Normalstation wurde ich nach Hause entlassen.

Bei der Bergung aus dem Auto waren meine Hörgeräte verloren gegangen, ich war leider aufgeschmissen, schlug mich aber so durch. An dem Morgen hatte ich das erste Mal ein Wattegefühl auf dem rechten Ohr. Ich habe mir zunächst nicht allzu viele Gedanken gemacht; Wir sehen auch nicht jeden Tag gleich. Vielleicht lag es auch an den Schmerzmitteln, dachte ich mir. Am Sonntagmorgen wachte ich mit massiven Kopfschmerzen auf. Ich leide an Migräne und neige zusätzlich zu Kopfschmerzen. Ich nahm noch mehr Schmerzmittel, das Ohr war immer noch komisch. Mittags ging gar nichts mehr und ich ließ mich zurück ins Krankenhaus fahren. Dort erwähnte ich mein Ohr und die Ärztin veranlasste ein CT vom Kopf mit besonderem Augenmerk auf die Felsenbeine. Es war alles ok und ich wurde erneut stationär aufgenommen. Es wurde ein Schädel-Hirn Trauma diagnostiziert.

Am Montag bei der Visite erwähnte ich erneut mein schlechtes Hören auf dem rechten Ohr. Es ist ein kleines Krankenhaus ohne HNO-Abteilung. Man wolle nochmal abwarten. Am Dienstag bestand ich auf einen HNO-Arzt. Man setzte mich in ein Taxi und fuhr mich in die nächste Praxis. Dort erwartete mich, zu meinem großen Glück, einer unserer Notärzte. Er diagnostizierte einen Hörsturz rechts und leitete die Stennert Therapie ein. Am Donnerstag wurde ich entlassen und führte die Therapie ambulant in der Praxis weiter.

Leider brachte diese keine Besserung. Wir machten auch eine Bioresonanztherapie und auch dies war komplett ohne Wirkung. Er gab mir den Rat, mich im Deutschen Hörzentrum in Hannover vorzustellen, da ich nun eine CI-Kandidatin wäre. Ich bekam für November einen Termin. Zeitgleich testete ich bis zum Umfallen Hörgeräte. In allen Varianten und mit allen Passstücken. Ich hörte, verstand aber nicht.

Der erste Termin in Hannover war aufregend und beängstigend zugleich. Ich war die perfekte Kandidatin für ein CI EAS. Auf Grund der kurzen Zeit mit der HG-Testung, wurde mir vorgeschlagen, bis Januar noch weiter die HG zu testen und dann wiederzukommen. Im Januar stand dann dennoch fest, ich brauche ein CI.

Mit dem Schreiben des Hörzentrums ging ich zu meiner Krankenkasse (KK). Ich erzählte kurz, was ich wollte, und die Sachbearbeiterin las den Brief. Als ich den Wegeunfall erwähnte, schob sie mir den Brief zurück und meinte, dafür ist die Berufsgenossenschaft (BG) zuständig. Daraufhin habe ich das CI bei der BG beantragt und bekam den Hinweis, die Krankenkasse sei zuständig. Also nochmal bei der Krankenkasse beantragt. Daraufhin begann ein Spießrutenlauf an Inkompetenz.

Ich solle ein Bicross-Gerät testen. Ging gar nicht: kein Richtungshören, Übelkeit, Schwindel. Dadurch, dass beide Ohren hörgeschädigt waren, kam es nicht infrage. Ich habe es nach zwei Wochen abgebrochen, die Krankenkasse bestand auf sechs Wochen, danach bitte sechs Wochen BAHA mit Stirnband testen. Laut KK war es dennoch es fraglich, ob das CI bezahlt wird. Auch wenn alles andere nicht funktioniert.

Da entschieden Menschen über etwas, wovon sie keine Ahnung hatten.

Ich ging zu meiner Anwältin und übergab ihr die ganze Sache. Inzwischen hatte ich vier Verfahren laufen: Unfallgegner, private Unfallversicherung, BG und KK. Alle Verfahren zogen sich, alle Richter scheuten sich vor Entscheidungen. Ich wurde ständig zu Gutachtern geschickt. Alle HNO-Gutachter waren sich einig, dass der Hörsturz eine Unfallfolge war Und dennoch schrieb es niemand in sein Gutachten. Die Krankenkasse verdrehte die Wahrheit vor Gericht: ich hätte nie einen Antrag gestellt.

Mir drehte sich der Magen um. Ich legte meine Anträge als Beweise vor. Mein Mann musste eine eidesstattliche Erklärung abgeben, dass wir es vor Ort beantragt haben. Es war zermürbend. Ich wollte nur noch, dass es aufhört. In der Zeit machte ich drei DGS-Kurse, ich wusste ja nicht, was noch kommt. Wir überlegten einen Kredit aufzunehmen und es aus eigener Tasche zu bezahlen. So weit war es gekommen.

Ich hatte inzwischen die Arbeitsstelle gewechselt, da ich keine Nachtdienste mehr machen konnte. Inzwischen war ich in der Pathologie, geregelte Arbeitszeiten, keine Wochenenden oder Feiertagsdienste. Aber auch hier kam ich langsam an meine Grenzen. Ich konnte nicht diktieren, durch den Abzug, stand ich ständig im Störgeräusch. In den Obduktionen arbeiteten wir mit Mundschutz, ich mogelte mich durch. Wurde ein Meister im Mundbild ablesen, im Raten und Kombinieren. Die wenigsten bemerkten meine Hörstörung, ein Fluch und Segen zugleich. Und ich hatte großartige Kollegen.

Meine Anwältin sagte dann, sie könne kein Eilverfahren einleiten, solange ich arbeite. Da es mir zu dem Zeitpunkt psychisch sehr schlecht ging, ließ ich mich arbeitsunfähig schreiben. Es wurde von der Krankenkasse angezweifelt, ich hätte ja schließlich die ganze Zeit gearbeitet. Nach einem Schreiben meiner Anwältin kamen keine weiteren Bedenken der KK.

Das Gericht ordnete das nächste Gutachten an. Ich sollte in die Uniklinik nach Kiel. Die Professorin sprach leise und mit Dialekt, sehr schwierig für mich. Ich wurde acht Stunden lang getestet. Meine Nerven lagen blank, ich war erschöpft. Beim Abschlussgespräch sagte sie mir, ich müsse Hörgeräte testen; teure Hörgeräte. Zudem sollte ich in einer der drei Hörzentren zur Behandlung. Ich dachte, mich trifft der Schlag. Ich war fix und fertig und nur am Weinen. Das hatte ich doch alles schon durch. Ich rief meinen Akustiker an und bat ihn die teuersten Hörgeräte zum Testen zu bestellen. Wir wollten dem Gutachten einen Schritt voraus sein, um Zeit zu sparen. Das Gutachten ließ sehr lange auf sich warten. Nach zweimaligem Anmahnen des Gerichts lag es dann im Juni 2020 endlich vor und es stand drin, es kommt nur ein CI in Frage. Ich war so unendlich erleichtert.

Das Gericht entschied endlich, die Krankenkasse muss die Kosten übernehmen. Ich habe alle vier Verfahren theoretisch gewonnen, dennoch fühlte es sich nicht so an. Der Unfallgegner musste nur Schmerzensgeld bezahlen, nicht das CI. Er kann normal weiterleben, mein Leben dafür, war für immer auf den Kopf gestellt. Dennoch war ich so erleichtert, dass es einfach nur vorbei war.

Im Juli 2020 wurde ich in der MHH operiert. Ich hatte Angst. Was ist, wenn es nicht funktioniert? Es war mitten in der Pandemie, ich war dort allein, ich war am Aufnahmetag drauf und dran wieder nach Hause zu fahren. Ich habe so lange dafür gekämpft, ich schaffe es. Die OP verlief gut, ich hatte Kopfschmerzen und etwas Schwindel. Die tiefen Töne wurden erhalten. Die Erstanpassungswoche fand sechs Wochen später statt. Ich bekam mein Sonnet2. Ich war so aufgeregt und das begründet: Es war so gut. Ich ging aus dem Hörzentrum raus und dort ist ein Brunnen, ich hörte das Wasser plätschern. Das war vorher unmöglich. Ich war völlig aufgelöst, es funktionierte und das gleich nach dem ersten Termin. Am Ende der Woche machte ich einen Test, den sie sonst nie bei der Erstanpassung machten. So weit war ich schon gekommen.

Ich trug mein CI 16 Stunden am Tag, machte kein besonderes Hörtraining und bekam so großartige Rückmeldungen. Fernsehen ging wieder in halber Lautstärke. Masken waren kein Problem mehr. Ich fuhr zur Reha nach Bad Salzuflen und auch dort sagte man mir, ich sei hervorragend mit meinem CI. Ich wurde von Ärzten und anderen Hörgeschädigten gefragt, wie ich es geschafft habe. Ich trage es und ich wollte es so sehr. Ich denke, es liegt auch an den operierenden Ärzten und endlich mal ein bisschen Glück.

Danach merkte ich allerdings, wie schlecht mein linkes Ohr von jetzt auf gleich war. Das Gute wird zum Schlechten. Hannover riet mir, nicht zu lange zu warten. Es gebe auch immer ein gutes und ein schlechtes CI-Ohr. Im März 2022 war dann das linke CI dran, auch hier wurde Restgehör erhaltend erfolgreich operiert. Es wurde ein erfahrener Operateur dazu geholt. Auch hier lief die Erstanpassung hervorragend. Am ersten Abend konnte ich schon Netflix ohne Untertitel gucken, und das nur mit dem linken (und schlechterem) Ohr. Allerdings ist das Ohr leiser und ich habe bei hohen Tönen ein Augenzucken, das nur ich sehen konnte. Die Ursache und genaue Diagnose ist noch unklar.

Bei der zweiten Reha in Bad Salzuflen habe ich wieder gute Ergebnisse erzielt. Mein Audiotherapeut musste sich immer ins Gedächtnis rufen, dass ich ein CI habe.

Allerdings gibt es auch für mich Grenzen: ich ermüde schnell im Störgeräusch und mir fällt Telefonieren mit Fremden sehr schwer. Derzeit kann ich meinen Beruf nicht ausüben, da ich keine Nachtdienste leisten kann und Laborgeräte sehr laut sein können. Dazu kommt das Telefonieren. Mein ehemaliger Arbeitgeber hat mich aus der Pathologie aus Kostengründen entlassen. Zurzeit arbeite ich im öffentlichen Dienst in einem Bürojob, mein Herz ist weiterhin in der Medizin.

Hannover hat gesagt, es gibt immer ein gutes und ein schlechtes Ohr:

Ich bin sehr dankbar für die Möglichkeiten, die sich mir mit meinen CI eröffnen, dass ich damit so gut hören kann. Ich höre Stimmen normal, kann diese unterscheiden, kann Musik hören, kann neue Musik hören, gehe zu Lesungen, ins Kino und Theater.

Mein Leben hat sich durch den Unfall komplett verändert, ich kann es nicht ändern und habe meinen Frieden damit geschlossen. Ich habe es angenommen, die CIs gehören zu mir, sie sind Teil meiner Identität, ich kann jetzt der Welt darüber was erzählen und aufklären. Ich habe so tolle Menschen in dieser Zeit kennengelernt, das möchte ich nicht mehr missen.

Jeder einzelne Schritt dieses langen und sehr mühsamen Weges war es wert und ich würde es sofort wieder machen, es hat sich so sehr gelohnt!

Catrin Engel
Mai 2024