Von Kindheit an hörgeschädigt, bin ich am 7. Nov. 2005 in der HNO Frankfurt mit einem CI implantiert worden und kann heute, am 27.März 2006 sagen: Es ist sehr gut geworden.
Zu meiner Vorgeschichte: meine Schwerhörigkeit wurde bei Schuleintritt festgestellt. In meiner Familie mütterlicherseits ist die Innenohrschwerhörigkeit erblich. Die meisten unserer Angehörigen wurden erst im Alter von ca. 35 Jahren schwerhörig. Bei mir muss eine Mutation auf einem Gen passiert sein (so vermutet man in der Humangenetik der Universitätsklinik Gießen, die ich 2002 aufsuchte), dass ich als einzige schon früh schwerhörig wurde.
Während meiner Schulzeit gab es für mich keine andere Art von Behandlung, als dass ich immer in der ersten Reihe saß, besonders gut aufpassen musste und durch besonders ruhiges und zögerliches, zurückhaltendes Verhalten auffiel. Erst viel später erfuhr ich, dass es durchaus schon die Möglichkeit für mich gegeben hätte, in die Schwerhörigenschule nach Bad Camberg zu gehen. Doch da es in der Familie erblich war, wurde weiter nichts unternommen. So ist es, hieß es.
In der Kindheit war das schlechte Hören schon Anlass für manche deprimierende Situation. So wurde ich wegen meiner Zartheit und Schüchternheit in einen Erholungsaufenthalt verschickt. Dort fiel ich durch meine Zurückhaltung stark auf. Als ich beim morgendlichen Singen nicht mithalten konnte, weil ich die Texte nicht kannte, wurde ich vor versammeltem Publikum zum Vorsingen aufgefordert. Die Scham, weil ich mich nicht wehren konnte, brannte sich unauslöschlich in mir ein. Meine Schwerhörigkeit wurde gar nicht berücksichtigt.
Meine Schulausbildung schloss ich recht gut ab, dann erlernte ich drei Jahre den Beruf der Damenschneiderin, legte meinen Gesellenbrief mit Erfolg ab. Danach besuchte ich eine Mode- und Zuschneideschule in Frankfurt, um dort mein Diplom als Directrice zu erwerben.
Das war die Zeit, als ich erstmals ernsthafte Schwierigkeiten bekam mit dem Hören. Die Ausbilderin wusste zwar um mein Handicap, doch wer kümmerte sich da in den sechziger Jahren groß drum. Ich leistete Schwerarbeit, indem ich versuchte, dem Unterricht akustisch zu folgen, von der Tafel die Infos abzuschreiben und gleichzeitig bei meiner Nachbarin zu kiebitzen, um Verpasstes auch noch mitzuschreiben.....
Mit dem Diplom in der Tasche kehrte ich nach Hause zurück, geriet in die Rezession des Jahres 1967 und bekam einen Arbeitsplatz in einem Nähmaschinenfachgeschäft als Kursleiterin für Nähkurse. Doch ich war aufgrund meiner scheuen Art gar nicht dafür geeignet, denn ich hatte noch nicht gelernt mich durchzusetzen.
Danach arbeitete ich als Stoffverkäuferin in einem großen Stoffhaus. Bis dato kümmerte sich niemand um eine Versorgung für mich. In dieser Zeit machte ich auch den Führerschein, was auch eine große Hürde war, die ich aber meisterte.
Mir selbst war nichts bekannt von Hörgeräten, besonderen Schulen, Werkstätten etc. Es kam, wie es kommen musste, ich war nicht so fit, wie andere Arbeitnehmerinnen. Und damit nicht so erfolgreich oder durchsetzungsfähig. Nachdem ich wiederholt wegen nicht ausreichendem Umsatz ermahnt wurde, kündigte ich die Stelle. Die Erlebnisse dort mit Verkauf um des Verkaufens willen, prägten sich mir allerdings so tief ein, dass ich heute noch eine andere Geschäftsphilosophie lebe!
Nun war ich eine kurze Zeit arbeitslos und machte mich dann mit einer Flickschneiderei (welch schreckliche Bezeichnung) selbstständig. Etwas anders war mir aufgrund fehlender Berufsnachweise nicht möglich. Ich schneiderte also für meine Kundinnen.
1969 heiratete ich und dann passierte es, daß ich beim Autofahren die Glocke an einem un-beschrankten Bahnübergang nicht hörte und seelenruhig weiterfuhr. Die Aufregung meines Mannes war Anlass zum HNO zu gehen.
Das Ergebnis war, dass ich sofort Hörgeräte verordnet bekam! Ich weiß nicht mehr genau, ob ich erst nur ein HG und erst beim nächsten Mal beiderseits versorgt wurde. In jedem Fall habe ich die Geräte getestet, bin aus dem Akustikergeschäft mit Hörgeräten raus und habe sie einfach gleich und ständig getragen. Es war schwierig; die Geräte natürlich nicht so gut wie heute. Tatsache ist, dass ich mich in dem Akustikgeschäft gut beraten fühlte, deshalb bin ich auch heute noch dort – nach 36 Jahren.
Alle fünf Jahre zahlte die Kasse neue HGs, so bekam ich auch immer wieder die neuesten Geräte. Und erlebte den Fortschritt der Technik, die in diesen Jahren ja große Schritte machte, hautnah mit. Mit dem Fortschritt der Hörgeräte ging auch meine persönliche Entwicklung einher, ohne dass mir dies bewusst war.
Durch drei Fehlgeburten und eine Frühgeburt verschlechterte sich mein Gehör stetig. Meine berufliche Selbstständigkeit hatte ich aus familiären Gründen aufgeben müssen. 1976 hatte ich dann endlich das Glück, ein gesundes Kind zu bekommen. Bis heute sind keine Anzeichen da, dass meine Tochter die SH geerbt haben könnte. Wobei ich von Anfang an weiß, dass die Möglichkeit von 50% da ist, oder auch eben noch in der nachfolgenden Generation auftreten kann.
1984 empfahl mir erstmals jemand, einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen. Beim Versorgungsamt wurde ich untersucht und bekam sofort einen GdB von 60 %. Längst hatte ich mir Bücher über Kommunikation, Körpersprache etc. gekauft, um außer der Akustik auch anderweitig zu „verstehen.“ Die Bemerkung der Ärztin vom Medizinischen Dienst bei der Untersuchung blieb mir haften: „Sie haben ja schon alles getan, um Ihre Behinderung auszugleichen“. Das wurde fortan zu meinem Leitziel. Selbst alles zu tun, um es leichter zu haben.
Im gleichen Jahr sah ich durch Zufall im Bayrischen Rundfunk eine gehörlose Puppenmacherin, die Kurse gab mit normal hörenden Teilnehmern. Das weckte meinen Ehrgeiz, denn schon längst war die Evangelische Familienbildungsstätte in Gießen an mich herangetreten mit der Bitte, als Nähkursleiterin zu arbeiten. So begann meine berufliche Entwicklung.
Ich hatte sofort viel Zuspruch, leitete drei verschiedene Kurse wöchentlich und konnte im Zeitraum von 10 Jahren 100 Hobbyschneiderinnen ausbilden. Alle wussten um meine Hörschädigung, aber da beim Nähen viel visuell abläuft und mit praktischer Anleitung, so war es problemlos. Bis ich auf einen Professor traf in meiner HNO-Praxis!
Er war so entsetzt beim Anblick meiner Hörkurve und bemitleidete mich so sehr, dass ich darüber erstmals zusammenbrach. Bis dahin hatte ich alles so als „normal“ hingenommen, jetzt erst wurde mir meine Geschichte richtig bewusst. Ich wollte alles hinwerfen und konnte nicht mehr weiter. Und das Unfassbare geschah: Meine Kursteilnehmerinnen bauten mich auf, sprachen mir Mut zu und wollten mich nicht gehen lassen. Also weiter mit neuem Mut. Und immer wieder neuen Geräten. Mein Akustiker betreute mich bestens. Wenn mal ein Gerät defekt war, bekam ich immer das richtige Gerät als Ersatz. Das nahm ich als selbstverständlich hin. Erst jetzt weiß ich , dass dies keineswegs in allen Akustikerläden so gehandhabt wird. Also vielen Dank noch an dieser Stelle!
Meine Kursarbeit setzte ich fort bis 1990. Durch eine Veränderung im Berufsleben meines Mannes, blieb mir keine Wahl, als die geliebten Nähkurse aufzugeben. Um den Platz an seiner Seite in einer Fleischabteilung eines Supermarktes einzunehmen. Allerdings gegen alle Vernunft. Sowohl der Akustiker als auch der HNO sagten: Dass ist nichts für Sie!
Doch mein Mann brauchte mich. So stand ich also plötzlich vor der Aufgabe Fleisch, Wurst, Geflügel, Käse und Backwaren zu verkaufen. Mit täglich ca. 300 Kunden vor der Theke. Dazu kamen fünf Verkäuferinnen, die mir von den Fachkenntnissen her weit überlegen waren. Außerdem musste ich die vorbereitende Lohn- und Finanzbuchhaltung lernen und erledigen. Das Steuerbüro der Supermarktkette war im Ruhrgebiet, sodass ich gezwungen war, alle Fragen telefonisch zu erledigen. Damals legte ich mir ein Fax zu, damit ich wenigstens damit Probleme des Hörens umgehen konnte. Ich bin heute noch dankbar, am Telefon auf einen Diplomfinanzwirt getroffen zu sein, der mir einfache Mithilfe untersagte und von mir verlangte, das ich bei meinem Mann als Angestellte geführt wurde. So komme ich in ein paar Jahren wenigstens in den Genuss der Schwerbehindertenrente ohne Abschläge.
Vier Jahre hielt ich die enorme Belastung dieser Tätigkeit aus, dann wurde ich krank darüber. Ich bekam Magen-Darm-Beschwerden, offene Kopfhaut, Haarausfall und wog nur noch 50 Kilo. Probleme mit dem Nichtverstehen der Kundschaft, die Geräuschkulisse einer Fleischabteilung, die mit Fliesen und dem Metall-Geschepper und vor allem den rund um die Uhr laufenden Kühlanlagen ausgestattet ist – es war unerträglich. Ich musste mich den ganzen Tag durch die Geräusche hindurchhören.
Auch neue Hörgeräte brachten keine Besserung. Mein Hausarzt „verweigerte“ mir Weiterbehandlung, wenn ich nicht endlich aus dieser Arbeitssituation herauskäme. Von März bis September 1993 führte ich nur noch Büroarbeit aus, regenerierte mich selbst und machte mich im Oktober 1993 mit einer Schneiderei selbständig.
Dann wurde mein Mann an der Bank überfallen, war nicht mehr gesund und schied im März 1994 aus dem Berufsleben aus im Alter von 51 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt war ich 45 Jahre alt, unsere Tochter 16 Jahre alt und machte später Abitur.
So betrieb ich meine Schneiderei, hielt die Familie damit über Wasser, bis mein Mann nach zwei Jahren Wartezeit ohne Verdienst, Krankengeld oder sonstigen Zahlungen endlich berentet wurde. Immer wurde ich in dieser schweren Zeit von meinem Akustikergeschäft bestens bedient und behandelt. Um mich weiter zu bilden, trat ich in die Innung ein. Nahm an Fortbildungen teil, wurde auch Mitglied in der Gruppe UFH, Oberhessische Unternehmerfrauen. Außerdem besuchte ich die Modeschule in München zu Fachseminaren, die mir insgesamt leicht fielen und mir viel gebracht haben. Längst hatte ich gelernt, dass ich mit mehr Wissen immer besser verstand. Weil die Zusammenhänge schneller aufgefasst werden können und akustische Nachteile gemildert werden. Außerdem lerne ich sehr gern beim Lesen von Lektüre aller Art.
Zu gerne hätte ich die Meisterprüfung im Schneiderhandwerk noch nachgeholt. Da bot sich mir die Möglichkeit, eine Sachkundeprüfung im Handwerk abzulegen, um mir den Stress dieser Situation zu ersparen. Zu gerne hätte man mir Lehrlinge zur Ausbildung überlassen, doch das war mir zu gewagt, immer wieder mit neuen Menschen zu arbeiten.
Immer wieder über meine Hörschädigung aufklären, immer wieder derjenige zu sein, der sich am meisten strapazieren muss für Dinge, die für Normalhörende selbstverständlich sind.
Nach weiteren Schicksalsschlägen innerhalb kurzer Zeit, schwere Krebserkrankung meines Mannes, dem plötzlichen Tod meiner Mutter und dem Wegzug meiner Tochter nach Wien hatte ich eines Tages keine Kraft mehr. Eine Kur in der Baumrainklinik sollte mich wieder fit machen. Auch das schaffte ich nur mit viel Kraftaufwand, denn die LVA wollte mich nicht dorthin lassen. Nach einem Intensivgespräch mit dem entscheidenden Arzt in Frankfurt schaffte ich es, mit dem Versprechen, einen Bericht abzuliefern über den Sinn einer Kur in einer hörgeschädigtengerechten Einrichtung.
Dr. Roland Zeh und sein Team versuchten alles, um mir klar zu machen, wie schlecht es um mein Gehör bestellt sei. Ich dachte eigentlich, ich wüsste genau, wo ich stehe mit meinem Hören. Weit gefehlt. Wieder zurück, kam ich dem Rat von Dr. Zeh nach und aktivierte meine Mitgliedschaft im DSB. Mit dem Ergebnis, dass ich gleich beim ersten Besuch als Vorsitzende gewählt wurde. Das Amt hatte ich drei Jahre inne, konnte in dieser Zeit viele neue Ideen umsetzen und neue Mitglieder gewinnen. Danach war ich noch ein Jahr als Kassiererin tätig und bin jetzt aktive Beisitzerin. Mein selbständige Tätigkeit verlangt meinen ganzen Einsatz.
Um mit meiner Tochter in Österreich Mail-Kontakt pflegen zu können, hatte ich mir in kurzer Zeit PC-Wissen angeeignet, was natürlich auch meiner Arbeit zugute kam. So pflegte ich vielfältige Kontakte über das Internet mit anderen Schwerhörigen. Dadurch kam der Kontakt zum Bayerischen Rundfunk zustande, der einen Film-Beitrag über mich in der Sendung „Sehen statt Hören“ brachte. Meine Kunden fanden das sehr gut, doch mein Vater hat sich die Sendung zunächst nicht angesehen. Mit der Behinderung an die Öffentlichkeit zu gehen - dass verstand er nicht.
Trotz allen Schwierigkeiten und aus privaten Gründen verlegte ich 2004 meine Schneiderei in die Stadt, um in einem kleinen, feinen Ladengeschäft weiter zu arbeiten. Derzeit habe ich vier Angestellte. Arbeitszeiten von 60 Stunden und mehr pro Woche waren anfangs an der Tagesordnung. Erst ein Beitrag von Egid Nachreiner in der Schnecke ließ mich auch über meinen eigenen enormen Arbeitseinsatz nachdenken. Und über die Überfrachtung, der wir SH uns gern aussetzen, um uns und der Umwelt zu beweisen, dass wir genauso leistungsfähig sind wie andere. Und dabei weit über das Ziel hinausschießen.
Nach meiner Kur in Bad Berleburg im Frühjahr 2000 besuchte ich gerne die Patientenseminare in der Baumrainklinik, um Kontakte zu pflegen und um Neues aus der Technik kennen zu lernen. Im Mai 2005 konnte ich aus zeitlichen Gründen nicht teilnehmen und dachte bei mir: „ist nicht schlimm, ist sowieso zuviel Thema CI. Das betrifft mich ja nicht.“ Wie schnell holte mich die Wirklichkeit ein!
Es kam, wie es kommen musste: mein Gehör verabschiedete sich im August 2005 gänzlich. Seit langem hatte ich für mich persönlich die Operation mit einem Cochlear Implantat als Licht am Ende des Tunnels gesehen. Nun griff ich auf mein Wissen und meine Freundschaften und meine vielfältigen Kontakte mit anderen Hörgeschädigten zurück, informierte mich bestmöglichst über alles rund um das CI. Mailte Frau Dr. Helbig in der HNO Frankfurt an, weil ich zwei Patienten von ihr kenne, die sehr zufrieden sind mit der von ihr durchgeführten Operation und ihrem CI.
Das war dann mein kurzer Weg zum Cochlear Implantat.
Die Voruntersuchung fand bei OÄ Frau Dr. Helbig und Herrn Dr. Unkelbach in der Uniklinik Frankfurt Abt. HNO statt. Mit einem aussagekräftigen Attest meines HNO-Arztes und neuesten Audiogrammen ausgestattet, war schnell klar: ich eigne mich für die OP. Bereits am 7. Nov. 2005 wurde ich implantiert.
Vorher ließ ich mich von Herrn Prof. Dr. Diller im CIC-Friedberg und den drei Firmen der Implantate ausführlich beraten. Vorausgegangen waren E-Mails deutschlandweit mit befreundeten CI-Trägern, ein Intensivgespräch mit Michael Schwaninger, das er als Härtetest mit mir beim Italiener durchführte. Mein Entschluss stand schnell fest, ich wollte den Freedom von Cochlear.
Aber welche Seite opfere ich ? Dass war eine große Frage. Ein Gespräch mit Herrn Pera brachte dann die Entscheidung, weil ich vorher schon im Selbsttest festgestellt hatte, dass das rechte Ohr noch einen Hörrest hergab. Das linke Ohr war mein Telefon-Ohr, dass wollte ich nicht aufgeben. Ich war so ruhig und zuversichtlich vor der OP, wie ich es mir selbst gar nicht erklären konnte. Aber es war eben alles gesagt, getan, was sollte also passieren?
Die OP verlief wie erwartet gut, die üblichen Nachwehen mit Übelkeit vergingen schnell. Dass mein Gesichts- und Geschmacksnerv nicht beeinträchtigt waren von der OP, freute mich sehr. Der Heilungsprozess der Narbe ging schnell und ich war schon glücklich, als ich von Frau Dr. Helbig hörte, dass die OP gelungen sei.
Wie ich die vier danach folgenden Wochen überstanden habe, weiß ich heute nicht mehr. Mit dem bisschen Restgehör im täglichen Kundenkontakt ... es ging auch vorüber. Frau von Lüpke passte mir am 12.12.2005 den Sprachprozessor an und ich war zunächst entsetzt. Soooo sollte ich in Zukunft hören? So piepsig? Augen zu und durch, war meine Devise. Sofort auf der Heimfahrt im Auto hörte ich meine CDs, um überhaupt Höreindrücke zu bekommen.
Die ersten Tage waren anstrengend und dann ging doch alles rasant schnell. Im Esszimmer die Wanduhr ticken zu hören, im Auto den Blinker, das Gluckern der Heizung zu Hause, die Tür im Geschäft hören zu können und die Kundengespräche entspannt zu führen, das sind Glücksmomente, die sich Normalhörende nicht vorstellen können.
Ich gewöhnte mich in einer atemberaubenden Geschwindigkeit an die neuen Höreindrücke. Eine Woche später ließ ich mir bereits einen neue Einstellung anpassen, dann im Abstand von vierzehn Tagen. Jede Fahrt nach Frankfurt wurde für mich ein Gewinn und Frau von Lüpke machte es sichtlich Spaß mit mir zu arbeiten. Mir auch mit ihr.
Eine Woche Pause hatte ich mir im Geschäft gegönnt, im Nachhinein würde ich sagen, dass war ein bisschen knapp. Mein Team hat mich sehr gut unterstützt, wo es nur ging.
Nun muss ich noch einfügen, dass ich seit Jahren einen sehr guten Kontakt zum Integrationsamt pflege. Dort habe ich viele Hilfen erhalten, indem ich die Mikrolink für meine Tätigkeit als Nähkursleiterin und Ausbilderin an der Hauswirtschaftsschule sowie Telefone mit Induktionsspule bezuschusst bekam. Auch die Alarmanlage mit Trittmatten und Blitzlampen für meinen Laden bekam ich zur Verfügung gestellt. Durch meine Ertaubung stellte ich den Antrag auf Arbeitsassistenz, der schnellstmöglichst bewilligt wurde, sodass ich bereits ab Oktober 2005 Assistentinnen am Telefon hatte. Eine ungeheure Erleichterung für mich im Kundenkontakt.
Weihnachten 2005 konnte ich schon die Glocken läuten hören, besuchte auch an Silvester dankbar den Gottesdienst und freute mich doppelt, weil zwischenzeitlich eine komplette Audioanlage mit Induktionsschleife eingebaut worden war. Nebenbei hatte ich mich dafür engagiert, dass in der Evangelischen Kirche meiner Heimatgemeinde eine Anlage mit Induktionsschleife installiert wurde. So haben wir mit einem feinen Handarbeitsmarkt eines Kreativkreises, dem ich angehöre, mehr als € 2000,00 erwirtschaftet, die wir der Kirchengemeinde als Zuschuss überreichen können.
Eine schreckliche Erfahrung war allerdings der Jahreswechsel um 24:00 Uhr! Völlig unvorbereitet trafen mich die nervtötenden Geräusche der Feuerwerkskörper und Böller – so hatte ich das noch nie gehört. Ich war entsetzt.
Nachdem Frau von Lüpke ihre Arbeit im Januar mit mir zu meiner vollsten Zufriedenheit beendet hatte, begann ich die ambulante Reha im CIC Friedberg. Ein wenig Stress mit der Krankenkasse musste natürlich auch noch sein, die mir die Nachsorge im CIC nicht gönnen wollte, doch Herr Prof. Dr. Diller hatte dass dann schnell geklärt.
Aus zeitlichen Gründen kann ich keine stationäre Rehabilitation machen. Frau Bumann, meine Therapeutin, arbeitet mit Hingabe mit mir, besonders beim Musik- und Telefontraining. Und freut sich mit mir, dass ich schon nach dieser kurzen Zeit so gute Hörwerte erreiche mit dem CI.
Es ist mir eine tägliche Freude, wenn ich ohne besondere Aufmerksamkeit plötzlich Gespräche mithöre z.B. beim Einkaufen, die ich auf diese Entfernung früher weder hören und erst recht nicht verstehen konnte.
In meiner Freizeit spiele ich gern auf einem Keybord altbekannte Lieder. Hörbücher auf einem CD-Player zu hören, war für mich vorher nicht denkbar. Irgendwann stellte ich für mich fest, dass ich regelrecht süchtig wurde nach Hören aller Art, soviel Spaß macht es mir und soviel Lebensfreude gibt mir das Cochlear Implantat.
Jetzt schalte ich auf Anraten zurück, um das neu gewonnene Hören nicht zu übertreiben und mich nicht in der anderen Richtung zu überfordern.
Meine Mitarbeiterinnen und Kundinnen stellen ein völlig positiv verändertes Wesen bei mir fest. Ich bin viel freier, offener, gelöster und fröhlicher im täglichen Umgang geworden. Abends bin ich längst nicht mehr so erschöpft vom Hören; alles in allem, also ein großer Gewinn für mich, aber auch für meine Mitmenschen.
Im vergangenen Jahr habe ich nicht an meine Ohren gedacht, als mir durch den Kopf ging: wir haben gar nicht mehr so viele Vögel im Garten. Ein Zeichen, wie schleichend das Gehör sich verabschiedet. Jetzt mit CI habe ich jeden Morgen den Krach der Amseln, der Raben und Elstern aber auch der Rotschwänzchen und Meisen im Ohr.
Heute hatte ich die erste große Hör-Sprachprüfung in der HNO Frankfurt, mit 100 % Zahlen und 80 % Sprachverstehen mit CI und HG. Und nun wünsche ich mir das zweite CI.
Als Frau Dr. Helbig mich heute bat, bei einer Fortbildungsveranstaltung zur Cochlear Implantation einmal von mir zu sprechen, war klar, dass dies gleichzeitig mein Bericht wird, auf den Michaels Ohrenseite wartet. Denn nun habe ich einen Meilenstein erreicht.
Mein Bericht ist sehr ausführlich geraten und beinhaltet zahlreiche Passagen, die eigentlich mehr ins Private gehören. Doch ich möchte damit aufzeigen, wie sehr die Hörschädigung das Dasein und die berufliche Entwicklung beeinflussen.
Man kann und darf das nicht voneinander trennen, weil das Eine das Andere bedingt. Meine Entwicklung war nur möglich, durch die immer wohlwollende Betreuung meines Akustikers und meiner HNO-Praxis, in der ich jetzt schon die dritte Generation erlebe.
Akustiker wie Ärzte sollten bitte bedenken, dass Sie niemals nur die Ohren oder die Hörschädigung behandeln, sondern immer der ganze Mensch davon betroffen ist in seinem gesamten Dasein.
Im Nachhinein stellt sich mir die Frage, warum ein Akustiker die Kunden nicht früher über das „Ende der Fahnenstange beim Hören mit Hörgerät“ informiert. Oder der HNO-Arzt. Ist der Patient in der Lage, subjektiv einzuschätzen, wo er gerade steht? Ich war es offensichtlich nicht, obwohl ich „glaubte“ zu wissen, wo ich stehe.
Rein theoretisch hätte ich schon früher implantiert werden können, wenn ich mir meine Hörkurven jetzt ansehe. Wenn ich erlebe, was ich mit CI wieder alles hören kann. Doch das konnte ich nicht einschätzen. Und mein HNO sagte immer auf Anfragen: „es ist noch zu früh.“ Ich bin trotzdem sehr zufrieden mit dem Erreichten, weil ich nicht wissen kann, ob die Technik schon früher so gut für mich gewesen wäre.
Mein Wunsch wäre z.B., dass jeder Akustiker auch mit CI vertraut ist. Denn ich möchte gern dort im Haus bleiben und nicht woanders hin wechseln müssen, weil meine Firma mich nun mit dem CI nicht mehr betreuen kann.
Mir hat das Cochlear Implantat eine neue, nie gekannte Lebensqualität geschenkt, neue Türen aufgestossen und eine ganz neue Freiheit beschert.
Ich bedanke mich ganz besonders herzlich bei all den Menschen, die mich bis hierher begleitet haben, mir über manche Hürde geholfen haben und mich in dem Glauben an mich selbst bestärkt haben. An dieser Stelle danke ich auch meiner Tochter, die immer , wenn ich sie brauche, für mich da ist.
Vielen Dank fürs Lesen und Zu-Hören