Als ich (heute 41 Jahre) etwa fünfzehn Jahre alt war, wurde bei mir eine leichte bis mittelgradige Hörschädigung festgestellt. Der Grund ist wahrscheinlich eine verspätete Kinderkrankheit – Mumps und Masern bekam ich erst mit 11 Jahren - er ist aber nie richtig festgestellt worden. Daraufhin bekam ich Hörgeräte verschrieben, die ich aber nicht getragen habe, weil ich den Klang nicht mochte und auch irgendwie so klar kam. Ich habe mich in Schule und Studium immer sehr angestrengt und konzentriert. Außerdem fühlte ich mich mit Hörgeräten minderwertig. Ob ich in Gruppengesprächen mal was nicht mitbekam oder als „stilles Wasser“ eingeschätzt wurde, war mir egal. Stattdessen machte ich schwierige Sachen, wie ein Auslandsjahr in Genf, und später Praktika in New York und Jerusalem, um mir zu beweisen, dass ich mindestens so gut wie die „Normalhörenden“ bin.
Richtig getragen hatte ich die Hörgeräte bis dahin nicht, wurde nun aber mit etwa 22 Jahren dazu gezwungen, weil ich die französischen Vorlesungen in Genf sonst nicht verstanden hätte. Trotzdem trug ich die Hörgeräte dort und auch danach nur, wenn ich sie brauchte, z.B. für das Jura-Studium oder einen Theater- oder Kinobesuch. Über die Jahre hatte sich das Hören aber verschlechtert und mit Ende zwanzig kam dann die Zeit, wo ich Hörgeräte regelmäßig trug. Ich habe mich immer sehr angestrengt, um den zunehmenden Hörverlust zu kompensieren. Zurückgezogen habe ich mich nicht, ich bin trotzdem mit meinen Freunden ausgegangen, auch wenn ich manchmal den gesamten Abend nichts verstanden habe.
Manchmal war es trotzdem schön, manchmal war ich nur noch am Heulen, wenn ich zu Hause war. Erst ca. fünf Jahre später, etwa mit Mitte 30 war es so, dass auch die neueste Generation von Hörgeräten nicht mehr zu einer ausreichenden Hörfähigkeit führte. Ich kam wohl damals schon mit den Hörgeräten nicht mehr über ein Hörverstehen von 50%. Dies war mir aber nicht so bewusst, erst mein damaliger Ehemann, der selbst Arzt ist, erkannt im gemeinsamen Zusammenleben, dass ich so müde und erschöpft abends nach der Arbeit war, dass ich praktisch nichts mehr gehört habe und ein Privatgespräch kaum möglich war.
Ich gab meine ganze Kraft für meine Arbeit beim Landgericht, wo ich ja als Richterin Einzelverhandlungen führen und viele Informationen aufnehmen muss. Da das Verstehen zunehmend ein Problem wurde, ging es nur deshalb gut, weil meine Sitzungen in einem sehr kleinen Raum stattfinden konnten und ich durch vorheriges intensives Aktenstudium besonders gut vorbereitet war. Außerdem muss ich wohl recht gut von den Lippen abgelesen haben.
Ich hatte mich schon fast damit abgefunden, dass ich eben nicht mehr alles mitbekommen kann, hatte aber unterschwellig natürlich Angst, was werden soll, wenn ich irgendwann noch weniger bzw. mal gar nichts mehr höre. Ich wusste aber auch nicht, dass man da noch so viel machen kann, habe das Problem aber auch eher verdrängt, als mich wirklich damit auseinandergesetzt. Aber natürlich hat das in der Kommunikation vielfach zu Problemen geführt. Z.B. habe ich im Gespräch manchmal einfach irgendetwas geantwortet (was oft nicht passte) oder einfach das Thema gewechselt, weil ich nicht zum dritten Mal nachfragen wollte. Das kam dann aber bei meinem Gegenüber so an, als interessiere mich das vorher Gesagte nicht. Dabei fand ich es einfach geschickter über etwas zu reden, wo ich mich sicherer fühlte.
In einer Gruppensituation zu kommunizieren, war für mich besonders schwierig. Freundinnen sagten mir auch, ich hätte die Tendenz gehabt, das Gespräch einfach an mich zu reißen, dabei war es wahrscheinlich für mich die einzige Möglichkeit, überhaupt Teil zu haben.
Ca. zehn Jahre vor meiner OP habe ich das erste Mal über das CI in der Zeitung gelesen. Mein damaliger HNO-Arzt riet mir aber davon ab, da die Entwicklung noch nicht ausgereift sei. Ich dachte dann auch, das sei nur für Leute, die überhaupt nichts mehr hören. Da das ja bei mir nicht der Fall war, habe ich das nicht weiter verfolgt. Zwischendurch hat eine Freundin mir immer wieder davon erzählt, da habe ich aber aus den genannten Gründen gleich abgewiegelt. Den endgültigen Schritt habe ich dann aufgrund einer intensiven Untersuchung in der Charité gemacht, zu der mich mein damaliger Ehemann gedrängt hat. Dort hat man mir ganz ehrlich gesagt, wie schlecht es um mein Hören steht, und mich gefragt, wie ich überhaupt noch arbeiten könnte.
Während einer CI-Beratung erfuhr ich dann erst, dass ich überhaupt dafür in Frage komme. Angst vor dem Eingriff hatte ich in dem Sinne nicht so sehr, das war aber auch, weil mein Mann voll hinter mir stand und mir die Sicherheit gab, dass er, egal wie es ausgeht, alles mit mir durchstehen würde. Die Möglichkeit, dass sich das Hören wieder verbessern könnte, war so faszinierend für mich, dass die Besorgnis über die eventuellen Risiken wie Verletzung des Gesichtsnervs, in den Hintergrund traten.
Vor meiner Implantation hatte ich Informationsmaterial der verschiedenen Hersteller erhalten, aber ich konnte mich aufgrund dessen nicht allein entscheiden. Beim Ausprobieren der Sprachprozessoren kam mir aber der Tragekomfort des Esprit 3G besonders gut vor.
Mein Krankenhausaufenthalt in der Charité Campus Virchow und die dortige OP im November 2003 verliefen problemlos. Bis zur Erstanpassung des Sprachprozessors vergingen 3 Wochen, in denen ich mich mit meinem Hörgerät, das ich auf der linken Seite trug, ganz gut verständigen konnte. Die erste Einstellung war für mich schon sehr merkwürdig und es ist gut, auf individuelle „Hör-Überaschungen“ vorbereitet zu sein.
Es klang für mich sehr „primitiv“, so wie gluckerndes Wasser und ich dachte schon, man macht sich einen Spaß mit mir. Obwohl es der Audiologe war, der sprach, hatte für mich das Gehörte nichts mit Stimmen zu tun. Bei einer Fahrt mit der U-Bahn kurz danach, hörte ich alle möglichen undefinierbaren Geräusche, konnte aber das Sprechen der Leute, die sich um mich herum unterhielten, mit dem CI nicht erkennen, ich konnte nichts verstehen, noch nicht einmal, dass es sich um Sprache handelte. Da war nichts, woran ich mich festhalten konnte, daher benutzte ich zunächst noch zusätzlich mein Hörgerät.
Enttäuscht war ich eigentlich nur, das es schneller ging. Nach ca. 10 – 14 Tagen strukturierte sich das ganze aber zusehends. Auf Anraten des Audiologen trug ich den SP ja zu Beginn auch erst nur ca. 2 Stunden täglich, so dass ich mich langsam daran gewöhnen konnte. Ich hatte dann auch nach Beendigung der Einstellungen noch mehrere Termine bei einer Logopädin, und zu Hause habe ich mit meiner Familie und Freundinnen mit einem Übungsbuch Geräusche und Worte trainiert. Ich wollte ja auch so bald wie möglich wieder arbeiten – daher wurde mit besonders anspruchvollen Texten geübt. So langsam wuchs ich dann in mein neues Hören herein, wobei ich Sprache zu verstehen, am schwierigsten fand.
Die Unterstützung durch das Hörgerät hat mir in dieser Übergangszeit sehr geholfen. Das Sprachverstehen klappte dann nach den weiteren, ca. 12 Einstellungen in drei Monaten recht gut – da waren alle in der Klinik und natürlich auch ich begeistert.
Telefonieren mit dem CI war lange schwierig für mich. Es klang sozusagen doppelt mechanisch und war daher schwer zu verstehen. Inzwischen kann ich schon gut mit dem CI auch mit „normalen“ Telefonen telefonieren. Bei der Arbeit halfen mir zu Anfang auch die Kollegen. Bei Müdigkeit oder „offiziellen“ Gesprächen nahm ich am Anfang zur Sicherheit lieber das Handy mit der Induktionsschleife. Jetzt geht auch das und die Induktionsschleife brauche ich auch nicht mehr, sie nervt eher.
Bis heute trage ich das Hörgerät bei der Arbeit, beim Autofahren und wenn ich müder bin. Es gibt mir durch das beidseitige Hören teilweise mehr Sicherheit, obwohl ich mit dem CI schon längst viel mehr höre.
Seit März 2004 habe ich wieder angefangen zu arbeiten, zunächst nach dem „Hamburger Modell“ halbtags als Bereitschaftsrichterin, wobei ich Sitzungen mit drei Richtern mitsitzen und mich ganz auf das Verstehen konzentrieren konnte. Im September 2004 fing ich wieder an, Vollzeit zu arbeiten und zwar zunächst in einer Beschwerdekammer beim Landgericht, die nur sehr selten Sitzungstermine oder Anhörungen durchführt. Man war sich in der Verwaltung noch nicht sicher, ob ich für Sitzungen schon genug verstehen konnte. Da mir das Rechtsgebiet fremd war, war es eine schwierige Zeit der Einarbeitung und vom Hören her wegen endlos langer Beratungen mit vier Personen auch nicht gerade einfach.
Seit März 2005 arbeitet ich nun wieder in einer Kammer beim Landgericht, die Gerichtsverhandlungen macht und leite als Einzelrichterin selbst die Sitzung, im Übrigen nehme ich als sog. „Beisitzer“ an den Verhandlungen teil. Bei den Sitzungen setze ich die FM-Anlage ein, was das Verstehen erleichtert, auch wenn ich es inzwischen auch ohne hinbekomme. Das Hörgerät auf der anderen Seite benutze ich bei der Arbeit regelmäßig. Ich muss aber sagen, dass das Verstehen mit dem CI allein zusehends besser klappt und dass das Hörgerät manchmal eher stört, weil es sich einfach anders anhört und ich mit dem CI einfach viel mehr höre. Das hat aber eine Weile gedauert, auch bis ich es gewagt habe, ohne Hörgerät zu hören. Sicher ist, dass man mit dem CI viel weiterkommt, wenn man auch versucht, mit ihm allein zu hören, also nicht zu schnell aufgibt – das ist aber nicht immer leicht.
Das Gespräch in Gruppen, in Cafés und Restaurants ist vom Verstehen her jetzt viel einfacher geworden – ich komme weit besser klar als vorher. Ich gehe sehr viel ins Kino und genieße es, fast immer den ganzen Film zu verstehen. Ein großartiges Erlebnis war für mich, als ich im Dezember 2004, also knapp ein Jahr nach der Implantation, in dem Musical-Film „Phantom der Oper“ war. Das habe ich früher sehr oft gehört, und ich bin auch recht zuversichtlich in die Vorstellung gegangen, weil ja das Hören schon so gut geklappt hatte. Da klangen die Melodien wirklich genau, wie sie klingen sollen – das war wirklich toll! Ansonsten ist es mit dem Musikhören sehr unterschiedlich, bei manchen klassischen Werken, die ich sehr gut kenne, bin ich enttäuscht und lass es dann lieber, Popmusik und ähnliches klingt dagegen gut, Salsatanzen ebenfalls, weil ich den Rhythmus genau mitbekomme.
Wenn ich andere Leuten, die vor der Entscheidung für eine Cochlea Implantation stehen und sich ähnlich lange gequält haben, raten sollte, dann würde ich sagen, dass man sich nicht zu lange mit dem Abwägen von Für und Wider herum schlagen sollte. Man findet sowieso keine neuen Argumente und vielleicht wächst auch nur die Angst vor dem Eingriff. Ich habe mich ja damals, unterstützt durch meinen Mann, relativ schnell entschieden und ich bereue das keinesfalls:
Die Chance, dass das Leben auch noch mal leichter wird und nicht nur aus der Anstrengung, zu hören besteht, sollte man unbedingt ergreifen und auch das Risiko eingehen, dass es vielleicht erst mal schwierig wird. Ich habe jetzt während und auch nach der Arbeit wesentlich mehr Energie und damit beruflich und privat mehr Lebensqualität. Für Fragen stehe ich gern zur Verfügung.