Förderkindergarten, Integration, Inklusion oder klassisches Modell?
Es gibt in Deutschland spezielle Einrichtungen, in denen speziell ausgebildete Erzieherinnen schwerhörige, taube und Kinder mit Cochlea Implantaten (CI) gezielt fördern. Ab 3 Jahre können diese Kinder die so genannte SVE, die „schulvorbereitende Einrichtung“ besuchen. Die Gruppenräume sind so gestaltet, dass die Kinder eine Umgebung mit möglichst wenig Störgeräuschen vorfinden. Teppiche, Vorhänge, schalldämmende Materialen und Lärmschlucker sorgen dafür, dass es in den Räumen nicht hallt. Die Gruppengröße ist auf maximal acht Kinder beschränkt, was eine optimale Förderung der Kinder erlaubt. Die Kinder und Erzieherinnen arbeiten mit technischen Hilfsmitteln wie beispielsweise einer FM-Anlage, bei der etwa im Morgenkreis das, was gesagt wird, direkt auf das CI des Kindes übertragen wird. Da es solche speziellen Einrichtungen verständlicherweise nicht wie Sand am Meer gibt, kommen die Kinder von weit her.
Ich habe mir im Vorfeld die SVE am Förderzentrum in Johanniskirchen angeschaut, um die bestmögliche Entscheidung bei der Kindergartenwahl treffen zu können.
Die Förderung des Wortschatzes und der Spracherwerb stehen am Förderzentrum Hören in Johanneskirchen im Vordergrund. Beim Morgenkreis sitzen die Kinder im Halbkreis um die Erzieherin herum, und es werden spielerisch neue Wörter, „Vokabeln“, gelernt. Dabei geht es nicht nur um den Erwerb der Laut-, sondern auch der Gebärdensprache, da es bei CI-Kindern nie sicher ist, wie erfolgreich sie in die Lautsprache kommen.
Als ich mit meiner Tochter zum Schnuppern da war, ging es um das Thema Nikolaus. Der Morgenkreis dauerte eine dreiviertel Stunde und war erst beendet als alle Kinder die neuen Vokabeln „Nikolaus“, „Sack“ und „Mandarine“ richtig aussprechen und gebärden konnten. Danach wurde gemeinsam Brotzeit gemacht und anschließend gemeinsam gebastelt (einen Nikolaus mit einer Nuss – da wurden noch einmal die Vokabeln wiederholt). Danach war eine Stunde Freispiel und um 12 Uhr war der Kindergartentag auch schon wieder vorbei.
Um die Eltern bei der langen Fahrzeit zu entlasten, werden die Kinder von Kleinbussen abgeholt und später wieder nach Hause gebracht. Das heißt, dass je nach Fahrzeit die Kinder gegen 12:30 Uhr wieder daheim eintreffen. Mittag gegessen wird zuhause.
Spielerisch lernen
Ich finde es toll, dass wir hier in Deutschland die Möglichkeit haben, unsere Kinder so speziell fördern zu können. Aber für mich und viele andere Eltern stellt sich die Frage, wie man bei solchen Zeiten einigermaßen praktikabel berufstätig sein kann. Es gibt neben der SVE aber auch ein Tagesheim, da könnte man sein Kind dann für den Nachmittag anmelden. Aber dann muss es dort bis 17 Uhr bleiben, weil dann erst wieder die Busse fahren. Früher abholen ist nur in Ausnahmefällen gestattet, weil diese Plätze vom Bezirk Oberbayern finanziert werden und die Leistung nicht nur zu Hälfte bezogen werden kann. Für ein Kind von drei Jahren, das um 7 Uhr in der Früh mit dem Bus hingebracht wird und dann erst gegen 18 Uhr wieder nach Hause kommt, ist das wahnsinnig stressig.
Das war aber nur einer der Gründe, warum ich mich letztlich gegen die SVE entschieden habe.
Ein weiterer Grund war, dass meiner Meinung nach zu wenig Freiraum und Entfaltungsmöglichkeit für das einzelne Kind geboten war. Irgendwie heißt es zu Recht „schulvorbereitende Einrichtung“ und nicht „Kindergarten“. Für meine Tochter, und selbst für mich, war es nicht einfach, eine dreiviertel Stunde beim Morgenkreis ständig diese drei neuen „Vokabeln“ zu üben. Ich hatte auch den Eindruck, dass es hier schwer werden würde, dass sich richtige Freundschaften unter den Kindern entwickeln. Einerseits hinkten die meisten anderen Kinder sprachlich doch sehr hinterher. Andererseits gab es kaum die Möglichkeit des gemeinsamen Spielens. Nicht wenige von den anderen Kindern bleiben nachmittags im Tagesheim, und die anderen wohnen in ganz München verstreut.
Bis zu diesem Besuch in der SVE hatte ich gedacht, dieses spezielle Konzept würde uns vielleicht dabei helfen, meine Tochter sprachlich soweit fit zu machen, dass sie später in einer Regelschule mit gleichaltrigen Kindern sprachlich gleichauf ist. Aber als ich die SVE besuchte, kam bei mir das Gefühl auf, mein Kind wohl sprachlich und auch mental unterschätzt zu haben. Sie war ja vorher auch in einer „normalen“ Krippe, wo sie sehr gut zurechtkam, und zudem von den anderen Kindern und insbesondere ihrer Freundin lernte. Am selben Tag noch rief ich in der Arche an, wo uns dann ebenfalls ein Schnuppertag ermöglicht wurde.
Es war letztlich meine Tochter mit noch nicht mal drei Jahren, die die Entscheidung traf. Während unseres Besuchs in der SVE stand sie immer wieder auf und wollte nach Hause. Nach dem Schnuppertag in der Arche fragte sie mich ständig, wann sie da wieder hin dürfe.
Neben dem liebevollen und spielerischen Umgang mit den Kindern dort, spielte es auch eine große Rolle, dass ihre beste Freundin in die Arche gehen würde. Mit ihr kann sie einfach Kind sein, spielen, toben und Quatsch machen. Die hilft ihr auch schonmal beim Batteriewechseln des CIs (das blinkt nämlich rot wenn die Batterien leer sind) – für sie das normalste der Welt.
Und ist es nicht so, dass überall von Integration bzw. Inklusion gesprochen wird? Im Kindergarten geht dieses Konzept doch ganz gut auf. Wichtiger als alles technisches Equipment und Fachwissen ist es meiner Meinung nach, sich bewusst auf jedes einzelne Kind einzustellen – ob mit oder ohne speziellem Förderbedarf.
Wie es später mal in der Schule aussieht, sei erstmal dahingestellt, und lassen wir auf uns zukommen. Aber letztlich denke ich, profitieren Kinder mehr von Inklusion als von Separation. Für die Kinder ist es jedenfalls ganz „normal“. 😊