Die Fortsetzung meiner Hörgeschichte!
Von Alice Springorum (vormals Breukmann)
Ich habe schon einmal im Blog über meine Hörgeschichte berichtet, wie sich meine Taubheit entwickelte und wie ich dann mit 2 CI´s versorgt wurde, 2015 am linken und 2016 am rechten Ohr.
Aber ich finde, außer der Hörreise, wie sich alles entwickelt und wie man mit dem Hören zurechtkommt, gibt es ja auch noch das Zwischenmenschliche und mein Umfeld. Wie gehen diese mit meiner Taubheit um, mit meinen Falschverstehern und daraus resultierenden Missverständnissen? Welche Belastung ist es auch tatsächlich für mein Umfeld, reagiere ICH immer äquivalent, oder bin ich eher empfindlich durch mein Handicap? Darüber habe ich mir Gedanken gemacht und möchte diesbezüglich schreiben.
Letztes Jahr im Januar 2018 trennte ich mich nach 14-Jähriger Lebensgemeinschaft von meinem Partner und ich kann nicht behaupten, dass meine veränderte Hörsituation nicht auch ein Grund dafür war. Wir lernten uns kennen, als ich noch mit HGs versorgt gut hörend war und meine Hörbehinderung nicht groß auffiel. H. wusste um meine Schwerhörigkeit, aber da sie nicht groß ins „Gewicht“ fiel, war diese kein Thema zwischen uns. Auch wussten wir, dass es nicht immer so bleiben würde… wir machen uns sogar zusammen auf und nahmen mehrere Kurse für Gebärdensprache zusammen wahr, um uns im Falle eines Falles auch weiterhin „unterhalten“ zu können. Ich fühlte mich unterstützt und gestützt. Mein Gehör ließ immer mehr nach und so langsam kippte die Situation. Es gab immer mehr Missverständnisse, mein Partner zeigte keine große Geduld beim ewigen Wiederholen während unserer Kommunikation. So konnte es nicht weitergehen und ich konnte auch ihn verstehen, dass das Mühsame jeglichen Dialog teilweise zerpflückte, weil man immer in seinen Gedankengängen unterbrochen wurde, von vorne anfing, den Faden verlor usw. Wir machten uns zusammen nach Bad Nauheim auf zu einem Informationswochenende und erfuhren dort alles, was man über eine Versorgung mit CI wissen sollte. Guten Mutes und voller Hoffnung, war uns nach dem Wochenende klar, dass ich ein CI benötigen würde. Und so ließ ich im Januar 2015 mein ertaubtes linkes Ohr mit einem CI versorgen.
Jedoch, meine Hörreise bis zum Sprachverstehen dauerte, war viel Arbeit und zunächst klappte es dann mit der Kommunikation noch schlechter als zuvor. Ich merkte die Enttäuschung von H. und setzte mich immer mehr unter Druck, um keine anstrengende Gesprächspartnerin zu sein. Verfiel natürlich in die Fehler, die wir alle kennen, „Ja“ zu sagen, obwohl man nichts verstanden hat, zustimmend zu nicken, nicht nachzufragen usw. So breitete sich zwischen uns immer eine größere Sprachlosigkeit aus. Als ich dann das Jahr drauf mit dem 2 CI am rechten Ohr versorgt wurde, und erneut eine lange Hörreise - auf der ich mich immer noch befinde – antrat, kippte die Situation noch mehr. Zum Beispiel benutzte ich zum Fernsehen das System Domino – ich trage zwei MedEl Sonnet. So konnte ich den Filmen gut folgen, H. fand es aber doof, da er sich mit mir dann während des Films nicht mehr austauschen konnte. Ich war immer darauf angewiesen, um H. zu verstehen, dass er mich ansah, weil ich sein Lippenbild benötigte…, wenn ich in der Küche war und H. aus dem Wohnzimmer mir etwas zurief, hatte ich keine Chance... usw. Wir kennen alle solche Situationen. Natürlich ist es für den Partner auch anstrengend und manchmal mühsam, jedoch hat nur ER die Chance mir und sich die Situationen zu erleichtern, indem es eben in der Kommunikation Regeln einzuhalten gibt, die beide Seiten befolgen müssen. Auffällig war jedoch, dass ich andere Menschen im Freundeskreis wesentlich müheloser und besser verstand. Viele guthörende Freunde bestätigten mir immer wieder: „na den verstehe ich auch nicht immer, der nuschelt ja auch total“!
Auf Anraten meiner Audiologin aus der Uniklinik Köln, bei der ich mir Rat holte, konnte ich H. dazu überreden, mich einmal zu einem Termin zu begleiten, um evtl. in eine bessere Kommunikation zu kommen, gegenseitig voneinander zu lernen. Die Audiologin stellte fest, dass H. sehr leise sprach, und die Wortenden immer verschluckte, sodass es für mich zu einem Wortbrei führte, der in der Tat schwer zu verstehen war. Froh die Ursache gefunden zu haben, fuhr ich mit H. voller Tatendrang nach Hause, um mit der Zeit festzustellen, dass das Wissen darum alleine auch nicht weiterhalf, wenn H. nicht bereit war, an seiner Aussprache etwas zu ändern, was dann leider nicht der Fall war. Die Spitze und der „Point of no return“ (auch für unsere Beziehung) war dann sein Satz nach einem Streit, die wir nun oft hatten „Man kann sich mit dir nicht mehr gescheit unterhalten, also rede ich mit dir einfach nicht mehr!“
Ich brauche hier nicht zu erklären, wie ich mich nach diesem Satz fühlte und dennoch versuchte ich noch zwei Jahre an unserer Beziehung festzuhalten. Natürlich ist nicht ausschließlich das Scheitern nun an meiner Hörsituation festzumachen, aber es wurde dadurch mit ausgelöst und war ein großer Bestandteil der Konflikte. Wir wurden ein sehr sprachloses Paar, die Leichtigkeit und der Humor ging uns komplett abhanden, für beides benötigt man Kommunikation und Dinge des Alltags, die wir uns vorher ausführlich erzählt hatten, wurden nun „TOTgeschwiegen“, der Tod für jede Beziehung.
Ich trennte mich, zog in eine eigene Wohnung und startete im April 2018 alleine neu durch. Mit H. verband und verbindet mich noch eine Freundschaft, denn durch unseren gemeinsamen großen Freundeskreis wollten wir versuchen, all diese Menschen, die uns am Herzen lagen, nicht in Loyalitätskonflikte zu stürzen.
Im Mai 2018, vollkommen ungeplant und nicht in meiner damaligen Lebensplanung vorgesehen, lernte ich meinen heutigen Mann kennen. Wir trafen uns durch puren Zufall am 03.05.2019 in einem vollkommen überfüllten Café, er setzte sich zu mir, weil alles voll war. Wir kamen ins Gespräch und ich war so fasziniert, dass ich diesen Menschen in dem akustisch vollkommen lauten Café verstehen konnte, seine Stimme sehr deutlich und akzentuiert, dunkel und kräftig und sein Mundbild so klar und deutlich. Es war für mich fast unglaublich, so gut hatte ich selten einen Gesprächspartner verstanden. Um 0:30 als schon alle längst gegangen waren, kehrten uns die Kellner aus dem Laden. Ich hatte U. von meiner Hörsituation und Hörreise erzählt. Für ihn war ich die erste Person, mit CI und auch war es für ihn das erste Mal überhaupt, von CIs zu erfahren. Ein spannendes Thema schien es für ihn zu sein, er zeigte viel Interesse. Wir schrieben uns die nächsten Tage intensiv und U. berichtete mir von seiner Internetrecherche über CI und alles was das Thema hergibt, fand auch meinen Blog hier auf der Seite und las ihn aufmerksam durch, las sich quer durch die diversen Foren usw. Ich war sehr beeindruckt und freute mich, auf Verständnis und Interesse zu treffen. Als ich ihn fragte, warum er sich so intensiv darüber informiere, meinte er nur, dass er doch wissen müsse, was ich bräuchte, um ihn gut verstehen zu können. Dieser Satz war wie Musik in meinen Ohren und so viel Verständnis und Einfühlungsvermögen machten mich dann doch auch einmal sprachlos. Und tatsächlich U. kapierte schnell, was ich brauche, sprach mich immer direkt an, wusste, dass ich im Auto schlechter kommunizieren konnte, als in Ruhe zu Hause, bekam aber auch mit, dass ich mich sicher in großen Menschenmengen bewegte und mich auf Gespräche fokussieren konnte. Er sagte mir, dass er stolz auf mich sei, wie gut ich mit den CIs hören könne, wie er es bewundere, dass ich mich sicher und souverän auch bei großen Menschansammlungen bewege und, dass wenn man es nicht wüsste, so gut wie nichts merken würde. Seine positive und aufbauende Einstellung meiner Situation gegenüber, die ich ja so vorher gar nicht gewohnt war, gab mir einen großen Schub nach vorne an Sicherheit und Selbstvertrauen. Musik ist für mich immer noch ein schweres Thema, Livemusik kann ich inzwischen hören und genießen, aber alles was aus einem Radio – Fernsehen oder von der Anlage kommt und sobald dort ein Sänger mit im Spiel ist, wird es für mich anstrengend und der Hörgenuss lässt sehr zu wünschen übrig. Er wird alles zu einem Klangbrei. Oft muss ich dann erst fragen, was es für ein Lied ist und wenn ich es dann von früher her kenne, erkenne ich es auch.
Auch da war U. unermüdlich mir die Situation zu verbessern. Spielte mit dem Equalizer rum, bis ich sagte, dass es sich für mich so fast wieder normal anhören würde, testete viel aus und gab mir immer das Gefühl, dass es ihm wichtig ist, mir eine absolute Komfortzone einzurichten in der ich mich wohl fühle.
Ich erlebte ein ganz anderes partnerschaftliches Miteinander, Kommunikation auf Augenhöhe und Verständnis bei „Verhörern“, über die wir herzlich lachen können. Natürlich kommt es auch bei uns zu Situationen, wie z.B.: ich zu meinem Mann, „Mein Lieber, wenn du den Kopf aus der Spülmaschine nehmen würdest, könnte ich dich auch besser verstehen!“
Keiner und nichts ist perfekt, aber der Wille einander zu verstehen, auf Augenhöhe zu begegnen, all dies hat mir U. gezeigt, dass Beziehung auch wieder Spaß machen kann. Dass Kommunikation wieder Spaß machen kann und nicht nur noch eine „anstrengende Sache“ ist
Meine komplette neue Familie, U. hat zwei Brüder mit Frau und Kindern, U, ist selber Vater von zwei Töchtern und Opa von fünf Enkeln, alle haben mir nie das Gefühl gegeben „anders“ zu sein und haben sich alle auf das „Abendteuer“ CI eingelassen, offen und ohne Vorbehalte.
Warum ich Euch das hier erzähle? Mir ist es wichtig zu beschreiben, dass Kommunikation in einer Beziehung, egal ob Freundschaft oder Partnerschaft der Schlüssel zu allem ist und es für beide Seiten Hindernisse gibt, die zu meistern sind, aber es eben auch Menschen gibt, die einen an den Rand des Zweifelns bringen können und man dennoch nie den Glauben und das Wissen um das was man kann und was man nicht kann verlieren sollte. Es wird immer wieder Menschen geben, die uns „weis“ machen wollen wir, die „Schwerhörigen“ oder Gehörlosen seien die, die sich bemühen müssten, noch konzentrierter zuzuhören, noch mehr Training usw., aber genau diese Menschen haben unser Gehör doch gar nicht verdient!
Übrigens am 21.12.2018 haben U. und ich geheiratet und ich weiß, dass ich in ihm immer einen verständnisvollen und unterstützenden Partner haben werde, der mich auf meiner Hörreise begleitet und auch schon diesbezüglich mit mir einige Seminare vom CI Verband NRW besucht hat, um einfach immer noch mehr über CI´s zu erfahren.
Mit herzlichen Grüßen
Alice Springorum