Mein langer Weg zum Cochlea Implantat
Von Diana
Ich wurde 1977 geboren, meine Mutter hatte immer gemeint, dass ich doch nur ein sehr stures Kind sei, das nur hört, wenn es hören will. Ich war als kleines Kind ca. zwei Jahre immer nur mit mir selbst beschäftigt. Später sollte sich herausstellen, warum.
Zu Besuch bei meiner Tante, brüllte meiner Mutter mich jedes Mal an, damit ich reagierte. Meiner Tante hielt meine Mutter zurück und sagte ihr, dass ich kein stures Kind sei, sondern dass das Kind nicht hört. „Sieh nur, wie sie an deinen Lippen klebt, das ist nicht normal. Geh zum Ohrenarzt!“
Wie gesagt, so getan. Es stellte sich heraus, dass ich hochgradig Hochtonschwerhörig bin und ich bekam Hörgeräte für beide Ohren verordnet. Im Kindergarten hatte ich keine Freunde und wollte auch nur in Ruhe gelassen werden.
Bei der Schulwahl kämpfte meine Mutter darum, dass ich eine normale Regelschule besuche, das Schulamt aber wollte, dass ich in eine Hörbehindertenschule integriert werde. Das ließ meine Mutter aber nicht zu und nahm daher Kontakt mit dem Akustiker auf und so kam sie an eine FM Anlage. Es fand sich aber kein Lehrer, der diesen FM Sender tragen würde, damit ich alles Gesagte verstehe. Irgendwann kam meine Klassenlehrerin auf uns zu und erklärte sich einverstanden, es zu probieren. Es klappte gut. Die Lehrerin verstand ich immer, aber die Kinder gar nicht.
Zur Untersuchung und Hörtests musste ich immer zur Medizinischen Hochschule nach Hannover. Man sagte meinen Eltern, dass man mir mit Cochlea Implantaten helfen kann, aber man müsse operieren. Meine Mutter verstand nur: Kopf aufmachen, operieren. Ab da resignierte sie. Ich nehme es ihr nicht übel. Ich selbst hätte Angst gehabt um mein Kind.
In der Hauptschule ging es weiter. Es wurde so viel durcheinander gesprochen, gelacht und gebrülllt. Ich hatte es immer schwerer. Auf mich nahm niemand Rücksicht. Ich verstand auch mit der FM Anlage ganz wenig und es hagelte immer mehr Kritik, vor versammelter Mannschaft wurde ich kritisiert von Lehrern und auch wurde mir bewusst, wie ich den Lehrern langsam auf den Nerv ging, wenn sie den Sender tragen sollten. So ließ ich es sein.
Ich versuchte, etwas zu verstehen, aber Mathe und Englisch war ein Graus. Meine Mutter schimpfte über meine schlechten Noten und Zeugnisse. Ich bekam oft Stubenarrest und Nachhilfe aufgebrummt, obwohl ich nix dafür konnte. Nachhilfe brachte mir nichts, weil in der Schule immer wieder neue Themen dran kam und ich dann wieder im Rückstand war.
Die Unterschriften habe ich immer selbst unterschrieben, ich wollte einfach keinen Ärger mehr. Ich ließ meiner Mutter auch keine Briefe von der Schule zukommen. Sie wollte es nicht akzeptieren, dass ich kaum was verstehe.
Als es darum ging, eine Ausbildungsstelle zu suchen, fing sie an, für mich zu entscheiden. Ich sollte Modeverkäuferin werden oder Arzthelferin beim Kinderarzt. Das war aber absolut nicht mein Ding. Ich machte ihr zuliebe meine Praktikumswochen beim Kinderarzt und in der Modeboutique. Es war nicht meins.
Ich wollte unbedingt im Büro bei der Polizei arbeiten, aber niemand unterstützte mich. Ich nahm selbst das Zepter in die Hand und bewarb mich. Ich bekam die Ausbildungsstelle. Ich war damals 17 Jahre alt. Meiner Mutter redete mir das aus, machte mir ein schlechtes Gewissen, was ist, wenn deine Brüder mal straffällig werden, etc. Ich wurde gezwungen, die kaufmännische Handelsschule zu besuchen. Die Noten könnt ihr euch vorstellen. Grausig.
Ich hatte es satt und zog am Tag meines 18. Geburtstages aus. Ich schlug mich mit diversen Jobs durch, aber es gab keine Bevormundungen mehr und ich meldete mich von der Schule ab. Was sollte ich denn mit 5e und 6en? Ich schämte mich selber in Grund und Boden.
Später, als meine beiden Kinder geboren wurden, nahm ich mir vor ein Vorbild zu sein. Ich ging stets arbeiten. Aber ich wollte einen richtigen Beruf. So versuchte ich mich als Stationshilfe in einem Krankenhaus. Später dann als Pflegehilfskraft bei einem ambulanten Pflegedienst.
Der erste Hörsturz kam dann im Mai 2016. Niemand konnte mir sagen, woran es lag. Aber ich hatte Glück, denn nach drei Monaten war es ausgestanden. Ich bewarb mich für die Ausbildungsstelle als examinierte Altenpflegehilfskraft und bekam die Zusage.
Im Oktober 2018 begann ich mit der Ausbildung. Im Mai 2019 der nächste Schlag, der zweite Hörsturz. Aber so heftig, ich bekam es mit der Angst zu tun, ich hatte Panikanfälle, mir brach der Schweiß aus, ich wurde aggressiv und veränderte mich im negativen.
Meine Kinder hatten Angst vor mir, ich schrie und weinte nur. Ich wusste ganz instinktiv: „Diana, es ist vorbei, dieses Ohr wird nie wieder was.“ Mein Mann stand mir IMMER zur Seite, aber irgendwann war auch er fertig und er sagte: „Schatz, ich kann nicht mehr. Ich kann dir nicht helfen. Es tut weh, meine Frau immer weinen und schreien zu sehen.“
Ich isolierte mich komplett. Rannte von einem Arzt zum anderen. Physio hier, Sport da, Orthopäde und Osteopathie hin und her, der HNO war auch involviert, Kortison in den Nacken, es brachte alles nichts. Ich spekulierte über alles Mögliche, woran es liegen könnte.
Während meiner Arbeit auf Tour, der Hörsturz kam und ging, wie es ihm lieb war. Morgens war alles gut, mittags war ich wieder taub, ich hatte Suizidgedanken.
Ich hielt an einer Tankstelle und weinte bitterliche Tränen. Ich recherchierte über Google nach der HNO Abteilung in der Uniklinik Frankfurt und rief dort an. Erstmal weinte ich, die Sekretärin beruhigte mich und fragte, wie sie mir helfen kann. Ich erzählte ihr alles und so meinte sie: ,,Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht hinbekommen.“
Das machte mir Mut und ich ließ mir einen Termin geben. Erstmal musste ich durch mein Examen, das ich trotz massiver Hörstürze, psychisch komplett unten im Keller, depressiv und getragen von Panikanfällen, mit Bravour meisterte und ich bekam die Erlaubnis, die verkürzte Fachkraftausbildung zu machen.
Alle drei Prüfungen waren von extremen Hörstürzen und Druck im Ohr und Kopf begleitet. Ich habe mich extrem zusammengerissen und geschauspielert, wie gut es mir geht, sonst hätte ich die Prüfung nicht antreten dürfen.
Am 14. Oktober 2019 war es soweit. Ich bekam nach diversen Hörtests die Indikation von der Uniklinik Frankfurt für ein CI.
Danke an meine Hörpaten. Ihr habt mir das Leben wiedergegeben und meine Familie gerettet, denn ohne euch, wäre ich diesen Weg niemals gegangen. Ich fieberte dem OP Termin am 26.11.19 entgegen.
Ich bekam mein Implantat. Es verlief alles gut. Kein Schwindel, keine Schmerzen und ich durfte schon drei Tage später heim. Nach der Entlassung kämpfte ich mit Übelkeit.
Am 13.12.19 erfolgte nochmal ein Schwindeltest und die Erstanpassung. Beim Test ergab sich, dass der Gleichgewichtsnerv ein wenig beleidigt ist und daher die Übelkeit rührt, aber das ginge von selbst wieder weg. Dann die Erstanpassung. Ich war sooooo aufgeregt, bekam nasse Hände und Angst.
Ich hatte mein CI zum ersten Mal angelegt bekommen. Die ersten fünf Minuten waren nur ein Gemurmel... dann kam der Lautstärketest. Ich hörte alle Töne. Tausend Gedanken gingen mit mir durch. Als ich das Gesagte vom Ingenieur verstand, weinte ich bitterliche Tränen. Er gab mir eine Pause von 10 Minuten, um mich zu sammeln und machte dann mit dem Testen weiter.
Ich bekam mein Zubehör für mein CI und war der glücklichste Mensch auf Erden. Nach 40 Jahren ohne Sprachverständnis, war es ein voller Erfolg für mich. Ich kann wieder lachen, auch wenn ich weiß, dass ich noch ganz am Anfang stehe.
Dezember 2019
Diana