Meine Hörreise
Von Andreas B.
Jetzt da das Jahr 2019 zur Neige geht, möchte ich auch einmal innehalten und zurückblicken. Aber nicht nur auf das zu Ende gehende Jahr, sondern etwas weiter zurück - bis zur Entscheidung zu meinem Cochlea Implantat (CI).
Im Sommer 2009 bekam ich auf beiden Seiten meine ersten Hörgeräte, viele Jahre bin ich damit auch sehr gut zurechtgekommen. Es muss etwa im Jahr 2016 gewesen sein, dass auf der linken Seite das Hörgerät bei jeder vierteljährlichen Kontrolluntersuchung nachgestellt werden musste. Im Sommer 2017 war es wieder soweit. Meine Akustikerin stellte die hohen Frequenzen wieder etwas nach, aber das half nichts, im Gegenteil es tat einfach nur weh im Ohr.
Daraufhin bin ich zu meinem langjährigen HNO-Arzt gegangen. Aber er meinte nur: „Ja das ist so und da kann man nichts machen.“ Auf die Frage nach der möglichen Ursache zuckte er nur mit den Schultern und auf die Frage, wie es weitergehen könnte, meinte er, es kann sein, dass sich in den nächsten 20 Jahren nichts ändert, es kann aber auch sein, dass ich in Kürze links ganz taub wäre. - Tolle Aussichten. –
„Ja in dem Falle könne man über ein CI nachdenken, aber das würde er mir jetzt nicht empfehlen, da man das Hören völlig neu lernen muss und das würde er mir jetzt nicht antun wollen. So lange es noch so geht, und das tut es noch, solle ich es so lassen.“
Daraufhin bin ich zu einem anderen HNO-Arzt, um mir eine zweite Meinung zu holen. Dieser hatte anscheinend noch weniger Lust mich zu untersuchen. Er hat zwar einen kurzen Hörtest gemacht, aber dann gemeint, für die tiefen Töne bräuchte ich gar keine Hörgerät, sondern bestenfalls für die hohen. Ich sagte ja gerade, dass es mir um die hohen Töne ginge, weil diese für das Sprachverständnis wichtig sind. Seine Antwort war kurz und knapp: „Ja das ist ja nur das Sprachverständnis." - Also wieder nichts, womit ich etwas anfangen konnte.
In der dritten HNO Praxis bekam ich erst im November 2017 einen Termin. Aber die HNO-Ärztin hat mich gleich umfangreich befragt. Unter anderem, ob ich Tinnitus habe und ob schon eine MRT vom Kopf gemacht wurde, um zu sehen, ob der Hörnerv beeinträchtigt wird.
Anschließend kamen vier oder fünf verschiedene Hörtests. Zum Schluss meinte sie, sie wird Rücksprache mit dem Akustiker halten, wenn ein anderes besseres Hörgerät hilft, werde ich dafür eine Verordnung bekommen, ansonsten eine Überweisung nach Hannover zur CI Voruntersuchung
Eine Woche später war ich zum Schädel MRT und Anfang Dezember in Hannover zur CI Voruntersuchung.
Im Februar 2018 war es dann auch gleich soweit, ich hatte einen Operationstermin. Im Vorfeld hatte ich mich schon über die vier verschiedenen Hersteller informiert. Da ich eine EAS Versorgung bekommen sollte, fiel Oticon Medical als potentieller Hersteller aus. Blieben Cochlear, Advanced Bionics (AB) und MED-EL übrig. MED-EL hat für die akustische Komponente ein Ohrpassstück mit einem Luftschlauch und der Hörer ist mit hinter dem Ohr integriert. Diese Variante haben auch meine Hörgeräte, denn mit einem externen Hörer hatte ich in der Vergangenheit Probleme mit der Feuchtigkeit meines Ohrenschmalzes, was häufig dazu führte, dass die Hörer kaputt gingen. Das Problem bei den Ohrpassstücken ist aber, dass ich dadurch oft eine Gehörgangsentzündung bekomme.
Deswegen wäre mir die Schirmchen Variante eines externen Höres wie bei Cochlear und AB lieber. Und von diesen beiden Herstellern sagte mir mein Bauchgefühl, nimm lieber Cochlear. Dass es am Ende dann Advanced Bionics wurde kam folgendermaßen:
Bei der Voruntersuchung wurde mir gesagt, ich hätte bis einen Tag vor der OP Zeit mich zu entscheiden. Dann war es so soweit. Die Ärztin sagte dann: “Sie haben sich für AB entschieden!?” - ??? - ”Ich habe mich noch gar nicht entschieden!” - “Na dann gehen Sie bitte noch einmal zum Techniker.”
Dort habe ich meine Bedenken wegen der Feuchtigkeit im Ohr und dem externen Hörer von AB vorgetragen. Diese wurden aber aus dem Weg geräumt, weil ja inzwischen viel entwickelt wurde und die Hörer nicht mehr so anfällig bezüglich der Feuchtigkeit seien. Auch habe AB den Vorteil, dass es jetzt eine dünne lange Elektrode gibt, die die noch funktionierenden Flimmerhärchen der tiefen Töne nicht beschädigt. Sollten diese später auch mal ausfallen, könne man ohne erneuten Eingriff auch die Teile der Elektrode für die tiefen Töne aktivieren. Zudem läuft gerade diesbezüglich eine Studie bei der auch während der OP das Monitoring erweitert wird und im Nachhinein zusätzliche Untersuchungen anstehen... So habe ich mich dann für AB entschieden.
Die OP verlief ohne Probleme und auch die Erstanpassungswoche im April verlief super gut. Ich war begeistert, wieviel ich schon am ersten Tag und an den folgenden Tagen gehört habe. Nach zwei Monaten dann verabschiedete sich der erste Hörer. - Na toll wie bei meinen allerersten Hörgeräten.
Zwei oder drei Tage später hatte ich aber schon Ersatz. Nur hielt auch der nur zwei Monate. Also bekam ich den dritten Hörer, aber auch der hatte ca. eine Woche vor meinem nächsten Termin im Oktober im DHZ seine Funktion nach ca. zwei Monaten wieder eingestellt.
Dann reichte es mir. Ich habe mit dem Techniker gesprochen wie viel Sinn es überhaupt noch mit dem EAS macht, wenn die Hörer immer nur zwei Monate halten. - Im Prinzip keinen, kamen wir überein. Also hat er mich auf „voll digital“ umgestellt.
Damit begann aber eine schwierige Zeit für mich. Ich fühlte mich um eine halbes Jahr zurückgeworfen. Die tiefen Töne, die ich bis dahin über die akustische Komponente noch gehört hatte, waren plötzlich weg. Das Gehirn hatte sich noch lange nicht auf den digitalen Empfang dieser Frequenzen eingestellt. Ich bekam immer häufiger Konzentrationsprobleme besonders auf der Arbeit und mein Chef sprach mich schon deshalb an. Ich erklärte ihm die Situation und ging zum Betriebsarzt. Des Weiteren fing ich an ein Hörtagebuch zu schreiben. Hier zwei kleine Auszüge:
Mittwoch 14.11.2018 – Abteilungsmeeting
Rahmenbedingungen:
- großer Besprechungsraum ca. 25 Teilnehmer
- entfernt vom Hauptredner gesessen.
- Dauer ca. 11:00 bis 12:00
Wahrnehmungen / Empfindungen:
- Akustisch wegen geringer Lautstärker des Hauptredners erhebliche Schwierigkeiten, bei großer Konzentration ca. 60-70% verstanden
- Probleme beim Rednerwechsel → wer spricht jetzt, anderer Klang, anderes Tempo, erhebliche Schwierigkeiten mich kurzfristig auf die neue Situation einzustellen
- nach ca. 15 bis 20 Minuten Konzentration auf sehr niedrigem Level gesunken, Kopfschmerzen fingen an, Erschöpfung machte sich bemerkbar.
- Gegen 13:00 Feierabend
Montag 19.11. – normaler Büroarbeitstag im Großraumbüro
Rahmenbedingungen
- Ruhige Arbeitsatmosphäre mit normaler Geräuschkulisse
- keine besonders schwierigen Aufgaben
Wahrnehmung / Empfindung:
- Selbst die geringe Geräuschkulisse im Hintergrund wird durch das CI unangenehm verstärkt wahrgenommen, leichtes permanentes Dröhnen im Kopf stellt sich ein
- Sobald das CI „arbeitet“ steigt gefühlt der Innendruck auf das Trommelfell
- Im Laufe des Nachmittags kommt permanentes Schwindelgefühl hinzu.
Mit Unterstützung des Betriebsarztes konnte ich dann Anfang März 2019 für fünf Wochen zur stationären Reha nach Bad Nauheim.
Die Reha hat mir mehr gebracht als die Monate davor. Auch bekam ich dort das T-Mic zu meinem Prozessor, womit ich schon besser Telefonieren konnte. Kurze Zeit nach meiner Reha hatte ich dann auch mit Unterstützung meiner HNO Ärztin ein neues Hörgerät für das rechte Ohr bekommen, welches mit dem CI kompatibel ist.
Jetzt ist es mir möglich, beim Telefonieren mit einem Festnetztelefon einfach am CI auf Programm 2 zu schalten, das Telefon vor das CI halten und ich höre das Gespräch auf beiden Ohren. SUPER!
Aber das reichte mir noch nicht an Technik. Schließlich will ich ja speziell das Hören mit CI auch weiter trainieren. So habe ich mir das CI Connect von AB gekauft. Damit verbinde ich via Bluetooth mein privates Smartphone mit dem CI.
Auf diese Art und Weise führe ich private Telefonate, das strengt zwar noch enorm an, und es dürfen auch keine bzw. nur sehr unscheinbare Nebengeräusche vorhanden sein, um genug zu verstehen. Aber es wird langsam besser. Zum anderen höre ich mir auf diesem Wege auch viele Hörbücher vom Smartphone an.
Zur Kommunikation auf der Arbeit nutze ich bei Videokonferenzen den Compilot. Diesen verbinde ich via Bluetooth mit dem Notebook und höre damit auch auf beiden Ohren. Ich kann also sagen, ich bin rundum bestens versorgt.
Trotzdem war ich vor einiger Zeit besorgt, was passiert, wenn das rechte Ohr auch schlechter wird und ich da auch ein CI brauche, denn ich hatte das Gefühl, dass das Hörgeräte-Ohr total dominant ist und das CI-Ohr kaum einen Anteil am Hören hat.
Doch fiel mir an einem Donnerstagnachmittag der Prozessor vom CI auf den Fliesenfußboden. - Von dem Moment an, war ich links taub!! Wenn ich zum Baden oder zur Nacht beide Geräte ablege, höre ich zwar auch nur sehr eingeschränkt, aber das bin ich gewöhnt, nur jetzt wollte ich weder in Wanne noch ins Bett.
Ein Leihgerät konnte ich mir erst Montagnachmittag abholen.
Zum Glück hatte ich weder am Freitag noch am Montag irgendwelche Meetings auf Arbeit. Trotzdem waren die Tage bis Montag schrecklich, jedenfalls was das Hören betraf. Plötzlich nur einseitig zu hören war der Horror für mich.
Dann war es endlich soweit. Es war Montagnachmittag und ich wartete im Hörstudio bis ich dran war. Dann kam die Akustikerin mit dem Leihgerät, es war schon mit meinen Einstellungen programmiert.
Der Moment, in dem ich es angelegt hatte, war wie Weihnachten!! Ich konnte plötzlich wieder richtig gut hören. Am liebsten hätte ich die Akustikerin umarmt. – ich konnte mich aber zusammenreißen. Das war so ein tolles Gefühl, dann kann ich gar nicht so wiedergeben.
Auf jeden Fall ist mir dadurch klar geworden, wie groß doch der Anteil des CI-Ohres am Hören ist, und welches Glück ich habe, dass es diese Technik gibt.
Und wenn irgendwann auch das rechte Ohr nicht mehr mit einem Hörgerät zurechtkommt und ein CI indiziert sein wird, so wie man es mir bei der Reha vorausgesagt hat, werde ich nicht zögern, sondern mich gleich wieder für ein CI entscheiden.
Ich wünsche jedem der diese Zeilen gelesen hat, alles Gute für seine ganz persönliche Hörreise, auch wenn es zwischendurch mal Bergab geht, aber irgendwann ist jedes Tal durchlaufen und dann geht es wieder Bergauf.
In diesem Sinne ein erfolgreiches Jahr 2020.
Andreas B.