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Endlich wieder hören. Mein Weg zum Cochlea-Implantat

Von Jannette Zerth

Mein Name ist Jannette, ich bin 39 Jahre alt und komme aus der Nähe von Leer/ Ostfriesland. Seit meiner Kindheit bin ich beidseitig an Taubheit grenzend schwerhörig. Woher diese Hörschädigung kommt, weiß niemand genau. Da ich normal hörend zur Welt gekommen bin, geht man von Kinderkrankheiten in frühen Jahren aus.

Meine Familie bemerkte diese Hörschädigung lange nicht und so wuchs ich ohne Hörgeräte oder Ähnliches auf und gewöhnte mich somit an dieses „Hören“. Für mich war das ja „normal“. Ich besuchte die Schule und beendete diese mit einem erweiterten Realschulabschluss. Ich kam „eigentlich“ noch gut zurecht. Dachte ich! Im Alter von 16 Jahren bekam ich dann auf der rechten Seite meinen ersten Hörsturz. Über Nacht war ich auf dem Ohr plötzlich nahezu taub. Ich hörte fortan auf diesem Ohr nur noch 15 %.  Vögel, Eierkocher, Frösche, Alarmanlagen - ich hörte nichts davon. Ich konnte neben einem piependen Küchengerät stehen und hörte nichts. Da ich aber im Tieftonbereich „normal“ hörend bin, ging das irgendwie. Damals dachte ich: Wie soll ich vermissen, was ich eh noch nie gehört habe? Wie naiv. Ich machte eine Ausbildung zur Arzthelferin in der Kardiologie und bemerkte dort dann täglich, dass ich doch an meine Grenzen stoße.

Telefonieren war anstrengend, Patientengespräche und vor allem die Kommunikation mit Kindern. Erst dann wurde ich mit Hörgeräten versorgt. Aber eigentlich brachten diese schon gar nix mehr. Hohe Töne nahm ich trotzdem nicht wahr und „verstehen“ ging damit auch nicht besser. Nach und nach habe ich mich quasi immer mehr zurückgezogen. Habe große Veranstaltungen gemieden und Einladungen abgesagt.  So verstrichen die Jahre und erst seit Februar 2019 weiß ich, was ich alles im Leben verpasst habe.

Im Januar 2019 nahm ich das neue Hören endlich in Angriff. Ich war fürchterlich aufgeregt. „Was kommt auf mich zu?“ Ich malte mir natürlich alles aus, ging aber dann trotzdem ohne große Erwartung in das Abenteuer Cochlea Implantat (CI). So viele CI-Träger haben mir dazu geraten – alle hatte ich über verschiedene soziale Medien kennengelernt und stehe auch heute noch in regelmäßigem Austausch.

Am 08.01.2019 wurde ich somit im Evangelischen Krankenhaus in Oldenburg operiert. Alles verlief reibungslos und ohne Komplikationen. Als ich aus der Narkose aufwachte, verspürte ich keinerlei Schmerzen und auch keinen Schwindel. Super! Glücklicherweise blieb das auch so. Daher konnte ich nach nur einer Schmerztablette auch wieder ganz darauf verzichten.

Einen Tag nach der Operation wurden dann die Röntgenaufnahmen sowie ein Hörtest gemacht. Bei der Visite strich der Doktor mir kurz über meinen Verband und fragte mich, ob ich es hörte. Ja! Ich hörte es und somit überkam mich an dieser Stelle das erste Mal ein Glücksgefühl. Mein Restgehör ist noch da. Ich freute mich so. Heute kann ich darüber nur lachen.

Am 10.01.2019 habe ich mir dann mein Gerät ausgesucht und zwar das Sonnet in weiß von MedEl. Das gefiel mir vom Tragekomfort her am besten und ich wollte etwas, was auffällt. Wenn, dann richtig, dachte ich damals und habe diese Entscheidung bisher nicht bereut.
Am 11.01.2019 wurde ich mit dickem Turban auf dem Kopf entlassen. Die Erstanpassung sollte am 31.01.2019 stattfinden.

Und dann war es endlich so weit: Der große Tag. Ich durfte zum ersten Mal mein Sonnet anlegen. Heute, während ich schreibe, bereue ich nur, dass ich damals nicht jeden Schritt genau dokumentiert habe. Daher fehlen mir heute schon einige Situationen, die nun sicherlich interessant zu teilen gewesen wären. Als das Sonnet das erste Mal aktiviert wurde, dachte ich erst: „Wie, das war es jetzt?“  Ich will geflasht sein, bin es aber nicht. Gib mir mehr.

Die Audiologin spielte verschiedenen Töne und stellte es dann so ein, wie es für den Anfang gut sein sollte. Das Gehirn muss nun ja auch erstmal mit der Reizüberflutung klarkommen. Auf dem Weg nach Hause ging dann natürlich das große Ausprobieren los. Was kann ich schon hören? Vielleicht das Piepen, wenn man nicht angeschnallt ist, was ich noch nie gehört habe? Leider nein, hörte ich nicht. Den Blinker? Ja, aber nur ganz schwach. Erster Frust. Aber hey, nicht aufgeben. Der erste Tag - es wird besser werden. Ich lud mir eine Hör-Trainings-App runter und übte in den ersten Wochen nach der Erstanpassung täglich immer mal für ein paar Minuten. Zusätzlich hörte ich die langsam gesprochenen Nachrichten, die ich überhaupt nicht verstand. Das war alles eine Mischung aus irgendwas, aber doch keine Sprache. Es waren zunächst die Anzahl an Silben, die ich hören und zählen konnte und mit jedem Üben konnten die Wörter kürzer werden – aus dem Unterscheiden von fünf- und zweisilbigen Wörtern wurden Silben, die ich verstehen konnte und ich übte sehr viel. Denn mir wurde gesagt, dass man ein ganzes Jahr hat, um große Fortschritte zu erzielen – und ich wollte so viel wie möglich.

Ich muss gestehen, dass ich erst fast nicht mehr übte, als ich wieder anfing, zu arbeiten. Ich arbeite als Teamleitung im Einzelhandel (Textilbranche) und fand den Alltag zur Übung völlig ausreichend. Und dem war auch so. Ich machte auch keine Reha aus privaten Gründen. Vielleicht gibt es die ja aber nach der zweiten Operation.

Im Frühjahr 2019 hörte ich dann zum ersten Mal Vögel. Ich kann dieses Gefühl gar nicht beschreiben. Alle Vögel hörten sich da noch gleich an, aber egal: ich hörte sie. Endlich hörte ich, dass meine Waschmaschine eine Melodie wie aus einem Disney-Film spielt, wenn sie fertig ist. Dass mein Wasserkocher piept. Der Toaster auch. Und dass Grillen unglaublich toll klingen. Da war es: Fortan war ich geflasht.

Die Kommunikation privat und auch bei der Arbeit lief besser. Jeden Monat kam mehr und Neues dazu. Heute verstehe ich auch, wenn mich jemand von hinten oder von der Seite anspricht oder mir was erzählt. Ich brauche nicht mehr zwingend das Mundbild. Im Juli 2019 waren wir verreist und es war mir das erste Mal möglich, mich im Flugzeug zu unterhalten. Es war unglaublich schön, das Meeresrauschen zu hören. Mittlerweile unterhalte ich mich im Auto ohne Probleme während der Fahrt und lausche den Witzen des Radiomoderators. Beides war vor der CI-Versorgung undenkbar.

Elektronische Musik klingt traumhaft, dafür die Geige nicht, aber daran arbeite ich. Ich kann im Kino endlich alles verstehen und muss mir nicht alles zusammenreimen. Und auch TV geht endlich ohne Untertitel. Nach einem Jahr CI-Versorgung bin ich von 15% Sprachverständnis auf fast 90 % gekommen und bin unendlich dankbar für diese Möglichkeit.

Und selbst jetzt zu Corona-Zeiten, kann ich meine Mitmenschen, die Mundschutz tragen, verstehen. Ohne Mundbild. Ohne das CI wäre ich aufgeschmissen. Das kann ich jeden Tag aufs Neue sagen. Daher auch meine Entscheidung zum zweiten CI. Diese Operation soll im Herbst 2020 stattfinden.

Früher war mir meine Hörbeeinträchtigung peinlich und ich wollte auf keinen Fall ein Hörgerät zeigen. Mit dem CI ist das anders. Es gibt mir so viel Lebensqualität, dass ich keinen Grund sehe, es zu verstecken. Und genau das kann ich allen nur raten, die sich in einer ähnlichen Situation befinden.

April 2020

Jannette Zerth