Once upon a time… a walk alone!
Von Annelies Bauer alias Seilenna
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Schwindel überkommt mich, das Blut steigt mir sichtlich und spürbar ins Gesicht. Ein Schweißausbruch. Rauschen in den Ohren und ja, gleich werd ich ohnmächtig. Ich spür's. Spürbare, bohrende, gestresste Blicke in meinem Rücken. "He..t wos vastehns...jetz sog is scho..i was ned?!"
Der Schaffner hinter der Plexiglasscheibe trägt eine viereckige Brille. Er wirkt korpulent und hat mich mit seinen geweiteten Augen fixiert. Sein Gesicht ist blutrot, nachdem ich ihn zum dritten Anlauf bitte, mir nochmals, nicht alles, aber das letzte gesprochene zu wiederholen. Die Umstiegsorte und Uhrzeit des spontan einberufenen Schienenersatzverkehrs bitte zu erklären.
Da spontan, hing eben schriftlich keine Information aus, an der ich mich wie sonst immer in meiner Lage, hätte orientieren können. Fast 50min entfernt von meinem Zuhause, wusste ich nicht in welchen Bus ich mich setzen soll, der mich an mein Ziel bringt. Sechs stehen zur Auswahl. Alle Motoren laufen, Geräusche hoch Zehn. Kein bekanntes Gesicht unter den Menschen um mich herum, an das ich mich halten könnte. Nur viele durchbohrende Blicke treffen mich.
Mein Mut hat mich verlassen, meine Beine weich. Ich denke an ein Taxi. Nicht erneut fragen müssen. Teuer zahlen, aber sicher daheim sein. Die Blockade erwischte mich mal wieder: es ist immer ein Gefühl wie vor einer Panikattacke. Oder mitten drin. Ich hätte laut sagen sollen: „Bitte schreiben sie mir die Information auf, ich bin schwerhörig. Auch wenn sie mir noch zwanzigmal brüllend entgegenwerfen wo ich rein und raus muss, werde ich Sie in dieser lauten Geräuschkulisse hinter ihrem beschissenen Plexiglas nicht verstehen!"
Konnte ich aber nicht. 15 Jahre alt und schwer eingeschüchtert von diesem Leben. Ich konnte nach dem dritten Versuch ,,Entschuldigung, ich hab den letzten Teil nicht verstanden" kein Wort mehr herausbekommen. Den Tränen nahe und kurzatmig begebe ich mich hinter die Menschentraube und sammle wie so oft in meinem Leben Energie, um eine Person, von der ich Geduld erhoffe, anzusprechen.
Und wie so oft, hatte ich auch Glück. Zum Zeitpunkt erlebe ich nun seit fast zwei Jahren häufiger solche Momente und werde noch sehr viel mehr solcher erfahren. Unkenntnis und Neuland meinerseits, Unkenntnis und Ungeduld andererseits. Woher ich immer wieder meine Energie schöpfte, um aus diesen, für mich gnadenlosen Situationen zu entkommen, kann ich nicht sagen, nur viel hat es mir später gekostet, dieser ewige Energieraub.
Schwerhörig sein bedeutet sehr oft, dass es nicht die Lautstärke beeinflusst was beim Gegenüber ankommt, sondern oft ist es die Deutlichkeit und Betonung der einzelnen Silben. Dass man Menschen wie mich durch diese Lautstärkenerhöhung in äußerst missliche Lagen bringt, in denen man physisch und psychisch nur verliert, möchte ich mit meiner Situationsbeschreibung erklären und sensibilisieren. Meine Behinderung ist unsichtbar, ich möchte sie sichtbar machen.
Von Annelies Bauer alias Seilenna