Auf's Universum ist Verlass
Von Annelies Bauer alias Seilenna
Das wichtigste für mich war meine Freundin I. Mich endlich geborgen fühlen. Endlich mit jemanden richtig über meinen Gehörverlust zu sprechen! Es ihr anzuvertrauen war so wertvoll. Einer Person, die es auch beruflich verstand, wodurch ich da die letzten Jahre ging und mir wieder auf die Beine half. Die wusste wie mein Alltag mit diversen Hilfestellungen leichter werden wird. Sie war meine Selbsthilfe.
Ich traf sie nach meiner OP: Mein Kopf wirkt schwer. Der Verband um ihn herum ist eng. Mit den Fingern fühle ich eine eingetrocknete Flüssigkeit an der Wange kleben, die von der Wunde weg einen Weg am Tupfer vorbei fand. Alles andere wirkt wie eingefroren am Kopf, äußerst fremd. Ich merke es sofort; das Gehör ist nun völlig weg! Das kleine Schnitzel Restgehör, das ich noch hatte. Das kommt sehr oft vor. Dafür sind meine Karten gut, beim Versuch es nun durch das Implantat elektrisch zu ersetzen. Bis ich den Prozessor an der Haut außen anlegen darf, müssen jedoch noch zwei Wochen vergehen; dann werden jedes Wort und jedes Geräusch von Null auf trainiert. Nur diese Woche hier im Spital aushalten! Im Zimmer alle anderen ignorieren, um nicht wieder hinzufallen. Zu unerreichbar schien es mir mit meinem linken, auch wackeligem, Gehör, hier mit jemanden in Kontakt zu treten. Mein Stapel Bücher auf meinem Nachtkasten verrät mein eisernes Vorhaben.
Zu einem Mount Everest der Angst und Verbitterung, ist die Vorstellung von Gesprächen der letzten Monate, in mir gewachsen. Viel Scham war da noch dazugekommen; ich kam im Leben nicht mehr zurecht. Aber bei dir: da schaffte ich mein Vorhaben nicht. Zum Glück. Du hast dein Bett neben meinem. Ich kann vor dir nicht flüchten, ich komme ja gerade erst aus dem OP. In meiner Trance von der Narkose nehme ich dich nur kurz wahr: Eine breit lächelnde junge Dame, querbett sitzend, in freudiger Erwartung was ich ab jetzt zu berichten hätte. Denn du studierst Logopädie, wirst Jahre später deinen Master machen und dich völlig im Thema Cochlea Implantat vertiefen. Ja genau: WAS für ein Zufall!
Meine treu wartende Mama hat dir, als ich im OP war, schon vieles von mir erzählt, ich musste also nicht mehr viel erklären, du hast einfach losgelegt. In meiner Erinnerung hast du fiktiv meine Hand genommen und mir wie ein weiser Guru alles erklärt. Was nun auf mich zukommt, wo die Schwerpunkte liegen, um wieder zu hören. Du hast sie in allen schweren Momenten, die folgten, nicht mehr losgelassen. Du hattest am nächsten Tag deine eigene Operation, eine ganz andere, aber nicht einfacher. Als du im Zimmer retour, Tränen verdrückt hast, habe ich dir ein Glas mit Strohhalm gereicht und dich trinken lassen. Der Moment und Beginn einer unendlich herzlichen Freundschaft, gemacht für die Ewigkeit; um das Leben von zwei Frauen in ihren beginnenden Zwanzigern schwereloser zu machen. Um all die Unerträglichkeiten und Heiterkeiten zu teilen, die einem da so passieren; wenn einem die falschen Prinzen, erste Wohnungen und erste folgenreiche Entscheidungen begegnen. Da lag mein großer Schwerpunkt: mich zu öffnen, anzunehmen.
Und du warst mein Schlüssel. Du bist es noch heute. Wenn ich dich beobachte, 10 Jahre später, wie du mit deinem Baby am Schoss, nun Mama bist und die viele Liebe, die du zu geben hast, nun auch deinem Sohn weitergibst. Da wächst mir mein Herz in der Brust noch heute voll Dankbarkeit, dass das Universum dich mir gesendet hat.
Natürlich weiß ich, dass nicht jeder eine I. findet. Es gibt aber bereits sehr viele Selbsthilfegruppen und Anlaufstellen um Hilfe und ein Netz zu finden, dass einen auffängt. Es ist so wichtig.
Annelies Bauer alias Seilenna