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Hören 2.0 – mein Weg zum CI I Bericht Teil 1

Von Anja B.

„Kannst du BITTE LAUTER sprechen!?“ – Dieser Satz war in den letzten Jahren mein ständiger Begleiter geworden. Wann es eigentlich losging mit dem schlecht Verstehen und dem falsch Verstehen, weiß ich nicht mehr. Und warum genau es bergab ging, warum sich in Abständen immer wieder Hörstürze zeigten, auch nicht. Den ersten Hörsturz hatte ich schon im Studium, das Dauerpiepen nach den Partys gehörte damals ja quasi dazu und Gedanken über Gehörschutz machte man sich irgendwie nicht. Bis es eines Tages, besser gesagt, Abends während einer Party plötzlich „Plopp!“ machte und alles dumpf klang und ich in den Folgetagen merkte, dass das eine Ohr irgendwie ‚anders‘ war. Es folgte die übliche Therapie mit Kortisoninfusionen etc., das Ohr erholte sich wohl und alles war vergessen.

Ich wurde Lehrerin und die Klage, dass die Schüler*innen so leise sprechen und zugleich so laut sind, gehörte quasi zu meinem Berufsalltag. Vor fünf Jahren bemerkte ich plötzlich wieder ein Watte-Gefühl in meinem linken Ohr, hatte das Gefühl, ein feuchtes Ohr zu haben – wieder ein Hörsturz, diesmal mit einem Tiefton-Tinnitus. Der „startende Düsenjäger“ begleitete mich zusätzlich zum dumpfen Gefühl im Ohr von da an wie ein treuer Freund. Es folgten wieder die üblichen Therapien und die Aussage des HNO-Arztes, ich könne es ja mal mit einem Hörgerät versuchen. Genauer gesagt: mit EINEM Hörgerät, mein zweites Ohr hörte (und hört) ja immer noch gut. Dieses zweite Ohr war in der Probetrag-Zeit und auch im Anschluss immer ein sehr nörgeliger Partner des ‚schlechten‘ Ohres, ständig kam die Botschaft, dass sich das auf Hörgeräte-Ohr aber „ganz anders“ anhört. Ich wurde Dauergast bei meiner Hörakustikerin, immer auf der Suche nach einer besseren Einstellung, mal war es zu blechern, mal zu dumpf.

Das schlechte Hören war ein Dauergefühl. Während am Tagesanfang immer das Gefühl da war, das Ohr wird „angeschaltet“, stellten sich im Laufe des Tages dann oft Unwohlseinsgefühle und ein seltsamer Druck auf dem Ohr ein. Ich konnte nun in guter Umgebung zwar mehr hören, aber in der Schule blieben die Schwierigkeiten: Alles war zu laut - aber gleichzeitig auch zu leise.

Erzählt habe ich von meinem Hörgerät erst spät und auch nur wenigen Kollegen, niemand sollte es wissen und erst recht nicht sehen. Und irgendwann war auch der Zeitpunkt dafür vorbei, ich konnte – so glaubte ich – nicht plötzlich sagen: „Übrigens, ich höre seit Jahren schlecht und trage ein Hörgerät.“ Dabei schwang sicherlich auch die Sorge mit, dass es dann von Schülerseite heißen könnte: „Und wie wollen Sie uns dann bewerten?“ Ich muss Sprache ja nicht nur verstehen, sondern sie auch bewerten. Auch meine Familie war nicht gerade, sagen wir, „begeistert“. Ich hörte auch Aussagen wie: „Du willst doch jetzt nicht wohl so ein Ding da tragen!?!“ Die Einschränkung und Not hinter dem einseitig immer schlechter werdenden Hören verstand niemand. Allenfalls hielt man sich mal ein Ohr zu und stellte fest, dass „das wirklich ein bisschen blöd“ ist.

Im Sommer 2017 plötzlich der nächste Hörsturz, bei dem ich anfangs dachte, mein Hörgerät sei defekt. Nachdem meine Hörakustikerin meine neue Hörkurve mit Entsetzen quittierte und mein HNO-Arzt mich aber mit den Worten, alles sei ok, mein Gehör schwanke halt, wieder wegschickte, wechselte ich mehrfach den Arzt, doch sowohl die Infusionstherapie als auch eine intratympanale Kortikoidtherapie brachten keine signifikante Besserung. Das Hörgerät trug ich nicht mehr, es brachte mir gar nichts mehr, ich fühlte mich nur noch schief.

Nun hieß es, ich solle mich doch mal in der CI-Sprechstunde vorstellen. In der CI-Sprechstunde?? Ich ließ mir den Termin geben, war aber fest davon überzeugt, ja, hoffte es regelrecht, dass man mich dort auslacht und wieder wegschickt. Wurde ich aber nicht. Die Tests ergaben, dass ich eine geeignete Kandidatin sei, ich sei „an Taubheit grenzend schwerhörig“. Meine erste Reaktion, nach ersten Recherchen mit Simulationen, wie sich das Hören mit einem CI anhört, war „nie im Leben lasse ich DAS machen!“. Die Aussage, ich sei an Taubheit grenzend schwerhörig und eine geeignete Kandidatin, schien aber zugleich bei mir etwas geweckt zu haben: Auf einmal wurde mir richtig bewusst, WIE schlecht ich höre, dass ich mir ständig alles wiederholen lassen muss, mich nicht mehr mit Freunden treffen wollte, ich Gesprächen nicht mehr richtig folgen konnte, ich ständig auf der Suche nach den Schallquellen war und es kurzum nicht so weitergehen konnte. Auf Empfehlung meines neuen Arztes schaute ich mir noch eine Klinik an. Ich las gefühlt das Internet komplett leer, stöberte und fragte in Internetforen und Facebook-Gruppen und fand dort auch kompetente und geduldige Ansprechpartner. Unzählige Fragen und Antworten später war es für mich nicht mehr die Frage ob, sondern nur noch wann ich mich (endlich) mit dem CI versorgen lasse.

Nach meinem Entschluss standen noch weitere Untersuchungen an, um zu klären, ob ich tatsächlich geeignet bin, mit der Krankenversicherung und Beihilfe musste die Kostenübernahme geklärt werden – die Zeit bis zur OP schien kein Ende zu nehmen, doch im September 2019 lag ich endlich auf dem OP-Tisch. Die Wochen davor waren eine einzige Qual, ich fühlte mich am Ende meiner Kräfte. Hinzu kam die ständige Sorge, dass die OP aus irgendeinem Grund abgesagt und weit nach hinten verschoben werden könnte.

Fünf Wochen später erfolgte die Erstanpassung. Das CI hat mir mein altes Hören nicht mehr zurückgegeben, ich habe mein Restgehör verloren, das Üben ist anstrengend und ich bekomme auch meine Grenzen aufgezeigt, aber es ist für mich schlicht und einfach grandios. Ich habe das Gefühl, wieder ich zu sein. (Fortsetzung folgt)

September 2020
Anja B.