Mein Leben mit zwei Cochlea Implantaten
Von Sarah Kroh
Hallo, mein Name ist Sarah Kroh, ich bin 20 Jahre alt und trage seit meinem zweiten Lebensjahr auf beiden Seiten Cochlea Implantate.
Ich fange am besten einfach mal ganz am Anfang an. Ich kann mich natürlich nicht mehr an Dinge vor meiner Implantation erinnern, da ich noch sehr klein war, aber ich kann euch berichten, was mir meine Eltern erzählt haben. Dabei stellt sich auch schon die erste Frage, wie meine Eltern festgestellt haben, dass ich nichts hören kann. Bei mir hat sich das dadurch bemerkbar gemacht, da ich nicht angefangen habe zu sprechen und ich auch durch den beeinträchtigten Gleichgewichtssinn erst sehr spät gelernt habe zu laufen. Außerdem habe ich nicht immer reagiert, wenn man mich gerufen hat und wenn ich reagiert habe, dann war das, wie sich später herausgestellt hat, auch nur Zufall. Mein Vater hat dann um ihren Verdacht, dass irgendetwas nicht stimmt, einen sehr lauten Wecker hinter meinem Kopf rappeln lassen. Als ich dann nicht reagiert hatte, war klar, dass da irgendwas mit meinen Ohren nicht stimmen konnte.
Der nächste Schritt war dann also zu einem HNO-Arzt zu gehen, wo Hörtests gemacht und festgestellt wurde, dass ich hochgradig schwerhörig bin. Zunächst hat man versucht diese mit normalen Hörgeräten auszugleichen. Als sich auch da meine Hörsituation nicht verbessert hat, riet unser damaliger Nachbar (Arzt, selbst CI-Träger) uns dringend zu Cochlea Implantaten und empfahl die Medizinische Hochschule Hannover. Dort bin ich dann auch implantiert worden und anschließend im Cochlear-Implant-Centrum zur Reha gegangen. Das besondere an meiner Implantation war, dass ich eigentlich erst nur auf einer Seite ein CI bekommen sollte. Zum Glück für mich wurden meine Eltern einen Tag vor der OP gefragt, ob ich nicht an einer Studie teilnehmen möchte, in der man die Entwicklung von Kindern beobachtet, die auf beiden Seiten gleichzeitig implantiert werden. So wurde dann auch die andere Seite implantiert und somit war ich mit eine der Ersten, die auf beiden Seiten gleichzeitig implantiert wurde, was sich letztendlich sehr erfolgreich in meiner Entwicklung widerspiegelte. Ich habe sehr schnell gelernt zu sprechen und mein Wortschatz hat sich täglich erweitert.
Mit drei Jahren bin ich dann in einen Kindergarten für Normalhörende gegangen und nebenbei zunächst einmal wöchentlich auch in einen Kindergarten für Hörgeschädigte. Später besuchte ich für ein Jahr Vorschulunterricht in einer Schule für Hörgeschädigte. Dort wurde ich bestens auf meinen weiteren Schulverlauf vorbereitet. Mit sechs Jahren wurde ich dann in eine Regelgrundschule eingeschult, habe danach auf ein Regelgymnasium gewechselt und dort auch 2019 mein Abitur gemacht. Während meiner Schulzeit wurde ich immer super unterstützt, sowohl von den Lehrern und Schülern, als auch von meiner Familie. Man hat den Klassenraum mit Technik ausgestattet und für mich einen Nachteilsausgleich ausgehandelt, damit ich keine Schwierigkeiten bekomme, um so mit den Normalhörenden mitzuhalten. Dies war dann für mich kein Problem mehr.
Als ich dann älter geworden bin, habe ich mir natürlich immer öfter die Frage gestellt, wieso ich überhaupt gehörlos bin, zumal niemand sonst in meiner Familie eine Hörschädigung aufweist. Außerdem hat mich damals auch der Gedanke verfolgt, dass meine Hörschädigung vielleicht vererbbar sein könnte und zu diesem Zeitpunkt hat mich das schon sehr verunsichert. Daher habe ich eine genetische Untersuchung machen lassen. Dabei ist rausgekommen, dass die Hörschädigung zwar genetisch bedingt ist, ich aber quasi ein Sechser im Lotto bin und ich diese nur vererben könnte, wenn mein Partner ausgerechnet den gleichen Gendefekt hätte.
Mittlerweile ist mir dies aber sowieso egal, da ich an mir selbst am besten sehen kann, dass es sehr wohl möglich ist mit dieser Hörschädigung ein normales Leben führen zu können und ich mich dadurch auch nicht eingeschränkt fühle. In dieser Selbstsicherheit habe ich mich indirekt auch unterstützt, als ich mir vor etwas über einem Jahr meine Haare ganz kurz geschnitten habe. Ich schäme mich nicht dafür, dass ich vielleicht etwas anders bin, denn dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Die Technik heutzutage konnte mir ermöglichen in einem Umfeld von Normalhörenden aufzuwachsen, ohne dass ich mich ausgeschlossen fühle und dafür bin ich täglich dankbar. Ebenso bin ich dankbar, dass ich eine so unterstützende Familie habe, ohne die ich bestimmt nicht da wäre, wo ich jetzt bin.
Nach meinem Abitur habe ich eine Ausbildung zur Medizinisch-Technischen-Laboratoriumsassistentin in Münster angefangen und lebe eigenständig in einer neuen Stadt, in der ich wieder einmal sehr herzlich empfangen wurde und unterstützt werde. Mit Hilfe der Arbeitsagentur konnte neue Technik für den Unterricht finanziert werden. Mein Start wurde mir durch den Integrationsfachdienst und auch durch die Offenheit der Lehrkräfte hier an der Schule erleichtert. Die Ausbildung hat mein Selbstbewusstsein sehr gestärkt und ich bin sogar zur Semestersprecherin für meinen Kurs gewählt worden. Ich kann mittlerweile sehr offen mit meiner Hörschädigung umgehen und das habe ich auch den Menschen zu verdanken, die bis jetzt immer sehr offen auf meine kleine „Einschränkung“ reagiert haben.
Ich hoffe, dass ich mit meiner Geschichte Eltern und auch anderen Hörgeschädigten Mut machen kann und hiermit endet vorerst mein Erfahrungsbericht.
Lasst euch nicht runterziehen!
Sarah Kroh
Januar 2021