„Hol mal deine Mütze!“
Von Janina
Ich war die Einzige im Kindergarten, die diesen Satz durch die geschlossene Fensterscheibe verstanden habe, wenn ich von meiner Mutter abgeholt wurde.
Wer bin ich? Und warum kann ich mich mit meiner Mutter so unterhalten? Bin ich vielleicht Wonder Woman oder doch Supergirl?
Nein, ich bin nur ein halber Cyborg! 😊 Ich besitze keine magischen Fähigkeiten, ich bin einfach nur clever und fing damals an, bei meinen Eltern von den Lippen abzulesen, wenn ich etwas von ihnen wollte. So passierte es auch, dass ich die Wörter „Mama“ und „Papa“ oft verwechselt habe. „Mama“ und „Papa“ sind vom Wortlaut recht ähnlich. Aus diesem Grunde fiel es überhaupt erst auf, dass ich mit drei Jahren nicht in die Sprache kam.
Andere Kleinkinder fingen an, zu sprechen – ich dagegen brabbelte weiterhin fröhlich Fantasiewörter vor mich hin. Meine Eltern gingen mit mir dann zum HNO-Arzt, der mich untersuchen sollte. Es war damals auch der Arzt, der bei einer Kontrolluntersuchung aus Spaß zu mir gesagt hatte, ob ich taub sei, weil ich auf irgendetwas nicht reagiert hatte. Mit diesen Worten konfrontierte meine Mutter ihn, ob das evtl. wirklich so ist?
Dann, nach einigen Untersuchungen und Gesprächen in der UKSH war das wirklich so: Ich bin hochgradig schwerhörig, auf dem linken Ohr an Taubheit angrenzend, mit einem GdB von 90.
Tja, da standen meine Eltern etwas baff da…
Wie ging es weiter? Wurde ich zu einem unlösbaren Projekt erklärt? War ich überhaupt noch Janina? (was im Übrigens mein Name ist 😊) Würde ich zur Adoption freigegeben? Würde ich zum Versuchskaninchen? Letzteres stimmte zum Teil wirklich. Ich sollte damals schon implantiert werden (mit damals meinte ich 1996). Dieser Arzt war besessen davon, mich zu operieren, aber meine Eltern wollten das nicht. Und dafür bin ich ihnen bis heute sehr dankbar.
Meine Eltern wollten nicht für mich für die nächsten 80 Jahre diese eine bedeutende Entscheidung vorwegnehmen. Meine Eltern haben gesagt, solange ich mit Hörgeräten versorgt werden kann, ist alles gut. Und so war es auch.
Ich wuchs mit jahrelanger Logopädie auf, da ich leider meine tollen Fantasiewörter nicht in der echten Welt benutzen konnte. Ich lernte die deutsche Sprache kennen. Es war ein Kampf, denn diese Sprache ist tatsächlich nicht ganz einfach. Ich verwechsle heute noch Der, Die und Das, Dem, Den, Einen und Einem. Das werde ich auch nie mehr richtig lernen. Das gehört zu mir, zu meiner Person. Das ist mir auch nur zu 98 Prozent nicht peinlich! 😊
Ich ging in einen normalen Kindergarten, war ein fröhliches Mädchen. Das sollte sich in der Schulzeit aber leider ändern. Ich ging auf eine normale Grundschule. Die Schule hatte meine doch überwiegende Fröhlichkeit genommen und diese durch Ernsthaftigkeit ersetzt. Ich wurde durch meine besondere Ausstattung (FM-Anlage und Hörgeräte und sogar einer Schulbegleitung) gehänselt und gemobbt. Das wurde auch auf der weiterführenden Schule (Gesamtschule alias Gemeinschaftsschule) nicht besser. Ich wurde zum Einzelgänger, war besser dran, wenn ich alles mit mir allein ausmachte. So war ich immer sehr fleißig, hab zu Hause vieles nachgearbeitet, was ich im Plenum nicht verstanden habe. So schaffte ich 2013 gerade eben so mein Abitur.
Ein ganzes Jahr brauchte ich, um mich von der schweren Schulzeit zu erholen. Dann fing ich bei einem „Abiturienten-Spezial-Modell“ in einer Supermarktkette an. Es war die denkbar schlechteste Entscheidung, die ich je getroffen habe, was ich aber erst vier Jahre später festgestellt habe. Nach vier Jahren Ausbildung zum Handelsfachwirt ohne Erfolg, kam ein Trigger, den ich bei meiner Arbeit an der Kasse bekam und verfiel in eine rezidivierende depressive Störung, mit Behandlung in einer psychosomatischen Klinik und Tagesklinik. Ich war eineinhalb Jahre krankgeschrieben. In dieser Zeit habe ich dann eine Reha in Rendsburg gemacht, „Reha für Hörgeschädigte“, Ende 2020.
Dort ließ ich mich das erste Mal so richtig beraten, was ein Cochlea Implantat ist. Im August 2020 hat meine Akustikerin schon gesagt, die mich schon 24 Jahre lang kennt, ich solle mal über ein CI nachdenken. Da brach für mich eine Welt zusammen. Für mich war CI damals was Auswegloses, etwas Schlechtes. Ich hatte nichts Gutes mit einem CI in Verbindung gebracht. Ich WOLLTE gar nicht darüber nachdenken. Erst mit der Reha fing ich an, mich damit auseinander zu setzen. Zuerst sogar etwas bockig, so nach dem Motto „Ich trage ein Hörgerät, da bin ich noch nicht so schlecht dran, wie du mit einem CI“. Ich weiß, das ist boshaft, aber so habe ich tatsächlich lange gedacht und so war auch meine Haltung. Jetzt bin ich eines Besseren belehrt worden und weiß, dass ich mit einem CI so besser dran sein kann, als mit einem Hörgerät, was bis zum Maximum ausgereizt ist, das sogenannte SUP (Super Ultra Power).
Meine Reha ging über vier Wochen und das in der Corona-Zeit. Es war natürlich ganz besonders „toll“, so mit Mundschutz. Zum Glück verliefen die Gruppengespräche ohne Mundschutz. Da lernte ich auch, dass es überhaupt nicht selbstverständlich ist, dass wenn man Hörgeräte/CI trägt, auch gleichzeitig das Lippenlesen beherrscht. Ich war da so ziemlich das Ausnahmetalent, worauf ich das erste Mal stolz darauf sein konnte.
So, jetzt kommt die eigentliche Story zum Cochlea Implantat😊.
Am Ende der Reha-Zeit entschied ich mir FÜR das CI. Ich habe dann Anfang Februar einen Termin in der UKSH Lübeck gemacht, wo ich ziemlich schnell einen Termin für die Beratung bekam. Dann ging alles Schlag auf Schlag. Am 22.03.2021 wurde ich dann auf dem linken Ohr operiert, mit Advanced Bionics. Am 21.04.2021 ist dann die Aktivierung. Ich werde vermutlich das allererste Mal in meinem 27-jährigen Dasein mehr als nur tiefe Töne hören. Ich werde vermutlich überwältigt sein. Aber das kann ich noch nicht erzählen, denn darauf muss ich noch exakt zwei Wochen warten. Dann wird mein bilateraler Cyborg zum Leben erweckt😊. Und da werde ich dann nochmal berichten!
Bis dahin nordische Grüße,
Eure Janina, das Küstenkind!
(Instagram @janinasly)