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Kaspar Hauser auf der Ohrenseite

Wo ein Wille ist, ist auch oft ein Weg

 

Kindheit und Jugend

 
Mein Name ist Franz, ich bin 45 Jahre alt und ledig. Mein Beruf ist selbständiger Kaufmann.
 
Über meine frühere Kindheit gibt es eigentlich nicht viel zu sagen. Ich bin in eine normale Mittelstandsfamilie mit Eigenheim, Auto, Fernsehen und Sonntagsausflug, geboren worden. Meine Eltern, meine ältere Schwester und mein jüngerer Bruder sind normal hörend.
 
Die ersten Änderungen stellte ich ungefähr im sechsten Schuljahr fest. Ich konnte den Schulunterricht nicht mehr ganz verfolgen. Aber man sagte mir, ich solle nicht so faul sein und besser aufpassen. Ein Jahr später waren wir bei einem Onkel, der Ohrenarzt ist, zu Besuch. Er merkte, daß ich bei Gesprächen nicht alles richtig verstand und nahm mich nach dem Kaffeetrinken mit in seine Praxis. Nach seiner Untersuchung sagte er mir, daß ich auf beiden Ohren eine mittelgradige kombinierte Schwerhörigkeit hatte. So wurde mir das Erste Hörgerät verordnet. Das war zu der Zeit nicht so einfach wie heute, denn das nächste Hörgerätegeschäft war 50 km entfernt, in Dortmund. Die Hörgeräte waren auch längst nicht so gut wie heute. Ich denke heute noch so manches mal mit Schrecken an die ersten Höreindrücke zurück. Der Klang des Hörgerätes war blechern und die Nebengeräusche wie Straßenlärm, Stühlerücken, Simmgewirr u.s.w., waren schon fast schmerzhaft. Aber mit der Zeit gewöhnte ich mich an das neue Hören. Woran ich mich aber lange Jahre nicht gewöhnen konnte, waren die komischen Blicke der Leute, die immer wenn sie das Hörgerät bemerkten und ich sie ansah in eine andere Richtung schauten. Auch in meiner Schulklasse, wo ich als einziger ein Hörgerät trug, war ich oft Hänseleien ausgesetzt. Das Verstehen im Unterricht war auch nicht so einfach, denn ein Hörgerät kann bei weitem keine Ohren ersetzen. So versteht man nur gut, wenn man von vorne angesprochen wird. Dadurch ging viel vom Unterricht an mir vorbei. Wenn ich etwas nicht richtig verstand, wurde ich manchmal richtig wütend auf mich. Aber irgendwie habe ich die Schulzeit dann doch ganz gut überstanden, obwohl das Hören sich weiter verschlechterte. Auch kam es mir auch oft so vor, als wenn das Verstehen sich mit dem Wetter veränderte. Dadurch war ich steht's heftigen Gefühlsschwankungen ausgesetzt. Mal optimisstich mal pesimistich. Ich war diesen Schwankungen hilflos ausgeliefert.
 
Meine Familie betreibt seit Generationen ein Lebensmittel-Einzelhandelsgeschäft. Somit war klar, daß ich als ältester Sohn das Geschäft später mal übernehmen sollte. Ich sollte also eine Kaufmanns-Ausbildung machen. In einem Nachbarort war ein Geschäftskollege bereit mich probeweise einzustellen. Als er merkte, daß er mich gut für Lagerarbeiten gebrauchen konnte, durfte ich meine Kaufmannslehre bei ihm machen. Ab und zu durfte ich auch in den Verkauf. Der Umgang mit den Kunden machte mir Spaß und wenn ich etwas nicht richtig verstand, holte ich eine Kollegin dazu, die weiterhalf. Mein Lehrechef war auch sehr autoritär und es machte Ihm immer wieder Spaß, mich mit Arbeit so zu zudecken, daß es innerhalb der Geschäftszeiten nicht zu schaffen war. Am liebsten hätte ich mich manchmal gewehrt, aber ich dachte mir, die Lehre abbrechen, kommt für mich nicht in Frage. Was ich beim Berufschulunterricht nicht mitbekam, lernte ich zuhause aus Büchern dazu. So bestand ich trotz Schwerhörigkeit meine Kaufmanns-Prüfung mit Erfolg. Meine Überlegungen noch etwas anderes zu lernen, bei dem das gute Hören nicht so wichtig wäre, wurde durch den plötzlichen Tot meines Vaters zunichte gemacht. Nun hieß es im elterlichen Geschäft mitzuarbeiten. 
 
Da ich bald 18 Jahre alt werden sollte, wollte ich einen PKW-Führerschein machen. Bei der Anmeldung zum Führerschein wurde mir gesagt, daß ich ein Medizinisch-Technisches Gutachten (Idiotentest) machen müsste, um zur Prüfung zugelassen zu werden. Na ja was soll's, ich habe den Test und die Führerscheinprüfung bestanden, obwohl mir bis heute nicht klar ist, warum ein Hörbehinderter einen Idiotentest machen muss.
 
Durch die neu gewonnene Mobilität kam ich nun öfters zum Möhnesee. Das Wasser und die Segelboote faszinierten mich, so daß ich mich entschloss einen Segelschein zu erwerben. Das Problem bestand darin, daß man einen Hörtest machen musste, um zur Segelprüfung zugelassen zu werden. Zu meinen Glück wurde der Hörtest so gemacht, daß sich der Prüfer in einigem Abstand von mich hin stellte und Zahlen vorsprach, die ich wiederhohlen musste. Der Prüfer sah mich dabei an, so daß ich die gesagten Wörter von seinen Lippen ablesen konnte. So bestand ich den Hörtest ohne ein Wort zu verstehen. Auf den Schiffen bat ich immer einen Mitsegler mir zugerufene Kommandos zu sagen, so bestand ich auch meinen Segelschein.
 
So hatte ich eine Arbeit, die mir gefiel, einen Pkw-Führerschein,ein Auto, einen Segelschein und eine Jolle auf dem Möhnesee. Ich hätte also ganz zufrieden sein können. Mein einziger Kummer war das sich mein Gehör weiter verschlechterte und daß ich nun manchmal unangenehme Geräusche hörte. Es war auf einer Seite ein Pfeifen und auf der anderen Seite ein Brummen. Mal leise, mal laut, aber immer da. Wenn die Geräusche laut waren, konnte ich abends nicht einschlafen. Der hinzugezogene Ohrenarzt sagte mir, ich hätte Tinnitus und man könne wenig dagegen tun. Er verschrieb mir Infusionen und durchblutungsfördernde Medikamente. Aber die Geräusche blieben. Aber ich dachte mir, es gibt Schlimmeres. Auch wollte es einfach nicht mit einer festeren Freundschaft mit einem Mädchen klappen, lockere Flirts gab es zwar genug, auch hatte ich einen guten Freundeskreis, der Rücksicht auf meine Behinderung nahmen, aber eine festere Bindung mit Mädchen kam nicht zustande. Es wurde von den Mädchen zwar immer beteuert, daß das mit dem schlechten Hören kein Problem sei, aber das war es doch. Zum Glück war ich in einer tollen Clique, die mich trotz Schwerhörigkeit akzeptierte. Ich konnte ein relativ normales Leben führen. Nur bei Gesprächen mit vielen, konnte ich oft nicht folgen, aber ich zog mich dann einfach in meine Gedankenwelt zurück.
 
Zudem hatte ich einen sehr guten Freund, den ich besonders gut verstehen konnte. Wenn er bemerkte, daß ich den Gesprächen nicht folgen konnte, sagte er mir worum es ging. Oder er gab mir ein Stichwort. Dadurch hatte ich dann das Gefühl, daß ich in der Gruppe doch dazugehörte. Aber außerhalb der Clique hing ich oft in der Luft.
 
Wenn ich angesprochen wurde und es nicht richtig verstand, versuchte ich es einfach zu Überspielen. Durch die dadurch oft falschen Antworten von mir schauten mich die Leute dann oft groß an und mit der Zeit versuchten sie es gar nicht mehr mit mir ein Gespräch anzufangen. Außerdem wurde ich auch immer misstrauischer. Wenn ich etwas nicht richtig verstand, glaubte ich immer, daß mich die Leute nur ärgern wollten. Da ich keine anderen Hörbehinderten kannte, hatte ich auch niemanden, mit dem ich über meine Probleme sprechen konnte. So zog ich mich im Laufe der Jahre immer mehr zurück. Aber da ich mich gut selber beschäftigen kann und auch durch meine Arbeit stark eingebunden war, fiel es mir nicht so auf. Ich spielte allen immer einen lustigen jungen Mann vor, auch wenn mir oft nicht danach zumute war.
 
Da das elterliche Geschäft nicht mehr den Anforderungen der Zeit entsprach, entschloss ich mich zusammen mit meiner Mutter ein Neues, doppelt so großes Geschäft auf einem gegenüberliegendem Grundstück zu errichten. Nun gab es keine Zeit mehr über meine Schwerhörigkeit und Mädchen nachzudenken. Ich war in der Tretmühle des Alltags gefangen. Da zu gleicher Zeit ein weiteres Geschäft in nur wenigen hundert Meter gebaut wurde, war die ganze Sache viel schwerer als erst gedacht. Nur mit Mühe und Not schaffte ich es die fälligen Abzahlungsraten zu bezahlen. Aufgeben kam für mich aber nicht in Frage, lieber wollte ich Tag und Nacht arbeiten, als zu scheitern. Irgendwie habe ich es dann immer geschafft, die entsprechende Summe zusammen zu bekommen.
 
Eines Tages dachte ich, die Batterien des Hörgerätes wären leer, deshalb wechselte ich sie aus, aber das Hören wurde nicht besser. Also musste wohl das Hörgerät kaputt sein. Aber der Hörgeräte- Akustiker konnte keinen Defekt am Hörgerät feststellen. Also schnell zum Ohrenarzt. Der danach sofort besuchte Ohrenarzt stellte einen Hörsturz fest, er ordnete sofort durchblutungsfördernde Infusionen und Ruhe an. Zum Glück brachten die Infusionen, wenn auch nur teilweise, Erfolg und das Hören besserte sich wieder. Aber von da an hatte ich eine panische Angst davor, einmal gar nichts mehr zu hören.
 
Eine entscheidene Änderung begann im Grunde mit einem Zufall. Immer wenn ich sonntags mal aus meiner gewohnten Umgebung ausbrechen wollte, fuhr ich mit dem Auto nach Soest. Es tat einfach gut mal in die Anonymität der Stadt einzutauchen. Einfach mal spazieren zu gehen, ohne Angst zu haben von Bekannten angesprochen zu werden und auf die gestellten Fragen richtig reagieren zu müssen. An einem schönen Frühjahrssonntag ging ich einfach mal einen mir unbekannten Weg. Dabei sah ich vor einem Haus ein Schild mit der Aufschrift "HörbehindertenBeratung". Das Schild machte mich neugierig und so schaute ich es mir genauer an. „Freitag Abend - offener Treff" stand da. Am nächsten Freitag nahm ich allen Mut zusammen und fuhr zum Treff nach Soest Als ich scheu in den Versammlungsraum schaute, kam eine junge Frau auf mich zu. Sie sagte mir, daß sie die Leiterin des Treffs wäre und daß sie sich zunächst mit mir in ihrem Büro alleine unterhalten wollte. Ich war von der Leiterin und von ihrer lockeren und ungezwungen Art sehr beeindruckt. Später stellte sie mir die anderen Besucher des Treffs vor. Es waren Frauen und Männer aller Alterstufen anwesend, die sich lebhaft teils in normaler Umgangssprache und 
teils in Gebärdensprache unterhielten. Da ich nie zuvor mit anderen Hörbehinderten zusammen gekommen bin, war es zunächst ganz ungewohnt für mich.
 
So wurde mir immer wieder gesagt, daß ich doch bitte langsam und deutlich sprechen solle. Mir wurde mit einmal bewusst, welche Probleme andere Personen mit der Verständigung auch mit mir haben müssen. Aber da ich so herzlich in die Runde aufgenommen wurde, fühlte ich mich schnell wohl. Und vor allem habe ich durch den Club meine Angst vor einem weiteren Hörverlust verloren.
 
Trotzdem wollte ich natürlich so gut wie möglich hören, deshalb hatte ich mich zu einem Spezialisten für hörverbessernde Operationen, Dr.Coster Schimansky überweisen lassen. Der Arzt stellte nach seinen Untersuchungen die Diagnose „Kombinierte Innenohr-Schwerhörigkeit". Mein Hörnerv sei auch sehr schwach, wurde mir von dem Arzt bescheinigt. Da ich mich aber überhaupt nicht mit meinem Schicksal abfinden wollte, sagte er mir, dass er mein Innenohr probehalber öffnen wolle, um Klarheit über meine Schwerhörigkeit zu erhalten. Ich konnte meinen Operations-Termin kaum abwarten. Es war ein Wechselbad zwischen Hoffen und Bangen. Ich wollte unbedingt wieder besser hören können. Zu meinem Erstaunen konnte ich während der Operation auf einmal Geräusche und Stimmen hören.
 
Unglaublich, ich konnte wieder besser hören. Es erschien mir wie ein Wunder. Die nächsten Jahre vergingen wie im Fluge. Dadurch, daß ich wieder besser verstehen konnte, fiel mir vieles leichter. So entschloss ich mich nun das elterliche Geschäft zu übernehmen. 
 
So war ich nun selbständiger Kaufmann mit einem eigenem Geschäft. Das war schon ein schönes Gefühl. Das wurde nur dadurch getrübt, daß ich nun manchmal kleine Schwindelanfälle bekam. Da die aber immer nur von kurzer Dauer waren, machte ich mir darüber keine Gedanken. Dafür hatte ich auch keine Zeit, denn das Geschäft machte viel Arbeit. Es war immer etwas zu tun. Oft kam ich mir vor, wie ein Hamster im Laufrad. Je schneller ich arbeitete um so schneller kam neue Arbeit. Da meine Schwindelanfälle aber immer häufiger kamen, ging ich dann doch zum Arzt, um die Ursache zu erforschen. Schnell fanden die Ärzte die Ursache meiner Schwindelanfälle. Bei meiner ersten Ohroperation waren meine Hörknochen, da sie kaputt waren, durch Drähte ersetzt worden. Eine Verbindung der Knochen war unterbrochen worden und ein Draht war dabei, durch mein Trommelfell zu wachsen. Durch meine Kaubewegungen wurden nun aufgrund des Druckausgleichs im Ohr die Schwindel Anfälle ausgelöst. Der Arzt riet mir zu einer Operation.
 
So entschloss ich mich schweren Herzens zu einer zweiten Ohroperation. Wieder war ich mit meinen Gefühlen am kämpfen. Dann war endlich der Operationstag. Nach der Operation fühlte sich das Ohr irgendwie anders an. Da bekam ich einen großen Schrecken. Ich dachte mir aber, daß das vom Verband kommt. Nachdem der Verband aber entfernt wurde bekam ich endlich die Gewissheit. Fortan war ich auf dem rechten Ohr gehörlos. Somit war ich auf das Verstehen mit einem Ohr angewiesen. Das zog mich total runter. Ich war total geschockt. Da das Richtungshören nun nicht mehr so gut klappte, wurde ich öfters unruhig und gereizt. Da die Schulden für das Geschäft aber noch nicht abgezahlt waren, blieb mir nichts anderes übrig als weiterzuarbeiten.
 
Buch-Projekt
Der Soester Dachverband der Behinderten wollte mit einem kleinem Buch auf die verschiedensten Behinderungen und über Erfahrungen von und mit Behinderten aufmerksam machen. Die Leiterin der Hörbehinderten-Beratungsstelle fragte mich, ob ich mich nicht auch mit einem kleinem Bericht an dem Buchprojekt beteiligen wolle.
 
Nach kurzer Überlegungen habe ich zugesagt. Ich wusste zunächst nicht, was ich schreiben sollte, aber dann dachte ich, warum soll ich nicht über den Verlauf meiner Hörbehinderung schreiben? Ich dachte mir, daß sich Außenstehende nur sehr schwer in die Lage von Hörbehinderten hineinversetzen können. Auch die innere Zerrissenheit, die Ängste, Wünsche und Hoffnungen mit denen fast alle Hörbehinderte zu kämpfen haben, sollte deutlich werden. Für mich kam zu den üblichen Problemen noch die Erwartungshaltung meiner Familie, meiner Arbeitskollegen und meines Umfeldes. Mir war von Kindheit anerzogen worden, keine Gefühle oder Schwäche zu zeigen. Dadurch war ich oft hin und her gerissen. Ich hatte mich durch meinen Beitrag zu dem Buch zum ersten Mal einem Außenstehendem geöffnet. Das war sehr schwer für mich. Deshalb habe ich meinen Bericht auch unter einem anderen Namen geschrieben. Als ich dann meinen Bericht der Leiterin der Hörberatung vorgelegt habe, war sie von meinem Bericht sehr ergriffen. Sie fand meine Geschichte sehr interessant. Der Bericht ist dann auch in das Buch aufgenommen worden Der Titel des Buches war: EISZEIT FÜR DIE MITMENSCHLICHKEIT? NEIN DANKE !
 
Film-Projekt
Da auch alle anderen Beiträge des Buches anschaulich und interessant geschrieben waren, sind die Bücher gut verkauft worden. Der Erlös ist dann den Behinderten-Vereinen zugute gekommen. Da ich versuchen wollte, das Buch auch überregional bekannt zu machen, habe ich den Bayerischen Rundfunk gebeten das Buch im Hörbehinderten Magazin „SEHEN statt HÖREN" vorzustellen. Die Redakteurin des Hörbehinderten-Magazins hat, nachdem sie meinen Beitrag gelesen hatte, bei mir angefragt, ob ich nicht für eine Filmreportage zur Verfügung stehen würde. Erst habe ich mich dagegen gesträubt. Nachdem die Redakteurin aber immer wieder bei mir nachgefragt hat, habe ich dann doch zugestimmt.
Zuerst wurden mir von der Redakteurin per Brief und dann später per Fax viele Fragen gestellt. Nachdem alle Fragen geklärt waren, wurde ein Termin bei mir vereinbart. Als der Termin immer näher rückte, wurde ich immer nervöser. Ich hatte richtiges Lampenfieber. Dann war auf einmal der Tag da und die Filmleute (Regie, Kameramann und Tontechniker) standen vor der Tür. Nun gab es kein Zurück mehr. Um es gleich zu sagen. Die ganze Sache war äußerst interessant und hat richtig Spaß gemacht. Der Film ist dann über alle dritte Programme mehrmals gesendet worden. Natürlich hat auch die Tagespresse, als sie von dem Fernsehbericht gehört hat, darüber berichtet. So war ich für kurze Zeit der „Fernsehstar" in unserer Familie.
 
VHS
Zum Glück legte sich der Rummel schnell wieder und mein Leben ging wieder seinen gewohnten Gang. Um mit den anderen Hörbehinderten im Gehörlosenverein besser kommunizieren zu können, besuchte ich einen Gebärden-Sprachkurs in der Volkshochschule in Lippstadt. Da ich abends immer bis um 19:00 Uhr arbeiten musste und der Kurs bereits um 19:30 Uhr in Lippstadt begann, musste ich mich immer sehr beeilen, um rechzeitig in Lippstadt anzukommen. Irgendwie habe ich es aber immer geschafft, trotz der 40 Km weiten Fahrt, pünktlich in Lippstadt zu sein. Wo ein Wille ist, ist eben auch oft ein Weg.
 
Nach dem Kurs blieben manchmal noch einige Kursteilnehmer zusammen um sich auszutauschen. Die Teilnehmer des Kurses hatten die verschiedensten Gründe und Motive, um Gebärdensprache zu erlernen. Da gab es interessante Geschichten zu hören. Eine junge Frau erzählte mir bei einem Gespräch von ihrer schwerhörigen Schwester. Das interessierte mich sogleich und so sagte ich zu der Frau, daß in Soest ein Treffpunkt für Menschen mit Hörbehinderungen sei und daß sie doch einmal den Treff mit Ihrer Schwester besuchen solle. Einige Wochen später erschien die Frau zusammen mit ihrer schwerhörigen Schwester beim Treff in Soest. Da es den beiden Frauen gut zu gefallen schien, kamen sie nun häufiger zu dem Treff. Da ich die beiden in den Kreis einführen wollte, habe ich mich mit den beiden ab und zu unterhalten. Es schien besonders der schwerhörigen Frau gut zu gefallen und sie kam dann immer häufiger ohne ihre Schwester nach Soest. Ihr Name war Helga.
 
Helga
Da ich die schwerhörige Frau nun öfters traf, ergab es sich, daß sie mich privat in Gebärdensprache unterrichten wollte. Der VHS-Kurs war schon längst vorbei, deshalb nahm ich das Angebot gerne an. Als Unterrichtsort schlug Helga ihre Wohnung vor, da sie kein Auto hatte. Sie sagte mir, daß wir dort ungestört Gebärden lernen könnten. Damit ich ihre Wohnung auch garantiert finden konnte, hat Helga mir eine genaue Wegebeschreibung gegeben. Beim Ersten betrachten dieser Beschreibung, musste ich schmunzeln, hatte sie doch alle möglichen Dinge mit auf die Beschreibung gemalt. So waren dort Bäume, Wegkreuze, Blumen und viele andere Dinge gezeichnet. Mit diesem Plan, habe ich die Wohnung sofort gefunden. Da ich zum ersten mal privat bei einer jungen schwerhörigen Frau war, konnte ich meine Nervosität kaum verbergen. Die Verständigung klappte so einigermaßen. Es gab zunächst verschiedene Missverständnisse. Es wurde aber von Zeit zu Zeit besser. Deshalb gefiel es mir. So lernte ich noch einige Gebärden dazu.
 
Karnevalsprinz
Die Karnevalszeit nahte und der Erste Vorsitzende des Vereins wollte unbedingt, daß ich in diesem Jahr Karnevalsprinz des Gehörlosen-Vereins werden sollte. Meine Einwände, daß ich nicht gut genug Gebärdensprache könnte, lies er nicht zu. Als ich dann als nächsten Einwand sagte, daß ich nicht wüsste, wen ich als Prinzessin nehmen sollte, lachte der Vorsitzende nur. Es war anscheinend schon alles verabredet worden, denn Helga sollte Prinzessin werden und hatte auch schon zugesagt. So wurde ich Karnevalsprinz „Franz, der Erste". Trotz Lampenfieber habe ich das mit Helgas Hilfe auch gut geschafft. Beim Feiern sind wir uns dann auch privat näher gekommen und waren auf einmal ein Paar. So vergingen einige Jahre zufrieden und ausgeglichen und ich war eigentlich ganz zufrieden. Es wurden auch schöne Ausflüge mit dem Gehörlosenverein unternommen. Mein Geschäft entwickelte sich gut. Endlich hatte ich auch meine großen Schulden getilgt. Der Druck der vergangenen Jahre wurde weniger. Dadurch machte mir meine Arbeit noch mehr Spaß.
 
Krankenhaus Projekt
Da ich es nun lockerer angehen konnte, beteiligte ich noch an einem Projekt des Stadt-Krankenhauses. Das Krankenhaus sollte eine interdisziplinäre Station für Gehörlose erhalten. Wir sollten bei dem Projekt vom Gehörlosenverein mithelfen. Die Station wurde dann auch gebaut und feierlich eröffnet. Das war schon interessant. 
 
Neubau Projekt
Unser Dorf wurde immer größer, schon wieder sollte ein Neubau-Gebiet mit über 50 Häuser freigegeben werden. In den Nachbarorten sollten noch einmal über 40 Häuser errichtet werden. Kurz unser Geschäft platzte aus allen Nähten. Deshalb war ich froh, als mir meine Handelsgesellschaft einen Entwurf für ein neues zeitgemäßes Geschäft vorlegte. Mein Steuerberater war, nach dem er die Zahlen für das neue Geschäft geprüft hatte, auch für den Neubau. Leider war die Ortspolitik nicht für das neue Geschäft. Deshalb mussten wir leider die Pläne begraben. Es wurde zwar noch versucht einen anderen Standort für das Geschäft zu finden. Leider ohne Erfolg. Durch den persönlichen Einsatz eines Architekten aus einem Nachbarort konnte schließlich aber dann doch ein fertiger Entwurf für ein neues Geschäft vorgelegt werden. Die Handelorganisation war nach einigen Änderungen auch einverstanden und ich bekam einen Mietvertrag für das neue Geschäft. Endlich ! Beim genauen Prüfen des Mietsvertrags bekam ich aber einer Schrecken. Im Gegensatz zu der ersten Planung waren die Bedingungen für mich viel schlechter. So war ich in den nächsten Wochen hin und her gerissen. Einerseits wollte ich natürlich ein modernes zeitgemäßes Geschäft, andererseits hatte ich auch Angst, meine geschaffenen Werte durch eine falsche Entscheidung zu verlieren. Mir war klar, daß ich, wenn ich das Geschäft erfolgreich betreiben wollte, die Unterstützung der ganzen Familie benötigte. Da meine Mutter und Helgas aber leider Dauerkrieg hatten und ich unter den ewigen Streitigkeiten sehr litt, zog ich mich innerlich immer mehr zurück. Ich konnte einfach nicht verstehen, warum die beiden Menschen, die ich am meisten benötigte, nicht in Frieden Zusammenleben konnten. Auch Helgas Kinder entwickelten sich ganz anders als angenommen. Ich fühlte mich von ihnen ausgenutzt. Als ich dann auch noch feststellte, daß ich von den Kindern ständig belogen wurde, war ich unglaublich enttäuscht. Ich wollte deshalb die Entscheidung für das neue Geschäft noch etwas herausschieben. Da Weihnachten vor der Tür stand, hatte ich mir die endgültige Entscheidung bis nach den Feiertagen als Ziel gesetzt. Leider kam es dann noch kurz vor den Feiertagen am 03.12.02 um 19:20 Uhr zu einem tragischem Zwischenfall, der mein Leben zunächst total veränderte.
 
Unfallbericht
Tag: 3.12.02
Tatzeit : 19:20
Tathergang:
Ich wollte die Nachttresordose zur Bank bringen. Um die Dose zu tarnen, hatte ich die Dose in einer beigen Baumwolltasche. Als ich um die Hausecke gehen wollte, erschreckte ich, da ich jemanden in der Ecke in ungewöhnlicher halbgebückter Stellung bemerkte. Mein Blick fiel zuerst auf die auf mich gerichtete Waffe. Daß es sich dabei um eine echte Waffe handelte, war mir dabei sofort klar. Da ich in letzter Zeit viele Berichte über brutale Überfälle auf Geldboten in den verschiedensten Zeitungen gelesen habe, bekam ich eine große Panik. Das auch für kleinste Summen ohne Rücksicht auf den Geldboten vorgegangen wird, wusste ich auch, deshalb habe ich immer schon Angst beim Geldtransport gehabt. Alles weitere geschah dann unter Schock. Ich dachte nur, warum ich, warum gerade vor Weihnachten, wo doch wegen des höheren Warenbestands jeder Euro wichtig ist für das Geschäft. Ich bin dann schnell um die Hausecke gegangen, in der Erwartung „Jetzt kommt gleich der Knall und dann ist alles aus". Da es sich bei der Kunibertstrasse aber um eine sehr lebhafte Strasse handelt und an unserem Geschäft bereits die Weihnachtbeleuchtung brannte und es dadurch vor dem Geschäft hell ist, dachte ich mir, daß mir der Täter nicht folgen würde. Da er bestimmt nicht erkannt werden wollte. Ich habe dann wie im Traum schnell die kurze Strecke zur Bank zurückgelegt. Meine Reaktion war wie bei einem Dominospiel automatisch. Danach habe ich sofort die Polizei verständigt. Da ich plötzlich vor lauter Ohrgeräuchen nichts mehr verstehen konnte, habe ich einfach immer wieder meine Adresse und über den Vorfall berichtet in der Hoffnung, daß es von der Polizei zur Kenntnis genommen wird. Die Rufnummer der Polizei ist bei mir gut sichtbar vor dem Telefon geschrieben. Zitternd bin ich dann zu meiner Lebensgefährtin in die gemeinsame Wohnung gerannt und habe ihr von dem Vorfall berichtet. Da wurde mir erst die ganze Bedrohung bewusst. Als dann wenig später die Polizei bei uns ankam, konnte ich überhaupt nichts mehr verstehen vor lauter Ohrgeräusche. Ich dachte morgen ist alles wieder gut. Die Polizei hat mir Ihre Fragen daraufhin aufgeschrieben.
 
In der Nacht konnte ich nicht schlafen. Am anderen Morgen bin ich dann, da das Rauschen in den Ohren immer quälender und unerträglicher wurde, sofort zu meinen Arzt gefahren. Der Arzt hat mir nach der Untersuchung eine Spritze gegen die Angst und eine Infusion gegen den festgestellten Hörsturz gegeben und mich sofort zum HNO-Arzt überwiesen. der seine Praxis in der Nähe hat. Der HNO-Arzt hat nach seiner Untersuchung und Rücksprache mit dem Hausarzt eine sofortige Einweisung in eine Spezial-HNO-Klinik angeordnet. Diagnose „Totaler Hörverlust nach einem psychischen Trauma". Außerdem leide ich seit dem Schock unter unerträglich lauten quälenden Ohrgeräuschen.
 
So war ich zum ersten Mal in meinem Leben vor Weihnachten nicht im Geschäft, sondern ich lag mit einem Hörsturz im Krankenhaus. Ich war wie ein Tiger im Käfig. Ich dachte nur immer, warum ich? Ich war im Krankenhaus und der Täter läuft frei herum, war immer mein Gedanke. Die Ärzte machten mir aber unmissverständlich klar, daß ich wenn ich die Behandlung abrechen würde, mein Gehör nicht wieder erhalten würde. So blieb ich im Krankenhaus, obwohl Helga mit dem Geschäft total überfordert war.
 
Es half aber alles nichts. Mein Gehör war weg. Ich war nun total gehörlos. Wie soll es weiter gehen? Kann ich das Geschäft ohne zu hören führen? Ohne zu Telefonieren? Was soll ich bei Kundengesprächen machen? Usw,usw, usw, usw, usw, usw. u.s.w... So fing das Jahr 2003 für mich wie ein Albtraum an.
 
Mein Geschäft, in das ich so viel Arbeit gesteckt hatte, war in schweren Sturm geraten und im Schlingerkurs. Das Neubauprojekt musste ich auch ruhen lassen. Auch mein Privatleben geriet mir aus den Fugen. Ich wusste manchmal nicht mehr weiter. Mein Humor, der mich in all den Jahren auch in schweren Stunden begleitet hatte, war wie weggeblasen. Zum ersten Mal wusste ich nicht mehr weiter. Mir war alles so egal. In dieser Situation habe ich nach jedem Strohhalm gegriffen. Ein Berater für Gehörlose riet mir zunächst, erst einmal an meine Gesundheit zu denken. Deshalb lies ich mich in ein Behandlungszentrum für Hörgeschädigte überweisen. Der Aufenthalt im Behandlungszentrum für Hörgeschädigte tat mir sehr gut. 
 
Im Behandlungszentrum waren alle im Umgang mit Hörbehinderten geschult, deshalb gab es dort keine Verständigungsprobleme. Dort konnte ich total abschalten und vergessen. Dort konnte ich auch in Ruhe über eine mir angeratene Cochlea Implantation (CI) nachdenken. Ich konnte mir nicht vorstellen, mit einem CI etwas zu hören, dennoch wollte ich zumindest prüfen lassen, ob eine Cochlea Operation mir vielleicht helfen könnte. So fuhr ich mit klarem Kopf und viel lockerer wieder nach Hause. Nachdem ich wieder Zuhause war, holte der Alltag mich leider schnell wieder ein. Ich musste einsehen, daß es im Alltag ein großer Unterschied ist, ob man schwerhörig ist oder gehörlos. 
 
Cochlea Implantat 03.11.03
So entschloss ich mich zu Voruntersuchungen für ein Cochlea Implantat. Geht das überhaupt bei mir? Hatte nicht früher ein Arzt gesagt, mein Hörnerv wäre sehr schwach. Was ist, wenn mein Hörnerv nach der Operation den Geist aufgibt? Fragen! Fragen ! Fragen! So fing ich an zu recherchieren. Alle möglichen Informationen über Cochlea Implantate wurden von mir gesammelt, gelesen und in einem Ordner archiviert.
 
Endlich war mein Termin in Hannover war da. An meine Voruntersuchungen in Hannover denke ich noch heute mit Schrecken. Alles war chaotisch und verwirrend. Ich wurde im Krankenhaus von einer zur anderen Stelle geschickt. Alles musste schnell gehen. Die Medizinische Hochschule in Hannover ist ein Riesen-Klinikum mit vielen Gebäuden. Nicht vergessen werde ich die Promotoreal-Untersuchung. Die Untersuchung wird in einem kleinen schalltoten Raum gemacht. Ich musste mich auf eine Untersuchungsliege legen. Dann wurden meine Trommelfelle lokal betäubt. Der Arzt wurde plötzlich zu einem anderen Patienten gerufen. So lag ich nun in Ungewissheit auf der Untersuchungsliege und musste auf den Arzt warten. Erst nach über einer Stunde kam der Arzt zurück. Er entschuldigte sich überschwänglich und versicherte, daß er an seinem langen Fortbleiben unschuldig sei. Dann kam begann er endlich mit der Untersuchung. Zuerst wird eine Nadelsonde durch das Trommelfell mit auf das Promotorium geschoben. Der genaue Sitz der Nadel wird kontrolliert. Dann wird Strom an die Nadelsonde geleitet. Was ich nun auf einmal hörte, waren sehr merkwürdige Geräusche. Es hörte sich alles sehr metallisch und bedrohlich an. Es waren verschiedene Töne. Ich dachte nur, so soll ich später hören. Der Arzt beruhigte mich aber und sagte, daß die Töne nur zum Testen des Hörnervs seien und nicht den des Cochlea Implantats entsprächen. Als alle Untersuchungen fertig waren, war ich ratloser als zuvor. Mit Mühe und Not fand ich noch ein Arzt für ein Abschlussgespräch.
 
Als ich dann wieder zuhause war, habe ich weitere Informationen über CI gesammelt. Dank Internet bekommt man heute zum Glück schnell brauchbare Informationen. Nach dem Auswerten meiner Informationen konnte ich eine Entscheidung treffen.
1. Mein Hörnerv war noch gut im Schuss.
2. Mein Gehörgang war frei.
3. Ich hatte früher mit dem Ohr hören können.
 
Soweit waren meine Voraussetzungen positiv. Das einige Problem war eine ausgeprägte Otosklerose meiner Gehörschnecke. Trotz CT und MRT-Untersuchung gab es keine Klarheit über den Zustand meiner Schnecke und deren Flüssigkeitsstand. Trotzdem entschloss ich mich zu einer Cochlea Implantat Operation. Notfalls wollten die Ärzte mir ein so genanntes Double Array (Eine Doppelelektrode) einsetzen. Ich dachte nur, schlimmer kann es nicht mehr werden mit meinen Ohren. Sollte es Nebenwirkungen geben, muss ich das halt auch akzeptieren. Mir war alles egal. Hauptsache ich höre wieder etwas.
 
 
Operation 03.11.2003
Fast genau auf den Tag ein Jahr nach meiner vollständigen Ertaubung war meine Operation in Hannover. Um halb sechs wurde ich von einer Krankenschwester geweckt. Um sieben wurde ich dann in die Operations-Zone gebracht. Ich bemerkte, daß sich dort viele maskierte Personen aufhielten. Als die Schwestern dort mit der Vorarbeit fertig waren, machten sie mir mit Zeichen verständlich, daß es nun soweit wäre. Mir wurde eine Maske vorgehalten und es kam mir so vor, als wenn jemand das Licht ausgeschaltet hätte. Als ich dann wieder wach wurde, bemerkte ich, daß ich wieder in dem Operationsvorraum war und daß links und rechts neben mir zwei weitere Betten standen. An meinem Arm war von Zeit zu Zeit eine automatische Blutdruck-Prüfung zu bemerken. Am Fußende meines Bettes war eine Art Schreibbrett eingehängt worden. Eine vermummte Person kam von Zeit zu Zeit, um etwas aufzuschreiben. Da ich keine Brille auf hatte, nahm ich alles verschwommen war. Irgendwann wurde ich dann in meinem Zimmer wach. Vorsichtig tastete ich mit meiner Hand meinen Kopf ab. Es schien, als wenn alles noch an seiner richtigen Stelle sei. Der Verband war nur leider so dick, dass ich keine Brille aufsetzen konnte. Das blieb leider noch zwei Tage so. Als dann der Verband abgenommen wurde, konnte ich meine Brille endlich wieder benutzen. Die Wundheilung war ohne Komplikationen. Erstaunlicherweise hatte ich auch keinen Schwindel oder sonstige Nebenwirkungen. Froh alles gut überstanden zu haben, wurde ich nach einer Woche aus dem Krankenhaus endlassen. Zuvor wurde noch ein sogenanter Probeton gemacht. Der Ton war sehr angenehm und klar. Von da an wusste ich, daß ich mit dem CI bestimmt gut hören würde. Überglücklich fuhr ich nach Hause. Die Erstanpassung meines Sprachprozessors sollte erst im Januar erfolgen, also musste ich noch acht Wochen warten. Alle waren froh, daß ich die Operation gut überstanden hatte und ich musste immer wieder erklären, daß mein CI noch nicht angestellt worden sei.
 
Neues Hören 05.01.04
Am 05.01. war es dann endlich soweit. Morgens um 10:30 Uhr war im Hörzentrum mein Erstanpassungs-Termin. Endlich bekam ich meinen heiss ersehnten Sprachprozessor. Der wurde dann zunächst an den Einstellungs-Computer angeschlossen und ich hörte dann verschiedene Töne. Dann nachdem alle Töne in einer angenehmen Lautstärke eingestellt waren, sagte der Techniker Herr Dr. Büker zu mir, daß er den Sprachprozessor nun auf Sprache umstellen würde. Es knackte ein paar mal und dann hörte ich die Stimme von Herrn Büker. Die Geräusche und die Sprache des Technikers hörten sich sehr merkwürdig an. Es war auch alles sehr hallig und metallisch. Dennoch freute ich mich wieder etwas zu hören, da ich mit dem Ohr vor acht Jahren das letzte Mal gehört hatte. Herr Dr. Büker brachte mich dann zu Dipl. Päd. S. Rühl. Frau Rühl erklärte mir, daß sie nun mit mir zusammen mein Gehör schulen möchte. Sie spielte mir verschiedene Instrumente vor. Z.B. Xylofon, Klanghölzer und eine Rassel. Nach einigen Versuchen konnte ich die Instrumente unterscheiden. Nachdem das CI noch einigemale anders eingestellt wurde, klappte das Verstehen immer besser. Es ist schon erstaunlich, was ich mit dem CI alles hören konnte. Als ich nach meiner Erstanpassung mit dem Aufzug in meine Station des Krankenhauses wollte, bemerkte ich beim Stopp, jeweils ungewohnte Geräusche. Einige Tage später, nachdem ich schon besser mit meinem CI hören konnte, bemerkte ich dann, daß der Aufzug beim Stopp immer die Etagen ansagt. Ich habe dann sofort einmal auf alle Knöpfe gedrückt, um zu hören was der Aufzug bei jeder Etage sagt.
 
Unglaublich, daß war in der nächsten Zeit mein immer wieder benutzter Ausdruck. Es kam mir wie eine Neugeburt vor. Es machte großen Spaß neue Geräusche zu entdecken. Das Verstehen steigerte sich immer weiter. Die Geräusche klangen alle sehr ungewohnt. Aus Angst meinem Gehör zu schaden, stellte ich meinen Lautstärkeregler immer auf die kleinste Stufe. Aber selbst dann war noch alles sehr laut. Herr Dr. Büker versicherte mir aber, daß das meinen Hörnerv nicht schädigen würde. Mit meinem Zimmernachbarn, der auch zur Erstanpassung in der MHH war, unternahm ich dann eine Fahrt mit der Straßenbahn ins Zentrum von Hannover. Unglaublich es war einfach nicht zu beschreiben. Dieser vielen unbekannten Geräusche. Ich dachte nur, die armen Hörenden, die das alles aushalten müssen. Sogar der Wind war nun als Heulton zu hören. Wir sind dann zwischendurch noch einige mal in die Stadt gefahren und so vergingen die zwei Wochen der Erstanpassung wie im Fluge. Ich war sehr gespannt, wie sich die Stimmen meiner Familie und meiner Arbeitskollegen anhören würden.
 
Um es gleich zu sagen, alle Stimmen von meinen bekannten Familienmitgliedern und von meinen Arbeitskollegen und von meinen Freunden hörten sich anders als früher an. Mit der Zeit gewöhnte ich mich aber an die Stimmen. Da ich fortan auch wieder die Modulation der Stimmen hören konnte, erschienen mir verschiedene Personen in einem ganz anderen Licht. Das war zunächst nicht so einfach für mich. Ich muss meine Beziehung zu verschiedenen Personen neu definieren.
 
Nun nach einigen Wochen haben sich die Wogen wieder etwas geglättet. Meine Erfahrungen mit meinem CI sind überwiegend positiv. Musik hören und Fernsehton sind zwar nach vier Monaten immer noch nicht so gut, es wird aber bestimmt noch besser werden. Mein erster Nachsorgetermin steht bevor. Mal sehen, wie es sich weiter entwickelt. Ich fühle mich dank meines CI aber gut, da ich nun wieder viel besser hören kann.
 
Aus meiner Sicht und durch meine Erfahrungen kann ich nur jedem, der hochgradig schwerhörig ist, bei günstigen Voraussetzungen zu einer Cochlea Implantation raten.
 
Franz
 
P.S.: Einige werden sich, nachdem sie meine Geschichte gelesen haben fragen, warum ich die Überschrift Kaspar Hauser gewählt habe. Ich habe mich in den ganzen Jahren meiner zunehmenden Schwerhörigkeit immer als Außenseiter gefühlt. Bis vor 10 Jahren kannte ich keine anderen Hörbehinderten. Später als ich dann in einem Gehörlosen-Verein eingetreten bin, fühlte ich mich auch nicht zugehörig, da ich nicht in der Kultur (Gehörlosen-Verein, Sportklub usw.) groß geworden bin.
 
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