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Meine Gedanken auf dem Weg zum CI ?!

Ein Erfahrungsbericht von Grille
 
Ich habe gerade meine erste CI-Voruntersuchung abgeschlossen und stecke noch mitten in der Entscheidungsfindung, da fragt mich Michael, ob ich nicht auch einen Erfahrungsbericht schreiben möchte. Auch wenn ich noch nicht so weit bin… Vielleicht hilft es ja trotzdem dem einen oder anderen weiter.
 
Ich bin 17 Jahre alt und noch Schülerin. Auf dem linken Ohr bin ich taub, seit wann, weiß niemand. Auf dem rechten mindestens hochgradig schwerhörig, zwei Mal tauchte bis jetzt „an Taubheit grenzend“ in meinen Berichten auf. Aber das ist so eine Sache. (Eventuell gehe ich später noch mal darauf ein.) Die Diagnose (links taub, rechts damals noch mittelgradig) hat man nach jahrelangem Kämpfen meiner Eltern mit 4 Jahren gestellt. Man weiß bis heute nicht, woran es liegt.
 
Die ganze Geschichte hat angefangen, als sich vor knapp zwei Jahren meine Hörkurve verschoben hatte. Auf einmal war der Tieftonbereich besser als der Hochtonbereich. Es war nur minimal, aber es reichte aus, um mein damaliges Hörgerät für untauglich zu erklären. Also begann eine Odyssee, die durch den 18. Geburtstag zeitlich begrenzt sein sollte. Genug Zeit, dachten wir uns damals (ich war 16)– aber es sollte knapp werden! Ich testete alles rauf und runter… 
 
Ich habe einen sehr niedrigen Dynamikbereich im Hochtonbereich. Das heißt, mir tun alle hohen Töne unheimlich schnell weh. Die hohen Töne brauche ich aber fürs Sprachverständnis. Und so drehten wir uns mit meiner Akustikerin teilweise bei einem Modell eine ganze Weile im Kreis, weil wir immer wieder zurückstellen mussten, weil es entweder zu tief, um zu verstehen, oder zu hoch, von der Schmerzgrenze her, war. 
 
Im Januar 2005 kam ein Funk-BiCros-System von Phonak brandneu heraus, ich habe es sofort zum Testen bekommen. Begeistert war ich, aufgeblüht! Doch als ich dann im Mai zum Hörtest zum Sprachförderzentrum musste, damit das Hörgerät und das BiCros beantragt werden konnten – stellte sich auf einmal heraus, dass ich mit dem BiCros nur subjektiv mehr höre, dass aber objektiv die Tests „nur mit Hörgerät“ entweder gleich denen mit BiCros oder sogar besser waren!!! Der Ohrenarzt sagte mir, dass die Krankenkasse das BiCros nicht bezahlen wird. Gleichzeitig sagte er auch, dass es nun keine Hörgeräte mehr zum Testen gibt. Es war das „Ende der Fahnenstange“ (diese Worte werde ich nie vergessen). Ich war mit der Erwartungshaltung hingegangen, dass vielleicht noch die eine oder andere Einstellung korrigiert werden müsse. Dass er mir das dann sagen würde und wir das später mit dem Akustiker einstellen würden… aber Pustekuchen! Das Ergebnis war niederschmetternd und ich konnte auch verstehen, dass meine Mutter kreidebleich war: 20% Einsilberverständnis bei mehr als normaler Lautstärke. Wir wiederholten die Tests mehrfach, aber es wurde nicht besser. Unterdessen bereitete mein Arzt meine Mutter ohne mein Wissen auf die Nachricht vor, dass man für mich wohl ein CI in Betracht ziehen sollte.
 
Ich strahlte und gleichzeitig war mir zum Weinen zu Mute, als mein Arzt mir erzählte, was er inzwischen meiner Mutter gesagt hatte. Ich strahlte, weil ich so unglaublich erleichtert war, dass nun bestätigt war, dass ich nicht nur zu „faul“ zum Hören bin, wie meine hörenden El-tern mir immer sagten. Ich war erleichtert, dass mein Arzt von sich aus ein CI „empfahl“. Schon vor dem Hörtest hatte ich mich mit dem CI auseinandergesetzt und wollte eine Voruntersuchung machen. Ich wollte für mich einfach Gewissheit haben, was ist, wenn ich taub bin – ist CI eine Möglichkeit? Meine Eltern lehnten es rundheraus ab. Wegen ihrer Ablehnung hatte ich für mich beschlossen, nach meinem 18. Geburtstag eine Voruntersuchung machen zu lassen. Dann müssen sie ja nichts unterschreiben. Sie haben es nur als „Flausen“ abgetan. Mit dem Hörtest war nun meine Bestätigung da!!! Auf der anderen Seite merkte ich nun, dass das Testen zwar endlich ein Ende hatte – aber zwangsläufig, es gab ja nichts mehr! Und mehr herauszuholen war auch nicht! Das war ein ganz schöner Schock.
 
Die Empfehlung meines Arztes lautete, wir sollten über eine Implantation auf dem linken Ohr nachdenken, um das rechte Ohr im Sprachverständnis zu unterstützen. Links könne man auf der einen Seite nichts verlieren, weil taub bleibt, was taub ist, aber auf der anderen Seite könne man wegen der unbekannt langen Taubheit auch nicht garantieren, dass ich damit „Erfolg“ (=Sprachverständnis?) haben würde.
 
Wir einigten uns mit meiner Mutter so schnell wie möglich Termine für eine Voruntersuchung zu vereinbaren. Die Zeit drängte auch wegen dem 18. Geburtstag und von der CI-Entscheidung hing auch einiges an Beantragungen ab.
 
Einen Monat später, im Juni, hatte ich dann meinen ersten Termin für die Voruntersuchung. In der Zwischenzeit hatte ich mich viel mit der Thematik beschäftigt, in Foren geschaut, geschrieben, viele Kontakte gefunden, die mir sehr geholfen haben. Ich war sehr verwirrt. Ich erinnerte mich, wie ich ein paar Monate zuvor das Thema CI noch abgelehnt hatte. Man hatte mir ja immer gesagt, ich höre noch zu gut. Vor allem die Frage, wohin ich mit dem CI dann gehöre… zu den Gehörlosen, zu den Schwerhörigen, zu einer Extra-Gruppe? Würde ich dann ein anderer Mensch werden, mit dem „Ding da im Kopf“? Ich war sehr, sehr skeptisch dem gegenüber. Was wäre, wenn ich ertauben würde? Ich würde die Sprache nicht missen wollen, die Musik… Ich bin sprachbegabt, ich liebe die Musik, spiele Klavier. Ich wage zu behaupten, dass ich durch das vielfältige Sprach- und Musiktraining für meine hochgradige, „an Taubheit grenzende“ Schwerhörigkeit noch viel höre. Ich drücke es deshalb so vorsichtig aus, weil ich ja nicht weiß, was ich verpasse. Ich höre noch *relativ* gut Geräusche, Musik, telefoniere eingeschränkt gut. „Nur“ das Sprachverständnis geht eben den Bach runter…
 
In dem einen Monat habe ich aber stärker denn je gemerkt, wie sehr meine Verständnisfähigkeit von Stunde zu Stunde schwankte – die eine Stunde rief meine Mutter mir etwas zu und ich verstand sie mühelos („CI ??? Ich bin noch weit davon entfernt!!!“), die nächste wieder saß sie neben mir und musste alles fünf Mal wiederholen. Zumindest hatte sie jetzt mehr Verständnis, wusste sie doch, dass ich nicht *mehr* kann. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich aufgegeben, als meine Großeltern zu Besuch waren und beim Abendessen alles akustisch nur noch ein Einheitsbrei war, ich nichts mehr verstehen konnte. Ich bin aufgestanden und gegangen.
 
Trotz der ganzen Unsicherheiten war ich mir recht schnell sicher, dass ich für das CI stimmen würde, wenn sie mir links eines geben würden. Ich habe die Nächte davon geträumt, von der ersten Anpassung, von den ersten Tönen, die ich mit dem Ohr hören würde. Die Ansprüche für das linke Ohr setzte ich nicht hoch – Hauptsache, ich hörte e t w a s ! Ich habe geweint vor Freude, im Traum und auch in Wirklichkeit, wenn ich aufgewacht bin. Diese Träume haben mir gezeigt, wie wichtig mir das CI ist und dass ich das Risiko eingehen würde.
 
Die Voruntersuchungen wurden binnen drei Wochen abgewickelt, mit Rücksicht auf die Schule. Ich war aufgeregt wie ein kleines Kind vor dem ersten Schultag. Was würde das Ergebnis sein? Während der Untersuchungen erfuhr ich keine Ergebnisse, erst zum Abschlussgespräch im Juli. Dafür hielt ich umso mehr meine Freunde und meine Familie auf Trab, erzählte von Gedankengängen, von neuen Infos, und und und. Kurz: ich ging ihnen auf den Senkel vor Nervosität.
 
Endlich war es soweit. Alles durchgestanden. Ich stand vor dem Hörnervtest, meinem letzten Test vor dem Endgespräch. Nervosität: Steigend. Ich lag in einem OP-Saal, alles musste noch vorbereitet werden, die Technik hatte eine Macke, und zwischendurch lief noch eine Frau mit Kamera für das neue Klinik-Prospekt herum (das hatte ich erlaubt). Alles nicht sehr fördernd. Ich kriegte einen Anflug von Panik, als ich beim Elektrodentest rechts erst mal nichts hörte. Aber auf einmal… ein Brummen. Die erste Aufgabe war schnell gemeistert. Die Rhythmen habe ich auch gut hinbekommen. Dann Pause. Wieder Vorbereitungen. Noch mehr Nervosität, nun das taube Ohr. Mein Wunschohr. Noch schnell daran gedacht, wie Michael mir schrieb, dass es selten kaputte Hörnerven gibt. Schon ging es los. Es kam nichts. Eine ganze Weile lang. Ein einziges Mal meinte ich ein Brummen zu hören. Sonst nichts. Doch: Stromschläge ohne Ende. Sie drehten auf, so lange, bis es mir Tränen in die Augen trieb. Da wusste ich, es stimmt was nicht. Der Test war viel zu schnell vorbei. 
 
Wieder Panik. Gleich gefragt: „Kann ich den Test noch mal machen?“ Man sagte mir, ja, man könne den Test noch mal mit einer anderen Elektrode wiederholen. Aber nicht sofort. Weiteres würden wir beim Endgespräch klären.
 
Wieder raus aus dem OP-Saal. Geplante Pause bis zum Gespräch: 10-15 Minuten. Es wurde eine halbe Stunde. Ich habe nie so gewartet, bin nie so die Gänge auf und ab marschiert.
 
Und als ich dann „drinnen“ war, nahm der Arzt auch gar nicht groß ein Blatt vor den Mund. Man empfehle mir mit der Operation zu warten. Rechts sei die Hörkurve noch einen Tick zu gut, links wird die Klinik mich nicht operieren, weil die Hörbiografie dazu zu unsicher ist: „Hat das Ohr überhaupt schon mal gehört?“, „Wie lange ist es taub?“ und der negative Hörtest. Der Hörnerv sei wahrscheinlich kaputt, eine mögliche Ursache für meine Taubheit.
 
Das CI-Team sagte im anschließenden Gespräch: Die Empfehlung gehe auf das rechte Ohr. Das würden sie auch implantieren, wenn ich das möchte. Ich sei ein Grenzfall: Mit den 20% Einsilberverständnis sei ich klar im Indikationsbereich, nur die Hörkurve sei einen Tick zu gut. Doch genau da liege auch das Problem: Ein Hörtest kann nie in Zahlen - oder besser noch: in Worte – kleiden, was dieser Hörverlust in der Realität, im Alltag bedeutet. Insofern muss ich die Entscheidung mit meinem Herzen treffen. Ich habe einen Warteplatz für August/September 2006, kann also bis dahin meine Entscheidung (für den Moment!!) für oder gegen ein Implantat treffen. Aber eben nur rechts.
 
Damit war der Traum vom linken Ohr erst mal begraben. Ich stand unter Schock, als ich aus dem Krankenhaus ging. Ich hatte das Gefühl, es schockt mich noch mehr als meine Mutter. Aber meine Mutter musste auch etwas ertragen: Bis zu dem Endgespräch war ihr wohl nicht klargewesen, dass ich nach der CI-OP nie wieder ein Hörgerät tragen können würde. Da war sie wohl noch mehr gegen das rechte Ohr als Implantationsohr.
 
Ich brauchte erst mal ein paar Tage, um das zu verarbeiten. Mehrere Forenmitglieder rieten mir dazu, den Hörnerventest mit der Nadel noch mal zu machen. Das erschien mir auch logisch, weil das CI-Team auch gesagt hatte, dass sie nicht 100% sicher seien, dass der Hörnerv links wirklich hinüber ist. Ich wollte noch mal eine zweite Meinung haben, wegen der Grenzfallgeschichte. Wie eine andere Klinik die Situation beurteilt… Die zweiten Voruntersuchungen sind in Planung.
 
Wenn das Gleiche herauskommt, werde ich bis zum Sommer 2006 überlegen, ob ich den Warteplatz in Anspruch nehme und doch rechts implantieren lasse. Auch wenn ich da noch Geräusche und Musik relativ gut höre – aber im Sprachverstehen habe ich nichts zu verlieren, nur zu gewinnen!
 
Da ich während meiner schwierigen Zeit viel Unterstützung von CI-Trägern hatte und ich weiß, wie schwierig es sein kann, jemand mit einer ähnlichen Ausgangslage zu finden, möchte ich mich gerne für Informationen und Austausch über CI zur Verfügung stellen. Bitte schreibt dann an Michael (wegen Spam stelle ich meine Adresse hier lieber nicht rein).
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