Wenn Du erwachsen bist, kannst Du HÖREN!
Auch ich bin seit Mai 2001 begeisterte CI -Trägerin und will Ihnen hier kurz meine Lebensgeschichte schildern. Ich bin fast 44 Jahre alt und seit meinem 4. Lebensjahr schwerhörig beiderseits. Wahrscheinlich hervorgerufen durch Masern. Die von da an (1961) allmonatlichen Besuche beim HNO-Arzt ergaben immer nur soviel: "Wenn Du erwachsen bist, kannst du hören." Für mich war damit meine Welt in Ordnung. Ich bin mit fünf normalhörenden Schwestern aufgewachsen und "gehörte dazu". Ich fühlte mich in keiner Weise behindert.
Die ersten vier Jahre in unserer kleinen Dorfschule waren für mich kein Problem. Vier Klassen in einem Raum, pro Schuljahr zwei bis sechs Kinder, ein Lehrer - ich hatte wohl alles gut "im Blick". Ab der fünften Klasse in unserer Mittelpunktschule (30 Schüler in einem Raum, verschiedene Lehrer) fingen für mich erstmals richtig Probleme an. Ich starrte die Lehrer an, bis ich sie vor Anstrengung manchmal doppelt sah, aber ich bekam den Unterricht nicht mehr mit. Meine Leistungen sanken rapide herab. Es hieß immer: "Sie kann mehr, aber sie hört zu schlecht." Auf Initiative meiner Eltern und Lehrer wechselten wir dann 1969 den HNO-Arzt und ich bekam erstmals Hörgeräte. Die Diagnose lautete damals schon:"An Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beiderseits". Um eine optimale Schulbildung für mich zu erreichen, wurde in Erwägung gezogen, evtl. eine Behindertenschule in Bremen zu besuchen. Der Vorstellungsbesuch dort war für mich als Zwölfjährige ein schockierendes Erlebnis. Ich hatte vorher weder so viele Behinderte gesehen noch mit ihnen zu tun gehabt. Ich wollte auf keinen Fall dort zur Schule gehen. Ich kam doch nun richtig gut mit im Unterricht und blieb in meiner vertrauten Umgebung. Das Lernen brachte mir Spaß und ich gehörte bald mit zu den Besten in unserer Klasse.
Naiv wie ich war, glaubte ich immer noch an den Satz meines früheren Arztes und es dauerte ja nicht mehr lange, bis ich erwachsen war. Bei einem meiner regelmäßigen Arztbesuche bekam ich dann auf meine Anfrage hin zu hören, dass sich mein Gehör niemals bessern würde, denn die Hörnerven seien nicht in Ordnung. Für mich als 16-jährige brauch eine Welt zusammen. Ein Leben nur mit Hörgeräten konnte und wollte ich mir nicht vorstellen. War ich bisher doch immer sehr darauf bedacht, dass nicht jeder von meinem "Handicap" erfuhr. Ich konnte es mir ja selbst nicht einmal eingestehen, aber mein unbändiger Wille, zu den Normalhörenden dazuzugehören, war ungebrochen und ich fand Halt in meinen Büchern und in meiner Familie. Ich konzentrierte mich nun verstärkt auf Schule, Berufsausbildung und Führerschein. Stenographie und Englisch in der Handelsschule brachten keine Probleme, ebenso meine Ausbildung zur Bürokauffrau. Alle Prüfungen konnte ich erfolgreich ablegen. Meine Arbeit in der Finanz- und Lohnbuchhaltung machte Spaß und ich war nebenbei noch als Betriebsrätin tätig. Inzwischen verheiratet und mit zwei Kindern, führte ich ein ganz normales Leben nur unter Normalhörenden.
1990 wurde dich dann auf Anraten meiner HNO-Ärztin in eine große Klinik zur evtl. Cochlear-Implantation verwiesen. Mit nun 33 Jahren hatte sich mein Gehör weiter verschlechtert und neue Hörgeräte würden wohl nicht mehr viel bringen. Voller Optimismus und neuer Hoffnungen fuhr ich in Begleitung meines Mannes zum Vorstellungstermin. Innerhalb von fünf Minuten war das Gespräch beendet, es hieß nur: "Ihnen geht es so zu gut, da können wir nichts machen." Nicht die Aussage des Arztes, sondern die knappe Abfertigung ließen mich in ein tiefes Loch fallen. Meine Bücher, meine Familie und meine Freunde gaben mir wieder den nötigen Halt. Ich konnte ja hören, nur eben anders, wie ich heute weiß. Durch Lippenlesen und Körpersprache konnte ich "hören", nicht zu vergessen die Power-Geräte, die mein Restgehör verstärkten. Mir kam dann irgendwann die Erkenntnis, dass jeder Mensch sein "Päckchen" zu tragen hat, und damit hatte die Aussage des Arztes auch etwas Positives für mich.
Durch meinen Mann und unsere Kinder hatte ich gelernt, mit meinem "Handicap" offener umzugehen und scheute auch weiterhin nicht den gesellschaftlichen Umgang. Unsere Töchter trugen dazu bei, dass ich an Freizeitaktivitäten rege teilnahm. Nach der letzten Babypause hatte ich einen Job im Sortierdienst bei der Post angenommen, wo ich auch heute noch tätig bin. Mein Alltag war also ausgefüllt und ich merkte nicht, wie es immer stiller um mich wurde. Ich spürte nur eine ständige Abgespanntheit und Müdigkeit vom Zuhörenwollen und nicht mehr hören können. Mein Mann bekniete mich in dieser Zeit immer wieder, noch einmal einen Versuch zur CI-Versorgung zu starten, doch ich lehnte kategorisch ab. Warum längst verheilte Wunden aufreißen? Seinen Eifer, mich doch noch umzustimmen, konnte ich nur belächeln. Mit fast 43 Jahren gab ich schließlich im Sommer 2000 seinem Drängen nach, denn ich fühlte mich nun standfest genug, eine erneute "Abfuhr" entgegenzunehmen. Auch mein HNO-Arzt, Dr. Mammes, Bremerhaven, sprach mir Mut zu. Er empfahl, unbedingt noch einmal einen Versuch zu wagen und verwies mich ans HNO-Zentrum Oldenburg. Diesmal kam dann auch alles anders.
Dr. Plotz konnte mich in unserem ersten Gespräch durch seine ruhige, behutsame und einfühlsame Art über mein "Andershören" erreichen. Ich fühlte mich zum ersten Mal richtig verstanden und fasste Vertrauen. Ich spürte: Der Arzt kann und will mir helfen. In einem weiteren Termin wurden wir zu den notwendigen Voruntersuchungen bestellt. Auch hierbei ging es geduldig und liebevoll zu. Ich fühlte mich in den besten Händen. Die Untersuchungsergebnisse waren positiv und einer OP stand nun nichts mehr im Wege. Dr. Plotz gab uns sehr ausführlich Informationen über das CI. Er empfahl das HdO-Gerät der Firma MED-EL und erklärte die technischen Details. So von kompetenter Stelle informiert, entschied ich mich zur OP. Ich wusste: Ich konnte nur gewinnen, ich hatte nichts mehr zu verlieren. Der OP-Termin wurde dann auf den 28. März 2001 festgelegt, und zwar im St. SalvatorKrankenhaus, Halberstadt. Wir bekamen noch die Adresse einer CI-Trägerin und konnten dann später mit ihr in privater Atmosphäre gemütlich plaudern. In der langen Wartezeit bis zur OP quälten mich nun doch oft die Gedanken, ob meine Entscheidung richtig war.
Endlich war es dann soweit, mein Mann fuhr für drei Tage mit. Dort angekommen, musste ich zunächst einmal eine Reihe von Untersuchungen über mich ergehen lassen. Ich war aufgeregt und hatte Angst. Doch ich spürte sofort die menschliche und warmherzige Atmosphäre des Krankenhauses. Mit Streicheleinheiten wurde nicht gespart. Am nächsten Morgen bekam ich dann die Beruhigungsspritze vor der OP. Davon war ich schon so benebelt, dass ich alles Weitere kaum noch wahrnahm. Professor Begall sagte nach der OP, er hätte die ganze Technik hundertprozentig und ohne Komplikationen in meinen Kopf einsetzen können. Als ich aus der Narkose erwachte, spürte ich kaum Schmerzen, keine Übelkeit, keinen Schwindel, nur eine unendliche Erleichterung machte sich in mir breit. Mein Mann war da und es ging mir schon richtig gut. Vor meiner Entlassung war ich bei Herrn Hey, um ein paar Höreindrücke zu testen. Herr Hey verkabelte mich mit seinem Computer und siehe da, es funktioniert, ich hörte die ersten Töne.
Nach zehn Tagen endlich wieder zu Hause, musste ich mich zunächst in Geduld üben. Nach fünf Wochen war ich dann für fünf Tage im CIC Halberstadt zur stationären Rehabilitation bestellt, mein Mann begleitete mich auch diesmal. Nach der Erstanpassung durch Herrn Hey vernahm ich zunächst ein sehr lautes Gewirr von Klingeln, Knistern, Zischen und Piepen. Herrn Heys Stimme klang wie aus einer Blechdose, hatte einen enormen Nachhall und zischte fürchterlich. Trotzdem konnte ich schon nach ein paar Minuten, sehr zu seinem Erstaunen, Zahlen ohne Mundbild herausfiltern. Mein Hörnerv war also aus dem Koma erwacht. Der Aufenthalt zu den Mahlzeiten im Speisesaal war der reinste Horror. Es umgab mich eine undefinierbare Geräuschkulisse. Ich konnte dort rein gar nichts heraushören, während ich beim Spaziergang im Park ein wahres Vogelkonzert vernahm, als wäre es nie anders gewesen. Doch mein Mann wusste es besser: Ich habe zuletzt wohl nur noch die Tauben gehört. Im Laufe der Woche machte ich enorme Fortschritte, auch sehr zum Erstaunen der Logopädinnen. Nach jeder Neueinstellung des SPs verbesserte sich mein Sprachverständnis, was mir in den einzelnen Übungsstunden auch bestätigt wurde. Ich konnte am Ende schon einige Mehrsilber und einfache Sätze ohne Vorlage und ohne Mundbild nachsprechen. Aus verschiedenen Musikstücken konnte ich das jeweilige Musikinstrument, was besonders hervorkam, herausfiltern. Es war zwar schwer, aber es klappte auf Anhieb. Nun war mein Interesse an Musik geweckt. Ich besorgte mir eine CD, lieh mir einen Disc-Man und probierte das FM-Kabel. Ich hörte den Rhythmus und sogar den Titelsong. Insgesamt krächzte alles ein bißchen, aber ich war keineswegs enttäuscht, hatte ich mein CI doch erst ein paar Tage. Die stationäre Reha war nun zu Ende und ich habe mich auch hier sehr wohl gefühlt, so wie in einer Großfamilie.
Auf dem Heimweg, im Auto, machte ich sofort die Erfahrung, dass ich Wortfetzen bei Nachrichten aus dem Autoradio und sogar manchmal ganze Sätze beim Verkehrsfunk mitbekam. Ich trage allerdings weiter links mein Hörgerät, denn zusammen mit dem CI rechts erscheint mir alles ausgewogener und volltoniger. Selbst von der Musik im Radio, ließ ich mich nur so berieseln, hatte ich das doch jahrelang als unerträglich empfunden. Mein Mann war emotional völlig überwältigt, nur ich nahm alles ganz selbstverständlich hin, als wäre ich nur etwas wach geworden. Ein wahnsinniges Glücksgefühl übermannte mich. Und das alles nach erst fünf Tagen.
In der jetzt folgenden Zeit werde ich ambulant von Dr. Plotz und meiner Logopädin, Frau Stindt, betreut. Nach jeder Neueinstellung des SPs durch Dr. Plotz kann ich neue Hörerfolge verbuchen. Zahlen verstehe ich hundertprozentig, bei den Einsilbern hapert es noch ein wenig. Aber ganze Geschichten mit anspruchsvollerem Text, die Frau Stindt mir vorliest, kann ich ohne Mundbild Satz für Satz wiederholen. Nur mir völlig unbekannte Worte verstehe ich nicht. Telefonieren mit mir vertrauten Personen klappt wesentlich besser als vorher mit Hörgerät. Mein besseres Sprachverständnis wird auch deutlich bei Unterhaltung im Auto, im Familien- und Freundeskreis, am Arbeitsplatz, einfach überall im Alltag,. Nebengeräusche und den noch etwas hohlen Klang ignoriere ich einfach. Auch Geräusche, die mir undefinierbar erscheinen, akzeptiere ich so, denn im Alltag hat man doch fast immer das entsprechende "Bild" dazu. Mein "neues Hören" wird mir gar nicht richtig bewusst. Ganz automatisch höre ich und es hat "nur" ein großes Erwachen begonnen. Ich verspüre ein anhaltendes Glücksgefühl, ein körperliches und seelisches Wohlbefinden. Die Uhren ticken, die Grillen zirpen, die Fahrradklingel und die Bremsen der LKWs ertönen deutlich aus dem Straßenlärm hervor, ich wusste bisher nicht, dass man Selterswasser hören kann oder dass mein Dampfbügeleisen schmatzt, klassische Musik erinnert mich an mein Elternhaus, als dort manchmal "Wiener Walzer" im Radio erklang, ein Straßenmusikant mit Akkordeon versetzt mich ebenfalls in Kindertage, beim Fernsehen kann ich deutschsprachigen Sendungen auch ohne Untertitel folgen. Musik ist z.Z. meine Lieblingsunterhaltung geworden. Mit FM-Kabel hört sich alles so an wie früher aus einem Transistorradio. Höre ich Musik mit Hörgerät und CI über Lautsprecher, erklingt sie für mich so normal wie damals aus der Musikanlage. Mein Hörnerv bringt also alles in die richtige Bahn, und das innerhalb von vier Monaten in der sogenannten Anfangsphase. Ich glaube nun, dass mein "neues Hören" derzeit den Stand meiner Jugendzeit erreicht hat, nur mit dem Unterschied: Damals war ich todunglücklich, heute bin ich überglücklich.
An dieser Stelle spreche ich nun meinen tausendfachen Dank an all diejenigen aus, die mir aus einer dumpfen, sonoren Welt zum "Besser hören mit CI" verholfen haben. Zum Schluss noch ein dickes Lob an die Firma MED-EL für den überaus hervorragenden Service.
Erika von Soosten
Am Knick 14
27619 Schiffdorf-Wehdel
Tel.: 04749/8190
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