CI-Erfahrungen aus "Behinderung & Pastoral"
6 Jahre Cochlear Implant – Leben mit „Sound and Silence"
Herr Andreas Heek aus Köln bat mich, einen Erfahrungsbericht zum Thema Cochlear Implant (CI) zu schreiben. Die meisten Erfahrungsberichte werden in der ersten Zeit nach der Anpassung geschrieben, wenn vor Begeisterung und Glück wieder hören zu können quasi „das Herz überläuft". Was schreibt man nun, wenn man bereits seit mehreren Jahren ein CI hat und es so selbstverständlich zum Leben dazu gehört, wie z.B. eine Brille. Die man morgens aufsetzt und abends vorm Schlafen wieder ablegt. Die auch mal beschlägt oder störend ist. Aber die man letztendlich nicht missen möchte.
Nun von Anfang an. Ich bin 39 Jahre alt. Nach einer guthörenden Kindheit und normalem Spracherwerb, setzte bei mir in früher Jugend eine fortschreitende Schwerhörigkeit ein. Die Ursache ist unbekannt. Mit 14 Jahren bekam ich die ersten Hörgeräte angepasst. Ich absolvierte trotz Schwerhörigkeit das Abitur an einem normalen Gymnasium und ging dann zum Studium an die Uni. Zum Ende des Studiums hin war ich bereits an Taubheit grenzend schwerhörig geworden. Ein offenes Sprachverstehen ohne Lippenlesen (z.B. beim Telefonieren) war kaum noch möglich. Beruflich hatte ich Glück und fand trotz extremer Schwerhörigkeit eine meiner Ausbildung entsprechende Anstellung im öffentlichen Dienst.
Zur damaligen Zeit (Ende der 80er) wurden bereits Cochlear Implantate implantiert, jedoch nur bei völlig ertaubten Menschen. Und da diese meist bereits seit Jahrzehnten taub, der Hörnerv und das Hörzentrum also „hörentwöhnt" waren, waren die Erfolge oft nicht so berauschend. Für mich mit meiner fortschreitenden Schwerhörigkeit war es jedoch tröstlich zu wissen, dass es da „noch einen Strohhalm gab", wenn ich mal völlig ertauben sollte.
Durch meine Kontakte im Deutschen Schwerhörigenbund und in der Hörbehindertenselbsthilfe lernte ich in den Folgejahren auch immer mehr CI-Träger persönlich kennen und merkte, dass die Entwicklung im Bereich CI in den 90er Jahren rasant voran ging. Das manche Menschen mit CI telefonieren konnten, was ich mit Hörgeräten schon seit Jahren nicht mehr schaffte, war schon beeindruckend. Ich las Bücher und Berichte im Internet zu diesem Thema. Und nach einem Vortrag von Frau Herzogenrath (selbst CI-Trägerin und Autorin des Buches „Mein Weg aus der Stille") in Düsseldorf im Frühjahr 1996 schrieb ich dann ein Fax an die Medizinische Hochschule Hannover und bat um einen Voruntersuchungstermin. Mittlerweile wurden auch Menschen mit Restgehör in der MHH operiert, und die Erfolge waren zum Teil umwerfend.
Die Untersuchung war im Juli 1996, die Ergebnisse waren gut, versprochen wurde mir nichts, der Chefarzt sprach jedoch davon, „ich hätte gute Chancen" und Ende August war dann die Operation. Die OP war nicht so schlimm, die Wundschmerzen waren gut erträglich und am Abend konnte man bereits wieder aufstehen. Allerdings hatte ich Probleme mit der Wundheilung und so wurden aus den geplanten 10 Tagen Krankenhausaufenthalt 3,5 Wochen. Eine sehr langweilige Zeit für einen tauben Menschen in einer Riesenklinik weit weg von Zuhause.
Im Oktober 1996 (ca. 6 Wochen nach der OP) war dann die Erstanpassung des Sprachprozessors und das Abenteuer des Wiederhörenlernens begann. Dazu wurde ich wieder stationär in der MHH aufgenommen und es wurde vormittags und nachmittags je ca. 1 Stunde Hörtraining durchgeführt.
An die genauen Einzelheiten erinnere ich mich nicht mehr richtig. Ich weiß nur, dass alles ziemlich verwirrend war. Nichts klang so, wie man es gewohnt war oder erwartet hatte. Die Fülle der Geräusche war umwerfend, zumal nun auch die hohen Töne wieder für mich hörbar waren, mit Hörgeräten hatte ich zuletzt nur bis ca. 1000 Hertz hören können. Die vielen Einstellungsmöglichkeiten am Sprachprozessor (ich hatte ein CI von Clarion) warfen Fragen auf. Mit welchem Programm, mit welcher Lautstärke, mit welcher Empfindlichkeit sollte ich denn nun anfangen? Sollte ich wild hin und her zappen oder es mit irgendeiner Einstellung erst mal langsam versuchen ?
Einige Menschen berichten, dass sie nach der Erstanpassung sofort Sprache verstehen können (wenn auch verzerrt oder wie mit Computerstimme von weit her), bei mir war das nicht so. Stimmen waren für mich nur aus nächster Nähe hörbar (vielleicht war ich damals nicht mutig genug um es lauter einzustellen) und ein offenes Sprachverstehen (d.h. ohne Lippenlesen) entwickelte sich erst langsam nach ein paar Tagen. Als ich am Ende der ersten Woche am Telefon ein paar Worte verstand war ich happy.
Die nächsten Wochen und Monate mit dem CI waren ein einziger Rausch. Ständig gab es akustisch Neues zu entdecken, wieder zu erkennen und wieder zu hören. Der Klang wurde von Tag zu Tag besser und „normaler". Es ist erstaunlich, wie flexibel selbst das Gehirn eines Erwachsenen ist und sich anpassen kann. Technisch gesehen bietet ein CI mit seinen paar Elektrodenpaaren nur Bruchstücke dessen an Hörinformation, was ein Guthörender mit seinen ca. 20.000 Haarsinneszellen übermittelt bekommt. Trotzdem funktioniert es und kommt einem Wunder gleich.
Zunächst musste ich wieder hören lernen, dann wieder weghören lernen, d.h. lernen unwichtige banale Geräusche, die am Anfang ständig meine Aufmerksamkeit auf sich zogen, einfach zu ignorieren.
Verblüffend war für mich, dass ich nach einigen Monaten auch mit Musik zurecht kam. Es hieß vorher, ein CI ist für Sprache programmiert, Musik klingt unschön. Das trifft für mich nur in Einzelfällen zu. Sehr gerne höre ich Popmusik-Oldies, die ich von früher kenne und die nach 3-4maligem Hören fast wieder normal klingen. Beeindruckend ist auch, dass die geballte Klangkraft eines Symphonieorchesters zu einem angenehmen Gesamtklang verarbeitet wird und keineswegs ein grässlicher Geräuschcocktail ist. Was mir aber bis heute Probleme bereitet, ist die Orgel in der Kirche, besonders dann, wenn gleichzeitig auch gesungen wird. Hier spielt wohl die Lautstärke und die hallige Raumakustik eine Rolle, denn im Radio oder Fernsehen hört es sich angenehmer an.
Wichtig für mich sind jede Art von technischer Zubehörteile. Mit CI hört man nur in ruhiger Umgebung und über kurze Entfernungen gut. Ich brauche also ein Kabel für mein Telefon mit Induktionsspule zuhause und die Induktionsanlage im Verein, ein anderes Kabel für das digitale Telefon im Büro und eine Microlink-MiniFM-Funkübertragungsanlage fürs Fernsehen und bei Vorträgen, Schulungen usw. Ich probiere da immer wieder Neues aus, um das für mich Optimale zu finden.
Ich bin nur einseitig mit einem CI versorgt, die andere Seite ist taub, (mittlerweile gibt es auch Menschen mit beidseitiger CI-Versorgung oder mit CI auf der einen und Hörgerät auf der anderen Seite), das bedeutet, dass ich keinerlei Richtungsgehör habe und vor allem bei Nebengeräuschen schlecht verstehen kann (Party-Cocktail-Effekt).
Bei den jährlichen Kontrolluntersuchungen und Tests in der MHH komme ich unter optimalen Hörbedingungen auf Traumquoten von 65-70 % im Einsilberverstehen und ca. 97 % im Satzverstehen. Wird bei diesen Tests ein Rauschen im Abstand von 10-15 Dezibel zur Sprache untergemischt, verstehe ich jedoch kaum noch etwas.
Das gute Verstehen ist zum Teil immer noch ein gutes Kombinieren, Sätze und Texte verstehe ich gut, einzelne Worte schlechter, ganz schwierig wird es z.B. bei Namen am Telefon, auch wenn diese buchstabiert werden, verstehe ich sie oft nicht.
Am Telefon bin ich davon abhängig, dass mein Gesprächspartner durch langsame und deutliche Aussprache Rücksicht nimmt. So kann ich mitunter mit Wildfremden fließend telefonieren, aber erlebe auch hin und wieder am Telefon „mein persönliches Waterloo", wenn der andere nuschelt, Dialekt oder zu schnell spricht.
So ist also mein heutiges Leben ein ständiges Wechselbad zwischen gutem Verstehen und nicht Verstehen. Eine kleine Veränderung in den Umgebungsbedingungen (Störgeräusche, hallige Räume, große Abstände, schlechte Aussprache) führt schnell zum Nichtmehrverstehen.
Auch gibt es immer noch Momente der völligen Taubheit, beim Schlafen, Duschen, Schwimmen und immer dann wenn die Batterie alle 7-8 Stunden schlagartig leer ist. Es ist ein Leben mit „Sound and Silence". Trotz aller „technischen Widrigkeiten" ist es ein schönes Leben und ich möchte das CI nicht mehr her geben.
Zur Zeit habe ich noch den alten Taschensprachprozessor von Clarion, den ich 1996 bekam. Die neueren Modelle sollen besser sein, auch ist ein HdO-Prozessor schon im Test. Aber solange dieser nicht alle Anschlussmöglichkeiten bietet, wie ich sie gewohnt bin, bin ich skeptisch.
Auch darf man bei aller Begeisterung nicht vergessen, dass nicht jeder mit einem CI so gut zurecht kommt. Die Erfolge sind doch sehr unterschiedlich. Das hat zum Teil medizinische Gründe, z.B. die Funktionsfähigkeit des Hörnervs, die Anatomie der Hörschnecke usw..
Die „Hörhistorie" ist wichtig: frühertaubt, spätertaubt, langsam oder plötzlich ertaubt, resthörig, lange Zeit taub gewesen, lautsprachkompetent usw.
Ein erwachsener Gehörloser, der nie Sprache akustisch wahrnehmen konnte, wird in der Regel nicht mit einem CI versorgt, da es kaum was bringt. Andererseits haben spätertaubte/resthörige Menschen, die volle Sprachkompetenz besitzen und die evtl. durch jahrelange Schwerhörigkeit bereits gelernt haben aus minimalen Hörresten „das Beste zu machen", oft sagenhafte Erfolge. (Zum Thema Kinder und CI möchte ich mich nicht äußern, da gelten wieder andere Regeln.)
Ganz besonders wichtig ist aber die persönliche Motivation und Geduld: „Will ich wieder neu hören lernen, auch wenn es vielleicht sehr mühsam wird und anders klingt als erwartet ?!"
Es ist ein wunderbares Abenteuer und kein Arzt der Welt kann einem voraussagen, was einen erwartet, wenn man sich darauf einlässt.
Martina Graf
Troisdorf
Erschienen in:
Zeitschrift „Behinderung & Pastoral"
Referat Behindertenseesorge
Georgstr. 20
50676 Köln
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