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Michael Stötzel - Erfahrungsbericht - Teil 2

Meine Akustische Wiedergeburt – Die Erstanpassung


Montag, den 05.12.2005

Nun ist es endlich so weit, nach fünf Wochen, geht es zur Erstanpassung des Sprachprozessors wieder in die Medizinische Hochschule Hannover. Nach der kurzen Aufnahme an der Pforte und auf der Station machte ich mich auf den Weg ins Hörzentrum. Ich war nervös vor dem was mich jetzt erwartet. Im Hörzentrum angekommen kam ich in das Büro von Herrn Gärtner, dem Techniker, der mich die Woche über betreute.

Das Hörgerät, das ich im linken Ohr trug, musste ich abnehmen. Nun bekam ich rechts meinen Nucleus Freedom Sprachprozessor. Es wurden mir verschiedene Töne vorgespielt, bei denen ich immer die Lautstärke dieser angeben musste. Nach einigen Minuten der Einstellung sagte Herr Gärtner zu mir: „Und wie ist es jetzt, können sie mich hören?“ Ich schaute Ihn groß an und fing an zu weinen. Ich hatte jedes Wort, was er mir sagte deutlich verstanden. Es klang zwar ein wenig in Richtung einer Roboterstimme, war aber klar und deutlich zu verstehen. Nun wurden mir dann die verschiedenen Funktionen des Sprachprozessors erklärt. Ich bekam auch noch ein umfangreiches Zubehör mit. Bei diesem Gespräch, so über den Schreibtisch hinweg, verstand ich jedes gesprochene Wort.

Nun kam ich zu Frau Krüger meiner Therapeutin. Ich saß ihr am Schreibtisch gegenüber und wir unterhielten uns. Es war phänomenal. Ich verstand wieder jedes Wort. Die Stimme von Frau Krüger klang für mich auch natürlich und deutlich. Nun wurden die ersten Übungen mit Vokalen und Konsumenten durchgeführt. Anschließend auch schon Wortübungen. Das klappte alles gut. Nun bekam ich noch meinen Therapieplan für die Woche. Auf dem Weg in die Klinik hörten sich die Geräusche der Umgebung (Straßenbahn, Autos, Springbrunnen) noch alle gleich an. Wieder auf dem Zimmer angekommen, unterhielt ich mich mit meinen Zimmerkollegen. Es ist ein Traum. Ich konnte mich wieder angenehm mit Menschen unterhalten.

Auch der Hall in dem großen Krankenzimmer störte beim Unterhalten nicht mehr. Mit den Hörgeräten war gerade das für mich immer ein großes Problem gewesen. Nun ging ich weiter auf Entdeckungstour. Alltagsgeräusche wie das Rauschen des Wassers beim Händewaschen, das Betätigen der Toilettenspülung, das Klappern des Essgeschirrs, das Auftreten von Absätzen auf Steinbelag usw. klang schon sehr vertraut. So ging ein ereignisreicher Tag zu Ende. Mit einem so schnellen Erfolg des Verstehens hatte ich nie gerechnet. Ich war so aufgewühlt, daß ich am Abend kaum einschlafen konnte.

Dienstag, den 06.12.2005

Morgens ging es wieder ins Hörzentrum. Die Einstellung wurde von Herrn Gärtner noch ein wenig verändert und dann ging es zur täglichen Therapie zu Frau Krüger. Wir trainierten Satzübungen, Zahlenübungen und Textverständnisübungen. Es war nicht zu fassen. Ich verstand in dieser ruhigen Umgebung alles. Da für den Nachmittag keine Termine vorgesehen waren, sollte ich mal nach Hannover fahren, um die neue Geräuschkulisse zu erkunden.

Gesagt getan. Mit der Straßenbahn fuhr ich zum Hauptbahnhof. Ich ging über den Weihnachtsmarkt in die Einkaufsstrasse. Ich bummelte einfach durch mehrere Geschäfte. Es war ein Genuss. Mit den Hörgeräten war in dieser geräuschvollen Umgebung immer alles zu laut für mich. Mit dem CI störten die Umgebungsgeräusche nicht mehr. Ich empfand alles sehr angenehm. Nun traute ich mich auch Menschen anzusprechen. Ich fragte nach dem Weg zum Bahnhof, bestellte mir Essen und Trinken am Weihnachtsmarkt und fragte zweimal am Auskunftsschalter der Bahn nach Zugverbindungen. Als ich mit der Straßenbahn zurück in die Klinik fuhr, konnte ich schon, wenn die Bahn langsam fuhr, die Durchsagen des nächsten Haltepunktes verstehen. In der Klinik angekommen verstand ich nun auch die Durchsagen im Flur sowie Stationsangabe im Aufzug. Am Abend sah ich dann die unglückliche Niederlage unserer Schalker in Mailand wodurch wir unverdient aus der Champions League ausschieden. Ein weiterer ereignisreicher Tag mit vielen neuen Höreindrücken ging zu Ende.

Mittwoch, den 07.12.2005

Am Vormittag spazierte ich viel durch die Klinik und das Außengelände und genoss die vielen neuen Höreindrücke. Nachmittags hatte ich dann meinen täglichen Therapietermin bei Frau Krüger. Wir übten nun das Telefonieren. Frau Krüger ging in ein anderes Büro und rief mich an. Sie lass mir Sätze vor, die ich wiederholen musste und stellte mir Fragen die ich beantwortete. Ich verstand dabei schon fast jedes Wort. Jetzt rief ich meine Mutter an. Wir führten ein längeres ausführliches Telefongespräch, das sehr gut klappte.

Es war der Hammer. Ich führte zum ersten mal seit fast drei Jahren wieder ein entspanntes, längeres Telefongespräch bei dem ich gut verstand. Mit diesem Erfolg nach nur drei Tagen hatte ich nie im Leben gerechnet. Es folgten noch verschieden Frage – und Antwortübungen, bei denen ich kein Problem mit dem Verständnis hatte. Ich fühlte mich inzwischen wie neu geboren. Während ich früher meine Hörgeräte tagsüber oft ausschaltete, weil ein längeres Hören für mich immer so anstrengend war, hatte ich mit dem CI damit keine Probleme. Der Sprachprozessor wurde nach dem Aufstehen angelegt, lief den ganzen Tag und wurde erst zum Schlafen wieder abgelegt. Am Abend traute ich mich mal Fernsehen mit Ton zu schauen. Bei der Tagesschau verstand ich schon recht gut was gesprochen wurde. Mein Tinnitus hatte sich die Tage auch stark verbessert, so dass ich ihn kaum noch wahrnehme.

Donnerstag, den 08.12.2005

Ein neuer ereignisreicher Tag begann. Im Laufe des Vormittags rief ich zweimal mit dem Münzsprecher des Krankenhauses meine Mutter an. Solange es bei dem Telefonat in der Umgebung ruhig war, verstand ich das Gesprochene sehr gut. Am Nachmittag hatte ich wieder meinen täglichen Therapietermin bei Frau Krüger. Es wurden mehrere Verständnisübungen mit Hintergrundgeräuschen geübt. Erstes Hintergrundgeräusch war ein Flusslauf. Dabei verstand ich gut was gesprochenen wurde. Als zweites Hintergrundgeräusch kam dann Straßenlärm. Diese Übung war schon schwieriger als die vorherige. Das dritte Hintergrundgeräusch war dann die Geräuschkulisse einer Kneipe. Diese Übung war die bisher Schwerste. Ich verstand aber trotz der, jetzt doch sehr störenden, Hintergrundgeräusche die Hälfte der vorgesprochenen Wörter. Bei dieser Übung merkte ich deutlich den Unterschied des Verstehens in ruhiger und geräuschvoller Umgebung. Mein Sprachverständnis war aber schon phänomenal gut. Nun fing ich an zu „Spinnen“. Am Abend schloss ich mich im Stationsbad ein und telefonierte mit meinem Handy. Dabei hatte ich schon ein gutes Verständnis.

Freitag, den 09.12.2005

Morgens wurde die Einstellung des Sprachprozessors noch etwas von Herrn Gärtner optimiert und verfeinert. Es folgte nun der Abschlusstermin bei Frau Krüger. Es wurde mir fünf Minuten lang ein Text vorgelesen. Ich musste das Verstandene nachsprechen. Diese Übung wurde mit Lippenablesen durchgeführt. Ich verstand jedes vorgesprochene Wort direkt. Es waren 73 Wörter pro Minute. Bei der im März erfolgten Voruntersuchung waren es bei dieser Übung „mit Hängen und Würgen“ gerade mal 39 Wörter pro Minute. Nun erfolgte diese Übung ohne Lippenablesen. Ich musste in den fünf Minuten ungefähr zehn bis fünfzehn Wörter nachfragen. Als das nichtverstandene Wort wiederholt wurde, verstand ich es dann sofort. Bei dieser Übung waren es 52 Wörter in pro Minuten. Bei der im März erfolgten Voruntersuchung verstand ich bei dieser Übung gar nichts.

Nun wurde noch eine ganz spezielle Übung durchgeführt. Im Hintergrund wurde Englisch gesprochen und dann kamen Sätze auf Deutsch die ich wiederholen musste. Diese Übung klappte noch besser als die gestrigen Übungen mit Hintergrundgeräuschen und machte richtig Spaß. Ich war wieder hin und weg. Auch Frau Krüger meine Therapeutin war sehr begeistert von meinem neuen Hören. Die Betreuung und Kompetenz sowie das Verständnis für die Situation im Hörzentrum der Medizinischen Hochschule Hannover war absolute spitze. Auch auf der Krankenstation fühlte ich mich gut aufgehoben. Das Pflegepersonal und die Ärzte waren zuvorkommend und freundlich. Nun ging es mit der Bahn wieder zurück in das schneereiche Siegerland. Während der Heimfahrt konnte ich die Durchsagen im ICE und den Schaffner bei der Fahrkartenkontrolle verstehen.

Die erste Zeit Zuhause

Wie die Zeit vergeht. Seit drei Wochen bin ich mit meinem neuen Hören auf täglicher Entdeckungsreise. Die tägliche Freude an den neuen/alten Hörerlebnissen, die wieder zum Vorschein kamen, ist nicht zu beschreiben. Nachrichten im Fernsehen, jetzt aber ohne Untertitel dafür wieder mit Ton, zu sehen sind schon ein normales alltägliches Fernseherlebnis geworden. Musik hören, was seit Jahren für mich kein Thema mehr war, geht auch wieder. Deutschsprachige Musik ist für mich schon wieder gut zu verstehen. Geräusche, wie z.B. das Ticken des Sekundenzeigers von Wanduhren, das Klicken der Computermaus, das Knistern des brennenden Holzes im Ofen usw., die ich seit Jahren nicht mehr hörte, sind inzwischen zurückgekehrt. Gespräche und Diskussionen sind für mich in ruhiger Umgebung wieder zu verfolgen und ich kann mich endlich wieder daran beteiligen. Die täglichen Situationen, wie beim Einkaufen und beim Arzt, bei denen man mit Menschen spricht, sind nun wieder für mich wieder gut zu bewältigen. Vor diesen Situationen hatte ich die letzten Jahre immer Angst davor, dass ich angesprochen werde und nicht verstehe. Diese Angst ist verschwunden. Ich suche diese neuen Situationen nun auch zum täglichen Training. Das Telefonieren auch mit dem Handy geht auch schon gut. Im Beruf wird nun auch wieder Vieles angenehmer für mich zu bewältigen sein. Der Zukunft sehe ich seit langer Zeit wieder positiv entgegen. Ich bin froh, dass ich den nicht einfachen Schritt zum CI gewagt habe.

eb_michael_stoetzel

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