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Von Arrangement zur Akzeptanz Teil 2

Mein Leben mit dem CI

Fast zwei Jahre sind seit der Erstanpassung des CI’s vergangen. Jetzt ist für mich der Zeitpunkt gekommen diese Zeit Revue passieren zu lassen. Viel ist mit mir passiert.

In den ersten Monaten ging es darum, dass CI anzupassen. Das war nicht so einfach, da ich seit meiner Geburt auf der rechten Seite taub bin. Die Ärzte waren verhalten optimistisch, ob ich jemals das Sprachverstehen erlangen werde. Wenn überhaupt, dann sicher erst in 2-3 Jahren. Es passt zu meinem Charakter, dass ich diesem verhaltenen Optimismus entgegentreten und es in einer kürzeren Zeit schaffen wollte.

Nach der sehr intensiven stationären Reha Anfang letzten Jahres war ich soweit, dass mit dem CI räumliches Hören möglich war. Noch nie zuvor war ich in der Lage zu sagen woher ein Geräusch kommt. Früher musste ich zur Lokalisation eines Geräusches immer meinen Kopf drehen, um mit der linken Seite zu hören, wo das Geräusch am lautesten war. Ich sagte dazu immer, ich muss meinen Radar schwenken. Mit dem CI auf der rechten und dem Hörgerät auf der linken Seite (da bin ich mittelgradig schwerhörig) konnte ich mich ab sofort orientieren. Dies führte zu einer deutlich besseren Sicherheit, insbesondere auch als Teilnehmer im Straßenverkehr.

Das Sprachverstehen dagegen ist nur ansatzweise und im Trainingsbetrieb vorhanden. Hierfür besuche ich seit Mitte letzten Jahres eine ambulante Reha. Das bedeutet einmal die Woche zwei Stunden Training. Danach möchte ich am liebsten alle Hörsysteme ausschalten und nur noch Ruhe haben. Doch dieses intensive Training hat mein Sprachverstehen voran gebracht. Dennoch waren die Erfolge nur sehr spärlich. Ich habe zusätzlich zu Hause am PC trainiert.

Mein ganzes Leben drehte sich nun darum das Sprachverstehen zu erlangen. Oft merkte ich wie müde ich war. Denn das Training fand nach der Arbeit statt und / oder am Wochenende. Hinzu kam, dass ich beruflich von Darmstadt nach Frankfurt umziehen musste. Dies bedeutet für mich zwei Stunden länger unterwegs zu sein als bisher. Stress pur. Ich fuhr mit dem Zug und dachte ich könnte so die Fahrten zur Entspannung nutzen. Doch weit gefehlt. Wie oft hatte ich lautstarke Mitfahrer im Zug. Es war mir nicht möglich diese Geräuschkulisse auszublenden. Hörsysteme ausschalten war für mich auch keine Option, da dies Unsicherheit hervorruft und ich dann das fehlende Hören durch meine Augen zu ersetzen versuchte. Hinzu kam dann auch die ambulante Reha, die ich außerhalb meiner Arbeitszeit machen musste, um nicht zu viele Stunden Arbeitszeit zu verlieren, die ich dann wieder aufholen musste.

Das Gebäude, das seit August letzten Jahres meine neue Arbeitsstätte in Frankfurt wurde, ist neu erbaut worden. Das darin entwickelte Konzept der Raumgestaltung war für mich als Schwerhörige eine Katastrophe. Teppichboden, Schallschlucker an den Wänden und auch eine schalldämpfende Decke. Ich hatte massive Probleme Kollegen zu verstehen. Viele sagten zu mir, deine Schwerhörigkeit ist schlechter geworden. Unterstützung durch meinen Arbeitgeber fand nicht statt. Allein auf weiter Flur kämpfte ich gegen die Behörden an, um technische Hilfsmittel zu bekommen. Ständiges Nachfragen bei den Kollegen, wenn ich etwas nicht verstanden habe, nervte nicht nur mich. Ich wollte auch niemandem auf die Nerven gehen, indem ich immer und immer wieder darauf hinwies, doch bitte langsam deutlich und mir zugewandt zu reden. Hier hatte ich sehr oft das Gefühl, dass die Kollegen dachten, sie hat doch jetzt das CI und muss uns doch jetzt verstehen. Diese Denkweise kann man keinem Normalhörenden verübeln. Der Vergleich mit einer Beinprothese wurde zwar gesehen, dennoch nicht auf das Gehör umgesetzt. Obwohl alle wussten, dass ich massive Probleme und Ängste mit dem Telefonieren habe, wurde ich doch immer wieder gebeten dieses oder jenes telefonisch zu klären.

Wenn ich dies so schreibe, merke ich jetzt im Nachhinein wie stressig das Ganze doch geworden war. In der Situation selbst habe ich das gar nicht so empfunden.

Auch die Signale meines Körpers habe ich nicht verstanden. Viele kleine Wehwehchen, Erkältungen usw. in den letzten Jahren hielten mich nicht davon ab arbeiten zu gehen. Schlaflose Nächte voller Kopfkino waren schon normal für mich. Zunehmende Gereiztheit war die Folge, die in der Regel mein Mann zu spüren bekam. Auf der Arbeit hatte ich mich weitestgehend im Griff. Aber auch da gab es genügend Hinweise darauf, dass ich „am Ende“ war. Ich war zu stolz, um zu sagen, es wird mir zu viel, ich schaffe es nicht mehr. Im Gegenteil, ich nahm immer mehr Arbeit an. Nein sagen passte nicht zu mir. So kannte mich ja auch keiner. Das Ergebnis waren Fehler unter anderem durch ziemlich gravierende Konzentrationsmängel und Vergesslichkeit.

Aufgrund vermeintlich kleiner Wehwehchen suchte ich Ende letzten Jahres meine Hausärztin auf. Das Blut sollte im Labor getestet werden. Das Ergebnis der Blutwerte war sehr schlecht. Viele Werte waren im roten Bereich. Die Ärztin gab mir deutlich zu verstehen, dass ich meine Lebensgewohnheiten dringend ändern muss.

Immer noch war ich nicht bereit meine kritische Situation zu erkennen. Das ambulante Reha Training stagnierte und ich fühlte dadurch immer mehr Druck. Eine ziemlich heftige Erkältung zwang mich dann Anfang des Jahres erneut meine Ärztin aufzusuchen. Ich wollte ein Mittelchen, am liebsten mit sofortiger Wirkung, dass ich gleich wieder arbeiten gehen kann. Sie lehnte meinen Wunsch ab und wollte mich für zwei Wochen krankschreiben. Das wiederum lehnte ich ab. Sie muss wohl gemerkt haben, wie sehr ich unter Druck stand und beharrte auf dieser Krankmeldung. Die Ärztin gab mir auch deutlich zu verstehen, dass es so nicht weitergeht und ich dringend psychologische Unterstützung In Anspruch nehmen sollte.

Zwei Wochen später hatte ich den ersten Termin bei dem Psychologen. Dieser hat mich dann sofort „aus dem Verkehr“ gezogen. Mein Widerstand war auch nicht mehr so groß, hatte er mich doch 45 Minuten intensiv bearbeitet. Seit dieser Zeit, fast ein halbes Jahr schon, bin ich nun krankgeschrieben. Regelmäßige Gespräche mit dem Psychologen bringen mich Stück für Stück voran. Meine Depressionen und Konzentrationsprobleme sind die Folge von jahrelangem Ignorieren bzw. Arrangieren meiner Hörbehinderung. Wie ich im ersten Teil meiner Dokumentation schilderte, war der Umgang mit meiner Hörbehinderung für mich ein ewiger Kampf dagegen. Ich wollte immer und überall mithalten können. Erst im letzten Jahr wandelte sich das Arrangieren in Akzeptanz der Hörbehinderung. Vielleicht musste dieser Schritt erst sein, um auf den richtigen Weg zu kommen.

Stolz auf die Akzeptanz mit der Behinderung erzählte ich dem Psychologen, wie sehr ich seit meiner Geburt daran arbeitete, dass niemand etwas von der Behinderung merkte. Es war ja auch für mich etwas ganz Normales, da meine Eltern diese Behinderung auch nicht als solche ansahen. Ich war stolz darauf, dass ich mit Normalhörenden aufwuchs, zwei Berufsausbildungen absolvierte und dann im Arbeitsleben „meinen Mann“ stand. Nicht wahrhaben wollte ich, dass es mit meinem Älterwerden für mich immer schwieriger wurde die Hörbehinderung zu amortisieren. Der berufliche Umzug nach Frankfurt gab mir dann den Rest. Der Psychologe hörte in der Regel kopfschüttelnd zu. Am Ende meiner Schilderung zeigte er mir sehr deutlich auf, dass ich praktisch seit meiner Geburt über meine Verhältnisse lebe. Kommunikation ist ein sehr großer und wichtiger Bestandteil im menschlichen Miteinander. Ca. 80% unserer Energie verwenden wir für die Kommunikation. Ich dagegen wahrscheinlich 150%, da ich die gesprochenen Buchstaben (von denen ich manche aufgrund meiner Behinderung gar nicht verstehen kann) erst in meinem Kopf zu einem sinnvollen Wort und dann die Worte zu einem Satz zusammenstellen muss. Das geschieht in einem Bruchteil von einer Sekunde im Unterbewusstsein. Dieser Schritt benötigt einen deutlichen Anteil an Energien. Dies 55 Jahre lang so durchgeführt, lässt den Rückschluss zu, dass ich vollkommen ausgebrannt bin. Zusätzlich kommt noch dazu, dass ich langsam Sprachverstehen entwickele und dies ebenfalls sehr viel Energie kostet, da diese Hirnareale noch nie gearbeitet haben. Auch die Konzentrationsprobleme lassen sich so gut erklären.

In der Anfangszeit meiner Krankschreibung plagte mich das schlechte Gewissen gegenüber den Kollegen und das Eingestehen einer Depression bei mir selbst. Ich brach als erstes alle Kontakte zur Arbeit ab. Mein Mann hielt den notwendigen Kontakt aufrecht und informierte meine Chefin über die Krankmeldungen. Alle Reaktionen von dort, aber auch im privaten Bereich stellten sich mir zunächst nur negativ dar. Ich war gegenüber allen Dingen misstrauisch und negativ eingestellt. Das zog mich immer mehr runter. Die depressive negative Spirale wurde immer länger. Diese Situation war auch für meinen Mann extrem schwierig. Er sagte immer wieder, er fühle sich so hilflos der Krankheit gegenüber. Bei einem gebrochenen Fuß könne er den Hocker drunter schieben, damit ich besser sitzen kann. Aber hier weiß er sich keinen Rat. Mein Gegenargument, dass das bloße neben mir sein schon genügt, konnte er nur schwer nachvollziehen. Wie wichtig ist es in dieser Zeit Unterstützung zu haben, einfach Menschen um sich zu haben, die ohne viel zu fragen da sind. Inzwischen bin ich dank der Antidepressiva ziemlich stabil und auf dem Weg der Besserung. Dennoch gibt immer wieder mal Tiefpunkte, die mich aber nicht mehr soweit runter ziehen, sodass die Kurve insgesamt nach oben geht. Ziel wird sein, auch ohne die Medikamente stabil zu werden.

Nach einiger Zeit zu Hause habe ich einen anderen Biorhythmus entwickelt. Ich schlafe für meine Verhältnisse lang, habe gesündere Essgewohnheiten. Mein Körper hat sich umgestellt. Allergien gegen dies und jenes sind verschwunden. Fast 6 Monate bin ich zu Hause, langweilig war mir noch kein einziger Tag. Die ambulante Reha (Hörtraining) wird seit Mai fortgesetzt. Die Ergebnisse im Sprachverstehen sind deutlich besser geworden, wenn man davon absieht, dass ich nach einer Stunde mit den Konzentrationsproblemen kämpfe. Mein Blut wurde ebenfalls erneut getestet. Auch hier spricht das Ergebnis eine deutliche Sprache. Alle Werte fast wieder im Normbereich. Langsam beginne ich wieder zu leben und dieses Leben bewusst nach meinen Wünschen zu gestalten. Ich treffe mich wieder mit Freunden und habe Spaß am geselligen Zusammensein mit Menschen. Der Wunsch wieder einen Hund aufzunehmen wächst. Auch wenn ich mich damit vom Verstand her leider noch gedulden muss, das Herz sagt etwas anderes. Aber solange meine berufliche Zukunft nicht geklärt ist, muss ich leider Pläne in dieser Hinsicht zurückstellen. Das ist für mich nun eine neue Aufgabe, der ich mich schweren Herzens stellen muss - Geduld üben.

Ich gehe sehr offensiv mit meiner Erkrankung um. Viele, die mich kennen, hätten nie gedacht, dass mich eine Depression irgendwann mal im Griff haben könnte. Ich wäre doch immer so taff und zupackend gewesen. Stimmt, aber ich bezahle jetzt dafür. Noch rechtzeitig hat meine Ärztin mir ins Gewissen geredet und ich bin den notwendigen Schritt zu einer psychologischen Behandlung gegangen. Dies hat sicher den totalen Absturz verhindert.

Ursula Krumb

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